Marko Martin, einmal klingeln ist ein Podcast der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, der ostdeutsche Geschichten neu erzählt – facettenreich, streitbar und einladend. Schriftsteller Marko Martin, der 1989 als Kriegsdienstverweigerer die DDR verließ, und Eva-Maria Zehrer verbinden in ihren Gesprächen persönliche Erinnerungen mit gesellschaftlichen und kulturellen Fragen. Dabei setzen sie bewusst auf Dialog statt Monolog und nehmen die Zuhörenden mit auf eine Reise durch Vergangenheit und Gegenwart.
Jede Folge beginnt mit einem besonderen Gegenstand – sei es ein Roman, eine Spielzeugfigur oder einen Schlüssel, der Geschichten und Assoziationen öffnet. Der Podcast versteht sich als Einladung, eigene Erinnerungen zu hinterfragen, Brüche und Ambivalenzen nicht auszuklammern und generationsübergreifende Perspektiven einzunehmen.
Marko Martin, einmal klingeln ist keine nostalgische Anekdotensammlung, sondern ein Format, das aufzeigt, wie Geschichte auch heute prägt. Es verbindet Privates und Politisches, ermöglicht neue Blickwinkel und will zum Gespräch über prägende Erfahrungen anregen – zwischen Familienmitgliedern, Generationen und Regionen.
Ab dem 28.02.2025 jeden Freitag, überall da wo es Podcasts gibt.
Mehr zu dem Podcast-Projekt
„Marko, einmal klingeln“: Eine neue Podcast-Reihe macht Lust auf entspannte Gespräche zum „Osten“ - jenseits von Nostalgie und zänkischem Besserwissen
Viele werden sich noch daran erinnern - „Neumann, zweimal klingeln“ war über anderthalb Jahrzehnte die beliebteste Hörspielserie der DDR. Von 1968 bis 1983 wurden insgesamt 678 Folgen gesendet. Unsere aktuelle Podcast-Reihe „Marko, einmal klingeln“ ist dennoch alles andere als ein Nostalgie-Projekt.
Ich bin Jahrgang 1970, geboren im sächsischen Burgstädt und aufgewachsen in Limbach-Oberfrohna sowie in Wechselburg (einem kleinen Ort an der Zwickauer Mulde); im Mai 1989 hatte ich dann als Kriegsdiensttotalverweigerer die DDR verlassen. Biographien wie die meine – Nicht-Pionier, Nicht-FDJer, der Vater ein ehemaliger Kriegsdienstverweigerer und 1970/72 Häftling in den Gefängnissen von Freiberg und Plauen – kamen bei „Neumann, zweimal klingeln“ gewiss nicht vor. Und doch hatte ich zusammen mit meinen Eltern in den späten siebziger Jahren immer sehr gern vor dem Radioapparat gesessen, um die markanten Stimmen von Herbert Köfer, Helga Piur und Helga Göring zu hören, denn bei jenen Neumanns war eigentlich immer etwas los und zeigte trotz mancher politischer Didaktik so einiges über den komplexen DDR-Alltag.
Dass wir damals mit gleicher Aufmerksamkeit auf RIAS Berlin die Folgen der Serie „Damals war´s“ hörten, ist dabei kein Widerspruch, sondern eine Ergänzung – das Leben und die Erfahrungen in der DDR waren stets vielfältiger und vermischter als heute so mancher Blick zurück (in Zorn oder auch Verklärung) wahrnehmen möchte. Genau darum geht es in unserer Podcast-Reihe: Nicht um Thesen, sondern um Ergänzungen, vor allem aber um persönliche Erinnerungen als Einladung an die Zuhörenden, sich auch selbst zu erinnern. Was durchaus gegenwarts-relevant ist: Als Möglichkeit für Jüngere, zu erfahren, aus wie vielen Facetten sich das Leben im Osten zusammensetzte – und wie gerade heute, wo so oft über eine „zersplitterte Gesellschaft“ und selbstverkapselte „Blasen“ geklagt wird, Gespräche möglich und nötig sind.
Mein Gegenüber im Podcast ist Dr. Eva-Maria Zehrer von der Sächsischen Landeszentrale, die ein paar Jahre älter ist als ich und deshalb zusätzliche Eindrücke und Erfahrungen mit einbringen kann. Da es ja nicht um Auftrumpfen und Rechthaben geht, sondern um einen nicht unkritischen, aber auch keineswegs missgelaunten Blick – zurück, nach vorn und immer auch gern seitwärts.
So beginnt die erste Folge nicht zufällig mit einem aktuell erschienenen Roman, den ich ins Studio mitgebracht habe: „Gittersee“, geschrieben von der 1992 im schwäbischen Ludwigsburg geborenen Autorin Charlotte Gneuß, erzählt eine Geschichte aus einem Dresdener Vorwort in den siebziger Jahren, als ihre just dort aufgewachsenen Eltern junge Leute waren. Ist dies nun „kulturelle Aneignung“ oder nicht eher der Beweis dafür, dass „Ostgeschichten“ noch heute von großem Interesse sind, über alle geographischen Entfernungen und Generationsgrenzen hinweg?
Auch in der zweiten Folge werden wir Verbindungslinien quasi kreuz und quer ziehen – freilich ohne dabei den berühmten „roten Faden“ zu verlieren. Diesmal nämlich wird es eine mitgebrachte Indianerfigur sein, die Erinnerungen und Assoziationen evoziert: Wie war das damals in der DDR mit Kinderspielen, auch jenseits von Hort und Ferienlager? Weshalb war Karl May in der DDR so lange verfemt, eher er in den achtziger Jahren als „progressiver Autor“ wiederentdeckt wurde? Weshalb waren die (zuerst im Westfernsehen vorzugsweise zur Weihnachtszeit gesendeten, doch später auch in den DDR-Kinos gezeigten) Winnetou-Filme derart populär?
Wer auf diese Weise fragt – und genau das ist das Prinzip der Podcast-Reihe – wird nicht beim anekdoten-seligen „Weißt Du noch?“ stehen bleiben wollen. Da – gewiss für Ältere wie auch für Jüngere von Interesse – in diesem Zusammenhang doch auch unbedingt von Liselotte Welskopf-Henrich zu sprechen wäre, die im Westen bis heute nahezu unbekannt geblieben ist, mit deren realistischen Romanen über die Ethnie der Dakota damals in der DDR jedoch Abertausende von Lesenden aufgewachsen waren. Ganz zu schweigen von den ebenso gelungenen Defa-Verfilmungen mit Gojko Mitic in der Hauptrolle. Die nachfolgenden Gespräche z.B. über das DDR-Gesundheitswesen, Polikliniken und die damals beliebte TV-Serie „Schwester Agnes“ (mit Agnes Kraus) werden einem ähnlichen Rhythmus folgen: Analytisches, ja selbst so manches Detail aus der Statistik, verknüpft sich mit ganz persönlichen Erfahrungen, Lebensweltliches mit einer Reflexion über den damaligen politisch-ideologischen Rahmen – was ein vorurteilsfreies Prüfen nicht ausschließt und sogar so manch pragmatischen Fingerzeig in Richtung Gegenwart ermöglicht.
Jenseits der abfälligen Rede von der „Blackbox DDR“ oder einem ebenso pauschalen „Es war ja nicht alles schlecht“ wird bei „Marko, einmal Klingeln“ deshalb dem entspannten Gespräch eine Chance gegeben, das dabei weit mehr ist als unverbindliche Plauderei. Und vielleicht, das ist die keineswegs unrealistische Hoffnung, auch all diejenigen, die hier neugiersfroh hineinhören, ebenso Lust macht auf ein Gespräch im Familien, Freundes- oder Arbeitskreis: In Zimmerlautstärke, ohne Verdrängungen und ohne Tremolo, und vor allem – in positiver Absicht und auf Augenhöhe.
Marko Martin, geboren 1970 in Burgstädt/Sachsen, ist ein deutscher Schriftsteller, dessen Werke sich intensiv mit (Fremdheits-)Erfahrungen in Zeiten der Globalisierung auseinandersetzen. Aufgrund politischer Repressionen in der DDR erhielt er ein Hochschulverbot und verließ als Kriegsdienstverweigerer im Mai 1989 das Land, um in die Bundesrepublik überzusiedeln. Nach dem Abitur am Bodensee studierte er Germanistik, Politikwissenschaft und Geschichte an der Technischen und der Freien Universität Berlin und schloss mit einem Magistergrad ab. Zwischenzeitlich verbrachte er mehrere Jahre in Paris.
Neben zahlreichen Erzählbänden und literarischen Tagebüchern über Tel Aviv, Hongkong und Südafrika veröffentlichte Martin 2020 das Buch Die verdrängte Zeit. Vom Verschwinden und Wiederentdecken der Kultur des Ostens, das auch als Sonderausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung erhältlich ist. Sein jüngstes Werk Brauchen wir Ketzer? Stimmen gegen die Macht diente 2023 als Grundlage für eine gleichnamige Veranstaltungsreihe der SLpB.
Wenn er nicht auf Reisen ist, lebt und schreibt Marko Martin in Berlin. Er ist Mitglied von PEN Berlin sowie des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland, wo er sich seit Jahren in der Menschenrechts-Sektion Writers in Prison engagiert. Martin ist verheiratet und bleibt als Autor stets auf der Suche nach neuen Perspektiven und kritischen Stimmen in einer sich wandelnden Welt.
Dr. Eva-Maria Zehrer wurde 1963 in Halle/Saale, geboren von 1981 bis 1986 studierte sie Theologie in Leipzig, anschließend promovierte sie in der kirchlichen Zeitgeschichte. Ab 1990 war sie Assistentin am historischen Institut der Universität Leipzig, Fachbereich Zeitgeschichte, das in Nachwendezeiten neu aufgebaut wurde. Seit 1993 arbeitet sie in der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, wo sie zunächst den Fachbereich Zeitgeschichte verantwortete und später die Zuständigkeit für den gesamten Bereich Veranstaltungen übernahm.
Larissa Baidinger

Folge 1: „Gittersee“ und die Kraft der Erinnerung
In der ersten Folge von "Marko Martin, einmal klingeln" erkunden Schriftsteller Marko Martin und Moderatorin Dr. Eva-Maria Zehrer die Geschichten des Ostens – ihre Brüche, Chancen und Verbindungen zur Gegenwart. Mit einem Buch als Ausgangspunkt, Charlotte Gneuß’ „Gittersee“, diskutieren sie, wie sich junge Generationen der DDR-Geschichte nähern können. Sie sprechen über kulturelle Aneignung, die Rolle der Literatur und die Bedeutung des Dialogs, um Erlebtes und Geprägtes zu verstehen und weiterzugeben. Ein Podcast, der zum Nachdenken einlädt und Vergangenheit, Gegenwart sowie Zukunft miteinander verknüpft.
Marko Martin
Dass die Geschichten des Ostens von einer so großen Relevanz sind, dass sie natürlich auch jüngere Generationen im Osten, aber auch im Westen anfixen.
Jingle
„Marko Martin, einmal klingeln“, wie es auch noch im Osten war und ist. Ein Podcast der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung und verklärt persönlich facettenreich.
Eva-Maria Zehrer
Marko Martin, einmal klingeln. Herzlich willkommen zum neuen Podcast der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Wir freuen uns, wenn viele zuhören und wir hoffen, dass es im Laufe unseres Gesprächs für die Zuhörer immer interessanter wird. Für uns jedenfalls glauben wir, dass es interessant wird.
Ein neues Format der Landeszentrale für politische Bildung und wir wollen auch gleich erklären, warum und was es sein soll. Ich begrüße ganz herzlich meinen Gesprächspartner Marko Martin, Schriftsteller, kommt aus Berlin, ist in der DDR geboren und aufgewachsen, in der Nähe von Chemnitz, damals Karl-Marx-Stadt. War Wehrdienstverweigerer, ist dann noch vorm politischen Umbruch in den Westen gegangen und hat dort studiert. Herr Martin - korrigieren Sie mich - ich glaube, Politikwissenschaften, Germanistik und Geschichte.
Er ist also in der DDR sozialisiert, weiß, worüber er redet und das ist für unseren Podcast wichtig. Mein Name ist Eva-Maria Zehrer. Ich vertrete die Landeszentrale für politische Bildung. Ich bin auch selbst in der DDR geboren und aufgewachsen mit einer ganz anderen Biografie. Aber wir haben zwei Sichtweisen und das ist, glaube ich, auch wichtig für unser Gespräch. Und ich hoffe, dass wir uns ergänzen und dass wir uns auch ein bisschen die Bälle zuwerfen und dass wir gute Gespräche im Lauf der nächsten Sendungen und Podcasts haben.
Es sollen interessante Reihen werden, die gut gelaunt vonstattengehen. Die niemanden belehren wollen, aber die ein bisschen informieren sollen und die auffordern wollen - oder einladen wollen, das ist viel besser - einladen wollen, über die Dinge nachzudenken, die wir hier anstoßen. Also wir wollen so bisschen Themengeber sein und ein paar Probleme aufreißen oder ein paar Hinweise geben und dann können sie, die sie zuhören, darüber nachdenken, sich eine Meinung bilden oder wie auch immer.
Auf der Homepage der Landeszentrale www.slpb.de finden Sie auch eine Möglichkeit, uns zu kontaktieren. Sie können eine E-Mail schreiben, wenn Sie Anregungen haben oder etwas wissen oder vorschlagen möchten.
Wir haben vereinbart, dass wir immer einen Gegenstand dabei haben. Einer von uns beiden bringt irgendetwas mit und das wird eine Rolle spielen. Aber vorher frage ich erstmal Herrn Martin: Warum dieser Podcast, warum dieses Thema und warum bei Marko Martin einmal klingeln?
Marko Martin
Ja, also vielen Dank Eva-Maria Zehrer. Das ist in der Tat eine gute Frage. Viele Leute, die in der DDR sozialisiert sind wie wir, werden sich vielleicht noch an die berühmte Radio-Hörspielreihe erinnern „Neumann, zweimal klingeln“, die es von 1968 bis 1983 gegeben hat. Es gab dann sogar eine Fernsehversion.
Diese Geschichten um die Neumanns – und wir sind natürlich jetzt nicht Herbert Köfer und Helga Piur und Marianne Wünscher und Ingeborg Krabbe und Jürgen Zartmann. Aber bei diesen Neumanns, bei denen gab es auch immer irgendwas - wie das bei Familien ist - immer irgendwas zu besprechen. Und so haben wir uns das auch gedacht, dass wir die Zuhörenden nicht belehren und denen auch jetzt nicht vorgeben, wie der Osten war, sondern etwas hinzufügen. In jedem Teil unserer kleinen Reihe etwas Anderes. Sie hatten es ja erwähnt. Es gibt dann auch die Möglichkeit der Zuhörenden über die Website bei der Landeszentrale Fragen und Anregungen zu geben. Und aus diesem Grund haben wir das „Marko Martin, einmal klingeln“ genannt, als eine kleine Hommage an diese wirklich fast schon legendäre Sendereihe aus DDR-Zeiten, ohne dass es nostalgisch wird.
Eva-Maria Zehrer
Ich habe gar nicht gewusst, dass es auch im Fernsehen als Film lief.
Marko Martin
Ja, es lief im Fernsehen als Film und es gibt es sogar als DVD. Und das finde ich ja auch ganz interessant. Oftmals ist ja der Eindruck, dass vieles, was im Osten passiert ist, verschwunden sei und nicht mehr erinnert würde oder eine Black Box wäre. Aber wenn man sich ein bisschen umschaut, mit Neugier, findet man das. Und man findet sogar diese DVDs.
Eva-Maria Zehrer
Vielleicht gibt es ja irgendwann auch mal die DVD für unsere Gesprächsreihe hier, das wäre auch nicht schlecht.
Marko Martin
Man weiß es nie.
Eva-Maria Zehrer
Irgendwann für die Nachgeborenen. Ich möchte gerne noch ergänzen: Marko Martin ist Schriftsteller, lebt in Berlin, ist zu hören: gelegentlich im Deutschlandfunk, auch im Deutschlandradio, im Bayerischen Rundfunk. Ist zu lesen: nicht nur in seinen Fach- und Sachbüchern, sondern auch in der FAZ, in der Zeit und in so manchen anderen Zeitschriften.
Also wenn man sucht und auch wenn manchmal, wenn man nichts sucht, wird man auf seinen Namen stoßen. Und er hat mit der Landeszentrale für politische Bildung in diesem Jahr, im Blick auf sein neues Buch, schon eine Podcast-Reihe produziert. Und wir hoffen, dass wir jetzt ein bisschen den Anschluss finden - aber thematisch ganz anders. Sie können ja gerne noch was dazu sagen. Aber ich nehme jetzt erst mal das Buch, das Sie mitgebracht haben. Also ein Buch ist es heute und das trägt den Titel „Gittersee“.
Warum, Herr Martin, haben Sie das Buch mitgebracht und was hat das mit unserem Gespräch heute zu tun?
Marko Martin
Ja, es hat mit dem Gespräch eine ganze Menge zu tun. Wir haben ja vereinbart, bei jeder Sendung bringt einer von uns was mit. Als Schriftstelle habe ich natürlich gleich ein Buch mitgebracht. Nicht das eigene, sondern von Charlotte Gneuß. Die Jahrgang 1992 ist, in der Bundesrepublik geboren ist, aber als Tochter eines sächsischen Ehepaars, dass dann in die Bundesrepublik übergesiedelt ist. Und Gittersee - die Leute, die in Dresden und der Umgebung wohnen, werden es wissen - Gittersee, der Ort gleich hinter Coschütz.
Es ist eine Geschichte, die in der DDR spielt, in den 70er Jahren. Und es gab diese große Debatte, angestoßen auch von Ingo Schulze - der ja ebenfalls Dresdner ist - ob eine Autorin, die Jahrgang 1992 ist, die in der alten Bundesrepublik geboren ist, überhaupt die Kompetenz hat, um eine Geschichte zu schreiben, die in der DDR spielt und zwar in den 70er Jahren. Es ist natürlich zum Teil von ihren Eltern motiviert. Das Buch hat eine ganz große Medienaufmerksamkeit bekommen und ich muss sagen, zu Recht.
Es ist eine ganz klare kristalline Sprache - die sich für Literatur interessieren, werden vielleicht so nachfolgendes Echo von Volker Braun's unvollendeter Geschichte wiederfinden - eine ganz lapidare Prosa, die die Beengungen und die Beängstigungen zu DDR-Zeiten wunderbar beschreibt. Es ist keine folkloristische Pinselei, sondern es geht direkt rein in die Geschichte von Jugendlichen, die dann ins Visier der Staatssicherheit kommen. Und ich bin damals, was heißt damals, im September gefragt worden vom Deutschlandradio, ob ich dazu etwas sagen möchte. Weil es gab diese Debatte, dürfen Leute, die die DDR selbst nicht mehr erlebt haben, darüber schreiben. Und ich würde als Schriftsteller sagen, man kann immer, wenn man kann. Und diese junge Autorin kann das.
Und es bedeutet auch, dass die Geschichte des Ostens, das heißt die Geschichten des Ostens von einer so großen Relevanz sind, dass sie natürlich auch jüngere Generationen im Osten, aber auch im Westen anfixen. Und ich glaube, das wollen wir auch versuchen, in unserem Podcast immer wieder in Erinnerung zu bringen. Es gibt so viele Geschichten, die man wissen kann, auch vielleicht wissen sollte, würde ich sagen. Und die man dann interpretieren kann, über die man sprechen kann. Und wir sind ja beide Fans des Gesprächs, nicht des Monologs, sondern des Gesprächs, des Dialogs.
Und zwar nicht des Kathetergesprächs, von oben nach unten, wo irgendwelche Thesen oder irgendein entweder/oder dekretiert wird, sondern statt entweder/oder das sowohl als auch, das Hinzufügen. Und aus diesem Grund habe ich dieses Buch mitgebracht, dass ich denen die zuhören, auch ganz sehr empfehlen möchte: Charlotte Gneuß, „Gittesee“, Roman, bei S. Fischer erschienen.
Eva-Maria Zehrer
Für mich klingt es sehr positiv. Das ist eine junge Frau, die sich interessiert. Und die ihre Gaben, nämlich die Gabe des Wortes oder des Aufschreibens, dafür benutzt, ihr Interesse weiterzutragen. Also wir wollen ja, dass junge Menschen sich für das interessieren, was gewesen ist, weil sie es benötigen, um Gegenwart einzuschätzen. Denken wir jedenfalls, dass es so ist. Und wir beklagen häufig, und ich glaube, viele Menschen um uns herum beklagen das auch, dass so wenig Interesse da ist, angeblich zumindest, an dem, was Ältere erlebt haben oder an dem, was in der DDR erlebt worden ist, ich sag das mal bewusst so passiv, weil ja die Erlebnisse ganz unterschiedlich sind, auch unterschiedlich empfunden. Das wollen wir auch gar nicht gleichreden. Und dann ist hier jemand, eine junge Frau, die aus ihrer Sicht Dinge beschreibt oder Dinge aufarbeitet. Und trotzdem gab es prominente Aufschreie.
Marko Martin
Ja, Aufschreie - Ingo Schulz hat ein bisschen rumgemosert. Das ist vielleicht verständlich, aber ich würde mich da gar nicht so lange aufhalten, sondern wie der Dresdner Erich Kästner gefragt hat: „Und wo bleibt das Positive?“. Das Positive bleibt nicht nur, sondern es ist da. Ostdeutsche Landschaften sind mittlerweile im kulturellen Gedächtnis der gesamten Bundesrepublik auf eine Weise präsent, die man sich hätte nicht vorstellen können. Ich denke gerade an meinen geschätzten Kollegen und Freund Lutz Seiler, der den Georg Büchner-Preis, die höchste Auszeichnung der Bundesrepublik, bekommen hat, für ein Romanwerk, das genuin ostdeutsch ist: „Kruso“ auf Hiddensee spielend. Dann die Landschaften seiner Kindheit: Gera, die ja mit einer ungeheuren Detailliebe und auch mit einem Sinn für Brüche, für Schmerz, für Verletzungen erzählt, aber auf eine Weise, dass auch Nachgeborene und auch Andersgeborene, die in den alten Bundesländern leben, ein Gefühl davon bekommen, wie dieser Osten eben auch war.
Wenn man sich auch die Literaturlandschaft anschaut, es ist dann oft so, dass altwestdeutsche Autoren und Autorinnen fast schon bisschen jammern, weil sie sagen, der Osten dominiert alles. Wenn wir uns anschauen, Ingo Schulze, Thomas Brussig, Angelika Klüssendorf, also so viele Autoren, die jetzt zu DDR-Zeiten nichts publiziert haben, weil sie noch viel jünger waren, aber dann mit dem Wechsel in die Literatur eingetreten sind und die Bundesrepublik bereichert haben um Ostgeschichten. Und das, glaube ich, hat nichts mit Lokalstolz zu tun, sondern es gibt die Chance für die Leser sich wiederzufinden in den Geschichten, damit man nicht in diese Klage kommt, niemand hört uns und niemand kann mit unseren Geschichten etwas anfangen, dem ist nicht so.
