Problem mit rechtsextremem Denken
Der Befund des Beirates für den „Sachsen-Monitor“ fiel bitter aus. „Sachsen hat ein Problem mit rechtsextremem Denken“, befanden die Experten, die die Meinungsumfragen begleiten. Die Zustimmung zu extrem rechten, gruppenbezogenen menschenfeindlichen und rassistischen Gedanken sei trotz eines leichten Rückgangs gegenüber 2016 weiterhin sehr hoch.
Allerdings gibt die Stimmung der Sachsen dabei auch Rätsel auf. Einerseits ist eine große Mehrheit der Menschen mit ihrer Lebenssituation durchaus zufrieden – drei Viertel sehen ihre wirtschaftliche Situation und ihre Zukunftsperspektiven wie auch die Lage des Freistaates positiv und optimistisch. Andererseits herrscht in der Bevölkerung dennoch eine große Fremdenfeindlichkeit: Mehr als die Hälfte der Sachsen (56 Prozent) ist der Meinung, dass Deutschland durch viele Ausländer „in einem gefährlichen Maß überfremdet sei“. 38 Prozent finden gar, dass Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden sollte. Hinzu kommt eine große Sorge, dass die Gegensätze zwischen Arm und Reich weiter wachsen. Schon jetzt haben 44 Prozent der Sachsen das Gefühl, dass die Ostdeutschen nur „Bürger zweiter Klasse“ seien.
Abstiegsangst
Für Roland Löffler, den Direktor der Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen, gehören diese Aspekte allerdings zusammen. In der Mitte der Gesellschaft herrsche eine große Sorge vor einem sozialen Abstieg, sagt Löffler. „Es gibt das Gefühl, das Fremde einem etwas wegnehmen.“ Die Folge: Die Menschen spinnen sich ein wie eine Seidenraupe in einen Kokon, um sich nach außen abzuschotten. „Ein größeres Maß an Sorgen geht tendenziell einher mit größeren Ressentiments, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und auch mit geringer Demokratie-Unzufriedenheit“, sagte Löffler, der zugleich Vorsitzender des Beirats zum „Sachsen-Monitor“ ist. Löffler: „Verlustängste prägen oftmals gesellschaftliche Einstellungen.“
Kulturelle Konflikte im Quartier
Antje Kowski ist Stadtteilmoderatorin beim Quartiersmanagement in Leipzig-Grünau. Sie kennt solche Stimmungen aus der Erfahrung vor Ort. In dem riesigen Plattenbauviertel hätten vor wenigen Jahren nur etwa fünf Prozent Ausländer gelebt. Nach der Flüchtlingswelle 2015/2016 seien es durchschnittlich 15 Prozent und in Grünau-Mitte sogar rund 30 Prozent geworden, erzählte sie auf dem Leipziger Podium. Diese Entwicklung führe zwangsläufig auch zu kulturellen Konflikten im Quartier. Vor allem bildungsschwache Bewohner hätten oft Ressentiments gegenüber Fremden. Doch gerade für diese Familien fehlten oft Kita-Plätze, zudem seien einige Schulen noch in einem schlechten Zustand.
Kümmerer und Zuhörer gefragt
Gespürt hat Antje Kowski den Stimmungswandel auch bei der Bundestagswahl 2017. „Bisher dachten wir, dass die Bewohner von Grünau eher die Partei ,Die Linke’ wählen. Umso erschrockener waren wir, dass plötzlich 30 Prozent die AfD gewählt haben.“ Viele Grünauer würden allerdings dazu sagen, dass sie gar nicht hinter den Positionen der AfD stehen, berichtete Kowski. „Aber sie sagen, dass die AfD die einzige Partei sei, die ihnen noch zuhöre und mit ihnen über Themen rede, die die Menschen bewegen.“ Manche Politiker von Regierungsparteien würden unterdessen nur kurz vor einer Wahl auftauchen – und dann für die nächsten Jahre wieder verschwinden. „Der Erfolg der AfD“, sagt Antje Kowski, „hat etwas mit der großen Distanz zwischen der Politik und den Menschen zu tun.“
Demokratie lebt von Beteiligung
Allerdings warnte Astrid Lorenz, Politikprofessorin an Universität Leipzig während der Veranstaltung auch vor einer zu paternalistischen Erwartung, nach der „die Politiker“ von selbst bei den Menschen vor der Tür stehen und ihnen zuhören. „Die Bürger müssen sich auch selbst organisieren“, sagte Lorenz. Die Vernetzung per Internet mache das Engagement mittlerweile sehr leicht. „Es war noch nie so einfach, sich politisch zu informieren und zu äußern wie heute“, betonte Lorenz. Doch viele Menschen würden die Bürgersprechstunden von Abgeordneten und Regierungsvertretern nicht nutzen.
Dennoch sei die Zustimmung zur Demokratie in Sachsen gestiegen und mittlerweile sogar bemerkenswert hoch. Laut „Sachsen-Monitor“ halten 92 Prozent der Sachsen die Demokratie für eine gute Regierungsform. 63 Prozent sind zudem zufrieden damit, wie die Demokratie im Freistaat in der Praxis funktioniert.
Im Publikum wollten allerdings nicht alle Gäste diesen optimistischen Trend unterstützen. So berichtete Margarete Gallhoff, sie habe nach mehreren Jahren Engagements für den Verein „Mehr Demokratie Sachsen“ entnervt aufgegeben: „Ich bin gegen Wände gerannt.“ Andere Zuhörer forderten mehr Transparenz und mehr Toleranz von der Politik ein. „Politiker reden nur in Lobbygruppen – aber nicht mit den Menschen“, sagte eine ältere Dame. Ein Zuhörer schlug dagegen konkret vor, das Vertrauen in die Politik wieder zu stärker, indem man den Bürgern bewusst mache, was im Freistaat Sachsen seit 1990 erreicht wurde.
Die Debatten nehmen zu
Erik Wolf, Leipziger Regionsgeschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), hat unterdessen sogar einen positiven Trend der vergangenen Jahre ausgemacht. „Die Leute werden politischer“, sagte Wolf. „Die politischen Debatten in der Gesellschaft nehmen zu.“ Auch der DGB wolle künftig wieder stärker gesellschaftspolitische Debatten aufgreifen und führen. Er kenne aus Erfahrung ebenfalls das Problem, dass Vertreter verschiedener Parteien nur mit dem DGB reden wollen, wenn Wahlen anstehen, berichtete Wolf. Doch darauf könne man nicht warten. „Man muss die Dinge selbst in die Hand nehmen.“ Auch die sächsische CDU, die seit 1990 ununterbrochen im Freistaat regiert, könne es sich angesichts der Wahlerfolge der AfD nicht mehr leisten, „nur einen Besenstiel aufzustellen“.
Veränderungen hat auch der Direktor der Landeszentrale ausgemacht. „Durch den Sachsen-Monitor gibt es politische Bewegung“, sagt er. Der „Sachsen-Monitor“ wird seit 2016 jährlich im Auftrag der Staatsregierung erstellt. Die Einführung war im Koalitionsvertrag von CDU und SPD vereinbart worden. Die aktuelle Ausgabe wurde Ende November präsentiert. Zu der Leipziger Veranstaltung hatten die Volkshochschule Leipzig, die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung und die Stiftung Friedliche Revolution eingeladen. Moderator war MDR-Journalist Bastian Wierzioch.
Autor Sven Heitkamp ist Freier Journalist, Reporter und Texter. Er schreibt u.a. für die Sächsischen Zeitung, brand eins, Spiegel-Online, DIE ZEIT, DIE WELT, Focus und Tagesspiegel.