Die gebürtige Wienerin Julia Ebner ist spätestens seit ihrem Buch „Wut“ aus dem Vorjahr eine viel gefragte Referentin und Diskussionsteilnehmerin. Die auf das Buch Bezug nehmende Dresdner Veranstaltung war eine Station ihrer von Volkshochschulen und Landeszentrale für Politische Bildung organisierten „Sachsentournee“ im Rahmen des Projektes „Kontrovers vor Ort“. Die junge Terrorismus- und Extremismusforscherin lebt derzeit in London und arbeitet am Institute for Strategic Dialogue ISD. Die Recherchen für ihr Buch begann sie nach den Anschlägen in Paris 2015. Sie sprach mit islamistischen Aussteigern, recherchierte undercover bei der Identitären Bewegung und der English Defence League, schlich sich unter falscher Identität in radikale Internetplattformen ein. Zweimal musste sie nach Bedrohungskampagnen im Internet in England ihre Wohnung wechseln. „Ich vertraue aber der britischen Polizei“, äußerte sich die Wissenschaftlerin zuversichtlich.
Zwei Seiten derselben Medaille
Ihr Vortrag in Dresden zeigte in überraschender Deutlichkeit die Parallelen zwischen islamistischen Radikalen und Rechtsextremisten auf. Ein verhängnisvoller Teufelskreis, der nicht nur wechselwirkend eskaliert, sondern durch die Ähnlichkeit der Erscheinungsformen auf beiden Seiten verblüfft. Julia Ebners vergleichende Phänomenologie brachte an diesem Vortragsabend den leider nur etwa 30 Gästen einen erheblichen Erkenntnisgewinn. Die Vortragsform mit den sich dabei spontan entwickelnden Nachfragen erwies sich gegenüber der ursprünglich angekündigten Lesung als geeigneter. Offen blieb aber die nahe liegende Frage, ob aus der Analogie der Erscheinungsformen auch auf vergleichbare Ursachen von Hass und Gewalt geschlossen werden kann.
Der Konflikt zwischen dem Westen und dem Islam gilt beispielsweise den Identitären als unvermeidbar, haben die verdeckten Recherchen Julia Ebners bestätigt. Doch in ihren Motiven und in ihrer Symbolik ähneln sich die Kontrahenten auffällig. Gemeinsam ist den vermeintlich so völlig verschiedenen Gruppen auf jeden Fall das allgemeine Ziel eines „drastischen strategischen Wandels der Gesellschaft“. Die gesuchte kollektive Identität wird meist auf eine einzige Ebene reduziert. Sowohl Islamisten wie auch die äußerste Rechte sind von Angst um ihre Familien und Kinder und um die Zukunft beherrscht.
Die Selbstviktimisierung, das Hineinsteigern in eine Opferrolle ist ebenfalls ein typisches gemeinsames Merkmal. Das gilt für den deutschen islamischen Hassprediger Sven Lau ebenso wie für rechte Magazine wie „Compact“, das etwa „Fremd im eigenen Land“ titelt. Das Opfernarrativ entdeckt Julia Ebner beispielsweise in islamistischen facebook-Gruppen. Das gleiche Verteidigungsmuster liege zugrunde, wenn 60 000 Polen für ein „ethnisch reines“ Vaterland demonstrieren. Mit den Juden haben beide Seiten einen gemeinsamen Feind und Sündenbock gefunden. Übrigens auch im Staat und in den Medien.
Julia Ebner, die Internationales Management und Philosophie studierte, fallen ebenso Parallelen bei Ideologie und Propaganda auf. In Großbritannien, wo sie sich am besten auskennt, ist vom „weißen Jihad“ die Rede. Videos des IS und des „National Action Fight Club“ ähneln sich in der Glorifizierung vom Märtyrern und im Antisemitismus. Sie kennt neonazistische Überläufer zu islamistischen Organisationen. Der Anschlag auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo wurde mit Waffen eines rechten Händlers verübt.
Eskalation im Wechselspiel
Zu den indirekten Gemeinsamkeiten gehört auch das Reagieren aufeinander, das Wechselspiel. Die Referentin wies in einem Diagramm das wechselseitige Hochschaukeln, eine Korrelation des zeitlichen Auftretens islamistischer und rechtsradikaler Anschläge nach. Für die Ideologen beider Seiten führt dies zu einer unvermeidlichen Entscheidungsschlacht, einer Art Armageddon. „Dieses Wechselspiel er-klärt nicht alle Konflikte, hat aber einen beschleunigenden Effekt“, sagte die Autorin. Das gilt insbesondere für den Hass auf exponierte Personen und Politiker. Wobei Julia Ebner von einer paradoxen Sympathie des Islam für US-Präsident Donald Trump berichtet. Er biete ähnlich wie die deutsche AfD mit seinen Tiraden ein klares Feindbild, das jenen „Doomsday“ schneller herbeiführen kann.
Ihr ganzes Insiderwissen spielte die Referentin mit den Belegen für ihre These aus, dass Extremisten führend in der Instrumentalisierung der neuen globalen Medien und beim entsprechenden Trendsetting seien. Auch jüngere Gäste hatten von militanten Computerspielen, von teils verschlüsselten „extremistischen Echokammern“ noch wenig gehört. Ziel ist die Beeinflussung von Bürgern, Politikern und Medien durch Desinformations- und Manipulationskampagnen. „Memetische Kriegsführung“ wird genannt, was insbesondere die Identitäre Bewegung mit der Infiltration schon von Kindern und Heranwachsenden versucht. Ziel ist die „Gamification“ und der Aufbau einer Gegenkultur bei der „Generation Z“, also der jüngsten Alterskohorte bis etwa Geburtsjahrgang 2010.
Kann man dagegen etwas tun? Im Vergleich zu ihrer brillanten Analyse der Extremismusphänomene auf beiden Seiten fielen die Lösungsvorschläge Julia Ebners eher hausbacken aus. Sie liefen auf das Gegenteil dessen hinaus, was die Trump-Administration gerade tut, nämlich alle Mittel für den Kampf gegen Extremismus zu streichen. Die Autorin fordert einen „konsistenten Umgang mit allen Formen des Extremismus“, mehr Forschung, eine Stärkung der Zivilgesellschaft und eine Einübung kritischen Denkens. Zu letzterem gehört auch mehr digitale Kompetenz.
Damit waren nicht alle Zuhörer zufrieden, erwarteten beispielsweise Tipps für den Umgang mit Pegida. Da kam Verblüffendes, nämlich die Empfehlung, sich aus Freund-Feind-Denkmustern zu lösen, unerwartete plötzliche Empathie zu zeigen und so eher Denkprozesse über konträre Argumente in Gang zu setzen. Auf die Frage, ob der Islam zu Europa gehöre, antwortete Julia Ebner geschickt mit der These, dass Sicherheitsbedürfnisse oft mit kulturellen Fragen wie der nach dem Kopftuch verwechselt werden. Ein Gast im Publikum delegierte die Verantwortung für das Aufkommen des Extremismus an die Amoralität politischer Führungen. „Die Staaten sollten in sich gehen, dann brauchen wir nach Extremisten nicht mehr suchen“, sagte er. Eine Lehrerin hingegen lud Julia Ebner an ihre Schule ein – nicht das erste Angebot an die viel gefragte Autorin.
Der Autor Michael Bartsch ist freiberuflicher Journalist und Autor, u.a. für die taz und den MDR-Hörfunk