Eva-Maria Zehrer
Wie kommt denn das, dass diese Klage so zu dominieren scheint? Also es gibt viele Menschen, die, das werden sie auch wissen, die sagen, ja unsere Geschichten spielen gar keine Rolle mehr. Es äußert sich ja auch in politischem Unmut oder die sagen, unsere Biografien werden nicht geschätzt. Ist es eine Frage der Wahrnehmung von Brüchen? Ist das das Geheimnis dieser Menschen, die heute präsent sind, die aus der DDR stammen und die wieder publizieren oder die in anderen Medien wirksam werden oder die wir wahrnehmen können und kennen, das sind ja nicht wenige. Ist das eine Frage, dass die ein Gespür haben für die Brüche und für die Unzufriedenheiten und weiß ich nicht, was es da alles gibt, und das auch äußern und beschreiben oder ist das eine falsche Wahrnehmung?
Marko Martin
Nein, ich würde da Ihnen zustimmen. Es ist natürlich genau diese Wahrnehmung, die Wahrnehmung der Brüche, die Verspätete, aber dann in Eigenregie herbeigeführte Erfahrung der Freiheit nach den Demonstrationen 1989, natürlich dann auch den Enttäuschungen und natürlich dann auch der Erfahrung, dass viele in der alten Bundesrepublik gar nicht nachvollziehen können, welche Brüche und welche Herausforderungen es war, sich nochmal neu zu erfinden. Es war ja nicht nur eine neue Währung, es war ja alles neu und ich glaube Deutschland war ganz gut bedient mit den vier Jahren der Bundespräsidentschaft von Joachim Gauck, weil er dieses Gespür hatte. Bei anderen davor und danach wirkt es dann immer etwas präsidial und alle werden mitgenommen, wie es so schön heißt. Und bei Joachim Gauck war es dann eben so, ganz konkret konnte er den Westdeutschen erklären, wie Ostdeutsche sind, ohne über die Ostdeutschen zu sprechen und ohne zu homogenisieren. Denn es spielte natürlich auch eine Rolle, ob man in der DDR im Staatsapparat war, ob man eingestellt war oppositionell gegen das System oder ob man dann in diesem weiten Bereich versucht hat, irgendwie durchzukommen. Und da gibt es so viele Nuancen, so viele graduelle Abstufungen. Und ich glaube, die Literatur kann das und eben nicht nur die Literatur, das würde jetzt nicht nur bei den Büchern stehen bleiben. Ich glaube, es waren auch Serien wie Weißensee, die gezeigt haben, wie politische Brüche mitten in die Familien hineingehen. Oder dann, ich erinnere mich an diesen 2004 ins Fernsehen gekommenen Film, die Verfilmung der Tagebücher von Brigitte Reimann.
Und es ist eine westdeutsche Schauspielerin, Martina Gedeck, die Brigitte Reimann ist in diesem Film, mit jeder Phase ihrer Darstellungskunst, ist sie diese Autorin und es hat funktioniert. Und ich glaube ja auch, dass Erfahrungen vermittelbar sind, dass wir auch aus der Falle unserer jeweiligen Herkunft herauskommen können. Dass wir Prägungen nicht nur als Schicksal sehen oder als etwas Einengendes, sondern Prägungen auch als Chance. Und Chance bedeutet auch immer, die zu vermitteln. Natürlich auch in der Hoffnung, dass andere ihre Prägungen auch vermitteln. Es ist ja nicht so, dass es nur Biografien voller spannender oder schmerzender Brüche im Osten gegeben hat. Das gibt es ja auch im Westen.
Eva-Maria Zehrer
Ja.
Marko Martin
Und mich interessiert als Schriftsteller diese Kommunikation, die dann auch über den Osten heute etwas berichtet. Und ich gehe jetzt mal in das sogenannte leichte Genre, in die Krimis. Wir haben ja so viele Tatorte, die in Ostdeutschland spielen. Wir haben Soko Leipzig, Soko Wismar, Soko Potsdam, Tatort Dresden, Tatort Leipzig. Wo dann, wie es so schön heißt, die Nachwende-Realitäten beschrieben werden und zwar jetzt gar nicht im Sinne von akademischen Reflexionen, sondern anhand einer Krimi-Story. Das heißt, alles kann da sein. Es gibt das Potential und natürlich kann dann auch jede oder jeder auf seine Weise sich da einbringen, indem man diese Filme sieht, diese Bücher liest oder dann vielleicht auch selbst auf seine Weise mit kommuniziert. Die Möglichkeit gibt es und das Internet hat ja auch sehr vieles hierarchiefrei demokratisiert, dass es auch Möglichkeiten gibt, gehört zu werden jenseits der hierarchischen Medienstrukturen. Also diese Möglichkeit gibt es.
Eva-Maria Zehrer
Wie kommt es dann, dass es trotzdem offensichtlich eine ganze Menge Menschen gibt, die der Meinung sind, dass ihre Lebenswelten, die von damals und das, was sie heute mitbringen, nicht gesehen und nicht gehört werden. Wo es doch eigentlich sowohl das zu lesende Wort gibt, als auch die zu sehende Geschichte oder ich weiß nicht, welches Sinnesorgan man noch braucht, um solche behutsam aufgearbeiteten Erfahrungen anzunehmen oder daran teilzuhaben oder zu sagen, so war es bei mir auch oder so war es bei mir nicht. Das ist ja alles da. Also wir merken, es ist da. Es muss nur wahrgenommen werden. Warum gibt es dann trotzdem immer noch so viele Menschen, die das scheinbar nicht wahrnehmen oder die es negieren oder so? Oder sehe ich das falsch?
Marko Martin
Ich glaube, man kann da auch nicht über alle generalisierend sprechen. Ich glaube, es macht schon einen Unterschied, mit welchen Leuten man auch aus den alten Bundesländern zu tun hat. Ob das irgendwelche Schnösel waren oder ob das Leute waren, die zugewandt und neugierig waren. Und es ist ja bei uns allen so, was uns individuell im Privaten begegnet, das hat eine Wucht, die uns sehr prägt. Da ist jeder von uns auch ein bisschen in der Gefahr, das Selbsterlebte zu verallgemeinern. Wer negative Erfahrungen gemacht hat, der hat natürlich dann auch gegenüber anderen negativen Erfahrungen ein viel genaueres Ohr und sagt: „Ja, genau so sind sie“. Aber was heißt, so sind sie? Die Westdeutschen sind natürlich genauso heterogen wie die Ostdeutschen. Und diese Möglichkeiten, über eigene Erfahrungen zu sprechen, ob das in den Foren der Zeitungen ist, ob das in Fernsehformaten ist. Ich denke an den MDR, wo dann auch die Geschichten der Nicht-Prominenten erzählt werden. Wo Journalisten mit dem Mikrofon oder mit der Kamera auf Lebenswirklichkeiten stoßen und mit Menschen sprechen, die ansonsten nicht da und vor der Kamera stehen. Diese Möglichkeit gibt es.
Und Sie sehen, ich bin ohnehin der Typ, für den das Glas halb voll ist. Manchmal ist es auch nur viertel voll. Aber ich gehe nicht aus vom Negativen, vom Lehren nach dem Motto, es wird sowieso nichts. Als Schriftsteller, aber natürlich auch als Bürger, ist es vielleicht gar nicht schlecht, das Bewusstsein davon zu haben, dass Sachen möglich sind. Das bedeutet jetzt nicht irgendwie so ein Schönreden und über Brüche hinwegschwätzen. Es bedeutet eher die Ermutigung, dass sich jeder mit seinen Geschichten auseinandersetzen kann. Und das beginnt ja schon am familiären Abendtisch.
Und es ist oft so, und mitunter ist es auch in Reportagen beschrieben worden, dass junge Leute, die dann aus den neuen Bundesländern für eine Weile weggehen, in den alten Bundesländern studieren, zurückkommen und dann mit ihren Eltern oder den Großeltern diskutieren. Im schlimmsten Fall ist es Schweigen oder es sind Monologe, die sich kreuzen. Im besten Fall sind es zusätzliche Erfahrungen, die zusammenkommen.
Nicht immer ohne Konflikte. Konflikte sind ja nichts Schlimmes. Ohne Konfliktauslebung existiert keine Demokratie. Und aus diesem Grund glaube ich, dass dieses Kommunikative, auch durchaus das Streitbare, ganz, ganz wichtig ist. Wir sind ja keine Inseln, wir sind auch keine Monarden. Wir existieren durch den Blick und auch durch die Existenz der anderen.
Aus diesem Grund haben wir dann auch, glaube ich, in einer demokratischen Debattendemokratie alle Möglichkeiten.
Eva-Maria Zehrer
Dass wir durch den anderen existieren, das halten wir uns, glaube ich, alle viel zu selten vor. Weil das ist ja wirklich die Grundlage, auf der wir stehen. Die Schultern, auf denen wir stehen. Manchmal sind das Schultern, die wir nicht wollen. Meine Wahrnehmung oder meine Interpretation, Sie können mir gern widersprechen, ist, dass der Unmut, den wir heute manchmal spüren oder der geäußert wird oder dieses eisige Schweigen, das man manchmal erlebt, mag auch darauf zurückzuführen sein, dass man eben die Schultern nicht haben will, auf denen man zwangsweise steht. Die kann man sich ja nicht aussuchen. Man erlebt es ja selbst. Man ist manchmal unzufrieden mit sich selbst und überträgt diese Unzufriedenheit auf andere. Ich vermute fast, dass es in manchen Fällen zumindest, sage ich jetzt mal vorsichtig, auch im Allgemeinen so ist, dass die Menschen, die uns umgeben, die auch sagen, also unsere Biografien werden nicht gewertschätzt, und unsere Vergangenheit spielt keine Rolle, dass die so eine Erfahrung haben, mit sich rumtragen, bewusst oder unbewusst, kann ja auch sein, dass sie das gar nicht merken. Dass sie auch gar nicht wissen, dass sie so sind oder auch gar nicht so richtig zu Ende denken, warum sie so handeln, wie sie handeln oder warum sie jede Handlung verweigern, oder?
Marko Martin
Ich glaube auch, sie haben das entsprechende Stichwort geliefert, wenn die Leute sagen, meine Vergangenheit. Aber wenn sie sich bisschen genauer mit sich selbst beschäftigen würden, würden sie automatisch dazu kommen, zu sagen, meine Vergangenheiten. Wir bestehen ja nicht nur aus einem Block. Es gibt ja die unterschiedlichsten Schichtungen, Erfahrungen und Lebensstufen.
Ich habe mich in meinem Buch „Die verdrängte Zeit, also vom Verlieren und Wiederfinden der Kultur des Ostens“, die 2020 erschienen ist, zum Beispiel auch mit dem Phänomen der Ostrock-Festivals beschäftigt. Und da gibt es natürlich Leute, die sagen, das ist eine Nostalgieveranstaltung und das ist Kitsch. Und das glaube ich eben nicht. Ich habe mir das angeschaut. Und wenn dann jemand wie Ute Freudenberg auftritt, mit diesem wirklich wunderschönen Lied „Jugendliebe“.
Die Kamera zeigt die Gesichter des Publikums, also Ehepaare. Wie viel da in den Gesichtern lesbar ist. Und das ist keineswegs nur nach dem Motto, damals ging es uns ja noch gut und dann kam der kalte Westen oder endlich sind wir befreit, die Vorzeit ist abgeschlossen. Da gab es ja gar nichts. Nein, sondern verbindende Geschichten einer Pubertät, eines Jungwerdens. Natürlich dann auch die schmerzhaften Geschichten. Was passiert, wenn Leute zur NVA gezogen werden und dann gehen? Und dann diesen faschistoiden Alltag in dieser Menschenzurichtungsmaschinerie NVA erleben. Was ist mit ihren Freundinnen, die dann bleiben auf sie warten oder nicht? Also all das ablesbar in den Gesichtern, während auf der Bühne Ute Freudenberg steht. Wobei wir auch nicht vergessen dürfen, Ute Freudenberg zählte ja auch zu den zahllosen Künstlern, die aus der DDR weggegangen sind. Ich denke auch an meine Freundin Angelika Mann, die Lütte, die dann eine von denjenigen war, die 1976 die Petition gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns unterschrieben hat und die dann, wie viele andere dann auch, später weggegangen ist. Aber 1989 zurückgekommen ist oder 1990.
Und das Publikum hatte auf sie gewartet. Wir sind noch da. Das ist ungeheuer berührend, sowohl für die Künstlerinnen, wie auch für das Publikum. Und an solche Geschichten zu erinnern, das hat überhaupt nichts Kitschiges und es sind keine Sonntagsreden. Es ist Realität. Und das nicht ins Vergessen fallen zu lassen, ich glaube, ist auch was ganz Alltagspraktisches. Man bekommt dann mehr Zutrauen zu sich selbst, zu seinen Vergangenheiten und natürlich zu seinen Gegenwarten. Die Möglichkeiten mit Herausforderungen, Problemen und so weiter auf eine Weise umzugehen, die einem selbst innerlich viel mehr Kraft gegeben hat, als wenn man jetzt nur sozusagen im gedrückten Klagemodus verbleibt.
Eva-Maria Zehrer
Es ist, finde ich, jetzt wunderbar gesagt, ein sehr aufmunterndes Wort. Trotzdem, also wir haben uns vorgenommen, das muss ich zwischenrein noch sagen, dass wir ungefähr eine halbe Stunde jedes Mal miteinander sprechen. Die ist jetzt gleich um, in zwei, drei Minuten. Trotzdem müssen wir noch eine Frage klären.
Sie haben das Buch mitgebracht. Das ist von einer jungen Frau geschrieben worden, die die DDR selber nicht mehr erlebt hat. Wir haben größtenteils jetzt über Menschen gesprochen, die heute noch präsent sind oder heute viel stärker als damals präsent sind, aber ihren Hintergrund in der selbsterlebten DDR hatten.
Jetzt ist eine junge Frau da, die also DDR publiziert und Geschichten niederschreibt. Ist das kulturelle Aneignung?
Marko Martin
Ja. Wobei ich sagen muss, ich bin ein Fan kultureller Aneignung. Wenn es keine kulturelle Aneignung gäbe, würde jeder noch in seiner Höhle sitzen und niemand würde rausgucken und schauen, wie sieht es in der Nachbarhöhle aus. Natürlich ist Kultur immer, und Sie hatten das schöne Wort verwende, dass wir auf den Schultern unserer Vorgänger und Vorgängerinnen stehen und dass es eine große Chance ist. Natürlich ist Kultur, wenn sie mehr sein will als ein horten Kultus, sondern Kultur im Sinne von Neugier ist immer etwas Aneignendes im Sinne von respektvoll neugierig sein. Sie klaut ja niemandem diese Geschichten, um auf den konkreten Fall dieser Autorin zurückzugehen. Sie nimmt ja niemandem etwas weg, sie fügt etwas hinzu. Und dieses Hinzufügen ist eigentlich das, was uns vielleicht so ein bisschen zu besseren oder zumindest zu neugierigeren Menschen machen kann.
Eva-Maria Zehrer
Dann sollten wir vielleicht das Wort oder den Begriff von der kulturellen Aneignung zumindest doppelt besetzen. Das ist ja so ein bisschen belegt und so ein bisschen ins Negativ gezogen heute. Es ist schön, wenn Sie eine positive Interpretation oder Beschreibung davon geben. Ich sehe das auch so, dass kulturelle Aneignung eine Bereicherung ist.
Wir haben jetzt die 30 Minuten so gut wie erreicht. Bevor ich Ihnen, Herr Martin, das Schlusswort gebe, lade ich die Hörerinnen und Hörer dazu ein, sich den nächsten Podcast auch wieder anzuhören. Das war heute ein harter Brocken. Es wird nicht jedes Mal ein harter Brocken. Und trotzdem glaube ich, es ist gut, wenn man miteinander redet und Gedanken entwickeln kann. Und ich hoffe, Sie, die Sie das hören, ihre eigenen Gedanken auch entwickeln konnten, Und wenn sie nachher ausschalten auch weiterentwickeln werden und vielleicht irgendwann, wenn sie mal unterwegs sind oder Auto fahren oder irgendwo stehen, ihnen ein Gedanke da so einblendet und sie drüber nachdenken und für sich auch was zu Ende denken können. Ich danke Ihnen schon mal vor dem Schlusswort. Ich danke Ihnen schon mal, Marko Martin. Ich danke auch an der Stelle den Kollegen vom Studio coloRadio und ich danke vor allen Dingen auch meiner Kollegin Frau Baidinger für die Vorbereitung dieser Reihe und für die Begleitung. Und Herr Martin, jetzt haben Sie das letzte Wort bei „Marko Martin, einmal klingeln“.
Marko Martin
Ja, also ich schließe mich natürlich dem Dank an. Ich würde vielleicht so einen kleinen Spoiler, so eine Vorschau, wagen. Während unserer Reihe sprechen wir natürlich dann weiter über die Möglichkeiten kultureller Aneignung. Wir sind hier in Sachsen, natürlich Radebeul, natürlich Karl May und natürlich Liselotte Welskopf-Henrich. Natürlich die DEFA-Indianerfilme, natürlich Goyko Mithisch. Da gibt es eine ganze Menge noch zu erzählen und das machen wir in einer der nächsten Folgen.
Eva-Maria Zehrer
Das machen wir. Ganz herzlichen Dank.
Marko Martin
Dankeschön.

Folge 2: Zwischen Karl May und Gojko Mitić: Helden des Ostens
In diesem Gespräch reflektieren Marko Martin und Dr. Eva-Maria Zehrer über ihre Kindheitserinnerungen in der DDR, insbesondere über die Faszination für Indianerfiguren und die Bedeutung von Karl May. Sie diskutieren die Wiederentdeckung von Karl May in der DDR und die Werke von Liselotte Welskopf-Henrich. Zudem wird das Thema Gerechtigkeit und Unrecht in der DDR angesprochen, sowie die Rolle von Kunst und Literatur als Inspirationsquelle.
Marko Martin
Der charismatische Charakter von Gojko Mitić ist weiterhin präsent und das ist natürlich faszinierend wie auch Geschichten weitergehen.
Jingle
Marko Martin, einmal klingeln - wie es auch noch im Osten war und ist. Ein Podcast der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung – unverklärt, persönlich, facettenreich.
Eva-Maria Zehrer
Bei Neumanns zweimal klingeln. Vielleicht kennt der eine oder andere von Ihnen das noch. Wir klingeln heute bei Marko Martin, einmal. Und zwar wieder so, wie im vergangenen Podcast auch schon. Ich begrüße Sie herzlich zur Reihe der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Mein Name ist Eva-Maria Zehrer und ich begrüße herzlich Marko Martin, Schriftsteller, der in der DDR groß geworden ist, in der Nähe von Chemnitz und heute in Berlin lebt.
Marko Martin
Hallo.
Eva-Maria Zehrer
Wir wollen einerseits kurzweilige, andererseits profunde Sendungen anbieten, die sich mit Themen der selbsterlebten Vergangenheit beschäftigen. Wir sind beide in der DDR aufgewachsen, unterschiedliche Jahrgänge, auch unterschiedlich sozialisiert. Und ich denke, Sie als Hörerinnen und Hörer, soweit Sie auch in der DDR aufgewachsen sind, haben eigene Biografien und eigene Lebensgeschichten beizusteuern.
Hören Sie einfach zu, bilden Sie sich selbst eine Meinung, überlegen Sie, wie es bei Ihnen war, oder reflektieren Sie. Oder sprechen Sie auch mit jemandem drüber, dann ist das erreicht, was wir wollen. 30 Minuten haben wir. Wir wollen niemanden überfordern, auch uns selbst nicht. Und 30 Minuten ist, glaube ich, eine Zeit, die man ganz gut aushalten kann. Wir haben vereinbart, dass immer einer von uns etwas mitbringt, so als kleinen Einstieg. Heute bin ich dran und ich habe einen Gegenstand mitgebracht. Der ist so groß wie ein Handteller. Den habe ich jetzt in der Mitte zwischen uns stehen, hier im Studio. Und der stellt eine Figur dar, und zwar eine Indianerfigur. Die habe ich nicht selbst besessen, sondern die hat mein Bruder besessen. Und ich habe die vor einiger Zeit in einem Karton gefunden, mal beim Aufräumen. Eine Spielfigur, die er früher hatte. Und dieser Indianer steht da, hat so einen Federschmuck auf dem Kopf und hat eine Armbrust in der Hand.
Herr Martin, können Sie was damit anfangen? Hatten Sie sowas auch?
Marko Martin
Ich kann damit was anfangen, aber ich beneide Ihren Bruder, wenn ich jetzt die Figur sehe. Die ist ja viel größer als die Figuren meiner Kindheit. Wir hatten nämlich immer nur die Kleinen und die waren so in einer Größe, dass sie auf dem Board des Kinderzimmers neben den Matchbox-Autos standen. Und ich glaube, viele meiner Generation, ich bin Jahrgang 1970, hatten das ähnlich erlebt und haben dann gesammelt: Indianerfiguren, Matchbox-Autos - wobei die Indianerfiguren natürlich viel interessanter waren, denn sie regten ja dann an zu Kinderspielen.
Eva-Maria Zehrer
Haben Sie damit gespielt, selber auch?
Marko Martin
Ja, mit den Figuren jetzt wenig, aber die Anregung war da. Die Indianerspiele meiner Kindheit waren natürlich faszinierend. Wobei ich sagen muss, als Differenz zu manch anderen, ich war weder im Hort, weil ich auch nicht in den Pionieren war, auch nicht bei den Ferienlagern zur DDR-Kindszeit. Aber auch jenseits des Offiziellen gab es natürlich ein Kinderleben. Und wir haben dann eben auf der Wiese, in den Gärten unserer Eltern, dann Zelte gebastelt oder im nahegelegenen Wald ein Wigwam gebaut und diese Indianerspiele gemacht. Und wenn heute gesagt wird, ja, das darf man nicht mehr sagen, das ist kulturelle Aneignung und das ist geradezu rassistisch, dann ist es natürlich geradezu Bullshit das zu sagen. Denn man lernte den Respekt vor anderen Lebensweisen.
