„Menschen verlassen Afrika, weil sie dort keine Lebensgrundlage mehr haben“

Charles M. Huber ist in Deutschland und im Senegal zuhause. Er ist Schauspieler, Autor und Politiker. In einem Vortag in der Reihe „Kontrovers vor Ort“ der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung beleuchtet er die jüngere Geschichte des afrikanischen Kontinents. Als Sohn eines senegalesischen Diplomaten, Großneffe des ersten Präsidenten Senegals und ehemaliger Berater des aktuellen Präsidenten kennt Huber das Thema aus verschiedenen Perspektiven. Er kritisiert den verzerrten Blick auf die Zusammenarbeit zwischen Europa und Afrika.

 

Herr Huber, Ihre familiären Wurzeln liegen in Deutschland und im Senegal. Was bedeuten Ihnen beide Länder?

Ich bin Niederbayern aufgewachsen. In meiner Kindheit gab es für mich auch nur diese Heimat. Eine sehr traditionelle Region, in der ich verwurzelt bin. Ich bin mit dem Dialekt aufgewachsen, spreche ihn noch immer. Auch wenn ich heute durch andere Länder reise, habe ich einen Trachtenjanker dabei. Den trage ich nicht aus Jux und Tollerei, sondern weil er für eine Tradition steht, die mir wichtig ist. Der Senegal, aus dem ein anderer Teil meiner Familie stammt, ist aber genauso Heimat für mich. Ich spreche die Sprache, habe auch dort Familie und verbringe im Senegal ebenfalls viel Zeit. Einige meiner Verwandten waren dort in der Politik. Ein Onkel meines Vaters, der ja selbst Diplomat war, war der bekannte Philosoph und Präsident Leopold Sedar Senghor. Meine Tante Caroline Faye war Ministerin und Frauenrechtlerin. Ich habe mich bereits seit Mitte der 90er Jahre für den Wirtschaftsdialog zwischen Senegal und Deutschland engagiert und dort auch zwei Schulen gebaut. Die letzte war ein Gymnasium in der Stadt Mbour für 1.000 Kinder. Ich bin in beiden Welten zu Hause, in Europa und in Afrika.

Wie war es, als dunkelhäutiges Kind in einer weißen, konservativen Umgebung in Niederbayern aufzuwachsen? Haben Sie damals Rassismus erlebt?

Das wird oft erwartet, wenn ich das erzähle. Ich war damals das einzige schwarze Kind, man kannte so etwas wie mich sonst nicht. Aber mir ging es gut. Ich war ein Teil der Dorfgemeinschaft. Eben ein besonders lebendiger. Ich habe sehr schöne Erinnerungen an meine Kindheit auf dem Land und hatte immer großes Heimweh nach Niederbayern, wenn ich woanders war. Für mich war es erst einmal ein Kulturschock, nach München, in die Großstadt, zu ziehen. Die Menschen waren plötzlich anders. Das Leben fühlte sich anonymer und kälter an, ganz anders als bei uns auf dem Dorf.

Sie haben als Schauspieler gearbeitet. Und sind in die Politik gegangen, erst zur SPD, dann waren Sie in der CDU und CSU. Was hat Sie in die Politik gezogen?

Ich war schon in meiner frühen Jugend politisiert. Das hatte damals, in den 70er-Jahren, auch mit dem Erstarken der Bürgerrechtsbewegungen in den USA und der Anti- Apartheitsbewegung in Afrika zu tun. Ich fühlte mich davon betroffen und identifizierte mich mit der Thematik Menschen afrikanischen Ursprungs in anderen Teilen der Welt. Meine politische Karriere begann in Afrika. Genauer gesagt in Äthiopien nach dem Ende des Mengistu-Regimes und meinem Ausstieg aus der Fernsehserie „Der Alte“. Ich arbeitete als Berater des Tourismusministers, später auch im Senegal und habe mich gefragt: Warum sind die Deutschen nicht dort? Ich wollte eigentlich in keine Partei eintreten. Mir ging es vor allem um das Thema Wirtschaftskooperationen mit Afrika. Das ist mir bis heute wichtig, deshalb bin ich in der Politik.

Sie haben ein Buch geschrieben, in dem Sie das Zusammenwirken von Europa und Afrika kritisieren. Sie halten darüber nun auch einen Vortrag in Sachsen. Können Sie umreißen, um welche Punkte es Ihnen geht.

Es gibt nach wie vor keine Beziehungen auf Augenhöhe zwischen Europa und Afrika.  Afrika ist nach wie vor der Hinterhof ehemaliger Kolonialmächte.  Die Rohstoffe des Kontinents werden ausgebeutet, aber die Wertschöpfung findet nicht in Afrika statt. Das große Geld wird woanders verdient und füllt über Steuern die Budgets von Regierungen der Industriestaaten. Afrika speist man mit sogenannter Budgethilfe und Projekten unter Mitwirkung hochbezahlter, ausländischer Entwicklungsexperten ab. Dadurch werden in Afrika keine nachhaltigen Wirtschaftsstrukturen geschaffen.  Ich habe im Senegal in einem Fischerdorf gelebt. Ich kenne die Problematik allein aus der Fischerei, das ist nur eines von vielen Beispielen. Auf diesem Markt mischen viele Player mit, Russen, Chinesen, aber auch die EU. Viele Küsten in Afrika sind inzwischen leergefischt. Die Leute, die in der Region mit dem Fischfang auskommen müssen, können davon kaum noch ihr Leben bestreiten. Sie müssen woanders Geld verdienen. Einige werden Schleuser oder gehen als illegale Migranten in andere Länder, auch in die EU. Die illegale Migration nach Europa haben die Europäer durch ihre Handelspolitik zum großen Teil selbst verursacht.

