Gemeinsam mit der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung und dem Institut für Geistiges Eigentum, Technik- und Medienrecht der TU Dresden richtet das Zentrum für Internationale Studien die Reihe im Sommersemester 2020 aus. Unter dem Titel „America First, World Last? – Internationale Kooperation in Zeiten des Isolationismus“ diskutierten am 10. Juni Annegret Bendiek von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Thorsten Benner, Direktor der Berliner Denkfabrik Global Public Policy Institute und Christoph von Marschall, diplomatischer Korrespondent des Tagesspiegels darüber, wie es um die Zusammenarbeit auf der internationalen Bühne steht und was Deutschland und die EU tun können, um diese zu stärken. Moderiert wurde der Abend von Dominik Steiger, Professor für Völkerrecht, Europarecht und Öffentliches Recht und Wissenschaftlicher Direktor des Zentrums für Internationale Studien der TU Dresden.
Zu Beginn bat Dominik Steiger die Experten um einen Blick in die Zukunft. Während Annegret Bendiek sowohl ein Szenario, in dem es zu einem weiteren Verfall liberaler Ordnungen käme als auch eines, in dem diese wieder gestärkt würden, für möglich hielt, war Christoph von Marschall skeptischer: Das internationale System erhalte sich nicht mehr von selbst und könne nur durch ein entschiedenes Auftreten gegenüber jenen, die dieses System zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzten, gestützt werden. Thorsten Benner bewertete in diesem Zusammenhang aktuellen Umgang der USA mit China kritisch: Die USA liefen vor China weg, indem sie beispielsweise die Weltgesundheitsorganisation verließen, anstatt sich dem Wettbewerb dort zu stellen. Das sei unklug, denn China sei gekommen, um zu bleiben. Dass das Land die letzten 200 Jahre weltpolitisch keine Rolle gespielt habe sei nicht der Regelfall, sondern eine Anomalie gewesen. Kooperation mit China sei – beispielsweise bei der Bekämpfung des Klimawandels – nötig, müsse aber mit Vorsicht angegangen werden.
Gipfel als Propagandaveranstaltung
Auf Nachfragen aus dem gut fünfzigköpfigen Publikum gingen die Experten noch genauer auf den Umgang der EU mit China ein. Bendiek hob hervor, dass Europa ein Interesse daran habe, dass China stabil bleibe und plädierte deshalb für einen Dialog. Hier widersprach Christoph von Marschall: Die Vergangenheit habe gezeigt, dass bloßer Dialog mit China nutzlos sei. Der Westen habe sich gegeneinander ausspielen lassen, weil Ländern wie Deutschland die Wirtschaft immer wichtiger gewesen sei als eine gemeinsame Strategie. Benner stimmte von Marschall zu und freute sich über die coronabedingte Absage des EU-China-Gipfels, der für September in Leipzig geplant war. Der Gipfel wäre „eine Propagandaveranstaltung“ geworden. Europäische Staats- und Regierungschefs sollten sich lieber zwei Tage Zeit nehmen, um untereinander über eine Chinastrategie zu diskutieren, bevor sie sich mit Chinas Führung träfen. Von Marschall rief in Erinnerung, dass es gute Gründe für eine kritische Haltung gegenüber China gebe. Europäische Staats- und Regierungschefs hätten „mehr Verständnis für Trumps Politik, als sie vor Kameras äußern würden“. Benner ergänzte, dass China überhaupt nur in den Genuss der WTO-Mitgliedschaft und damit vieler Vorteile gekommen sei, weil der Westen angenommen habe, China werde sich politisch und wirtschaftlich weiter öffnen – beides sei aber nicht eingetreten.
Auf die Frage nach der politischen und wirtschaftlichen Rolle Europas zwischen den beiden Polen USA und China grenzte sich Bendiek von „zutiefst amerikanischem“ Freund-Feind-Denken ab. Europa sei besser beraten, sich auf eine multipolare Welt einzustellen. Problematisch sei, dass die EU nicht fähig sei, außen- und Sicherheitspolitische Ziele effektiv zu verfolgen. Auf eine Nachfrage aus dem Publikum hin erläuterte sie, dass dieses Problem nur zu lösen wäre, wenn die EU in der Außen- und Sicherheitspolitik nach dem Mehrheitsprinzip und nicht mehr mit Einstimmigkeit entschiede, was aber komplizierte Reformen erfordere.
Wie das Kaninchen vor der Schlange
Abschließend gab Moderator Dominik Steiger den Diskutanten die Gelegenheit, in einem kurzen Statement darauf einzugehen, wie Deutschland und die EU zu mehr internationaler Kooperation beitragen könnten. Thorsten Benner erklärte, dass die EU nicht angesichts des US-chinesischen Konflikts wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen dürfe, sondern selbstbewusst Kooperationen aufbauen müsse und in multilaterale Institutionen investieren solle. Christoph von Marschall betonte, dass die EU auch in „harter Sicherheits- und Machtpolitik“ wettbewerbsfähig werden müsse. Das verlange von Deutschland, auf EU-Ebene Entscheidungen mitzutragen, bei denen es selbst überstimmt worden sei. Annegret Bendiek konstatierte, dass die deutsche Zustimmung zum 750 Mrd. Euro umfassenden europäischen Wiederaufbaufonds schon einen Paradigmenwechsel markiere. Nichtsdestotrotz sei das institutionelle Korsett der EU zu eng geworden, um die Interessengegensätze zu überwinden, weshalb es Reformen brauche. Bis dahin sei es jedoch ein langer Weg, da schon die Deuschland kaum strategiefähig sei.
Zum Ende des Abends, an dem deutlich wurde, dass die Diskutanten weniger die USA, als vielmehr China als die große Herausforderung für eine kooperative Weltordnung begreifen, freute sich Moderator Dominik Steiger über ein klares Bekenntnis der drei Experten zu einem internationalen System, das auf Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten fußt.