Interessanterweise war es auch so, dass keiner von den Kindern den Cowboy spielen wollte. Das wurde dann immer ausgelost. Und der den Cowboy spielen sollte, der war ein bisschen sauer, weil es war natürlich viel spannender, ein Apache zu sein oder ein Dakota. Obwohl bei den Apachen war es natürlich noch spannender für uns, weil in den Winnetou-Filmen von Karl May waren natürlich die Apachen die Guten und die Komantschen die Bösen.
Eva-Maria Zehrer
Ich wollte gerade fragen, wo haben Sie denn Ihre Vorbilder hergehabt?
Marko Martin
Ja, natürlich aus den Karl-May-Filmen. Und interessanterweise war es auch so, warum waren die Komantschen die Bösen? Weil sie sich, zumindest in der Fiktion, mit den Weißen der Eisenbahnergesellschaften zusammengetan haben, die Eisenbahnschienen durch Indianerland zogen. Und die Komantschen waren dann sozusagen die Kollaborateure.
Das hält natürlich keiner historischen Prüfung stand. Aber, sozusagen im fiktionalen Raum, der ja geradezu für Kinder was Reales darstellt, war das eben so. Und es war spannend, dann die Apachen zu spielen. Mitunter waren auch ein paar Mädchen dabei, die wurden dann verpflichtet auf die Rolle von Nscho-tschi. Und Nscho-tschi war die Schwester von Winnetou.
Eva-Maria Zehrer
Aber das war damals auch was Ehrenhaftes, weil diese Schwester sehr wertschätzend dargestellt worden ist. Ich weiß nicht, ob die einem heutigen Frauenbild standhalten würde. Das kann ich jetzt auf die Schnelle nicht sagen. Aber damals war das auch wirklich ein Bild für ein Mädchen, was durchaus was Gutes war, oder?
Marko Martin
Ja, absolut. Sie war jetzt keine emanzipierte Frau, aber sie hatte einen ganz großen Stellenwert. Und ich glaube, wenn ich das alles noch richtig in Erinnerung habe, in den Filmen wurde sie gespielt von Uschi Glas. Obwohl ich mich da jetzt nicht festnageln lassen möchte. Es könnte auch jemand anderes gewesen sein, aber ich glaube, es war Uschi Glas. Und als sie dann ermordet wurde durch diese weißen Banditen, war das natürlich was ganz Tragisches.
Eva-Maria Zehrer
Wir hatten zu Hause viele Jahre keinen Fernseher, deswegen bin ich so ein bisschen von Filmen abgekommen bzw. habe nicht so viele Filme gesehen, sondern die Bücher eher gelesen.
Sie haben jetzt gesagt Winnetou-Filme. Winnetou verbindet man ja mit Karl May. Bei uns war es damals so, ich bin sieben Jahre älter als sie, als ich in die Schule gegangen bin, kursierten natürlich auch im Schülerkreis Karl May Bücher. Die habe ich auch gelesen, gern gelesen. Die galten aber als Schmutz- und Schundliteratur. Ich kann mich selber erinnern, ich habe die von einem Mädchen bekommen. Ich glaube, ich habe sogar auch selber welche besessen. Und da wurden die Schulranzen kontrolliert und mir wurden die weggenommen. Die habe ich auch nie wiedergekriegt, was ich sehr, sehr ärgerlich fand. War das bei Ihnen damals auch so?
Marko Martin
Nein, es war nicht mehr so. Ich kann mich erinnern, dass natürlich diese Bücher getauscht wurden. Es waren Bücher aus den Westpaketen, die meine Schulkameraden bekommen haben und Bücher aus dem Karl May Verlag in Bamberg, so gebunden in Olivgrün.
Eva-Maria Zehrer
So paperback, irgendwie?
Marko Martin
Nein, schon Hardcover. Mit zeitgenössischen Illustrationen auf dem Cover. Weil die DDR Karl May Bücher, die dann sukzessive ab Mitte der 80er Jahre veröffentlicht wurden, waren natürlich Bückware. Das heißt, man kam gar nicht so einfach an sie ran.
Und ich bin aufgewachsen dann in einer Phase, wo dank des Karl-May-Forschers Christian Herrmann aus Leipzig, Karl May wiederentdeckt wurde als ein progressiver Autor. Und da musste man übrigens auch gar nicht so viel interpretatorisches oder gar ideologisches Geschick verwenden, weil Karl May war natürlich kein reaktionärer Kitsch-Autor. Viele der guten Weissen, die in der Prärie dann rumsprangen und Winnetou und Old Shatterhand immer zur Seite standen, oftmals skurrile Figuren, sprachen Sächsisch. Und weshalb kommt Sachsen in die Prärie? Das waren auch in den Büchern die sogenannten 48er. Das waren Menschen, die nach der Niederschlagung der Revolution von 1848 ihr Glück im Wilden Westen gesucht haben. Und in den Büchern von Karl May sind sie präsent. Und das ist natürlich etwas durchaus Anrührendes und auch natürlich Progressives. Hinzu kommt dann, dass Karl May am Ende seines Lebens eine Freundschaft hatte mit Bertha von Suttner. Wir kennen die berühmte Frauenrechtlerin und ihr Buch „Die Waffen nieder!“. Er starb 1912, zwei Jahre vor dem ersten Weltkriegsausbruch und er war ein Pazifist. Und auch sein letztes Buch ist so ein visionärer Roman für die Völkerverständigung.
Das kann man dann der damaligen Zeit gut anrechnen. Die Wiederentdeckung von Karl May war jetzt keine forcierte Ideologisierung. Und wir Kinder hatten natürlich dann das Glück, die Karl May Bücher wurden dann eben nicht mehr wie zu ihrer Zeit aus dem Schulranzen herausverboten, sagen wir mal so. Und gleichzeitig waren die Karl May Verfilmungen, die ja westdeutsche Verfilmungen waren, obwohl gedreht wurde in Kroatien, waren nicht mehr verboten. Das heißt, sie liefen in den Kinos und sie liefen zur Weihnachtszeit immer im Fernsehen.
Eva-Maria Zehrer
Mir war jetzt neu, dass Ende der 80er Jahre in der DDR diese Bücher, wenn auch schwer, zu haben waren. Das habe ich wirklich nicht gewusst. Ich habe wahrgenommen, dass in Radebeul bei Dresden, in dem bekannten Karl-May-Museum, dass da eigentlich schon immer mal was los war, dass man auch als Kind da mal hingefahren ist, dass dann auch später Schulklassen hingefahren sind. Das habe ich aber auch nur gehört.
Das konnte ich mir manchmal auch gar nicht richtig erklären. Also, Karl May hat dann offenbar wirklich eine andere Bedeutung bekommen und ist anders wahrgenommen worden.
Mein Mann und ich haben später, als Erwachsene, die Bücher noch mal gelesen. Anfangs mit großer Begeisterung. Irgendwann hängt einem das dann auch zum Hals raus, weil das Schema ja immer wieder so bisschen dasselbe ist. Und man kann sich dann auch erklären, warum das in der atheistischen DDR verboten war. Aber haben Sie eine Erklärung dafür, wie dann eine gewisse Wertschätzung entstanden ist?
Ich muss noch einschieben, im Gefängnis in Waldheim gibt es bis heute noch einen kleinen Museumsraum, in dem verschiedene Sachen drin sind. Unter anderem ziemlich viel von Karl May, der dort eingesessen war. Er war mehrere Male in dem Zusammenhang auch wegen eines geringen Diebstahls gefasst und auch inhaftiert worden. Und hatte Häftlingskleidung an. Die Häftlingskleidung kann man dort sehen.
Und offenbar hat er dort zu schreiben begonnen, jedenfalls im größeren Stil. Und hat sich damit therapiert. Er ist dann so vom kleinen Kriminellen zum Schriftsteller geworden. Man zeigt dann natürlich gerne so eine Karriere vor. Wissen Sie, ob das so bekannt ist? Also Sie haben den Sächsischen Bezug genannt in den Karl May Büchern. Ist das so bekannt in den westlichen Bundesländern?
Marko Martin
In den westlichen Bundesländern nicht, aber in der DDR wurde das alles wahrgenommen. Es gab damals in der DDR die sehr viel gelesene Wochenzeitung „Wochenpost“. Und das war übrigens auch schwer zu bekommen, ein Abo der Wochenpost zu bekommen. Und da gab es diese Serie von dem bereits erwähnten Christian Herrmann, der dann die ganze Genese von Karl May, sein Leben und sein Werk beschrieben hat. Wie er dann in Hohenstein-Ernstthal, also gleich neben meinem Geburtsort, aufgewachsen ist. Im Erzgebirge war, dann wegen der kleinen Delikte, Sie hatten das erwähnt, ins Gefängnis kam und dann zum Schriftsteller wurde. Das wurde in der DDR also sehr, sehr wahrgenommen. Das war einfach eine spannende Geschichte. Und hinzukam, es war jemand aus Sachsen. Salopp gesagt, man hatte Nietzsche und man hatte Karl May.
Und die Villa Shatterhand in Radebeul war natürlich für Kinder, zu meiner Zeit, ab Mitte der 80er Jahre, ein ganz beliebter Ausflugsort. Ich war damals mit meinem Vater da und das war natürlich spannend. Das Gewehr, das berühmte Gewehr von Old Shatterhand. Ich weiß gar nicht mehr, wie man diese Büchse nannte.
Eva-Maria Zehrer
Silberbüchse, oder?
Marko Martin
Ja, Silberbüchse. Und wenn man dann weiß, dass Karl Mayer nie da gewesen ist, beziehungsweise nicht so wie er das beschreibt, sondern später erst in die USA kam als Vortragsreisender, da bekomm das ja dann sozusagen noch so einen kleinen Tick von Hochstapelei und literarische Imagination. Das hatte natürlich was, klar. Und das war eben auch möglich in der DDR.
Eva-Maria Zehrer
Also zu meiner Zeit wurde intensiv gelesen - Liselotte Welskopf-Henrich. Haben Sie das auch noch gelesen damals? Sie haben ja in einem Ihrer Bücher „Die verdrängte Zeit“ dieser Schriftstellerin, glaube ich, sogar ein ganzes Kapitel gewidmet.
Marko Martin
Das ist natürlich ein interessanter Fall. Ich glaube geradezu, die Älteren, die uns vielleicht zuhören, werden sich noch an diese Romane von Liselotte Welskopf-Henrich erinnern. Sie war eben nicht der Karl May des Ostens, sondern das war etwas ganz Anderes. Und es war dann eben auch nicht nur Unterhaltungsliteratur, sondern es war literarischer Realismus vom Feinsten. In Westdeutschland, in den alten Bundesländern, kennt man bis heute Liselotte Welskopf-Henrich nicht. Und das ist schade, denn diese Bücher sind noch mal viel realistischer. Sie beschreiben die Ethnie der Dakota und es gibt da ein mehrbändiges Romanwerk mit dem Titel „Die Söhne der großen Bärin“. Die wurden also von allen gelesen. Ich kann mich erinnern, dass schon mein Vater, Jahrgang 1947, das als Jugendlicher gelesen hat. Und die Bücher, ich glaube das war das Mitteldeutsche Verlag, Leinen, schon ein bisschen angegraut, die kamen dann sozusagen vom Vater auf den Sohn. Und so ist es vielen in meiner Generation gegangen.
Wir sind mit diesen Büchern aufgewachsen und natürlich mit den Namen. Harka war der junge Häuptlingssohn, Mattotaupa war der Häuptlingsvater, der dann eher von Weißen in den Alkohol gedrängt wurde. Damit sind wir aufgewachsen und natürlich mit den DEFA-Filmen. Die DEFA hat dann auch begonnen, die Bücher von Liselotte Welskopf-Henrich zu verfilmen, mit Gojko Mitić in der Hauptrolle. Und wenn der Serbische Schauspieler Gojko Mitić einen Indianer gespielt hat, gingen natürlich die Augen der Kinder und auch der Jugendlichen genauso weit auf, wie bei den Winnetou-Verfilmungen, wo der Franzose Pierre Brice Winnetou gespielt hat. Ich finde das toll, wie sich auch Geschichten dann weiten und Internationales mit reinkommt. Und diese DEFA-Filme sind heute alle noch per DVD erhältlich.
Und bei unseren Indianer-Spielen spielten natürlich dann auch Harka und Mattotaupa eine Rolle.
Eva-Maria Zehrer
Wissen Sie eventuell, ob Gojko Mitić nach den Umbruchszeiten dann wieder Fuß fassen konnte? Ich glaube, er war ja erstmal nur in der DDR bekannt und im Westen nicht. Ist er dann auch im Westen bekannt geworden? Das ist mir jetzt gar nicht bewusst.
Marko Martin
Jaja, er hat dann bei den Karl-May-Festspielen den Winnetou gespielt. Und es gibt auch diese wirklich sehr gelungene Verfilmung von Thomas Brussigs Wende-Roman „Helden wie wir“. Und in der Verfilmung gibt es dann eine Szene, wo schon die ersten Demonstrationen 1989 beginnen und auf der U-Bahn-Station Alexanderplatz Stasi-Leute die jungen Leute bedrängen. Da kommt von hinten dann der rettende Zivilist, der die jungen Leute beschützt und das ist natürlich Gojko Mitić. Und das Signal für alle, die das gesehen haben, war natürlich klar. Gojko Mitić ist da, er ist heute noch am Leben. Der charismatische Charakterkopf von Gojko Mitić ist weiterhin präsent und das ist natürlich faszinierend, wie auch Geschichten weitergehen.
Und ich glaube auch - das hatten wir ja das letzte Mal schon besprochen - sich an solche Geschichten zu erinnern, ist vielleicht auch ein ganz gutes Gegenmittel gegen so eine gewisse Larmoyanz, die sagt, ja, was wir damals hatten, das zählt ja gar nicht mehr, all die Helden unserer Kindheit sind verschwunden. Nein, sind nicht verschwunden, die sind da.
Eva-Maria Zehrer
Ja, das nehme ich auch so wahr. Mir kommt aber jetzt, wenn Sie das so sagen, eine Frage oder eine Überlegung. Sie können auch ruhig widersprechen, wenn es nicht stimmt. Es ist nur so ein Gedanke von mir. Könnte es sein, dass - und ich mache das jetzt an Gojko Mitić fest - dass Personen, die in einem Diktatur-System gelebt haben, sagen wir mal im System DDR, und nur dort bekannt waren und die dann ihre Leistungen oder ihr Leben mitgenommen haben in das andere System, dass die so eine Art Botschafter bzw. ein Hinweis sein können für Dinge, die in der DDR eine Rolle gespielt haben.
Meinetwegen, Gojko Mitić ist einer, der gesagt hat, es gab wertvolle Literatur in der DDR und indem ich jetzt ein zeitgenössisches Werk mit verfilme und da als Schauspieler auftrete, mache ich auch aufmerksam auf den Schriftsteller, der heute dieses Werk geschrieben hat und kein Indianerbuch geschrieben hat und auch eine Ostbiografie hatte und was Wichtiges zu sagen hatte. Das transportiere ich, als Gojko Mitić, in meiner Person als Schauspieler in den Westen. Das ist jetzt plakativ ausgedrückt.
Marko Martin
Ich würde mich bei Ihrem Wort „Hinweis“ vielleicht am heimischsten fühlen. Ich glaube auch für einen Schauspieler ist das auch jetzt, glaube ich, nicht in jedem Fall so durchtheoretisiert. Man nimmt einfach eine Rolle an, von der man meint, dass sie zu einem passt und es hat zu ihm eben gepasst. Aber dieser Hinweis ist ganz gut und wir hatten ja auch im letzten Teil beschrieben, das, was wir hier machen, ist ja jetzt nicht ein zenkisches entweder/oder, sondern das Angebot eines Hinzufügens. Und ich glaube, dass da sehr viel auch hinzugefügt werden kann.
Viele Leute meiner Generation in Westdeutschland sind dann eben aufgewachsen mit den Büchern von Otfried Preußler, „Krabat“ oder von Gudrun Pausewang, die Anti-AKW-Geschichte „Die Wolke“. Die wiederum im Osten kaum jemand kennt. Während im Westen wiederum niemand weiß, was für eine wunderbare Kinder- und Jugendliteratur es in der DDR gegeben hat.
Um nun zurückzugehen auf die Kinderspiele. Es zeigt, dass viele Bücher, auch jenseits der Indianerthematik, so stark waren, dass wir das als Kinder nachgespielt haben. Zum Beispiel Alex Weddings Roman „Ede und Unku“. Heute würde man nicht mehr von Zigeunermädchen sprechen, aber damals sprach man davon und das war auch überhaupt nicht abwertend gemeint. Und diese Geschichte, die in der Weimarer Republik spielt, wurde von uns natürlich auch nachgespielt.
Mit einem kleinen Wohnwagen, der natürlich dann kein Wohnwagen war, sondern irgendwie so eine aufgestapelte Holzkiste, in die wir gekrochen sind. Und das Nachbarmädchen spielte dann Unku und wir spielten abwechselnd Ede. Das waren spannende Geschichten.
Später gab es dann für die Heranwachsenden diese ungeheuer spannende Reihe „Spannend erzählt“ im Verlag Neues Leben. Das waren Kinderbücher, Jugendbücher, Abenteuerbücher. Interessanterweise geschrieben von Autoren, die als jüdische Kommunisten ins Exil gehen mussten und dann zum Teil in Lateinamerika gelandet sind. Zum Beispiel Lene und Walter Klein. Und die beschrieben dann , wie es zuging in Brasilien oder in Peru, während der Zeit der Kolonisierung. Und das finde ich auch etwas ungeheuer Spannendes. Weil, die blieben eben nicht stehen bei der Verkitschung der anderen.
Wir haben ja heute auch dieses Unwort vom globalen Süden, völlig unsinniges Wort, als wären die dort alle gleich. Und in diesen Büchern hat man gesehen, dass auch die sogenannten Fremden in sich wiederum selbst auch ungeheuer ausdifferenziert sind und es für einen Bauer oder für einen Landarbeiter in Peru keinen Unterschied machte, ob der von einheimischen Kaziken ausgebeutet wurde oder dann von den spanischen Kolonialherren. Das heißt, es ging um Machtstrukturen. Und die Sensibilisierung für Machtstrukturen jenseits von Hautfarbe, Religion und Ethnien. Ich fand das sehr spannend. Gerade deshalb, weil es nicht didaktisch dargeboten wurde, sondern es war verdammt spannend. Wir waren dann alle in der Schule absolut hin und weg von diesen Büchern.
Wobei ich sagen muss, ich bin in einem eher kleinen Dorf aufgewachsen, Wechselburg bei Rochlitz. Da waren jetzt nicht die Kinder von Akademikern. Das waren jetzt nicht Leute, die beginnende Nerds waren, sondern Leute, die Fußball spielten und so weiter. All diese Klassenkameraden lasen diese Bücher, weil es eben spannend war und weil man damit auch in eine andere Welt eintauchen konnte und das Gefühl bekam - nicht bekommen musste, aber bekommen konnte - dass es eigentlich immer darum geht, um Machtstrukturen, Gerechtigkeit versus Ungerechtigkeit und dieses Muster überall greift, egal ob das jetzt in Afrika ist oder in Lateinamerika oder in Deutschland.
Eva-Maria Zehrer
Also da drängt sich mir unbedingt auf zu erwähnen, „Brauchen wir Ketzer, Stimmen gegen die Macht“, das Buch, das Sie geschrieben haben und dieses Jahr auch zur Buchmesse vorgestellt. Da gucken Sie auf Bücher drauf, auf mehr oder weniger vergessene Autoren, die größtenteils auch ins Exil gehen mussten.
Die teils auch jüdische Herkunft hatten und uns heute noch so viel zu sagen haben. Also ein sehr empfehlenswertes Buch. Wir haben dazu auch eine Podcast-, beziehungsweise eine Zoom-Reihe gemacht, die auch auf unserer Homepage der Landeszentrale steht. Das war mir jetzt wichtig zu sagen. Aber ich möchte noch mal zu zwei Dingen zurück. Zum einen die Gerechtigkeitsfrage. Ich habe den Eindruck, dass ostdeutsche Menschen die Tatsache in ihrem eigenen Leben gerecht behandelt zu werden stärker reflektieren, als das in anderen Teilen Deutschlands der Fall ist. Aber ich weiß nicht, ob das eine Fehlwahrnehmung ist. Es kann ja auch durchaus sein, dass es ein Nord-Süd-Gefälle gibt. Manchmal denke ich, die Unzufriedenheit, die es um uns rum oft gibt, die hängt damit zusammen, dass man die Gerechtigkeitsfrage nicht so beantworten kann, wie man es gerne möchte, oder?
Marko Martin
Ich würde mich natürlich sehr skeptisch zeigen, immer wenn es Generalisierungen gibt. Aber natürlich haben Sie was angesprochen, was wichtig ist. Ich glaube aber, ein Teil der Erklärung könnte auch sein, dass das Gerechtigkeitsbewusstsein oder das Bewusstsein gegenüber Unrecht oder vielleicht auch das Gefühl, dass einem Unrecht getan werden konnte - ein Gefühl schafft ja auch Realität - vielleicht auch (und ich würde das jetzt großschreiben) darin wurzeln könnte, dass man sich bis 1989 eben zu viel hat gefallen lassen. Dass es nachgeholt wird. Ich kann mich nämlich auch erinnern in meiner Kindheit, in meiner Jugend, was Nachbarn sagten, was die Nachbarn dann den Kindern sagten. Und das waren dann eben Sprüche wie: „halt den Mund und mach mit“, „tja, da kannst du nichts machen“, „uns kleinen Mann fragt ja eh niemand“. Das heißt sozusagen, ein sich prophylaktisches Kleinmachen, um dann zu versuchen, sich so unter dem Radar der Staatsmacht hindurch zu schummeln.
Das kann eine Lebensstrategie sein. Um Überleben ging es ja nicht. Aber es ist natürlich auch immer mit dem Risiko verbunden, dass eine Krümmung sehr zeitig einsetzt. Und wenn man dann merkt, dass die Krümmung eingesetzt hat, macht man entweder so weiter oder man geht ins Gegenteil und regt sich dann über alles auf - auch in unserer hochkomplexen Demokratie - und dann vielleicht nicht nur über Sachen, die wirklich strukturell wichtig sind und die man verändern muss, sondern auch über Kleinigkeiten. Ich würde das als den nachgeholten Widerstand bezeichnen.
Das trifft natürlich auch nicht auf alle zu, aber ich glaube, es ist schon eine Art Grundierung für die Leute in den neuen Bundesländern. Wenn sie reflektieren und auch wenn sie ihr eigenes Verhalten hinterfragen. Wenn sie das tun, dann würden sie vielleicht auch für sich zu sehr interessanten, vielleicht auch ungemütlichen, Antworten kommen.
