Der Wolf spaltet in der Oberlausitz die Gemüter. Die einen lieben ihn und feiern, dass der einst beinahe ausgerottete Räuber hier wieder heimisch geworden ist. Die anderen fürchten ihn als Gefahr für sich und ihre Tiere und wünschen sich den Wolf am liebsten zum Teufel - zumindest aber solle er bejagt und sein Bestand reduziert werden. Zwischen diesen Polen bewegte sich die Podiumsdiskussion "Wie viele Wölfe verträgt Sachsen?" am Montagabend in der Volkshochschule Löbau. Gelöst wurde der Konflikt freilich nicht. Klar aber wurde: Der Wolf wird bleiben - und der Mensch wird damit klar kommen müssen.
Rund 15 Teilnehmende waren der Einladung zur Diskussion gefolgt, die im Rahmen der Reihe "Kontrovers vor Ort" der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung geführt wurde. Als Diskussionsgäste auf dem Podium kamen Bernd Dankert, Artenschutzbeauftragter beim sächsischen Landwirtschaftsministerium, David Greve, Geschäftsführer des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Sachsen und Gabriela Lebsa als Vertreterin der Bürgerinitiative für die Begrenzung der Wolfspopulation aus Rosenthal im Kreis Bautzen.
Die EU will den Wolf in ganz Europa
Bernd Dankert erklärte zunächst den Sachstand. Demnach würden in Sachsen aktuell 24 Wolfsrudel leben, in den Kreisen Görlitz und Bautzen gäbe es gut ein Dutzend Rudel. Gut die Hälfte Sachsens sei mit Wolfsterritorien belegt. Und die Wölfe hätten keine Probleme sich weiter auszubreiten. "Durch Aufgabe der Verfolgung nimmt der Bestand zu. Der Wolf ist eine sehr mobile Tierart mit hoher Migrationsfähigkeit", sagte Dankert. Und diese Ausbreitung sei ausdrücklich erwünscht. "Wir haben einen klaren gesetzlichen Auftrag, den wir umsetzen müssen: Den Schutz des Wolfes", erklärte der Artenschutzbeauftragte. So sehe die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) der EU vor, ein europaweit flächendeckendes Vorkommen des Wolfes zu erreichen.
Dankert räumte auf mit der oft geäußerten Vermutung, die Wölfe würden hauptsächlich Nutztiere wie Ziegen und Schafe reißen. Einerseits sei der Wolf freilich ein Nahrungs-Opportunist, der die Beute reiße, die für ihn am einfachsten zu erreichen ist - etwa unzureichend geschützte Nutztiere. In Summe seien das 2019 rund 500 Nutztiere gewesen. Tatsächlich aber würden sich die hiesigen Wölfe zu über 50 Prozent von Rehwild ernähren, zu weiteren je 20 Prozent von Rotwild und Wildschweinen. "Es gibt Rudel, die ernähren sich beinahe ausschließlich von Wildschweinen", berichtete Dankert von der Auswertung von Kot-Proben.
Zu wenige Halter schützen ihre Nutztiere
Eine Situation, die Gabriela Lebsa von der Bürgerinitiative anders sieht. "Ich komme aus einem Dorf, das umgeben ist von Wölfen", erzählte sie. Sie äußerte sich enttäuscht, dass eine 2017 von über 18.000 Menschen unterschriebene Petition zur Begrenzung der Wolfspopulation erst nach eineinhalb Jahren überhaupt von der Landesregierung beantwortet worden sei. Sie zweifelt auch an den amtlichen Risszahlen. "Viele Tierhalter haben längst resigniert und melden keine Risse mehr. Die haben keine Lust mehr auf einen Wolfsberater. Die hören einfach auf mit der Tierhaltung", erzählte sie. Allerdings: Bei den Tierhaltern gibt es offenbar einen großen Nachholbedarf, was den Schutz der Nutztiere vor Wölfen betrifft. Von den sachsenweit 16.000 bekannten Schaf- und Ziegenhaltern hätten erst 25 Prozent die Förderung von Schutzmaßnahmen in Anspruch genommen, führte Bernd Dankert vom Ministerium aus. Dabei würden die Kosten für wirksame Elektro-Herdenschutzzäune zu 100 Prozent vom Freistaat übernommen.
David Greve vom BUND Sachsen gestand Gabriela Lebsa zu, dass man die betroffene Bevölkerung beim Thema Wolf "ein Stück weit allein gelassen" und nicht ausreichend vorbereitet habe. Dennoch: "Wir sind darüber hinweg, alles totzuschießen, was uns unliebsam ist", sagte er. Der Nutzen eines Tieres könne nicht darüber definiert werden, ob es einen unmittelbaren Nutzen für den Menschen habe. Lebsa äußerte auch Zweifel daran, ob es sich bei den heimischen Wölfen überhaupt um "echte" Wölfe handele - oder möglicherweise um Mischlinge. Als Indiz dafür sieht sie die Reviergröße der hiesigen Tiere. So hätten Wölfe in Russland ein Revier von 1.000 Quadratkilometern und mehr - in der Lausitz solche von nicht einmal 100 Quadratkilometern.
Ein Umstand, den Artenschutzbeauftragter Dankert erklären konnte. Abhängig sei die Reviergröße nämlich vom Nahrungsangebot. "In der Taiga steht nicht hinter jedem Baum ein Reh", sagte Dankert. In den heimischen Wäldern dagegen sitzt der Wolf gewissermaßen am gedeckten Tisch, kann sich daher ungehindert ausbreiten und immer neue Rudel bilden. Wenn irgendwann der Platz enger werde, werde es auch bei den Wölfen zu Nahrungs- und Revierkämpfen kommen. Die Population werde sich dann natürlich einpendeln, erklärte Dankert - vermochte allerdings nicht zu sagen, wann dieser Zustand eintritt.
Berechtigte Angst vorm "Bösen Wolf"?
Einen Punkt indes berührte die Diskussion nur am Rande - und dieser Punkt wurde von einer Besucherin der Diskussion eingebracht: Wie steht es mit dem Verhältnis zwischen Wolf und Mensch? Die Wahrscheinlichkeit steige, dass man als Mensch einem Wolf gegenübersteht - sei es, weil man sich im Wald aufhält oder auch, weil Wölfe vereinzelt in Dörfer vordringen. "Es heißt ja, man soll sich groß machen und laut ,Buh' rufen, wenn man einem Wolf begegnet. Aber ich möchte keinen vor mir stehen haben", sagte die Frau. David Greve vom BUND Sachsen bestritt als Antwort rundum, dass Wölfe für Menschen eine Gefahr darstellen. "Ich bin noch nie von einem Wolf angefallen worden, aber schon öfter von einem Hund", sagte er. Aber für den Fall, dass die Frau tatsächlich mal einem Wolf begegnen sollte: "Da rate ich Ihnen tatsächlich, sich groß zu machen und 'Buh' zu rufen." Artenschutzbeauftragter Bernd Dankert schilderte zu dem Thema eine tatsächliche Situation. So sei in der Dresdner Heide schon lange ein Wolfsrudel heimisch. Nach wie vor würde das dortige Waldgebiet aber von etlichen Menschen in der Freizeit aufgesucht - von Joggern, Hundebesitzern oder Familien. "Das Wolfsvorkommen dort hat nicht dazu geführt, dass irgendwer Angst hätte oder das Gebiet meiden würde", sagte Dankert.
Der Artikel ist zuerst erschienen am 15. September in der Sächsischen Zeitung, Lokalausgabe Löbau.