Ihr Vortrag hat den Titel „Gebt Afrika Arbeit, sonst kommt es zu euch“. Ist das bewusst provokant formuliert?

Ich habe schon von dem ein oder anderen als Vorwurf bei Veranstaltungen gehört, das sei ein rassistischer Spruch. Aber der Spruch kommt ja von den Afrikanern selbst: Wenn ihr nicht nach Afrika kommt, dann kommt Afrika zu euch. Das Thema Migration und deren wahre Ursache ist der Grund, warum ich das Buch geschrieben habe. Menschen verlassen Afrika, weil sie dort keine Lebensgrundlage mehr haben.

Wie sollten sich Kooperationen zwischen Afrika und Europa verändern? Welche Vorschläge haben Sie?

Zu Beginn meines Mandats im Bundestag, wo ich in den Ausschüssen für Entwicklungs-, Außenpolitik und im Ausschuss für Wirtschafts- und Energieausschuss tätig war, luden mich einmal die afrikanischen Botschafter zu einem Sondergipfel ein, da ich einer der ersten zwei Bundestagsabgeordneten mit afrikanischen Wurzeln war und noch dazu aus einer bekannten afrikanischen Politikerfamilie stammte. „Herr Huber, helfen Sie uns,“ sagte man mir, „die Deutschen verstehen uns nicht.“ Niemand fragte dort nach sogenannten Hilfsprojekten oder Budgethilfe. „Kommen Sie mit ihren Firmen zu uns“, hieß es.  Der deutsche Mittelstand, die kleinen mittelständischen Unternehmer müssen dort hin. Ich hoffe, dass solche Initiativen an Dynamik gewinnen. Die deutsche Afrikapolitik an sich kann man im Moment nicht gerade als vielversprechend beziehungsweise zukunftsorientiert bezeichnen. Denn die Zahl und das Engagement der Mitbewerber auf dem Kontinent steigt weiter an.

Sie fordern also, mehr wirtschaftliche Strukturen vor Ort auszubauen.

Das System, welches sich im Prinzip, von dem der Kolonialzeit nicht unterscheidet, muss ein Ende finden. Auch die dazugehörige Propaganda vom intellektuell unbegabten Schwarzen, die es immer noch gibt. Mit der man die Ausbeutung und wirtschaftliche Unterdrückung des Kontinents quasi legitimiert. Besonders Frankreich muss seine Afrika-Strategie neu überdenken. Das wird nicht einfach werden, zudem dadurch deutlich werden wird, wie abhängig man im Prinzip auch von Afrika ist. Dies gilt besonders für den Energiesektor, die Uranvorkommen Afrikas, für die französischen Atomkraftwerke. Aber auch für den Absatz von hochsubventionierten Agrarprodukten aus Mitteln der EU, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit der Afrikaner im eigenen Land eingeschränkt wird. Die europäisch-afrikanische Zusammenarbeit wurde den eigenen Leuten immer wieder in der Form kommuniziert, dass man den Afrikanern hilft, weil sie das nicht selbst können. Die jüngste Wahl im Senegal hat gezeigt, das junge gutgebildete Afrikaner diese Stigmatisierung und Kontrolle ihrer eigenen Ressourcen von außen nicht mehr hinnehmen wollen. Der gerade gewählte Präsident Bassiro Diomaye Faye, übrigens mein Nachname im Senegal, wurde von den jungen Wählern an die Macht gebracht, die mittlerweile die Mehrheit in den afrikanischen Ländern darstellt. Das kann auch in anderen Ländern Schule machen

Migration ist in Europa eines der umstrittensten Themen in der Gesellschaft. Wie nehmen Sie die Stimmung in Deutschland wahr?

Diese Problematik hat viele Facetten. Einerseits wird ständig gesagt, dass man qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland braucht. Auf der anderen Seite gibt es in vielen Regionen und Teilen der Gesellschaft ein ablehnendes Klima, so dass sich Menschen aus anderen Ländern hier nicht willkommen fühlen. Ich habe viele solcher Erlebnisse gehört. Ich mache mir deshalb große Sorgen. Nicht nur um die Menschen, die von dieser Stimmung betroffen sind, sondern auch in Bezug auf Deutschland und seine Wirtschaft. Man kann nicht um Fachkräfte werben und zugleich Menschen aus anderen Kulturkreisen zum Spielball des politischen Diskurses machen. Das Ziel akademisch gebildeter Menschen wird somit weiterhin die USA bleiben, bleiben, auch für die Afrikaner und die Akademiker aus dem Mittleren Osten.

Charles M. Huber spricht unter dem Titel "Gebt Afrika Arbeit, sonst kommt es zu Euch" am 8. April in Freiberg, 9. April in Dresden, 10. April in Delitzsch, 11. April in Bautzen, 27. Mai in Weißwasser, 28. Mai in Radebeul, 29. Mai in Torgau und 30. Mai in Plauen.