Eva-Maria Zehrer
Man nimmt ja auch im persönlichen Leben wahr, also wirklich an sich selbst, wenn man mit sich unzufrieden ist. Dann macht man nicht nur andere dafür verantwortlich, sondern man behandelt auch andere unschön oder ungerecht. Die haben das gar nicht verdient. Das ist eigentlich die Unzufriedenheit mit sich selbst. Also es ist ja ein Phänomen, dass wir Menschen so haben und das tragen wir vielleicht auch auf anderen Ebenen so aus, oder?
Marko Martin
Das kann sein. Deshalb ist der Spruch „man sollte auch mit sich selbst gut befreundet sein“ gar nicht so dumm. Er sollte natürlich nicht in die Irre laufen, dass man sich selbst so ganz toll findet.
Aber meine Erfahrung ist, dass Menschen mit sich mehr oder minder im Reinen sind - und ich meine nicht im selbstgerechten Sinn. Sondern, dass sie auf eine Grundsubstanz zurückgreifen und sagen: das ist ganz gut. Die muss man natürlich immer verbessern. Aber was da ist, ist schon mal gar nicht schlecht. Sie haben strukturell gegenüber anderen auch viel mehr positive Energie, die sie ausstrahlen, und das kommt dann zurück.
Also, ich will nicht missverstanden werden, das soll jetzt kein therapeutisches Sprech sein. Natürlich gibt es ungeheure Brüche, Friktionen finanzielle Art, gesundheitliche Art, die man jetzt nicht einfach durch: wir fühlen uns jetzt mal alle gut, weg reden kann. Darum geht es nicht. Aber es gibt genug Aspekte unseres Lebens, auch im psychosozialen, wo eine positive Gestimmtheit sich selbst gegenüber auch dazu führt, offen zu sein für den anderen. Und es gibt dieses schöne Wort des Philosophen Emmanuel Lévinas, jüdisch-littausch, französischer Philosoph. Er sagt, das Interessante ist gar nicht mal, zu sich selbst zu kommen, sondern die interessante Frage ist, wie kommen wir zu den anderen?
Und wir hatten ja am Anfang unseres Gesprächs erwähnt, wie das mit Spielen funktioniert, funktionieren kann, wie das mit Lektüre oder dem Anschauen von Filmen gehen kann. Und ich glaube auch, dass Kunst, der wir heute wieder viel Platz gewidmet haben, auch so eine Art Motor sein kann oder Inspirationskraft aus dem Fiktionalen wieder in den Alltag hinein zu switchen.
Und den Alltag nicht nur wahrzunehmen als ein permanentes irdisches Jammertal, sondern auch als die Möglichkeit, trotz aller Tragik, trotz aller Herausforderungen, das Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Und dann im Anderen, nicht den Konkurrenten zu sehen und nicht den, der uns ja nie versteht und der uns Böses will, sondern im Anderen den Mitmenschen zu sehen, der mit uns viel Gemeinsamkeit hat. Die größte Gemeinsamkeit, unsere fast schon skandalöse Endlichkeit.
Eva-Maria Zehrer
Das war ein wunderbares Schlusswort. Ich danke Ihnen sehr, Marko Martin. Mich hat das Gespräch sehr bereichert. Ich würde mich freuen, wenn das die Zuhörer auch bereichert hätte. Ich freue mich auf weitere Gespräche mit Ihnen. Wir haben noch so viele Themen vor uns. In welcher Reihenfolge, wissen wir noch nicht. Wir wollen über Bildung, über Schule, über das Frauenbild, über Gesundheit, von unserer ostdeutschen Herkunft aus gedacht, aber in der Gegenwart verortet, sprechen. Ich freue mich auf weitere Gespräche mit Ihnen. Ich sage für heute Danke und auch Ihnen als Zuhörer einen herzlichen Dank.
Marko Martin
Der Dank auch meinerseits.

Folge 3: Macht und Medizin: Gesundheitswesen zwischen Kontrolle und Fürsorge
In dieser Podcast-Folge wird die Entwicklung der Gesundheitsversorgung in der DDR thematisiert, insbesondere die Rolle der Gemeindeschwestern und die Polikliniken. Es wird diskutiert, wie ideologische Hintergründe die medizinische Versorgung beeinflussten und wie die Psychologie in der DDR pervertiert wurde. Zudem wird die Bedeutung von Literatur und Medien im Kontext der DDR-Gesundheitspolitik beleuchtet.
Marko Martin
Vieles an Entwicklungsmodellen ist ja auch 1989, 1990 sehr voreilig abgeschafft worden. Auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch die Genese des Ganzen sehen. Polikliniken waren ja nicht einfach nur das Bindeglied zwischen dem Hausarzt und dem Klinikaufenthalt, sondern es hat natürlich in der DDR auch einer ideologischen Agenda gehorcht.
Jingle
Marko Martin, einmal klingeln - wie es auch noch im Osten war und ist. Ein Podcast der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung – unverklärt, persönlich, facettenreich.
Eva-Maria Zehrer
„Das macht eigentlich einen ganz gesunden Eindruck.“ Habe ich gerade hier im Studio gehört, als wir unsere Mikrofone ausgerichtet haben. Und dabei sind wir schon mitten in unserem Thema drin. Herzlich willkommen zu unserer nunmehr dritten Podcastfolge Marko Martin, einmal klingeln. Ich begrüße ganz herzlich den Schriftsteller Marko Martin, mit dem ich heute wieder im Gespräch sein darf. In unserer Podcastreihe, die nur 30 Minuten dauert und die kurzweilig und gut gelaunt über das sprechen soll oder nachdenken soll, was wir im Osten Deutschlands in den vergangenen Jahrzehnten - wie in meiner DDR-Zeit - erlebt haben und aus dem heraus wir Verbindungslinien ziehen wollen in die Gegenwart.
Wir haben es uns zur Gewohnheit gemacht, dass einer von uns beiden etwas mitbringt. Und diesmal ist es Herr Martin gewesen und er hat eine DVD mitgebracht. Da ist ein Foto drauf. Die Person, die da drauf ist, die habe ich schon mal gesehen. Aber ich bin nicht so filmaffin. Und deswegen, Herr Martin, erklären Sie mal, wie das heißt, wer das ist und was das ist.
Marko Martin
Ja, also wir sehen auf der DVD die Schauspielerin Agnes Kraus. Sie spielt in dem 1975 in die Kinos gekommenen DEFA-Film Schwester Agnes, einer der 7000 Gemeindeschwestern, die es in der DDR gab. Und sie war mit ihrem Gefährt unterwegs. Das war eine Schwalbe. Und zur Vorbereitung auf unsere dritte Folge habe ich gestern mit meiner Mutter telefoniert. Und sie konnte sich natürlich auch sehr erinnern an die Präsenz dieser Gemeindeschwestern. Die hatten übrigens alle irgendwie Schwalben und meine Mutter sagte dann in ihrem schönen sächsischen Akzent: „Na da ist die immer mit der Schwalbe rüber gerammelt gekommen“. Und viele werden sich sicherer auch an diesen Film erinnern und dieser Film, obwohl es DDR- Unterhaltungskino war, hatte unter der Hand durchaus Kritik transportiert. Nämlich, diese gewitzte Gemeindeschwester legt sich dann auch mit den dörflichen Honoratioren, mit dem Bürgermeister an und regelt Dinge auf ihre Weise.
Das ist ganz interessant, denn eigentlich waren die Gemeindeschwestern eher für das medizinische und nicht für das gesellschaftliche zuständig. Aber man sieht, wenn Menschen nicht nur in der Praxis hinter einem Schreibtisch oder mit einem weißen Kittel präsent sind, sondern auf so einer Schwalbe dann von Dorf zu Dorf oder von Kleinstadt zu Kleinstadt gefahren sind, gibt es natürlich dann auch diese menschlichen Kontakte. Und ich glaube, viele die uns zuhören, die die DDR noch bewusst erlebt haben, werden ihre ganz eigenen Erfahrungen haben an diese Gemeindeschwestern und das ist ja auch – um es nochmal zu wiederholen - auch so ein bisschen die Absicht unserer Podcastreihe, den Zuhörenden die Möglichkeit zu geben, ihre eigenen Erinnerungen zu aktivieren.
Wir sagen etwas. Wir sitzen nicht auf irgendeinem Richterstuhl. Das ist nicht Ex Cathedra, sondern wir versuchen Erinnerungen anzutippen. Aber im Laufe des Gesprächs werden wir natürlich auch auf die politischen-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eingehen. Es sind jetzt nicht nur die Anekdoten, die wir uns gegenseitig als Bälle zuwerfen.
Eva-Maria Zehrer
Nein. Aber zumindest bestätige ich aus meiner Wahrnehmung, dass mit dem Moped, mit der Schwalbe. Die Gemeindeschwester, die ich erlebt habe, über viele Jahre hinweg, war eine Diakonisse.
Leider eine aussterbende, schon fast ausgestorbene Spezies. Und die ist mit so einem Moped durch die Gegend gefahren. Flott, das war eine beherzte Frau und die hat dann auch die Dinge gemacht, für die man nicht unbedingt einen Arzt brauchte. Und die war dann oft der Ansprechpartner für alte Leute, die gar nicht mehr zum Arzt gehen konnten. Aber das hat ja ganz moderne Anklänge. Also nicht die Schwalbe, nicht das Moped-Schwalbe, sondern das Modell.
Marko Martin
Das Modell hat ganz moderne Anklänge. Natürlich auch dem Ärztemangel geschuldet, der noch stärker wird. Also man geht davon aus, dass bis zum Jahr 2030 10.000 Arztpraxen geschlossen werden. Das heißt, die Hausärzte, auch Landärzte, gehen in Ruhestand und die Praxen schließen, weil sie einfach keinen Ersatz finden. Das ist der Stand jetzt. Wenn es jetzt keine Fachkräftezuwanderung gibt, wird es so sein. Und natürlich, die Lebenserwartung steigt und es sind mehr und mehr ältere Menschen, besonders im ländlichen Raum, die dann keine ärztlichen Bezugspersonen mehr haben. Und deshalb gibt es in verschiedenen Bundesländern eine, ich würde sagen, Schwester Agnes 2.0.
Eher als Pilotprojekt, noch nicht institutionell in die Breite finanziert. Das nennt sich jetzt ärztliche Praxisassistenz. Diese Leute sollen natürlich mobil sein und im Unterschied zu den DDR- Gemeindeschwestern noch ein bisschen mehr Ausbildung haben. Und das ist jetzt angedacht. Aber es gibt schon in Thüringen und in Nordrhein-Westfalen seit 2006 diese Projekte.
Und ich glaube, das wird in den nächsten Jahren noch viel mehr in das Bewusstsein rücken, was man da machen kann. Ganz zu schweigen von Polikliniken, auf die wir auch nochmal zu sprechen kommen.
Eva-Maria Zehrer
Das ist auch so ein Modell, das jetzt nach einiger Zeit der Pause übernommen worden ist und dass man jetzt wieder in der Gegenwart aus dem Boden wachsen sieht und das schon deutliche Vorteile hat.
Aber man muss auch wirklich sehen, dass Entwicklungslinien nicht geradlinig gehen. Das Erfahrungen wieder angeeignet werden müssen. Dass es auch eine ganze Reihe von Menschen gab, die nach den Polikliniken, oder nach den Erlebnissen mit Polikliniken der DDR, auch erstmal froh waren, dass es das so nicht mehr gab. Das sie auf eine andere Art und Weise mit Ärzten in Berührung kamen. Freie Arztwahl hatten statt dem Verordneten.
Als ich Schülerin war in der DDR, da wurden zum Beispiel in der Schule Impfungen nicht angeboten, sondern die wurden einfach durchgeführt. Da wurde man informiert, dass gegen die Kinderkrankheiten geimpft wird. Dann mussten die Eltern den Impfausweis mitgeben. Und dann hat man sich da in Reihe und Glied aufgestellt und wurde durchgeimpft. Und da mein Name mit Z beginnt, war ich fast immer die Letzte in der Reihe. Darüber war ich ganz froh, bis mal jemand die Reihenfolge umgedreht und mit Z begonnen hat. Allerdings hatte ich es da schnell hinter mir. Gab es das bei Ihnen auch noch, Herr Martin? Haben Sie es selber erlebt?
Marko Martin
Ich habe es selbst erlebt und habe seit über 40 Jahren nicht mehr dran gedacht. Und das ist ja das Schöne an der Reihe. Man erinnert sich dann. Und ich erinnere mich auch, dass da die Schmerzen im Oberarm natürlich dann noch bisschen übertrieben wurden. Um zu sagen, heute können wir nicht zum Sportunterricht gehen. Das klappte auch meistens.
Aber ich möchte ganz kurz noch mal, weil Sie es erwähnt haben, auf die Polikliniken zurückgehen. Vieles an Entwicklungsmodellen ist ja 1989, 1990 sehr voreilig abgeschafft worden. Auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch die Genese des Ganzen sehen. Polikliniken waren ja nicht einfach nur das Bindeglied zwischen dem Hausarzt und dem Klinikaufenthalt. Sie haben in der DDR auch der ideologischen Agenda gehorcht. Wir dürfen nicht vergessen, dass bis zum Mauerbau 1961 4.000 Ärzte aus der DDR geflohen sind. Diejenigen, die blieben, hatten einen wahnsinnigen Druck. Die DDR wollte die Zahl privat niedergelassener Ärzte limitieren. Deshalb hat man mit mehr oder minder sanften Druck diese Ärzte in die Polikliniken verbracht.
Eine Ausnahme bildeten die Zahnärzte, zu denen konnte man noch gehen. In der Wirkung hatte das zum großen Teil positive Effekte. Wenn die Leute etwas hatten oder vielleicht auch mehrere Sachen hatten, gleich alles an einem Ort vorfanden. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass der ideologische Hintergrund natürlich auch darauf hinlief, eine Kontrolle zu haben und den Privatsektor so gering wie möglich zu halten. Das spielte auch eine Rolle. Und Sie hatten es ja erwähnt, dass viele, die mit Polikliniken vielleicht nicht die guten Erfahrungen gemacht haben, dann eigentlich froh waren, dass sie freie Arztwahl hatten.
Wir versuchen ja in unserem Gespräch die Komplexitäten anzureißen und es nicht ideologisch werden zu lassen. Weder in der Geste der absoluten Verwerfung, noch in diesem auftrumpfenden „Ja, hätten sie mal“ zu verharren, sondern auch die Ambivalenzen mitzudenken.
Und dass man heute unideologisch da herangeht und schaut, was kann man - vielleicht nicht übernehmen, dafür ist es zu spät - aber wiederentdecken. Das finde ich ganz gut. Also alles, was menschenfreundlich und unideologisch ist, kommt natürlich dem Einzelnen der Gesellschaft zugute.
Eva-Maria Zehrer
Aber dieses Hineinbringen von Ärzten in den Bereich der Polyklinik oder Zusammenfassung der Ärzte aus den Privaten heraus lief wahrscheinlich gleichzeitig ab mit dem Bestreben, das private oder abzuschaffen. Vermute ich mal. Es müsste ungefähr auch dieselbe Zeit gewesen sein, als privates Handwerk, private Geschäfte und so weiter abgeschaffen wurden. Wer hatte damals noch privat ein Geschäft? Das gab es schon noch, aber das wurde nicht gern gesehen. Gut, Handwerker waren noch eine Sondernummer. Aber am liebsten hätte man doch alles in irgendwelche Großbetriebe gebracht.
Marko Martin
Genau, diese PGHs. Das war 1972, wo man die verbliebenen Kleinbetriebe verstaatlicht hat.
Viele von denen, die zuhören, werden sich noch erinnern, dass man versucht hat, bei diesen PGHs Parteigenossen hinzusetzen, die es dann nicht gebracht haben.
Also hat man die ehemaligen Besitzer gefragt, ob sie (etwas abgestuft) ihre Position weiter inne haben wöllten. Das war dieses staatliche Programm, so viel wie möglich unter staatlicher Kontrolle zu haben und eine Mittelklasse, wenn es sie überhaupt noch gab, zu zerstören.
Das war auch Teil dieser staatlichen Ideologie, ganz eindeutig.
Eva-Maria Zehrer
Es ist schon absurd. Berufe wie Ärzte und so weiter wurden ja dringend gebraucht. Und dann sind die Kinder von diesen Menschen oftmals nicht zur erweiterten Oberschule zugelassen worden, weil sie zur Gruppe der Intelligenzler gehören und nicht zu der der Arbeiter. Also die passten dann so nicht mehr rein. Schon ein bisschen absurd in sich, oder?
Marko Martin
Wobei man bei Ärzten viel strenger war. Wenn die Eltern Lehrer waren, spielte das keine Rolle. Bei Ärzten sagte man plötzlich, das ist ja schon zu entfernt von der Arbeiterklasse und wir brauchen ja auch mehr Arbeiter. Aber wenn es dann wirklich staatsnahe Berufe waren, die die Eltern hatten, war das für die Kinder nicht nur kein Hindernis, sondern sogar eine Karriere-Steilvorlage.
Eva-Maria Zehrer
Ich erinnere mich, dass viele junge Leute, die kurz vorm Abitur noch nicht so richtig wussten, was sie studieren wollten, dass sie dann in die Richtung Pädagogik regelrecht gedrängt werden sollten. Das passt wahrscheinlich auch in diese Linie mit rein.
Marko Martin
Es passt in diese Linie mit rein und natürlich auch das hoch ambivalente Verhältnis in der DDR und im DDR-Gesundheitswesen zur Psychologie. Psychologie als die vielleicht individualistischste Art, sich dem Menschen zu nähern. Sich dem Einzelnen zu nähern. Das stand natürlich im Widerspruch zu einer DDR-Konzeption, wo das Kollektiv, die Gemeinschaft, die Klasse eine Rolle spielte. Und Zeit ihres Bestehens hat die DDR mit der Psychologie gefremdelt. Ich habe mit Ärzten gesprochen, die das studiert haben und die sagten mir, dass ML, also Marxismus-Leninismus, eine ganz große Rolle gespielt hat.
Natürlich dann auch dieser utilitaristische Zugang, dass man sagt, man muss die Leute fit machen, damit sie wieder funktionieren.
Und die perverseste Form dessen war natürlich das, was die Staatssicherheit operative Psychologie genannt hat. In der Stasi-Hochschule in Potsdam-Golm wurden Stasimitarbeiter ausgebildet, Psychologie zu pervertieren im Sinne der Zersetzung. Und viele von diesen Zersetzern waren vorher angeblich normale Psychologie-Studenten. Das sagten mir Ärzte, die damals studiert haben. Sie hatten das Gefühl, dass ein gewisser Teil der Studentenschaft, auch zum Beispiel in der Universität Jena, die Psychologie studierten, das in einem anderen Auftrag getan haben.
Man merkte das daran, wie sie sich verhielten und sich auch abseits hielten von ihren anderen Kommilitonen. Die Mitstudenten wussten das natürlich nicht, sie konnten es ahnen. Aber natürlich wusste die Lehrerschaft und die Professorenschaft sehr wohl, von welcher Institution, also von der Stasi Hochschule, diese jungen Leute abgeordnet wurden. Und was sie dann gemacht haben, hat mein Kollegenfreund Jürgen Fuchs in seinen Büchern beschrieben. Nämlich die Pervertierung der Psychologie, um zwischen Führungsoffizier und dem inoffiziellen Mitarbeiter ein Abhängigkeitsverhältnis zu schaffen. Dann gab es Lehrbücher von A wie Anwerbung bis Z wie Zersetzung, wo eine dieser Aufgaben war, ein ehrliches Vertrauensverhältnis ist zu konstruieren.
Man muss sich das mal vorstellen, wie dann diese Psychologie einfach ins Gegenteil verkehrt wurde. Dazu gibt es Studien. Aber Menschen, die Opfer dieser Zersetzung geworden sind, ohne dass sie ins Gefängnis gekommen sind, können das natürlich nicht beweisen. Das heißt, sie sind gegenüber den Gefängnisopfern schlechter gestellt. Vor allem, wenn dann Akten vernichtet wurden.
Die Stasi hat in der seelischen Zerstörung von Menschen, die vielleicht vorher schon fragil und besonders sensibel waren, ganze Arbeit geleistet. Und diese seelisch zerstörten Menschen hatten dann nach 1990 viel schlechtere Startchancen, weil man sie schon vorher fertig gemacht hat.
Und man muss sich das vorstellen, sie wurden fertig gemacht, ohne dass sie irgendetwas schwarz auf weiß belegen konnten. Das gehört auch dazu.
Eva-Maria Zehrer
Ja, auf jeden Fall. Also in meinem Büro steht vielleicht ein knapper Meter an Heften aus der BSTU, also der Stasi-Unterlagenbehörde. Und da sind Titel von Diplomarbeiten und Promotionen von der Stasihochschule verzeichnet. Also immer nur die Titel und so ein ganz kleiner Aufriss, ca. drei, vier Zentimeter. Und seitenweise Titel, wie zersetz ich eine Person, so aus diesem Spektrum. Da wurden ganz viele Arbeiten und Themen vergeben und da wurde reflektiert und da wurden Anweisungen gegeben. Also Katastrophe eigentlich. Viele haben es eben nicht gewusst, was ihnen geschah. Die wurden vom Führungsoffizier geführt oder die waren nicht mal Stasi-Mitarbeiter, sondern die wurden auf irgendeine andere Weise kontaktiert und mit solchen Geschichten konfrontiert. Da wurden auch Liebesbeziehungen angefangen, wo Vertrauen konstruiert wurde.
Das schließt einander ja schon aus, die beiden Worte. Und wo der Betroffene und die Betroffene gar nicht wusste, was da passiert oder worum das passiert. Teilweise bis heute nie erfahren hat. Aber wir wissen es ja aus den Stasiakten.
Ich würde auf zwei Personen nochmal zurückkommen wollen. Einen haben Sie genannt, Jürgen Fuchs, der ja auch Psychologie studiert hat, der Psychologe war. Und der andere, da gehe ich einen Schritt weiter zum Thema Psychiatrie, Jürgen Hultenreich. Können Sie zu den Zweien noch ein paar Worte sagen?
Marko Martin
Ja, es gibt dieses wunderbare, leider gar nicht so wahrgenommene Buch von Jürgen Hultenreich, „Die Schillergruft“, wo er sich damit beschäftigt in literarischer Form. Und von Jürgen Fuchs gibt es die Vernehmungsprotokolle, wo er beschreibt, wie seine psychologisch studierten Vernehmer mit ihm umgehen. Und weil er selbst Psychologie studiert hat und vor Abschluss exmatrikuliert wurde. Als Freund von Wolf Biermann, als junger Oppositioneller wurde er 1975 von der Universität in Jena exmatrikuliert. Er wusste dann in Stasihaft 1976/1977 genau, wie diese Vernehmer Psychologie verwenden und umdrehen. Er hatte da „Glück“, weil er vom Fach war.
