"Wir müssen die Zwischentöne wieder hörbar machen." Sachsens Ministerpräsident und Schirmherr der diesjährigen 8. Hubertusburger Friedensgespräche, Michael Kretschmer, wünscht sich und den Sachsen, andere Meinungen wieder besser auszuhalten. “Wenn wir es zulassen, dass sich die Dinge weiterhin zuspitzen, wenn wir nicht mehr über Details, sondern nur noch über Haltung sprechen, dann wird das kein gutes Ende nehmen”, sagte er als einer der Teilnehmenden an den Friedensgesprächen. In diesem Jahr standen diese unter dem Motto "30 Jahre Deutsche Einheit - Fluch oder Segen?".
Mehr Vor- oder Nachteile?
Am 19. September diskutierte Kretschmer mit Tobias Hollitzer, Vorstand des Bürgerkomitees Leipzig e.V., mit Dr. Judith Enders, Politologin und Mitbegründerin des Vereins "Perspektive hoch 3" und Henning Homann (SPD), Mitglied des Sächsischen Landtags, vor mehr als 120 Menschen im Festsaal von Schloss Hubertusburg. Die Runde, moderiert von der DJV-Vorsitzenden Ine Dippmann, debattierte angeregt die Frage, ob die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten nun für die Bürgerinnen und Bürger vor allem der fünf neuen Bundesländer mehr Vor- oder Nachteile brachte, ob die privaten, wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Wiedervereinigung ausreichend öffentlich thematisiert wurden und ob darin möglicherweise auch die Ursachen für aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen zu finden sind.
"Das Merkmal demokratischer Staaten ist nicht, dass keine Fehler passieren, sondern dass Fehler korrigiert werden", sagte Werner Rellecke, stellvertretender Direktor der SLpB, in seinem einleitenden Grußwort. "Die große Errungenschaft der Friedlichen Revolution in der DDR war der Systemwechsel von der Diktatur zur Demokratie. Die Frage nach der Demokratie dürfen wir nicht vermischen mit der Frage nach richtigen oder falschen politischen Entscheidungen. Und falls es Fehlstellungen in der historischen Erinnerung und Bewertung gibt, dann sind auch diese korrigierbar."
Tobias Hollitzer plädierte im Anschluss für eine ehrliche Rückschau, die hinterfragt: "Warum sind die Dinge so gelaufen, wie sie gelaufen sind? Was wurde aus welchen Gründen entschieden und wurden vorher Alternativen diskutiert?" Und auch der Bürgerrechtler hofft auf eine Debattenkultur, die sich wieder verstärkt außerhalb der sozialen Medien abspielt und "geprägt ist von gegenseitiger Akzeptanz". Judith Enders zeigte Sympathie für den Titel der Veranstaltung. Sie mochte die Provokation, die dahinter steht. Als Vorstandsmitglied des Vereins "Perspektive hoch 3" vertrat bei den Friedensgesprächen die Generation der zwischen 1975 und 1985 in der DDR Geborenen. "Wir hatten am wenigsten Schwierigkeiten, uns in dem neuen System zurechtzufinden", sagte sie. Ostdeutsche Positionen und Interessen sieht sie trotzdem noch zu wenig vertreten im öffentlichen Diskurs. Dabei sei die Erfahrung der Transformation vor 30 Jahren bis heute auch ein Gut, aus dem Menschen in den neuen Bundesländern auch in der heutigen an Veränderung reichen Zeit schöpfen könnten: "Wir haben eine Diktatur zu Fall gebracht und wir haben gemerkt, das geht schneller als man denkt", sagte sie. "Und wir haben festgestellt: Beim anschließenden Transformationsprozess kann auch einiges schief gehen - aber davon geht die Welt nicht unter." Dieses Wissen könne ein Anknüpfungspunkt und Impuls für zukünftige Entwicklungen sein.
Selbst Erfahrungen sammeln
Raus aus der Jammerecke, am besten gar nicht erst hinein, rät Henning Homann, Döbelner Abgeordneter der SPD im Sächsischen Landtag, den Ostdeutschen 30 Jahre nach der Wiedervereinigung. Auch er sieht die deutsche Gesellschaft wieder "am Anfang großer Veränderungen" und mahnte: "Gerade, wenn sich Dinge wandeln, sollten sie mit einer Sicherheit für die Betroffenen verbunden sein, dass es besser wird - nicht schlechter." In Richtung seiner Kolleginnen und Kollegen im Landtag forderte er: "Der richtige Weg wäre neues Vertrauen." Insbesondere die Generation der heute 16-Jährigen solle deutlich mehr Möglichkeiten und Freiraum erhalten, "um selbst Erfahrungen zu sammeln. Denn nur durch Vertrauen entsteht der Wille zur Mitgestaltung", sagte er unter großem Beifall aus dem Publikum. Engagierte der Fridays-For-Future-Bewegung brachten sich von dort aus in die Debatte ein.
Auch wenn er nicht für das Wahlalter ab 16 steht, stimmte Ministerpräsident Michael Kretschmer dem Abgeordneten zu: "Niemand freut sich über Transformation", sagte er. "Zu schaffen ist die auch nicht mit Bürokratie und staatlicher Mikrosteuerung." Vor allem Ziele müsse der Freistaat vorgeben und das Land in der Fläche stärken, nicht nur die sogenannten Leuchttürme: "Mehr Wettbewerb, weniger staatliche Regulierung", so die Devise, und eine Rückkehr zu angemessener Protest- und Gesprächskultur. Als 14-Jähriger, erinnerte sich Kretschmer, hätte er keine Angst gehabt, an den Görlitzer Friedensgebeten teilzunehmen, auch wenn dort unterschiedliche Positionen aufeinander getroffen seien. In Bezug zur heutigen Debattenkultur verlangte er: "Wir müssen versuchen, die Wut und das Rumgeschreie zu durchbrechen."
Alle zwei Jahre veranstaltet der Freundeskreises Schloss Hubertusburg e.V. die Friedensgespräche auf Schloss Hubertusburg in Wermsdorf. In diesem Jahr fanden die Gespräche zum achten Mal statt. Zum sechsten Mal verlieh der Verein außerdem den Jugendfriedenspreis an Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren für ihre künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Frieden. 43 junge Künstlerinnen und Künstler aus sieben Schulen beteiligten sich mit 28 Arbeiten.
Die Friedensgespräche werden unterstützt durch die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung, Dresden; die Sparkassenstiftung für die Region Torgau-Oschatz; den Freundeskreis Schlösserland Sachsen e.V.; Rotary Club „Katharina-von-Bora“ Torgau-Oschatz und viele Sponsoren der Region.