Herr Trojanow, in Ihrem neuesten Buch, „Doppelte Spur“ schreiben Sie über Verwicklungen des US-Präsidenten Donald Trump in Geschäfte mit dem KGB, später mit der russischen Oligarchie und letzten Endes auch dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Warum haben Sie die beiden dann doch namentlich verfremdet?
Die Namen helfen, uns gegen die übergriffige mediale Präsenz der beiden zu wappnen. Dadurch, dass wir täglich Trump und Putin hören, haben wir einen gewissen Überdruss und relativ festgefahrene Bilder im Kopf. Wenn wir Schiefer Turm sagen, löst das etwas. Da kann ich mit der Fantasie weiter fortfahren.
Ist aus diesem Überdruss, der Überrepräsentation auch die Idee zu diesem Buch entstanden?
Die Idee zu diesem Buch ist entstanden, weil ich gespürt habe, dass es heute sehr schwierig ist, einen politischen Roman zu schreiben und dass ich dafür neue Wege gehen muss. In Zeiten, in denen es eine merkwürdige Mischung gibt aus Intransparenz und Überinformation, in dem auf dem öffentlichen Marktplatz jeder seine eigenen Erfindungen feilbietet, sind die klassischen Formen inadäquat. Das heißt, ich muss einerseits die Intransparenz beleuchten, andererseits muss ich die Schwierigkeit reflektieren, überhaupt klare Beweise und Aussagen zu finden und ein plausibles, von einer möglichst großen Anzahl von Menschen akzeptiertes Narrativ zu erzählen. Das heißt, es braucht metafiktionale Ebenen, die dieses Spannungsverhältnis zwischen sogenannten Fakenews und Verschwörungstheorien und der Instrumentalisierung von Wahrheit und Propaganda-Rhetorik gleichermaßen zu beleuchten.
Wie persönlich ist die Geschichte aus Ihrer Perspektive – Sie benennen unter anderem eine der Hauptfiguren nach sich selbst, verarbeiten Ihr eigenes Einreiseverbot in die USA…
Ich würde nicht schreiben, wenn ich nicht überzeugt wäre, dass Literatur den Menschen tatsächlich berührt und verändert. Insofern ist das Teil meiner Poetologie. Persönlich sind alle meine Bücher, weil sie etwas thematisieren, was mich existentiell beschäftigt und betrifft. Insofern ist es ein ganz starker persönlicher Impetus. In diesem Fall ist es ein zweifacher: einerseits ganz klassisch aufklärerisch, andererseits die Möglichkeiten der Literatur zu benutzen, um zu reflektieren, was im Moment in unserer Gesellschaft passiert, vor allem im öffentlichen Raum.
Wie viel Fiktion, wie viel Realität steckt in diesem Roman?
Sie gehen davon aus, dass es da einen Unterschied gibt. Thema des Romans ist aber gerade, dass es unheimlich schwer ist, diese beiden Sachen zu unterscheiden. Die literarischen Instrumente des Romans, die Bausteine, sind faktisch. Wenn ich etwas über jemanden behaupte, der mit seinem tatsächlichen Namen vorkommt - und das sind, abgesehen von den drei Hauptfiguren, fast alle - dann ist es etwas, das jeder überprüfen kann.
Wie lange und wie intensiv haben Sie recherchiert?
Schon ein paar Jahre. Es ist auch der Versuch, aufzuzeigen, was ich heutzutage als freier Schriftsteller ohne weitere Geheimkenntnisse herausfinden kann.
Also keine zugespielten Dokumente wie im Fall Ihres Namensvetters im Buch?
Ich habe immer schon sehr genau recherchiert. Wie auch die großen Romanautoren des 19. Jahrhunderts, Charles Dickens zum Beispiel, der hat sozialwissenschaftlich recherchiert. Die Recherche ist in meinen Augen nichts, was die Journalistik von der Literatur unterscheidet, sondern die Art und Weise, wie es dann erzählt wird.
Im Buch steht eine Dreierkonstellation sehr korrumpierter und korrumpierender Menschen einer Dreierkonstellation gegenüber von Menschen, die das Geschehen hinter der Fassade entlarven möchten. Gerade diese Wahrheitssucher sind am Ende jedoch diejenigen, die um ihr Leben fürchten müssen - was sagt uns das über heutige Zustände?
Das ist die Realität. Wir haben in Europa eine Vielzahl ermordeter Journalisten. Ich weise darauf hin: In Malta, in der Slowakei, in Russland sind ja schon Dutzende unserer Kolleginnen und Kollegen umgebracht worden. Ich weise daraufhin, dass es in den USA seit vielen Jahren einen amtlichen Vergeltungsfeldzug gibt gegen Whistleblower. Ich weise auf das hin, was mit Julian Assange gerade passiert. Es ist zweifellos so, dass es im Moment in nicht wenigen Ländern dieser Welt gefährlich ist, als investigativer Journalist oder Journalistin tätig zu sein und das spielt auch in den Roman mit hinein.
Was wollen Sie mit diesem Buch erreichen, was wollen Sie in Gang setzen?
Das, was auch schon passiert ist: ein Denkprozess, eine Empörung, eine Skepsis, eine Art intellektuelle Selbstverteidigung in Zeiten, in denen wir extrem viel manipuliert werden.
Als Sie zuletzt den NSA und dessen Abhörpraktiken kritisierten, war das Ergebnis ein Einreiseverbot in die USA. Jetzt kritisieren Sie den Präsidenten direkt, wenn auch unter falschem Namen. Welche Folgen wird das haben?
Ich befürchte gar nichts. Nicht in die USA reisen zu können, ist jetzt nichts, was man fürchten muss.
Wie schätzen Sie die Situation in den USA ein, vor allem auch in Bezug auf die anstehende Wahl?
Die grundsätzlichen demokratischen Strukturen werden einen unglaublichen Härtetest ertragen. Wie das ausgehen wird, ist alles andere als klar. Es gibt in den letzten Wochen in den USA eine Reihe von Publikationen hochrangiger Intellektueller, inklusive Juraprofessoren führender Universitäten, die darauf hinweisen, dass es eine extrem diffuse Situation nach der Wahl geben kann bei der gegenseitige Unterstellungen, Behauptungen, aufputschende Aussagen und so weiter zu einer starken Destabilisierung führen könnten. Insofern wird das wahrscheinlich ein sehr heißer Spätherbst.
Was werden Sie tun, wenn Trump zu einer zweiten Amtszeit antritt?
Ich werde nichts tun. Ich werde weiter an meinem Roman arbeiten.
Haben Sie vor, den Schiefen Turm oder Mikhail Iwanowitsch darin noch einmal zu Protagonisten zu machen?
Nein, ich schreibe gerade einen utopischen Roman, etwas völlig anderes.