Aber stellen Sie sich vor, ein junger Mensch, der dann gegenüber diesem Vernehmer sitzt und diese ganzen Tricks nicht durchschaut. Der ist natürlich da noch viel hilfloser. Jürgen Fuchs hat das analysiert und hat sich dann, um sein Gedächtnis zu trainieren, darauf verlegt, in der Zelle mit seinem Zeigefinger die Passagen, die er irgendwann später aufschreiben will, mit dem Zeigefinger auf den Tisch bzw. an die Wand zu markieren. Und als er dann ausgebürgert wurde nach Westberlin, hat er das sofort niedergeschrieben. Als er dann nach 1992 Akteneinsicht hatte, konnte er sehen, dass sein Gedächtnis damals funktioniert hat. Die Fragen und seine Antworten finden sich eins zu eins in den Akten wieder.
Und da muss man sagen, er hatte Glück, weil er fachlich versiert war. Für andere Menschen brach das über sie hinein, so dass sie das, wenn sie noch am Leben sind, bis heute kaum richtig strukturieren können. Es ist sozusagen oftmals ein einziger Brei. Und das macht es dann ungeheuer schwierig für Menschen, die vielleicht eine andere Sozialisation hatten oder die jünger sind, diese Menschen wirklich zu verstehen. Aus diesem Grund die Bücher von Jürgen Fuchs.
Eines der wichtigen Nachwendeveröffentlichungen von ihm ist „... und wann kommt der Hammer?“. Über Literatur, über Staatssicherheit und Psychologie. Wo er in seiner sehr konkreten, nie ins Fachchinesische abdriftenden Sprache, in seiner Sprachkritik, in seiner Habitus-Kritik nochmal genau darauf eingeht, wie infam es war und auch wie geschickt diese Leute vorgegangen sind, um menschliche Seelen zu zerstören.
Eva-Maria Zehrer
Herr Martin, wenn Sie das so sagen, ich sehe das bildhaft vor mir. Der hatte ja keinen Stift, der hatte keinen Stift verwendet, sondern der hat wirklich mit dem nackten Finger für sein Gedächtnis geschrieben. Das ist so ein richtiges Menetekel. Eine Schrift, die nicht zu sehen war, aber dann für ihn oder dann auch für die Nachwelt plötzlich erschien. Wie die Schrift, die der König Belsazar an der Wand gelesen hat und dann auch noch gewogen und zu leicht befunden. Das passt doch.
Marko Martin
Ja, das ist eine passende Assoziation, die mir jetzt gar nicht gekommen ist. Aber natürlich, das ist die Zeugenschaft. Die Zeugenschaft von Menschen, die ihre Fähigkeit des Beobachtens, des Niederschreibens dann, ich würde fast schon sagen, vielleicht ein bisschen pathetisch, aber doch zutreffend, in den Dienst vieler Menschen stellen, die gerade dieses Zuspruchs bedürftig sind.
Eva-Maria Zehrer
Ja. Und vielleicht noch ein Wort zu Jürgen Hultenreich.
Marko Martin
Viele Menschen in der DDR glauben ja, dass die Opfer sozusagen ein homogenes Kollektiv sind. Aber Menschen ticken natürlich ganz anders. Und das ist das Schöne, dass die Staatssicherheit dann doch die Leute, die sie gefangengesetzt hat, nicht zu einer gesichtslosen Masse verschmelzen konnte.
Bei Jürgen Hultenreich, und die Leser der Schillergruft werden das entdecken, ist natürlich noch mal eine andere Gestimmtheit als bei Jürgen Fuchs da. Es ist das Lapidare, der trockene Humor, der Sinn für Absurdes. Und aus diesem Grund ist es vielleicht auch ganz interessant, diese Schillergruft zu lesen. Diese Erfahrungen in einer nochmal radikalisierten, in sich geschrumpften DDR wahrzunehmen und das vielleicht in Zusammenhang mit Alexander Solschenizyn´s Krebsstation. Wo er beschreibt, dass die Krebsstation in einer sowjetischen Klinik, wie in einer Nussschale, die ganzen Verhärtungen, Neurosen, dann auch gezüchteten Neurosen und Machttechniken einer spät totalitären Gesellschaft zeigt. Und bei allen drei Autoren, Alexander Solschenizyn, Jürgen Hultenreich und Jürgen Fuchs, ist natürlich die literarische Kraft ganz, ganz stark. Und wir sind jetzt wieder vom Alltag kommend bei der Literatur gelandet.
Aber, um es am Abschluss nicht ganz so dunkel werden zu lassen, würde ich nochmal an zwei Serien erinnern, die es im DDR-Fernsehen gegeben hat. Und ich meine, das gehörte ja alles dazu. Die Unterdrückung von Menschen, die offensichtliche oder die subtile, und der Alltag. Mitunter hat es sich dann eben auch verschränkt. Ich denke zum Beispiel an diese lustige Serie „Zahn um Zahn“. Eine Zahnarztpraxis, Alfred Struwe spielte den cholerischen Zahnarzt und Helga Piur spielte seine Zahnarzthelferin, genannt „Häppchen“. Und sie war die Gewitzte. Und das war eine fast schon Screwball-artige Ping-Pong-Technik zwischen den beiden. Das war eine sehr beliebte Serie in der DDR. Und als Helga Piur viele Jahre später zu ihrem 80. Geburtstag gefragt wurde, ob sie in der ARD-Krankenhausserie „In aller Freundschaft“ mitspielen will, hat sie natürlich dankbar zugesagt. Als sie dann gehört hat, dass sie in dieser Serie nur einen sekundenlangen Auftritt als Blumenverkäuferin haben sollte und nur ein paar Sätze sagen, hat sie sozusagen salopp gesagt den Mittelfinger gestreckt und gesagt, „Nein, ich möchte das doch nicht.“ Das ist eine schöne Geschichte. Hätte Helga Piur 1976 bei den Geforderten Anti-Biermann-Statements der DDR-Künstler auch gesagt: „Ich möchte das nicht“, wär's vielleicht noch ein bisschen schöner gewesen. Aber Menschen sind ja auch nicht im Dauerheldinnen-Modus. Aus diesem Grund, wenn wir begonnen haben mit der DVD von Schwester Agnes, würde ich auch noch mal auf die - ebenfalls als DVD erhältliche - Serie „Zahn um Zahn“ verweisen. Man lacht da nicht unter Niveau, auf keinen Fall.
Aber, da sie mich gerade beim Fernsehgucken erwischen, würde ich gerne noch an etwas erinnern, was wirklich richtig toll war, und zwar die tschechische Serie „Das Krankenhaus am Rande der Stadt“.
Und wir hatten ja bei der letzten Folge darüber gesprochen, dass es immer etwas merkwürdig ist, wenn man sagt, das ist das des Ostens. Liselotte Welskopf-Henrich ist der Karl May des Ostens. Und beim Krankenhaus am Rande der Stadt könnte man sagen, das war die Schwarzwaldklinik des Ostens. War es eben nicht. Denn die Schwarzwaldklinik, bei aller perfekten Gemachtheit, war natürlich schon etwas Kitsch. Das Krankenhaus am Rande der Stadt, diese tschechische Serie, zeigte viel realistischer die Situation zwischen Patienten und der Ärzteschaft. Die Verwerfungen, inklusive der emotionalen und erotischen Komplikationen, zwischen Ärzten, Krankenschwestern etc. Und das interessante daran ist, dass diese Drehbuchautoren und die Regisseure des Krankenhauses am Rande der Stadt, das waren Leute, die nach 1968, nach dem sowjetischen Einmarsch in Prag, nicht mehr politisch etwas machen konnten.
Also haben sie sich auf das sogenannte private zurückgezogen. Aber dort, in diesem privaten, keinen Kitsch produziert. Sie hatten ein ganz feines Gespür, wie Machttechniken ablaufen, ohne dass man eine Partei nennt oder einen Geheimdienst thematisiert. Sie haben in diesen Szenen dann wirklich sinnlich erfahrbar gemacht, was passiert, wenn Menschen zu einander kommen. Dieses ganze Konglomerat als Anziehung und Abstoßung. Und das Schöne ist, das Krankenhaus am Rande der Stadt ist auch noch heute auf DVD zu sehen. Das hört sich fast an, als wären wir hier am Werbeblock für DVD-Produzenten. Aber dem ist nicht so.
Eva-Maria Zehrer
Naja, Podcasts sind ja heute auch ganz stark nachgefragt. Oder Serien, die werden noch nachgehört, nachgeguckt. Und es wäre auch eine Frage, warum damals, und auch in der Gegenwart, gerade Arzt-Serien so punkten können beim Publikum. Aber Sie haben zum Schluss gesagt: Immer da, wo Menschen zu einander kommen, wird es interessant. Damals wie heute. Weil man da Gestaltungsspielraum hat. Der war damals unter Umständen eingeengt durch Dinge, die heute so nicht sind. Heute ist es durch andere Dinge eingeengt. Aber wirklich immer da, wo Menschen einander begegnen, wird´s spannend. Und da sind ganz viele Chancen drin und auch ganz viele Herausforderungen da. Das war unsere dritte Podcast-Folge.
Wir danken allen Zuhörerinnen und Zuhörern, freuen uns aufs nächste und ich danke ganz besonders Herrn Martin. Bis zum nächsten Mal.
Marko Martin
Ich bedanke mich bei Ihnen. Bis zum nächsten Mal.

Folge 4: Starke Ostfrauen - Realität jenseits des Klischees
In dieser Podcast-Folge wird die Rolle und Realität vonFrauen in der DDR thematisiert. Es wird diskutiert, wie Frauen in der DDR arbeiteten, ihre Doppelbelastung durch Beruf und Haushalt erlebten und welche gesellschaftlichen Zwänge sie erdulden mussten. Die Resilienz der Ostfrauen wird hervorgehoben, ebenso wie ihre kulturelle Repräsentation in Literatur und Film. Abschließend wird die Bedeutung von individuellen Erinnerungen und Erzählungen betont.
Eva-Maria Zehrer
Bei Marko Martin einmal klingeln – Geräusch - das ist es nicht. Das erkläre ich gleich, was das hier für ein Geräusch ist. Herzlich willkommen zu unserer vierten Podcastfolge. Schön, dass Sie uns wieder zuhören. Ich begrüße ganz herzlich Marko Martin, mit dem ich heute wieder im Gespräch sein darf, über Dinge, die wir im Osten erlebt haben und von denen aus wir Verbindungen in die Gegenwart knüpfen wollen. Und zwar auf eine kurzweilige und gut gelaunte Art und Weise.
Marko Martin
Ja, Hallo.
Eva-Maria Zehrer
Dieses Klingeln oder Klappern, das nicht die Glocke bei Marko Martin ist, das rührt von einem Schlüsselbund her. Ich steck den jetzt mal wieder weg, damit es kein so lautes Klappern ist. Ich habe heute einen Schlüssel mitgebracht. Und das ist kein Sicherheitsschlüssel, sondern das ist noch so ein altes Teil mit einem langen Stiel. Und der sieht auch ein bisschen verrostet aus.
Und ich habe mir vorhin mal überlegt, welche Begriffe es gibt, die man mit dem Wort Schlüssel zusammensetzen kann. Also zum Beispiel Schlüsselbund, habe ich jetzt gerade schon gesagt. Oder Himmelsschlüssel, Himmelschlüsselchen, das sind ja Blumen. Passt für dieses Teil als Assoziation eigentlich überhaupt nicht, da ist das viel zu schwer und zu groß. Oder auch Schlüsselkind.
Marko Martin
Schlüsselkind. Wäre unsere kleine Reihe ein Quiz, würden viele von denen, die zuhören, sofort gerufen haben, Schlüsselkind, Schlüsselkinder. Das war in der DDR ganz gang und gäbe für diejenigen Kinder, deren Eltern auf Arbeit waren und die dann nach Hause kamen, während die Eltern noch weiter auf Arbeit waren und dann mit diesem Schlüssel ihre Wohnungstür aufgeschlossen haben.
Eva-Maria Zehrer
Und was verbirgt sich hinter diesem Schlüsselkind? Also wenn ich es höre, ich selber war keins, wenn und zwar mit dem Abstand von einigen Jahrzehnten höre, könnte ich fast ein bisschen traurig werden, weil das klingt so einsam.
Marko Martin
Ja, es klingt ein bisschen einsam. Es klingt auch ein bisschen mechanisch. Der Grund dessen war, dass in der DDR fast alle Frauen berufstätig waren. Die DDR hatte eine Quote der Berufstätigkeit unter den Frauen, die Platz 1 in der Welt war. 92 % aller Frauen in der DDR arbeiteten und zwar nicht Teilzeit, sondern Vollzeit. Und hinzu kamen natürlich das der Arbeitsalltag der Frau, wenn man Arbeit in einem viel größeren umfänglichen Sinn definiert, nicht erst begonnen hat, wenn sie in die Fabrik gegangen ist, sondern vorher. Es ist oft so gewesen ist, dass sie fünf Uhr morgens aufstanden, dann ihre Kinder in die Kindergrippe beziehungsweise in den Kindergarten brachten. Dann zur Arbeit ging, bis ca. 16 Uhr. Dann die Kinder aus der Krippe oder aus dem Kindergarten holten. Und dann ging es ans Einkaufen. Das heißt, natürlich erst mal Schlange stehen und dann Einkaufen. Nach Hause gehen. Die Kinder vielleicht noch bei den Schularbeiten, bei den Hausaufgaben betreuen. Abendessen machen. Die Wäsche machen. Dann noch abräumen und dann irgendwann ins Bett sinken.
Und viele von den Frauen, die in der DDR Vollzeit arbeiten waren, werden sich daran erinnern. Das heißt an das Janusgesicht. Auf der einen Seite eine Gleichberechtigung, auf der anderen Seite aber nicht nur die gleichen Pflichten, sondern doppelte Pflichten.
Wissenschaftlerinnen haben dann den Begriff der zweiten Schicht gefunden, um das rückblickend zu beschreiben. Und die zweite Schicht waren dann die ganzen Haushaltssachen, die Kindererziehung. Wo sich Männer, wie auch in der alten Bundesrepublik, größtenteils verabsentiert haben.
Eva-Maria Zehrer
Hör ich zwar heute auch öfter mal, wenn ich mit Frauen spreche. Die sagen dann, ich geh jetzt von der Arbeit nach Hause und dann kommt die zweite Schicht. Aber wir sprechen ja hier nicht von Alleinerziehenden, sondern wir sprechen von durchaus verheirateten Frauen, die auch Ehemänner zu Hause hatten. Ich sage jetzt bewusst, zu Hause hatten. Und auf denen dann doch oft die ganze Last blieb. Ganz anders, als es heute in vielen Fällen der Fall ist, oder?
Marko Martin
Ja, auf jeden Fall. Und das war natürlich auch vom Staat auf eine Weise gewollt, dass die Frauen arbeiteten. Es war einfach eine Notwendigkeit. Es gab in der DDR permanenten Fachkräftemangel.
Und zwar viel stärker als heute. Man darf nicht vergessen, all die Millionen, die bis zum Mauerfall aus der DDR weggegangen sind, geflohen sind. Das heißt, es gab einen ungeheuren Mangel an Arbeitskräften, weil natürlich auch der Partei und der Staatsapparat völlig aufgebläht war. Und es brauchte dann die Frauen, die Arbeiten übernommen haben.
Gabelstaplerfahrer in der Landwirtschaft. Wo man dann sagt, die Frauen stehen ihren Mann. Man fand das irgendwie witzig und man kann natürlich auch sagen, da sind Frauen in Männerdomänen vorgedrungen. Aber zum Teil wurden sie in diese Männerdomänen reingebracht, weil es nicht genug Männer für diese Arbeit gegeben hat. Im Schnitt haben sie trotzdem 30 % weniger verdient. Und wenn wir das jetzt noch mal rekapitulieren, ist das kein Blick zurück, der nur das Negative sehen will. Es ist aber auch kein Blick, der jetzt dieser Legende anheimfällt, dass die Frauen in der DDR in einem Gleichberechtigungsparadies gelebt hätten. Also, wir versuchen ja heute, in dieser Folge, und auch in den Folgen zuvor, die ganzen Ambivalenzen anzureißen.
Und jetzt nicht auf der Ebene von Thesen, sondern wirklich mit Rückblick auf das Alltagsleben, auf das ganz Konkrete. Und wenn ich mich erinnere an die Bekannten, auch Nachbarn, meiner Mutter, die Frauen sagten dann oft, mein Gott, wir sind völlig kaputt. Und wenn sie Westbesuch bekamen, sagten die immer, warum sind diese Westdeutschen immer so entspannt? Das sind doch auch keine Reichen. Der Besuch kommt doch auch nicht aus einer Villa, wenn sie uns besuchen. Warum sind wir immer nur irgendwie kaputt und verschwitzt? Und auf dem letzten Drücker dann noch dankbar, einen Friseurtermin bekommen zu haben, dass die Dauerwelle sitzt. Ich kann mich erinnern an eine Gleichberechtigung gegenüber den Männern, von denen man nicht finanziell abhängig war, aber man war abhängig von diesen staatlichen Strukturen. Und ich erinnere mich an offenherzige Klagen von den Frauen, aber auch sehr fundierte Fragen. Dass sie sagten, wir sind die ganze Zeit in einem verdammten Laufrad drin.
Eva-Maria Zehrer
Ja, das war die eine Seite, glaube ich. Die andere Seite, das zumindest habe ich auch erlebt, wenn man als Student oder Studentin sozialistische Hilfe praktizieren musste. Also, in Betriebe gehen musste in der Ferienzeit oder am Ende eines Semesters oder es gab auch festgelegte Zeiten, dann ist man oftmals irgendwo hingekommen. Ich erinnere mich jetzt an eine Getränkefabrik in Leipzig.
Und dann mussten wir als Studenten die Arbeit dort machen. Also, in dem konkreten Fall war das, ein Flaschenautomat lief durch mit Bierflaschen. Die waren übrigens zum Teil beschädigt und dann liefen die an einem vorbei und fielen natürlich um. Und wir mussten die umgefallenen Flaschen dann aufrichten, damit die besser ausgewaschen werden konnten. Also Bierflaschen. Nebenbei bemerkt, viele waren da kaputt oder doch eine deutliche Anzahl kaputt. Die wurden wiederverwendet oder aussortiert, im besten Fall aussortiert.
Man griff da ohne Handschuhe in diese Flaschen rein. Und ich weiß, da war ein Musiker, ein Violinist, der hatte nach wenigen Tagen ganz wunde Finger und wollte sich da wegmelden. Und das ging überhaupt nicht. Der hat gesagt, eine Katastrophe, ich kann doch nicht Geige spielen, was soll ich denn machen? Und ich sage das deswegen, weil die Angestellten, das waren fast nur Frauen, dann danebenstanden und zu uns gesagt haben, ihr nehmt uns die Arbeit weg. Wir stehen jetzt die ganze Zeit rum. Also das mal zum Sinn der sozialistischen Hilfe, also mein Erlebnis.
Aber zurück zur Beschäftigung der Frauen, zur Vollbeschäftigung. Man muss wiederum auch sagen, so wie wir alle in Ostdeutschland oft improvisieren mussten und improvisiert haben und mit viel Erfolg, haben das die Frauen gelernt, gekonnt und dann auch mitgenommen. Bis in die Gegenwart mitgenommen. Das ist natürlich ein zweifelhaftes Vergnügen.
Marko Martin
Das ist hochinteressant. Weil soziologische Forschungen belegen, dass Frauen über die Verwerfungen nach 1989-90 besser hinweggekommen sind, als die Männer.
Die Männer haben dann nicht nur die Arbeit verloren, sondern auch den Status. Ob das jetzt ein imaginärer oder ein tatsächlicher Status war. Während bei Frauen, also sie hatten das angesprochen, die Notwendigkeit des Improvisierens natürlich zur zweiten Natur geworden ist. Und sie dann geschaut haben, wie sie sich fortbilden, wie sie lebenspraktische Dinge hinkriegen, so dass sie mit dieser neuen Herausforderung viel besser umgehen konnten. Sie mussten da nicht wachsen, sie waren ja schon wirklich starke Persönlichkeiten. Sie wurden dann wieder gefordert, wie sie schon in der DDR-Zeit gefordert wurden. Auf eine ganz andere Weise. Und wenn wir von starken Ostfrauen sprechen, ist das einfach kein Klischee, sondern es ist wirklich lebenswirklich beglaubigt.
Eva-Maria Zehrer
Ja, das würde ich auch so einschätzen. Nochmal zurück zu den Schlüsselkindern. Es gibt einen Film von Freya Klier, den hat sie benannt nach einem Kinderlied. Das damals virulent war, das viele auch heute bestimmt noch kennen, „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht“. Der Film heißt so, das Lied heißt so. Den Text bringe ich gar nicht mehr ganz genau zusammen. Wenn Mutti früh zur Arbeit geht, dann bleibe ich zu Haus. Dann kommt eine Zeile, die ich jetzt nicht weiß. Und der Schluss war dann, und kehr die Stube aus. Über das letzte habe ich oft nachgedacht, und nachgedacht, ob da überall Dielenfußboden war. Na, wahrscheinlich schon noch an vielen Stellen. Ich kannte das auch noch und dass da das fleißige Kind die Stube ausgefegt hat. Übrigens, alle Bilder die ich kenne, die das Lied begleiten, wenn es in Lesebüchern und sonst wo abgedruckt war, es sind alles Mädchenbilder. Alles Mädchenbilder. Ich habe da kein Jungenbild gesehen, wo einer mit dem Besen und der Hand die Stube ausgekehrt hätte. Aber für mich ist die Frage, stimmt das so? Dann bleibe ich zu Hause und kehre die Stube aus?
Marko Martin
Ja, irgendwann stimmt das nicht mehr. Und nicht aus dem Grund, weil es dann keine Dielen mehr waren, sondern die sogenannte Auslegeware, sondern weil die Kinder dann auch nicht mehr zu Hause geblieben sind. Weil sie alleine nicht zu Hause bleiben konnten oder weil Großeltern nicht da waren oder zu weit weg wohnten. Und die kamen dann in die Krippe bzw. in den Kindergarten. Dieses Lied stammt ja aus den 50er Jahren. Und im Laufe der Zeit hat sich natürlich etwas verändert. Man kann auch sagen eine Verstaatlichung der Kindheit, eine fortgesetzte Verstaatlichung der Kindheit durch die Krippe und durch den Kindergarten. Dann die Schule und danach den Hort. Und Freya Klier hat in diesem Dokumentarfilm, der 2017 herausgekommen ist, versucht verschiedene Lebensläufe von Frauen zu beschreiben. Und ich glaube, es ist ihr auch ganz hervorragend gelungen. Sie beginnt mit ihrer Mutter, die hier in Dresden in einem Betrieb als Packerin gearbeitet hat und sich dann qualifizieren konnte. Dann in ihrer Brigade aufgestiegen ist, ohne dass das mit irgendwelchen parteiideologischen Gründen zusammenhing. Und man zeigt, es gab diese Möglichkeit der Frauen aufzusteigen, viel stärker als in der Bundesrepublik in jenen Jahren. Aber natürlich auch in diesem staatlichen Rahmen, der gesetzt war.
