Eigentlich hätte der Abend schnell vorbei sein können: Denn gleich zu Anfang seines Vortrags wurde die Frage des Abends („Was ist Antisemitismus?“) von Prof. Wolfgang Benz wie folgt beantwortet: „Antisemitismus ist der Hass oder die Ablenkung gegenüber Juden, weil sie Juden sind.“ Doch dabei beließ es Prof. Benz nicht, denn angesichts eines Auditoriums von über 100 Personen, wäre dies ein zutiefst unbefriedigender Abschluss eines aufregenden Tages in Chemnitz.
Der Veranstaltungsort, das Staatliche Museum für Archäologie Chemnitz (smac), war das frühere Kaufhaus Schocken, das durch die Nationalsozialisten zwangsenteignet wurde und somit auch zum thematischen Überbau des Vortrages beitrug. An diesem Tag fungierte das smac bereits als Stätte eines Bürgerdialogs über gesellschaftlichen Zusammenhalt, zu dem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier geladen hatte. Zuzüglich gab es am frühen Abend eine Bombendrohung im Jugendamt in der Innenstadt. Trotz dieser Turbulenzen ließen es sich die interessierten Zuhörer nicht nehmen, den Ausführungen von Prof. Benz zu lauschen.
Dieser referierte in einem angenehmen Vortragsstil und unterteilte den Begriff des Antisemitismus in vier Ausprägungen: christlicher Antijudaismus, westlicher Rassenantisemitismus, Antizionismus und muslimischer Antisemitismus. Zunächst wies Wolfgang Benz auch darauf hin, dass Antisemitismus ein unpräziser Kunstbegriff ist, der im 19. Jahrhundert zuerst Verwendung fand und in der Folge adaptiert wurde. Dabei wird die Sprachgruppe der Juden mit anderen Semiten (Araber, Aramäer, Äthiopier) vermengt. Dadurch entsteht eine unscharfe Begriffsbeschreibung, die heute als Sammelbegriff für Judenfeindlichkeit fungiert.
Der christliche Antijudaismus ist eine der ältesten Formen des Judenhasses und erscheint bis in die Gegenwart. Prof. Benz illustriert dies durch verschiedene religiöse Mythen, die sich über Generationen gehalten haben. Beispielsweise die Deutung, dass die Juden Leid verdient hätten, da diese Jesus Christus umgebracht hätten.
Der westliche Rassenantisemitismus entwickelte sich im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts und mündete letztendlich in die Shoa. Bis heute findet diese Form Anklang unter Rechtsextremen. Als Beispiel für diese Ideologie nennt Prof. Benz Hermann Göring und dessen Ausspruch: „Wer Jude ist, bestimme ich.“.
Vertreter des Antizionismus sehen sich selbst oftmals nicht als Antisemiten (bzw. wollen dies oftmals nicht offen zugeben), sondern fokussieren sich auf den Staat Israel und sprechen diesem sein Existenzrecht ab. Diese Strömung wird zumeist von politischen Kräften des linken Spektrums betrieben.
In diesem Zusammenhang ging Prof. Benz genauer auf den Streitkomplex der „Israelkritik“ ein: Diese werde dann illegitim und antisemitisch, wenn keine Unterscheidung zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Handeln gemacht wird und die Politik und deren Folgen des Staates Israel von der „Natur der Juden“ her erklärt werden soll. Das bedeutet also im Umkehrschluss auch, dass die reine Kritik an Militäraktionen der Israelis oder die Empathie und Sorge um das palästinensische Volk keine antisemitische Handlung ist.
Ob es sich beim muslimischen Antisemitismus, um eine „neue“ Form des Antisemitismus handelt, bezweifelt Prof. Benz jedoch. So ist diese Ausprägung des Antisemitismus eine „Synthese“ aus christlichen Antijudaismus und westlichen Rassenantisemitismus.
Der Referent veranschaulichte dies an einer Anekdote: Jeder Taxifahrer in Kairo kennt die Protokolle der Weisen von Zion. In diesen ist die Rede von dem Willen der Juden die Weltherrschaft an sich zu reißen. Allerdings entstand der Mythos dieser Protokolle nicht im muslimischen Kulturkreis, sondern im zaristischen Russland. Damals wurde diese Protokolle fabriziert, um den Hass gegen Juden anzustacheln und zu intensivieren.
In der anschließenden Fragerunde fragten die Besucher interessiert nach und Prof. Benz versuchte so gut wie möglich die Fragen umfassend zu beantworten. In der Diskussion plädierte er auch für eine intensivere Beschäftigung mit gesellschaftlichem Antisemitismus, um diesen effektiv bekämpfen zu können.