Das heißt, eine Familie konnte es sich auch aus finanziellen Gründen nicht leisten, dass die Frau zu Hause blieb. Und bei allen Möglichkeiten, die es dann gab, mit Mutterschaftsurlaub oder Kündigungsschutz für die Frau nach der Geburt des Kindes und so weiter, war das dann schon sehr mechanisch und statisch. Und Freya Klier, zusammen mit ihrer Tochter Nadja Klier, die Fotografin ist, beschreibt verschiedene DDR-Erfahrungen über die Jahrzehnte hinweg. Es beginnt in den 50er Jahren und es geht dann bis in die 80er Jahre, wo Frauen versucht haben, zum Beispiel in der Szene des Prenzlauer Berges etwas Anderes zu probieren. Nämlich einen Kinderladen einzurichten. Das gab es ja im alternativen Milieu in der Bundesrepublik, bei den beginnenden Grünen, schon ab den 70er Jahren. In der DDR hat man das versucht.
Die Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe hat das zusammen mit ihrem damaligen Mann Gerd Poppe probiert. Einen Kinderladen, wo die Kinder, mit nicht irgendwelchen staatlichen Kindergärtnerinnen, sondern mit den Müttern aufwachsen konnten, die sich dann abgewechselt haben. Dieses Projekt wurde dann mithilfe der Stasi kaputt gemacht. Die Tür und die Fenster des Kinderladens wurden zugemauert. Was ja auch ein Symbol ist, wie die DDR mit alternativen Lebenswirklichkeiten umgegangen ist.
Das sollte man in Erinnerung behalten. Das bedeutet aber nicht, dass man die Gegenwart nur im hellen Licht sieht. Ich meine, es ist ja ein fortgesetzter Skandal, dass so ein reiches Land wie die Bundesrepublik, das heißt die seit 1990 dann auch erweiterte Bundesrepublik, es nicht hinkriegt genügend Kindergärtenplätze bereitzustellen. Und in der DDR gab es das. Aber man muss gleichzeitig sagen, wenn man dieses Positive anerkennt, um welchen Preis. Wie war das in den Kindergärten, dass bereits die Kinder lernten Friedenspanzer zu malen. Dass Soldaten in die Kindergärten kamen, um vom Friedensschutz zu sprechen. Ich meine, das ist keine nachgetragene Anti-DDR-Propaganda, sondern es waren die Fakten. Und Kinder, die aufgewachsen sind von der Krippe über den Kindergarten, Schule, Hort, Studium, die Jungen dann vielleicht noch Armee, bekamen immer zu hören: „Du zählst als Einzelner nur soweit, in wie du dich in das Kollektiv einfühlst oder einfügst.“ Es gab ja schon das Wort Kinderkollektiv und die Mütter wurden da auch mit eingespannt, dass sie ihre Kinder dazu konditioniert nicht aufzufallen. Das gehörte eben auch dazu. Dass die Frauen vor ihren Männern nicht diese Furcht oder Angst hatten, wie es sich in den Jahrhunderten leider entwickelt hatte, das war zum Glück nicht da.
Aber beide, sowohl Männer wie Frauen, waren verbunden in ihrer mehr oder minder eingestandenen Furcht oder zumindest Vermeidungsstrategien gegenüber der Macht. Wo man sagt, mit denen soll man es sich nicht verderben. Es ist ja dann auch kein Zufall, dass die DDR die mit höchste Scheidungsraten der Welt hatte. Forscherergebnisse differieren, aber man geht davon aus, dass ungefähr 38 % aller Ehen wieder geschieden wurden. Wo sich dann auch die Frage stellt, weshalb? Weil der Staat versucht hat, eben alles zu regeln.
Es gab diesen Ehekredit, der allerdings nur ausgezahlt wurde, wenn die beiden schon verheiratet waren. Eine Wohnungszuweisung bekam man auch erst, wenn beide verheiratet waren. Ohne, dass man erst mal ausprobiert, ob man überhaupt zusammenpasst. Diese ganzen Möglichkeiten Differenzen auszuhalten, Differenzen überhaupt zu entdecken, fielen weg. Das heißt, der Ehekredit war an die Ehe gebunden, die Wohnungszuweisung war an die Ehe gebunden. Und dann gab es dieses schreckliche Wort des Abkinderns. Abkindern bedeutete, der Ehekredit musste ab dem dritten Kind nicht zurückgezahlt werden. Das waren 7000 Mark, die ohnehin zinslos waren. Und dann auch die millionenfache Zahl von Abtreibungen. Da kann man heute sagen, das ist alles auch ein Zeichen der Selbstbestimmung der Frau. Partiell vielleicht, aber zu weiten Teilen in einem rigiden staatlichen Rahmen. Und das wussten damals auch alle. Das war präsent.
Aber je länger die DDR verschwunden ist, interessanterweise umso lichter, umso heller wird sie von manchen erinnert. Nicht von allen, aber von manchen. Es spielt vielleicht auch eine Rolle, dass man damals jünger war und sich damals im Vollbesitz aller physischen und mentalen Kräfte gesehen hat. Aber dieses im Nachhinein schönreden, wird den eigenen Erinnerungen gar nicht gerecht.
Eva-Maria Zehrer
Den eigenen Erinnerungen wohlgemerkt. Ja genau, man macht sich da durchs Vergessen oder durchs Verdrängen oder wodurch auch immer manchmal ein bisschen leicht. Aber wenn Erinnerungen so zurückkommen und auch mal ins Detail gehen, da merkt man dann doch, dass es vielleicht an manchen Stellen anders war, als man das so grob jetzt denkt oder gedacht hat. Mit 18 haben viele geheiratet oder mit 20. Und dann hatten die auch sehr zeitig die Kinder. Es gab sehr viele junge Großeltern. Die Leute waren 28, da waren die Kinder schon Heranwachsende. Und es war auch keine so große Schande, wie offenbar in Westdeutschland, wenn man noch nicht volljährig ein Kind geboren hat.
Marko Martin
Das war es nicht. Andererseits, als meine Mutter 1970 im Kreissaal lag, wurde sie beschrieben als Spätgebärende. Sie war damals 23. Das heißt, und das ist interessant, was Sie erwähnen. Dieses, wie man im Westen noch lange sagte, ein Kind auf der Wildbahn und so weiter, das spielte in der DDR keine Rolle.
Aber die Zwänge waren wieder anderer Art. Und ich glaube, das zu beschreiben, dass jede Gesellschaft ihre eigenen Formen hat Zwänge auszuüben, ist eine ganz gute Erkenntnis, die dann vielleicht in der Schlussfolgerung gipfelt: wenn alle Gesellschaften Zwänge auf verschiedene Weise in den Alltag reinbringen unterscheiden sich die Gesellschaften zwischen Diktatur und Demokratie dahin, dass man in der Demokratie diese Zwänge wenigstens formulieren kann. Und wenn man sie öffentlich formulieren kann, gibt es auch die Möglichkeit, den Zwängen den Totalcharakter ein bisschen wegzunehmen. Diese Geschichten, die wir jetzt angerissen haben, waren interessanterweise in guten DEFA-Filmen, in den DDR-Büchern. Die DDR-Literatur wäre natürlich nicht zu denken ohne die Schriftstellerinnen. Das war präsent.
Also man denkt an Filme wie „Solo Sonny“. Die sich wirklich emanzipiert hat, obwohl sie natürlich auch Glück hatte. Sie musste nicht früh morgens in einen Betrieb. Sondern sie war Tingeltangel-Sängerin, wie es damals hieß. Und hatte da so ein bisschen mehr einen Bohème-geprägten Freiraum.
Aber auch in den Büchern. Ich denke an „Franziska Linkerhand“ von Brigitte Reimann. Ich denke an „Christa T.“ von Christa Wolf. Vielleicht das beste und das ehrlichste Buch von Christa Wolf von 1968. Ich denke an die „Trobadora Beatriz“ von Irmtraud Morgner. Das waren spannende, ausdifferenzierte Frauengestalten. Wo die Nachkriegsliteratur der Bundesrepublik nicht mal ansatzweise sowas hatte.
Ich will jetzt nicht in die etwas bräsige Konklusion hereinkommen, dass man sagt, je schlimmer die Umstände, umso besser ist dann die Literatur. Zumindest in der künstlerischen Sublimation hat das was gebracht. Zu viele Menschen sind dafür auf der Strecke geblieben. Aber gleichzeitig war natürlich diese Art Literatur eben mehr als sogenannte Frauenliteratur. Sie hat am Beispiel von Frauen, von überforderten Frauen, aber auch von Frauen, die dann ihre Renitenz Kräfte entwickeln, ein gesellschaftliches Panorama geschaffen, was die DDR-Zensur einfach nicht händeln konnte. Diese Bücher gab es ja. Die Bücher waren natürlich die sogenannte Bückware. Die waren in den Buchhandlungen nicht immer so einfach erhältlich, aber sie wurden gedruckt.
Und natürlich sind viele von denen, nicht nur von den Frauen, sondern auch von Männern, Älteren und Jugendlichen, aufgewachsen mit den Büchern. Eben von Irmtraud Morgner, von Christa Wolf. Nicht zu vergessen all die Autorinnen, die es dann in der DDR nicht mehr ausgehalten haben und in die Bundesrepublik gegangen sind. Ich denke an Barbara Honigmann. Ich denke an Sarah Kirsch. Und von Sarah Kirsch gibt es diese wunderschöne Gedichtzeile, wo sie sich an Bettina von Arnim wendet. Und sie schreibt: „Bettina, wir sind immer einsam, wenn wir den Königen schreiben. Jenen des Herzens und denen des Staates.“ Schon in dem sie diese Einsamkeit beschreibt, überwindet sie die Einsamkeit. Und aus diesem Grund, wenn ich heute an diese Geschichten und an diese Lebensläufe denke, ist auch eine ungeheure Dankbarkeit gegenüber diesen Büchern, auch gegenüber diesen Filmen, mit denen man aufgewachsen ist und die heute alle noch eminent sehenswert und lesbar sind.
Eva-Maria Zehrer
Also da kommen mir zwei Gedanken. Das eine als Bemerkung. Sie können, wenn Sie möchten, gern was drauf sagen. Das ist mir vorhin gekommen, als Sie über Kindergarten, Kinderkrippe geredet haben. Da ist mir eingefallen, dass die kleinen Kinder beispielsweise ja oftmals zur gleichen Zeit alle nebeneinander aufs Töpfchen gesetzt wurden. Also, da wurde gleich gemacht. Jeder hatte den gleichen Ablauf. Da gab es individuell nicht so sehr viel. Das war gar nicht gewünscht, sondern jeder musste zu der vorgegebenen Zeit eben dasselbe machen. Also dieses kollektive - Kinderkollektiv.
Und das andere. Ganz weg von diesem Gegensatz individuell, kollektiv. Das Frauenbild, das zum einen in diesen Fernsehfilmen, in den Büchern beschreibend vermittelt worden ist, das ja auch abstrahiert und es ja auch gezeigt hat. Und das, was Frauen für sich selbst erlebt haben. Das natürlich immer individuell war, auch im Kollektiven drin. Weil jeder Mensch ist ja ein Individuum.
Das manchmal mit dem vermittelten Bild nicht zusammen ging, aber oftmals auch zusammenging. Und aus dem vielleicht auch manche Frau Kraft geschöpft hat. Das bewirkt bei mir die Frage, und die stelle ich als Frau jetzt Ihnen als Mann, wie haben Männer darauf reagiert? Hatten die durch das, was sie gehört oder mitbekommen haben, einen größeren Respekt der Frauenleistung gegenüber empfunden? Also im Alltag vielleicht nicht, sonst hätten sie mal mit zugegriffen. So mancher nicht, ich will es gar nicht über einen Kamm scheren. Aber vielleicht auch so gegen Ende der DDR oder hinterher, wo einem bewusstgeworden ist, was Frauen da geleistet haben. Hat das Respekt erweckt bei Männern?
Marko Martin
Ich kann natürlich jetzt nicht über alle Männer sprechen. Das ist immer das Problem des Generalisierens. Aber ich glaube, und das wäre vielleicht auch eine Einladung für die Zuhörenden, egal ob jetzt Männer oder Frauen, ich glaube, dass es eine Art Kameradschaftlichkeit gegeben hat, die über das traditionelle Männlein-Weiblein-Modell weit hinausgegangen ist. Ob diese Kameradschaftlichkeit nicht auch teilweise in der Zweckverbindung gewesen ist, um gegen die Zumutung, die von außen auf einen eingebrandet sind, gemeinsam zu stehen. Und die dann auch sich erschöpft hat nach 1989. Wo dann auch viele Ehen in die Brüche gingen. Das ist noch mal eine andere Frage. Aber ich glaube schon, dass es dieses „Wir stehen das gemeinsam durch“, dass das schon eine Rolle gespielt hat.
Ganz einfach, weil natürlich Ehepaare in der DDR, wenn sie dann auch etwas mehr wollten, als alles nur abzunicken, ganz anderen Herausforderungen sich entgegenstellen mussten als jetzt Ehepaare in der in alten Bundesrepublik. Und da glaube ich schon, dass es so eine Kameradschaftlichkeit gegeben hat.
Inwieweit das dann eine Notgemeinschaft gewesen ist. Das buchstabiert sich dann von Fall zu Fall anders. Aber in diesen Fällen greift dann wieder die Kunst, greift dann wieder die Literatur, individualisiert oder im Film. Und wir können jetzt - oder dürfen das auch nicht und sollten es auch nicht - keine Aussagen treffen, die jetzt irgendwie pauschalisieren. Aber so Tendenzen anzutippen oder als Frageform zu formulieren könnte vielleicht auch denjenigen so ein kleiner Erinnerungsangriff sein, die uns jetzt heute zuhören und fragen, wie war denn das damals? Oftmals sind ja die Fragen viel interessanter als die Antwortversuche, die wir zu geben versuchen.
Eva-Maria Zehrer
Es wäre schön, wenn es Studien gäbe - vielleicht gibt es sie schon, aber ich kenne die nicht - Befragungen von Frauen, die in Ostdeutschland gelebt haben. Gerne auch vergleichend mit solchen, die in Westdeutschland gelebt haben. Rückblickend auf ihr Leben, die Resilienz, also die Widerstandskraft, die sie im Laufe des Lebens bekommen haben oder sich genommen haben oder erlernt haben oder die ihnen zugewachsen ist. Und über die Art der Lebensgestaltung trotz innerer und äußerer Zwänge. In welchem gesellschaftlichen Kontext auch immer. Da wäre eine Vergleichbarkeit interessant, oder?
Marko Martin
Das wäre auf jeden Fall interessant. Vielleicht gibt es ja auch diese Studien, universitäre Studien. Aber ich muss es nochmal sagen, was dann in Erinnerung bleibt, sind dann doch die individuellen Geschichten in Form eines Songs. In Form eines Films. In Form einer Geschichte. Weil wir wissen, dass hinter jeder Statistik stecken Biografien, die über einen Fragebogen nie und nimmer ausreichend erzählt werden können.
Und deshalb, ich würde immer wieder sagen, diese Präferenz fürs Erzählen, das muss ja auch gar nicht das literarische, belletristische Erzählen sein. Das reicht ja, das Erzählen, das Besprechen am Küchentisch mit den Partnern, mit den Eltern, mit den Kindern. Und was da alles an spannenden, vielleicht auch schmerzhaften, aber natürlich auch lustbesetzten Dingen ans Tageslicht gefördert werden kann, ist enorm.
Eva-Maria Zehrer
Wir tun es hier. Wir reden miteinander und wir würden uns freuen, wenn unsere Zuhörerinnen und Zuhörer die Idee bekommen würden, oder den Anschluss bekommen würden, das miteinander auch zu tun. Vor allen Dingen, nachdem Sie jetzt vielleicht wieder ein paar Gedankenanstöße bekommen haben. Herzlichen Dank Ihnen fürs Zuhören und herzlichen Dank Ihnen, Herr Martin. Und ich freue mich auf die nächste Podcast-Folge.
Marko Martin
Mir geht es ebenso. Vielen Dank.

Folge 5: Radio Jerewan und Co.: Der Witz als Überlebensstrategie
In dieser Episode wird die Rolle von Humor und Witzen in der DDR untersucht. Die Gesprächspartner reflektieren über die verschiedenen Funktionen von Witzen in einer Diktatur, die Risiken des Witze-Erzählens und die Entwicklung des DDR-Humors bis in die Gegenwart. Es wird diskutiert, wie Humor als Widerstand gegen die Unterdrückung diente und welche Rolle Kabarett und Medien dabei spielten. Der Vergleich zwischen DDR-Humor und heutigem Witz zeigt, wie sich gesellschaftliche Normen und Freiheiten verändert haben.
Marko Martin
Die Verfassung eines Staates sollte so sein, dass sie die Verfassung des Bürgers nicht ruiniert.
Jingle
Marko Martin, einmal klingeln - wie es auch noch im Osten war und ist. Ein Podcast der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung – unverklärt, persönlich, facettenreich.
Eva-Maria Zehrer
Schön, dass Sie wieder dabei sind beim Podcast der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Bei Marko Martin, einmal klingeln. Wir wollen über Selbsterlebtes aus DDR-Zeiten reflektieren. An dieser Stelle habe ich immer gesagt, gut gelaunt. Inzwischen denke ich, die gute Laune bleibt nicht immer bei dem, was man da auf dem Herzen trägt. Aber wir wollen entspannt, zurückgelehnt und mit Niveau über das diskutieren, was sie erlebt haben. Und wir hoffen, dass Sie, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, auch ins Nachdenken kommen. Dass Sie Ihre Erfahrung mit unseren abgleichen. Und dass Sie sehen, was hat sich für Sie anders dargestellt oder was sehen Sie jetzt aus einer neuen Perspektive. Oder was können Sie von dem, was wir gesagt haben, mitnehmen. Oder was würden Sie wirklich ganz anders sehen?
Wir haben zwei Perspektiven, obwohl wir beide in der DDR aufgewachsen sind und gelebt haben. Aber jede Biografie ist anders. Wer uns schon mal gehört hat, der weiß, dass wir immer etwas mitbringen. Das heißt, Marko Martin bringt immer etwas mit. Er hatte heute auch was dabei, aber das ist nichts, was klingelt, nichts, was klopft, nichts, was runterfallen kann, nichts, was Lärm macht oder auch nichts, was man angreifen kann. Sondern heute ist es ein immaterielles Mitbringsel. Was haben Sie denn heute mit?
Marko Martin
Also, passend zum heutigen Thema Witze habe ich was Immaterielles mitgebracht und zwar einen Radio-Jerewan-Witz. Der geht so. Gibt es im Sozialismus Pressezensur? Die Antwort: Im Prinzip nein. Es ist uns aber leider nicht möglich auf diese Frage näher einzugehen.
Und Sie sehen, dass ich nach über 30 Jahren nach dem Ende des Realsozialismus darüber lachen muss und eben nicht nur schmunzeln. Und vielleicht werden wir dann in der Zeit, die wir heute mit dem Thema Witze verbringen, auch noch über den Unterschied zwischen Lachen, Schmunzeln und hellem Gelächter eingehen. Denn natürlich haben auch Witze ganz unterschiedliche Funktionen, aber natürlich auch ganz unterschiedliches Niveau.
Weil ich jetzt gerade Niveau gesagt habe, da meldet sich im Gedächtnis ein anderer Witz, wo gesagt würde, die DDR hat Weltniveau. Und das Echo sagte dann immer wo, wo, wo? Nicht ganz so gewitzt wie der erste Radio-Jerewan-Witz.
Eva-Maria Zehrer
Wir haben das Glück, dass Sie sich Witze gut merken können. Ich kann es überhaupt nicht. Ich habe schon so viele gehört, auch damals zu DDR Zeiten und natürlich auch hinterher. Aber ich kann es mir einfach nicht merken.
Es gibt eine Menge Witzsammlungen, und die habe ich auch gelesen. Aber das, was Sie so erzählt haben im Vorfeld, da war doch eine Menge dabei, das kannte ich noch nicht. Also entweder habe ich es wirklich schon wieder vergessen oder es war wirklich neu und unbekannt. Und Sie haben so Quellen, auch innere Quellen, aus denen Sie schöpfen können und Dinge, die Sie gehört haben und so behalten haben. Also wir werden heute einiges an Witzen hören und da freue ich mich natürlich auch schon drauf.
Marko Martin
Mit Sicherheit, ich würde sogar sagen mit Staatssicherheit.
Eva-Maria Zehrer
Witz in der DDR, das ist ja eigentlich ein Thema, das ganz viele Menschen interessiert. Aber warum? Warum ist ausgerechnet Witz in der DDR interessant?
Marko Martin
Weil natürlich eine Diktatur davon lebt, dass die Leute eingeschüchtert sind. Eine totalitäre Diktatur lebt davon, dass noch in jeder Ritze des Alltags Kontrolle herrscht bzw. vorgegeben wird, dass Kontrolle herrsche. Und da sind natürlich die Einflussschneisen für Witze viel größer als in einer offenen Gesellschaft, wo ohnehin über alles gestritten, gelästert, debattiert wird. Und je hermetischer eine Gesellschaft ist, umso drängender ist dann auch der Wunsch, dass, wenn man es schon nicht weglachen kann, zumindest hinweg darüber zu lachen oder darüber zu witzeln.
Das gab es schon im Dritten Reich und das gab es natürlich dann ab 1949 in der DDR. Wobei viele Witze aus den 50er Jahren geprägt sind von der ungeheuren Dominanz von Walter Ulbricht und seiner Frau Lotte.
Ich habe da einen Witz von meiner Mutter in Erfahrung gebracht und die hatte es wiederum von ihrer Mutter. Und der Witz geht so, Lotte und Ulbricht machen einen Spaziergang hinaus aufs freie Feld. Da sehen sie jemanden, der Pferdeäpfel aufsammelt und Walter Ulbricht fragt mit seiner Fistelstimme: „Nu, was machen Sie denn da?“ Und da sagt der Mann: „Ich sammle Pferdeäpfel auf.“ Und dann fragt Walter Ulbricht: „Nu, warum machen Sie das?“ Und da sagt der Mann: „Die Pferdeäpfel sind für die Erdbeeren.“ Und da sagt dann Walter Ulbricht im Weggehen zu seiner Frau Lotte: „Siehste, es muss nicht immer Sahne sein.“
Das heißt, das Rigide der DDR, wo ideologisches Schönfärben als Resultat der Mangelwirtschaft wahrgenommen wurde, war in den 50er Jahren auch immer Sujet von diesen Witzen. Wobei in den 50er Jahren diejenigen, die erwischt wurden - wo man sagt, was ist der erste Preis für einen Witz: Bautzen. Und dann ist es eben nicht mehr lustig.
Eva-Maria Zehrer
Ich weiß nicht, wie es Ihnen ergangen ist. Ich habe eine ganze Reihe Personen gekannt, die inhaftiert gewesen waren, weil sie Witze erzählt haben oder weil sie eine despektierliche, witzhafte Bemerkung gemacht haben. Ich kannte jemanden, der inhaftiert worden ist, weil er nach dem Tode Ulbrichts am Bockwurststand eine Bockwurst mit Trauerflor haben wollte. Der ist also auch nach Bautzen gewandert.
Also, wo hat man dann in der DDR Witze erzählt? Wer hat die erzählt? Hat sich jeder getraut?
Marko Martin
Es war natürlich im privaten Bereich und dann im semi-privaten Bereich, unter Arbeitskollegen, in der Kneipe. An einem Stand, wo dann Leute in der Warteschlange standen, da war das Risiko, dass es mitgehört wird von jemandem von der Stasi oder einem Zuträger der Stasi, noch viel größer als das im Familienbereich. Aber ich kann mich erinnern, das wurde auch in der Schule erzählt. Wobei man aber schon intuitiv guckte, wem kann man diese Witze erzählen und wem nicht. Obwohl, und das ist jetzt Stasi-Aktenkundig, es auch diese Agent-Provokateur gab, die die Aufgabe hatten mit Witzen durchs Land zu ziehen, um dann die Leute, die lachten oder daraufhin mit Witzen wiederum antworteten, einzuziehen und ins Gefängnis zu bringen, beziehungsweise zu beobachten.
Eva-Maria Zehrer
Die Genossen selber haben aber natürlich auch Witze erzählt, auch die hohen Genossen. Es ist davon auszugehen, dass innerhalb der Stasi natürlich auch Witze hin und her flogen. Mir hat jemand aus der Verwandtschaft erzählt, dass er mal Zug gefahren ist in einem Abteil, wo Herren mit Aktentaschen saßen. Die offenbar höhere Funktionsträger waren und gemeinsam nach Berlin gefahren sind. Und er saß irgendwie daneben und wurde auch für so jemanden gehalten. Und da flogen die Witze wirklich hin und her ohne Begrenzung. Also, ob das Leichtsinn war, Provokation oder Selbstverständlichkeit, ich weiß es nicht.
Marko Martin
Ja, davon habe ich auch gehört. Aber Studien belegen, dass diese Art Verfahren in anderen DDR-Ministerien oftmals stattfanden, weil Genossen beim Witze erzählen ertappt wurden. Die Studien sind wiederum Resultate von ausgewerteten DDR-Parteiverfahren wegen solchen Witzen - Aber im Ministerium für Staatssicherheit eher weniger. Weil dort war natürlich so ein Korpsgeist und auch keinerlei Ironie. Jeder Witz wäre da schon als ein Sägen am Fundament kriminalisiert worden. Und aus den Akten wird deutlich, dass diejenigen Funktionäre, die eine Abmahnung bekamen oder sich bei einer Parteiversammlung rechtfertigen mussten, eher in den Parteistrukturen bzw. in anderen Ministerien tätig waren. Aber jetzt nicht unbedingt im Ministerium für Staatssicherheit.
Eva-Maria Zehrer
Ich frage mich manchmal ernsthaft, ob es heute in solchen Diktaturen wie beispielsweise in Nordkorea, noch Menschen gibt, die es sich wagen, nicht nur sich Witze auszudenken, sondern die auch an den Mann oder an die Frau zu bringen. Das ist ja unter solchen Umständen - man hört da von Straflager und Erziehungslager so weiter - kaum vorstellbar. Das sind jetzt Mutmaßungen? Aber was denken Sie?
Marko Martin
Es ist kaum vorstellbar. Weil die Strafen sind natürlich von so einer Brutalität, dass sie sogar das DDR-Strafsystem aus den 50er Jahren noch in den Schatten stellen. Was man aus dem Internet weiß, dass es jetzt in China nicht Witze sind, sondern Symbole. Und wo der Staat oder die Partei, die den Staat ja im Knebelgriff hält, sofort reagiert hat. Zum Beispiel ist Pu der Bär, dieser unschuldige Teddybär, in China verboten. Weil er galt als eine Spottfigur um Präsident Xi zu ironisieren. Und das Verbot des Bären fordert wiederum Leute raus, die dann über Bären etwas schreiben oder mit chinesischen Schriftzeichen etwas Ähnliches darstellen. Bei uns wären es vielleicht der Bär oder die Waldbeeren, um mal so ein Äquivalent aufzuzeichnen. Solche Möglichkeiten gibt es, aber es ist natürlich etwas ungeheuer Trauriges. Es ist das Röcheln von Menschen, denen man eigentlich die Kehle zugeschnürt hat.
Eva-Maria Zehrer
Ja. Es gab ja in der DDR auch eine Zeitschrift die Witze veröffentlicht hat, der Eulenspiegel. Der hat es ja über den Zusammenbruch der DDR hinaus geschafft zu existieren. Haben Sie einen Einblick, wie das sich entwickelt hat? Ist der bissiger geworden? Ist der bissarmer geworden? Fanden Sie den überhaupt jemals bissig?
Marko Martin
Ja, er wurde dann 1989 bissig und vor allen Dingen gegen die Bürgerrechtler. Ich weiß jetzt nicht, in welcher Weise die, die Witze geschrieben haben, mit der SED oder mit der Staatssicherheit assoziiert waren. Keine Ahnung. Aber es war schon sehr auffällig, dass die Witze gegen die Bürgerrechtler gingen. Und eigentlich bis heute Figuren des öffentlichen Lebens, wie Gregor Gysi oder Sarah Wagenknecht, kommen da nicht als Zielscheibe von Witzen vor. Kann man sich fragen, weshalb das so ist. Und auch zu DDR-Zeiten fand ich die Eulenspiegel-Sachen eher bieder. Das war erlaubt. Und es wurde auch ganz offiziell vorgegeben, welche Art der Witze oder der Ironisierung oder Verspottung offiziell durchgewinkt wurden. Es gab diese Rede von dem Problem in einer entwickelten sozialistischen Gesellschaft, dass es immer noch fermente Rückstände bürgerlicher, d.h. kleinbürgerlicher, spießbürgerlicher Verhaltensformen gibt, wie Neid, Missgunst, Eifersucht, all diese Dinge. Und die sollten dann mit spitzer Feder aufgespießt werden. Das war im Grunde genommen ein Parteiauftrag. Und das hatte natürlich nichts mit einem frei vagabundierenden subversiven Witz zu tun, sondern es war schon eine Lektion aus der realsozialistischen Benimm-Dich-Schule.
Eva-Maria Zehrer
Kann man das dann noch als Witz verstehen? Oder anders gefragt, was macht denn die Kategorie Witz aus? Darf das was Erfundenes sein oder ist ein Spezifikum von Witz Spontanität? Oder muss ein Witz einen wahren Kern haben oder was selbst Erlebtes sein?
Disqualifiziert sich ein erfundener Witz? Ein schlechter Witz sowieso, aber disqualifiziert sich ein erfundener Witz? Oder misst man das Wort Witz am Ergebnis oder am Ziel?
Marko Martin
Der Witz vermischt natürlich immer die reale Ebene mit einer Ebene des Surrealen oder der Übertreibung. Es gibt zum Beispiel einen Witz aus den 80er Jahren.
Erich Honecker, Margaret Thatcher und Ronald Reagan reiten durch die Wüste. Man sieht es an den Figuren. Ja, gut, Honecker ist nicht nur in den 70er und 80er, sondern bis zuletzt geblieben, während die anderen wechselten. Man sieht es ist ein Witz aus dieser Zeit, hätte aber auch früher passieren können. Wie gesagt, die reiten durch die Wüste und sie werden von Räubern verfolgt. Reagan wirft etwas hinter sich, einen prallgefüllten Sack. Die Räuber halten kurz inne, machen den Sack auf und achten gar nicht drauf und verfolgen die weiter. Und in der Verfolgung wird Reagan gefragt, was war denn in dem Sack drin? Und er sagt: „Eine Million Dollar. Ich kann es mir auch nicht erklären, warum das nichts gebracht hat.“ Maggie Thatcher macht das Gleiche, das gleiche Resultat. Die Räuber halten kurz inne. Öffnen den Sack, schauen sich den Inhalt an, setzen die Verfolgung fort. Sie wird gefragt, was war denn drin? Und sie sagt: „10 Millionen Pfund. Ich kann es mir auch nicht erklären.“ Die Verfolgung nimmt ihren Lauf und dann greift Honecker in sein Jackett und hat einen Zettel und wirft den als Knäuel hinter sich. Die Räuber halten an, lesen den Zettel, erbleichen und machen sofort auf ihren Kamelen oder Pferden oder was auch immer, kehrt in die andere Richtung. Und dann fragen Ronald Reagan und Margaret Thatcher den Genossen Honecker, was stand denn auf dem Zettel? Und dann sagt der Honecker: „Na ganz einfach. Auf dem Zettel stand, wenn ihr uns noch fünf Minuten länger verfolgt, seid ihr in der DDR.“ Also, man hat die DDR-Enge, man hat die Wüste und man hat auch eine schöne Kritik an diesem vulgärmarxistischen Glaubenssatz, dass Geld die Welt regiert.
Man hat nämlich gesehen, die Räuber hatten sich von dem Geld überhaupt nicht abhalten lassen. Aber die Vorstellung, bald in der DDR zu sein, hat sie in Panik versetzt. Und dieses Changieren mit den Ebenen macht einen guten Witz aus. Der in den besten Fällen ins Philosophische geht. Ich habe hier ein paar Beispiele vom Radio Jerewan.
Da gibt es nämlich diese Frage: Ist es möglich, auch in einem hochindustrialisierten Land den Sozialismus einzuführen? Antwort: Im Prinzip ja, aber es wäre schade um die Industrie.
Ein weiterer. Kann man den Unterschied zwischen Demokratie und Volksdemokratie einfacher erklären? Im Prinzip ja, wie zwischen Jacke und Zwangsjacke.
Und einer meiner Liebsten ist, kann man den Sozialismus in einem Land einführen? Im Prinzip ja, aber man sollte dann in einem anderen Land leben.
Und das hatte natürlich einen feinen Humor. Der dann auch geprägt ist von dem aus der Verfolgung entstandenen Humor des osteuropäischen Städtls. Und deshalb ist auch kein Zufall, dass einer der bekanntesten und gleichzeitig profiliertesten Witzeerzähler, auch ein Aphoristiker war. Nämlich der polnische Schriftsteller Stanisław Jerzy Lec, von dem es sehr viele an Witze erinnernde Aphorismen gab.
Zum Beispiel diese:
Wer den Himmel auf Erden sucht, hat im Erdkundeunterricht geschlafen.
Die Verfassung eines Staates sollte so sein, dass sie die Verfassung des Bürgers nicht ruiniert.
Am Anfang war das Wort, am Ende die Phrase.
Je weicher die Wahrheit, desto steifer der Standpunkt.
Das geht jetzt schon über den narrativen Witz über eine Erzählsituation hinaus und macht, fast wie ein fein geschliffener Kristall oder ein Diamant, etwas deutlich, wo die ganzen ideologischen Lügen in einem Satz versammelt und ad absurdum geführt werden. Das ist natürlich eine große Kunst, die es in Polen gab.
In der DDR auf diese Weise nicht. Obwohl das, was in der DDR im Fernsehen als Witze vorgeführt und gezeigt wurde, dann durchaus ein dankbares Massenpublikum hatte. Weil man sagte, lieber solche etwas gezähmten Witze als gar nichts.
Eva-Maria Zehrer
Ich wollte auch gerade sagen, in der Öffentlichkeit braucht ja Witz auch einen Träger. Und wenn wir jetzt nicht davon ausgehen, dass alle Witze nur von Mund zu Mund übermittelt worden sind. Dann gab es ja, wie sie jetzt schon gesagt haben, Fernsehen, aber es gab natürlich auch Kabarett in der DDR. Zum Teil auch Fernsehübertragungen. Kabarett, ganz klar. Und gemäßigte Witze. Ich überlege gerade, ob solche Kabaretts wie Academixer, Pfeffermühle und so weiter, ob die auch mit gemäßigtem Witz agiert haben. Oder ob die wirklich eine, im wahrsten Sinne des Wortes, Narrenfreiheit hatten.
Marko Martin
Eine Narrenfreiheit hatten sie nicht. Aber sie hatten schon das Gespür, wie weit man zu weit gehen darf. Um dieses Wolf Biermann Wort wieder mal in Erinnerung zu rufen, wie weit man zu weit gehen kann. Und ein Kabarettist dieser Zeit, Peter Sodan, hat das in seinen Erinnerungen auch immer wieder thematisiert. Auf welchem schmalen Grad man da balancieren musste. Er selbst ist ja einer, der aufgrund eines Ulbricht-Witzes ins Gefängnis gekommen ist. Und der Schriftsteller Christoph Hain hat diese Geschichte dann als Inspirationsquelle genutzt, um seinen Roman „Der Tangospieler“ zu schreiben. Auch dessen Verfilmung, mit Michael Gwisdek in der Hauptrolle, ist absolut sehenswert. Da sieht man, wie das Lachen einem dann im Hals stecken bleibt. Und bei diesen DDR Kabaretts war natürlich das Balancieren immer ganz wichtig. Ich glaube, sie hatten aber dadurch, dass sie nicht im Fernsehen waren oder nicht immer im Fernsehen waren, größere Freiheit als die Witzeerzähler im Fernsehen. Es gab ja so ein ganz berühmtes Komiker Duo Herricht & Preil. Es gab dann den sächsischen Witzeerzähler Eberhard Cohrs, der eine absolute Nummer war auch mit seinem sächsischen Akzent. Und der dann 1977 in den Westen ging, wo er an diese Erfolge nicht anknüpfen konnte.
Eva-Maria Zehrer
Aber das war kein politisches Kabarett.
Marko Martin
Nein, nein. Es waren so Alltagswitze, die natürlich auch dann das Politische gestreift haben. Was ja auch nicht schwierig war, weil in einer totalitären Diktatur, auch noch spät totalitären, wie in der DDR, wurde ja alles politisiert. Das heißt, auch ein Witz über fehlende Südfrüchte, oder sagen wir mal über fehlende Früchte allgemein, hatte politische Implikationen. Und Leute, die das hervorragend schafften, da als Conférenciers auf dieser schmalen Linie zu balancieren, war jemand wie Heinz Rennhack. Der dann auch in den Westen ging. Dort allerdings auch an seine Erfolge nicht anknüpfen konnte. Und so eine große Ausnahmekünstlerin, wie Helga Hahnemann. Die das mit Kodderschnauze dann ebenfalls gemacht hat. Und ich muss sagen, auch sehr gut gemacht hat. Aber das rein Politische, das gab es da natürlich nicht. Alltagsdinge durfte angespitzt werden. Obwohl das auch immer eine zweischneidige Angelegenheit war, selbst für Prominente.
Es gab diesen in der DDR sehr prominenten Moderator O.F. Weidling. Er machte dann bei einer Fernsehübertragung, ich glaube im Palast der Republik, kleine Witze über Margot Honecker. Wo er sagte: „Also sie lacht auch.“ Es war im Grunde genommen, würde man sagen, völlig zahm. Danach war er trotz seiner Prominenz weg vom Fenster. Also er wurde damals nicht eingesperrt. Das war schon im letzten Jahrzehnt der DDR. Aber er tauchte dann nicht mehr auf dem Bildschirm auf.
Eva-Maria Zehrer
Wir hatten vor ein paar Jahren in der Landeszentrale mal Dieter Hildebrandt zu Gast. Der hat sogar ein Programm, oder zumindest einen längeren Programmpunkt, für uns geschrieben über Älterwerden in Deutschland. Wir waren mit ihm in Sachsen unterwegs und der hat mir erzählt, dass er zu DDR-Zeiten eingeladen worden war zu den Academixern nach Leipzig, um dort ein Programm zu spielen. Es hat wohl eine Weile gedauert, bis man ihm die Genehmigung seitens der DDR erteilt hat. Und als er dann kam, war das eine Vorführung für Kabarettkollegen. Es war also nicht öffentlich. Und er sagte, er ist da mit einem Bauchschmerz dahingegangen, weil er dachte, das sind ja alles gestandene Kabarettisten. Also, er hat schon erst mal in dem Moment gar nicht so auf dem Schirm gehabt, dass die eine ganz andere Art von Kabarett gespielt haben, aus der Situation heraus geboren.
Der sagte, es waren mit absoluter Sicherheit ja nicht alles Kabarettisten. So viele gab es da DDR gar nicht und das Kabarett war voll. Das waren auch Leute, die einfach zum Gucken und genauen Horchen und Mitschreiben hingeschickt worden waren. Und er hat gedacht, dass er seine Kabarettkollegen nicht einfangen kann mit seinem Witz, aber das schon nach wenigen Sätzen sei es trotzdem geschehen und sein Programm wäre gut angekommen. Und er hätte im Nachhinein mit Kabarettkollegen gesprochen und er hätte immer festgestellt, dass sein Programm und auch das, was die Kabarett-Kollegen gesagt haben, so eine Gratwanderung war. Er wusste auch nie, mit wem er wirklich spricht. Und er war auch der Meinung, dass er da wohlmeinende Kabarett-Kollegen getroffen hat, von denen er später erfahren hat, dass sie eben doch für die Stasi gearbeitet haben und seine Dinge weitergetragen haben.
Wir haben nur noch wenige Minuten Zeit. Mich würde trotzdem interessieren, wie hat die Bundesrepublik den DDR-Humor eingeschätzt und welche Rolle spielt Humor heute? Welche Rolle spielt Witz heute? Denn wenn ich sehe, wie beispielsweise beim politischen Achermittwoch auf Politikern rumgehauen wird, da würde ich sagen, es ist schon ganz nahe an einer schlimmen Beleidigung und es passiert trotzdem nichts.
Marko Martin
Ja, das ist eine gute Frage und schön, dass Sie Dieter Hildebrand erwähnt haben. Er hat ja in den 80er Jahren sogar eine Kassette veröffentlicht mit Witzen aus Radio Jerewan. Diese ist heute noch als CD erhältlich. Was heißt aus Radio Jerewan, dieses Radio Jerewan ist natürlich etwas Imaginäres gewesen. Und das ist eigentlich ganz interessant. Ich glaube, der Erfolg von Radio Jerewan im Westen war größer als der Erfolg von DDR-Witzen. Weil, ich hatte es ja versucht ein bisschen anzureißen, Radio Jerewan schon noch viel mehr ans Eingemachte geht und nicht nur bei oberflächlichen Phänomenen stehen bleibt.
Und die Frage nach dem heutigen Witz, dass es ihm nicht mehr so gut geht, das ist eigentlich ein gutes Zeichen. Wenn in der gesellschaftlichen Debatte alles gesagt werden kann, zum Teil auch auf eine grenzwertige Weise, ist es für Witzeproduzenten natürlich schwieriger. Und die Resultate merkt man dann. Man könnte sagen, dieser Witz hat einen Mario Bart. Es sind dann vulgäre Sachen, Grenzüberschreitungen gegen eine angeblich dominierende politische Korrektheit, mehr oder minder witzig. Aber auch, wo man sagt, na ja..., das ist jetzt eher so zum bisschen zum Gähnen.
Was ich aber nicht schlimm finde, weil die Verständigung in einer Gesellschaft sollte eben nicht im Flüsterton verlaufen, sondern wie es bei den Griechen im Idealfall war, in der griechischen Agora, wo sich die Freien trafen, um miteinander in einen Austausch zu kommen. Das war damals schon nur ein halbes Ideal, weil die Sklaven und die Frauen waren nicht mit anwesend. Die haben sich dann vielleicht in ihren Gemächern oder in ihren Unterkünften auch Witze erzählt. Aber ich glaube, das inklusive Ideal einer Gesellschaft, die permanent mit sich im Gespräch ist, was natürlich auch heißt im Streit, das würde ich nicht aufgeben für eine Gesellschaft, wo dann vielleicht die Witze ein bisschen besser waren.
Eva-Maria Zehrer
Das sehe ich ganz genauso. Also da sind wir uns sehr einig. Wir sind jetzt am Ende, aber einen hören wir noch, oder?
Marko Martin
Ja, einen hören wir noch. Und ich gucke nochmal. Ich könnte jetzt noch so viele DDR Witze erzählen. Einer war: Lieber ohne Glied in den Puff, als Mitglied in der Partei.
Dann kann man sagen, na ja, geht so. Aber ich finde auch einen von Radio Jerewan sehr gut, der jetzt sogar aktuell geblieben ist.
Was ist der Unterschied zwischen einem Optimisten und einem Pessimisten? Antwort. Der Optimist lernt Englisch, der Pessimist Chinesisch.
Ich glaube, das ist ein ganz guter Abschluss.
Eva-Maria Zehrer
Ja. Herzlichen Dank, Marko Martin. Wir hören uns wieder, wir beide und Sie, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, hoffentlich mit uns auch. Danke fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal.
Marko Martin
Danke, bis zum nächsten Mal.

Folge 6: Postkarten und Träume: Sehnsuchtsorte der DDR-Zeit
In der letzten Folge dieser Staffel reflektieren Marko Martin und Eva-Maria Zehrer über ihre Urlaubserinnerungen aus der DDR, die Vielfalt der Erfahrungen und die Sehnsucht nach Freiheit. Sie diskutieren die Bedeutung von Beziehungen, dieHerausforderungen des Reisens in der DDR und die nostalgischen Erinnerungen an Orte wie die Ostsee und Hiddensee. Die Gespräche sind geprägt von Dankbarkeitfür die heutige Reisefreiheit und der Reflexion über die Vergangenheit.
Marko Martin
Mein Sohn hat als Kind West-Postkarten gesammelt. Dann als Kellner an der Ostsee davon geträumt, ein anderes Leben zu führen. Ein Leben, wie Sie es jetzt haben. Wenn Sie auf Reisen sind, denken Sie doch ab und zu mal an meinen Chris.
Jingle
Marko Martin, einmal klingeln - wie es auch noch im Osten war und ist. Ein Podcast der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung – unverklärt, persönlich, facettenreich.
Eva Maria Zehrer
Herzlich willkommen meine Damen und Herren. Herzlich willkommen Marko Martin. Das ist heute die sechste Folge unserer Podcastreihe und damit das Ende der ersten Staffel. Es wird eine weitere geben, aber heute verabschieden wir uns erst mal in den, ja, in den Urlaub. Und darum soll es auch gehen. Wir hoffen, dass es wieder interessant und kurzweilig wird und dass Jeder zu seinen eigenen Gedanken kommt und vielleicht auch ein paar andere mitdenkt, die wir als Anregung heute geben wollen.
Marko Martin hat heute etwas mitgebracht. Das liegt zwischen uns auf dem Tisch und das ist eine Muschel. Und schöner kann man sich Urlaub eigentlich auch gar nicht denken. Ich weiß nicht, was Sie jetzt mit einer Muschel verbinden, liebe Hörerinnen und Hörer. Marko Martin, was verbinden Sie denn mit dieser Muschel?
Marko Martin
Ja, also man könnte jetzt sagen, diese Muschel, die vor uns liegt, stammt von der Ostsee. Aber man muss auch im Radio oder bei Radioformaten ehrlich bleiben. Die Muschel stammt vom Strand in Tel Aviv, ist aber dennoch mit Assoziationen aufgeladen. Denn als ich die Muschel mitgenommen habe, eine unter vielen im Laufe der Jahre und Jahrzehnte, war natürlich die Erinnerung an Urlaube in der DDR immer präsent. Und das war ja etwas Anderes, als Westurlaube. Man konnte ja nicht einfach in das Neckarmann Reisebüro gehen. Und individuell zu reisen oder zu campen war auch mit größeren Herausforderungen verbunden. Das heißt, diese Muschel erinnert an die Ostsee. Es erinnert natürlich auch an die Filme und die Lieder und die Bücher, die damit verbunden sind. Ich glaube, viele die uns heute zuhören, werden vielleicht ähnliche Assoziationen haben. Es gibt dieses wunderbare Kinderbuch von Benno Pludra „Lütt Matten und die weiße Muschel“. Das auch wunderbar verfilmt worden ist mit Erik S. Klein, erinnere ich mich. Und natürlich der Hit „Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael“ von Nina Hagen. Und die Ironie der Geschichte ist ja, dass Nina Hagen, als sie dann aus der DDR wegging und zur westdeutschen Punk-Lady wurde, den Erfolg dieses Ostsee-Hiddensee-Songs nie wieder toppen könnte.
Also Sie sehen, Sie haben mir eine Frage nach der Muschel gestellt und sofort beginnen Assoziationen. Und ich glaube, vielen, die uns heute zuhören, könnte das ebenso gehen.
Eva Maria Zehrer
Das ist Feuerwerk. Ich meine, das ist ja auch ein Thema, das geliebt wird. Wir haben das ja nicht ohne Grund an das Ende dieser ersten Reihe gestellt. Sind Sie mit Ihren Eltern regelmäßig in den Urlaub gefahren, Herr Martin, früher?
Marko Martin
Ich bin mit meinen Eltern regelmäßig in den Urlaub gefahren. Und obwohl die Finanzmittel nicht so üppig waren, haben wir es immer irgendwie geschafft an die Ostsee zu kommen. Was allerdings schon eine große Herausforderung war. Mein Vater war als Polsterer selbstständig und er war nicht Mitglied des FDGB und auch nicht Mitglied der staatlichen Innungen. Weil er als Kriegsdienstverweigerer und nicht mehr Parteimitglied Distanz haben wollte zu den Institutionen des Staates. Das bedeutete dann auch, dass man keinen Platz in diesen Ferienheimen bekommen konnte. Man musste sich dann eben anders behelfen. Ich kann mich erinnern, dass mein Vater als Hersteller von diesen rustikalen Polstermöbeln sehr viel Kundschaft hatte, durch die ganze Republik weg. Und dann gab es Bekannte von Bekannten. Und man sagte dann eben, diejenigen könnten ihre Möbel etwas früher bekommen, wenn sie ihren Bekannten an der Ostsee verklickern könnten, dass in dem ausgebauten Bauernhaus, das sie dort haben, die Familie Martin dann zwei Wochen Urlaub machen kann.
Natürlich mit Bezahlung, aber es ging ja nicht um das Geld, es ging ja um den Ort. Und das geschafft zu haben, fasziniert mich noch heute. Bei dem m Thema Urlaub bleiben wir jetzt bei der Ostsee. Obwohl viele die uns zuhören vielleicht mit Recht sagen könnten, ja, aber es gab doch noch andere Orte. Es gab die Brandenburgischen Seen. Es gab die Mecklenburgischen Seen. Es gab das Fichtelgebirge und so weiter. Bleiben wir heute mal ein bisschen bei der Ostsee. Wenn ich meine Erinnerungen abgleiche mit anderen die in der DDR aufgewachsen sind, mein Jahrgang oder etwas jünger oder auch etwas älter, sind es wieder ganz andere Erfahrungen. Ferienlager-Erfahrungen, dann diese Ferienheim-Erfahrungen, andere Privaturlaub-Erfahrungen. Aus diesem Grund können wir ja jetzt, zum Abschluss der ersten Staffel, noch mal darauf hinweisen, was die DDR auch war und noch war. Dass es nicht die eine homogene Osterinnerung gab. Und deshalb, ich werde nicht müde, das zu wiederholen. Das, was ich erinnere, ist natürlich nicht der Osten. Es sind Teile meiner Erinnerung. In der Hoffnung, dass sie die Erinnerung von anderen aktivieren. Und vielleicht in der noch größeren Hoffnung, dass wir uns eingestehen, dass unsere Erinnerungen natürlich erstens fragmentarisch sind. Umzingelt von Projektionen und Vergessen und auch im Plural nur zu denken sind. Denn das, was wir als Vergangenheit erinnern, sind Vergangenheiten. Und vielleicht können wir ja heute in der vorerst letzten Folge ein bisschen antippen, wie ausgefächert auch so etwas angeblich unpolitisches wie eine Urlaubserinnerung war und wie viele Erinnerungen es da gibt.
Eva Maria Zehrer
Also, das ist eine schöne Formulierung, da von Plural zu sprechen. Weil die Erlebnisse ja wirklich pluralistisch sind. Wenn auch die Gesellschaft nicht wirklich pluralistisch war. Ich muss jetzt ein bisschen schmunzeln. In unserem Alltag vermischt sich unsere Gegenwart schon so stark mit der Vergangenheit. Sie haben vorhin gesagt, andere sind nicht an die Ostsee gefahren, sondern eher ins Fichtelgebirge. Sie meinen jetzt auf dem Fichtelberg, denn das Fichtelgebirge liegt in Bayern.
Marko Martin
Ach ja, Sie sehen, ich bin kein Bergexperte. Zumindest ein Thema, wo ich dann das weitergebe an Kundigere. Ja, natürlich.
Eva Maria Zehrer
Aber es ist wirklich die Vermischung, die überall schon stattfindet. Und deswegen muss man auch bei den Erinnerungen genau hingucken und sehen, sind das auch schon vermischte Erinnerungen? Weil, wir leben ja mit diesem Vermischten in uns drin. Wie stark Reinkultur ist das alles noch? Ich glaube, nichts gibt es in Reinkultur.
Marko Martin
Nein, alles ist vermischt. Und ich glaube, das sollte einem auch keine Sorge machen. Das Vermischte ist ja oftmals das viel Interessantere. Dass Elemente zusammenkommen, die ansonsten voneinander getrennt wären. Und auch für den eigenen Seelenhaushalt ist es immer gut, dass man nicht nur auf das starrt, was einen betrifft, sondern die Erfahrungen, vielleicht auch die gegenläufigen, immer mit reinnimmt. Und das versuchen wir ja auch immer.
Eva Maria Zehrer
Jetzt versuchen wir doch noch mal kurz auseinander zu klamüsern. Sie sind nie selber im Ferienlager gewesen, sondern sie haben auf andere Weise Urlaub gemacht. Also mit den Eltern oder wie auch immer. Eine Rückfrage ist, sind Sie oder Ihre Familie der Typ Campingurlaub gewesen oder eher nicht?
Marko Martin
Meine Eltern sind das geworden, allerdings dann in der Bundesrepublik. Mit einem kleinen Metzger Lieferwagen, den mein Papa mit sächsischem Bastelelan herrichtete. Der brachte vor allen Dingen die Leute im Westen zum Staunen, weil dort das Improvisationstalent nicht so stark entwickelt sein musste wie im Osten. Also, ein umgebaute Metzgerwagen und mit dem ist er dann mit meiner Mutter und mit den Enkeltöchtern, die damals noch klein waren, an die Bretagne gefahren und da haben sie gecampt.
In der DDR war das wahrscheinlich schwieriger. Obwohl wir auch jetzt nicht Teil dieser Camper-Szene waren. Da gab es ja wirklich Camper-Szenen, die dann auch an den Balaton gefahren sind. Im Übrigen, ich sage jetzt Balaton wäre natürlich auch ein Erinnerungsraum sonders gleichen, der Sehnsuchtsort Balaton, schon so ein bisschen Westen. Und dann natürlich Ungarn 1989.
Eva Maria Zehrer
Kommen wir gleich noch mal dazu.
Marko Martin
Ehe wir uns verlieren, ehe wir zum Balaton kommen. Bleiben wir bei diesen Ferienlagern. Also, ich habe diese Ferienlager nicht miterlebt, habe mir aber erzählen lassen von Freunden und von Bekannten und auch Mitschülern und Mitschülerinnen, die diese Ferienlagersachen mitgemacht haben. Zum Teil mit Irritation, aber zum Teil auch mit große Freude. Ich muss sagen, wenn ich da nicht mit ins Ferienlager gefahren bin, weil ich nicht in den Pionieren war und nicht in der FDJ -irgendwann bin ich dann auch gar nicht mehr gefragt worden - ich habe mich keine Minute als Außenseite gefühlt. Ich war im Gegenteil froh, meine Mitschülerschaft mal nicht noch während der Ferien sehen zu müssen. Und habe mich, wahrscheinlich dann in der beginnenden Pubertät, an einen Satz gehalten, von dessen Existenz ich noch gar nichts wusste. Aber als ich dann hörte, dachte ich, wow, das ist mein Programm. Es gibt diesen schönen Satz von Woody Allen. Und Woody Allen sagt: „Wenn sich mehr als zwei Leute treffen und es geht nicht um Sex, kommt meistens nichts Gutes dabei rum.“ Das fand ich immer sehr witzig. Ich hoffe, die Flapsigkeit wird mir verziehen.
Ich weiß, es gibt viele, die sehr schöne Ferienlager-Erfahrungen haben. Natürlich auch Ferienlager-Erfahrungen der ersten Schwärmerei, der ersten Liebe. Ich erinnere mich an einen DEFA-Film „Sieben Sommersprossen“, der diese juvenilen, emotionalen Brüche und Aufschwünge ganz interessant beschreibt.
Eva Maria Zehrer
Für junge Leute ist ja der Begriff Urlaub, Ferien ohnehin, oftmals damit verbunden, dass erste Beziehungen entstanden sind und so weiter. Dass man gern dran denkt und dass man dieses Erleben und den Ort unter Umständen dann miteinander verbindet. Und auch den Gedanken, das war Urlaub, das war Zeit, die man für sich hatte, die man gestalten konnte oder auch manchmal nicht gestalten konnte, je nach Vorgaben.
Sie haben es jetzt mehrfach gesagt, Sie waren nicht im Ferienlager. Aber Sie hatten über die Eltern gelegentlich mal jemanden gekannt, der Ihnen ein Häuschen zur Verfügung gestellt hat. Beziehungen, man musste in der DDR wirklich Beziehungen haben und man musste improvisieren. Irgendwie gehört das für mich ein bisschen zusammen, wenn ich DDR denke. Auch heute spielen Beziehungen eine Rolle, aber das Improvisieren spielt nicht so eine Rolle wie damals, habe ich das Gefühl. Also, wenn man beides hatte oder beherrscht hat, dann ist man in der DDR relativ weit gekommen, auf manchen Gebieten.
Marko Martin
Ja, absolut. Mein Vater kannte dann auch andere Handwerker, die das geradezu bis zum Exzess getrieben haben. Die sich zum Beispiel nur in Westgeld haben bezahlen lassen oder mit diesen Forum-Scheinen. Für meinen Vater, als gläubigen Christ, war das no-go, würde man heute sagen. Aber bei diesen Beziehungen spielte ja natürlich vieles eine Rolle. Es hat natürlich in der Gesellschaft des Mangels zu Neid geführt. Da hieß es, oh, die Handwerker, was die machen. Dann waren Handwerker zum Teil auch wieder neidisch auf Arbeiter. Man sagte, wir müssen arbeiten und die sitzen nur rum. Die Arbeiter, die natürlich keineswegs in Gänze nur rumgesessen haben, waren dann wieder oftmals voller Ressentiments gegenüber den Leuten im Büro. Ich habe das ja erlebt, als ich erstmal in der Lehre rausgeschmissen wurde und dann Teil dieser sozialistischen Produktion war. Ich habe sehr viel Improvisationsvermögen gesehen. Auch sehr viel Witz, sehr viel Gewitztheit, wie man mit Alltagsdingen umgeht. Aber ich muss auch sagen, ein sehr großes neurotisches Muster an Neid und einer Gestimmtheit, dass man sich eingeredet hatte, allen anderen geht es besser und nur man selbst wird verarscht. Und ich glaube, oder ich fürchte, dass dieses Muster, diese Gestimmtheit, wenn sie nicht reflektiert wird, weiterwirkt über Generationen hinweg. Dass man sich, egal wie die Lage ist, immer als das Opfer, als der oder die Gedemütigte fühlt. Und dann völlig irr glaubt, allen anderen geht es bestens. Weshalb? Weil es einem schlecht geht, angeblich oder vielleicht auch real. Und das aufzubrechen ist etwas Wichtiges. Und ich glaube, aufzubrechen geht nicht nur mit Thesen, sondern wie wir es versuchen, anhand von Geschichten.
Unser Gehirn ist so beschaffen, dass wenn Menschen ihre Geschichten erzählen, dass man sich dann automatisch an Ähnliches erinnert. Dass man es anders erlebt hat oder auf eine vergleichbare Weise. Und so lassen sich Brücken bauen und man bleibt nicht eingekästelt. Also, aus diesem Grund hat mich natürlich immer interessiert, was Mitschüler über Ferienlager erzählten. Und auch Leute, mit denen ich nicht in der Schule war, die ich erst später kennengelernt habe. Es wurden von Fahnenappellen erzählt. Von Traditionsecken, die wie in der Schule aufgebaut waren in diesen Ferienlagern. Aber eben nicht nur. Es gab dann auch die Betriebsferienlager, wo junge Männer und junge Frauen, das erlebten, sich nicht an Fahnenappell erinnern, weil es eine unbeschwertere Kindheit war. Das heißt, es gibt sehr vieles und die Literatur oder der Film kann da auch sehr viel machen. Ich denke an den Roman von meinem Kollegen Jochen Schmidt, „Schneckenmühle“. Die Beschreibung eines dieser DDR-Ferienlager. Und es war ja jetzt nicht ein „Mini-Gulag“ für Kinder. Es war aber auch nicht nur Jux und Spaß und Tollerei. Nach dem Motto, da konnte jeder noch Urlaub machen. Die ideologische Agenda, wie subtil auch immer kaschiert, war natürlich da. Und beides gehört dazu in der Erinnerung. Man war jung, erlebte zum ersten Mal vielleicht eine Seenlandschaft oder eine Meerlandschaft und gleichzeitig war das staatliche mehr oder minder präsent. Das alles gehört in den Erinnerungen mitgedacht.
Eva Maria Zehrer
Sie haben das Lied „Du hast den Farbfilm vergessen“ schon angesprochen. Das verortet man ja auch ganz eindeutig mit Seenlandschaft, mit Hiddensee. Und Hiddensee war ja ein Geheimtipp. In der DDR ist auch nicht jeder hingefahren, hingekommen. Und es ist ja heute wieder ein Geheimtipp. Also, ich springe jetzt mal vorwärts. Wir können dann gerne noch mal zurückkommen. Sollten wir auch machen.
Der Büchner-Preisträger Lutz Seiler hat seinen bekanntesten Roman dort verortet. Warum?
Marko Martin
Weil es natürlich eine mythische Landschaft war. Sie haben das ja beschrieben, Hiddensee hatte in der DDR einen Klang. Man kann das nicht vergleichen mit Sylt. Sylt hatte ja eher diesen etwas snobistisch, mondänen Klang. Und Hiddensee war fast wie eine verwunschene Landschaft, eine Literaturlandschaft:
Gerhard Hauptmann und Hiddensee
Die Hiddensee-Prosa von Hans Cibulka, einer der sensibelsten Dichter, damals der DDR.
Das Lied von Nina Hagen
Das geografische Hiddensee war eine Insel und schaffte dann auch die Illusion, das ist so bisschen außerhalb der DDR. Und Lutz Seiler, der das in den 70er und 80er Jahren erlebt hatte (er ist ja sieben Jahre jünger als ich), hatte er einen ganz genauen Blick dafür. Dass auch in dieser Inselwelt, in diesem vermeintlich paradiesisch Abgeschiedenen die Muster, die in der DDR herrschen: Aufbegehren, Mitmachen, Resignieren, Ignorieren und all diese Mischformen, in so einer kleinen Inselwelt noch viel stärker zu Tage treten, als im sogenannten normalen, städtischen, kleinstädtischen oder dörflichen Leben. In diesem kleinen Ort wurde es gerade so als Konzentrat sichtbar. Und dann, viele Jahre später, ich glaube erst vor zehn Jahren, hat er sich dieser Erfahrung noch mal gestellt und hat „Kruso“ geschrieben. Sein berühmtestes Buch und mit Sicherheit eines seiner schönsten.
Eva Maria Zehrer
Es ist und bleibt eine Sehnsuchtslandschaft, wie es so manche gibt. Sie hatten es ja vorhin schon erwähnt, da will ich jetzt mal in eine andere Himmelsrichtung gucken. Diejenigen, die nicht im Lande bleiben wollten, sondern ins Ausland fahren wollten, die hatten eine kleine Anzahl an Möglichkeiten, der Gegenwart angemessen. Aber es gab Möglichkeiten. Und Ungarn war sicher die spektakulärste.
Marko Martin
Ungarn war die spektakulärste. Aber man könnte vielleicht diese Landschaften auch beschreiben, dass sie mehr oder minder alle Flucht -Sehnsuchtsorte waren. Ich kann mich erinnern, wie eben nicht nur ich, sondern auch andere Touristen damals in Rostock Warnemünde auf die Fähre geschaut haben. Die Fähre nach Gedser, nach Schweden. Im Grunde genommen, niemand wollte an diesem realen Ort Gedser nach Schweden. Aber man wollte raus oder man wollte zumindest mit dem Gedanken spielen können, ich könnte raus, wenn ich denn dürfte. Oftmals ist es ja so, dass man Optionen gar nicht ausreizen kann, wenn man sie als reale Optionen vor sich hat. Und dieser Blick der Leute auf diese Fähre, den werde ich nie vergessen.
Ich freue mich auch, dass es Literatur geworden ist. Eine meiner älteren West-Kollegenfreunde, Friedrich Christian Delius, der vor drei Jahren gestorben ist, Jahrgang 1940 war, hat nach ´89 ein wunderbares Buch geschrieben „Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus“. Und es erzählt die Geschichte eines Kellners aus Rostock, der auf den Spuren von Gottfried Seume nach Syrakus will. Und er schafft es über die Ostsee abzuhauen und dann via Dänemark, Bundesrepublik, Frankreich, Italien den Weg nach Sizilien zu schaffen. Für ihn, für den Kellner, war natürlich diese Ostsee auch ein Sehnsuchtsort. Und bei ihm ist es gut ausgegangen. Das kommt mir jetzt, wenn ich spreche, in die Erinnerung, es ist eben nicht für alle so gut ausgegangen. Zahlreiche junge Ostdeutsche haben versucht über Bulgarien zu fliehen. Im tragischen Nichtwissen, dass die bulgarischen Grenztruppen mit der Staatssicherheit zusammenarbeiteten in der DDR und oftmals sogar noch brutaler waren. Es gab Menschen, die erschossen wurden, die ertranken. Freya Klier hat einen Dokumentarfilm über diese Geschichten gemacht. Einer meiner Kollegenfreunde, der heute in Hamburg lebende Journalist Harald Stutte, hat auch ein Buch darüber geschrieben. Er war einer derjenigen, der mit seinen Kumpels versucht hat, in Bulgarien die sogenannte Republikflucht zu wagen und wurde dann mit Handschellen zurückgebracht in die DDR. Das gehört auch dazu. Und für mich ganz persönlich die Geschichte von Chris Gueffroy, dem letzten an der Berliner Mauer Erschossenen. Der wär heute so alt wie ich. Und damals war Gueffroy Kellner in Warnemünde. Und er schaute auch immer aufs Meer. Und er sagte dann seinen Freunden und auch seiner Mutter, irgendwann schaffe ich das. Und was ist passiert? Man hat ihn an der Grenze zwischen Ost- und West-Berlin erschossen. Es ist passiert, dass bei einer meiner Lesungen Karin Gueffroy, seine Mutter, da war. Sie ist ja dann auch Anfang der 90er Jahre sehr berühmt geworden, weil sie nicht aufgegeben hat, als Mutter die Mörder Ihres Sohnes vor die Justiz zu bringen. Es ist partiell gescheitert, aber immerhin, es war öffentliche Aufmerksamkeit da. Und nach der Lesung, ich weiß nicht, über was ich gesprochen habe, über Südamerika oder meine Erfahrung in Israel, kam sie zu mir und sie sagte: Wissen Sie, mein Sohn hat als Kind West-Postkarten gesammelt. Dann als Kellner an der Ostsee davon geträumt, ein anderes Leben zu führen. Ein Leben wie sie es jetzt haben. Wenn sie auf Reisen sind, denken sie doch ab und zu mal an meinen Chris. Und wenn man sowas hört, ist das etwas, was man so schnell nicht vergessen kann.
Eva Maria Zehrer
Sie haben mir das Wort aus dem Munde genommen. Wenn Sie es nicht angesprochen hätten, hätte ich das gemacht. Tod in Bulgarien. Ein Ort, den man verbunden hat mit Sonne und weit weg und anderem Essen und relativ einfach hinzukommen, verhältnismäßig. Und dann, eigentlich bis heute, in den allermeisten Fällen, nicht zu wissen, was sich da wirklich abgespielt hat. Auch als Urlauber ist man gut unter Kontrolle gewesen. Also jeder, der eingereist ist. Da wurde schon genau hingeguckt, was der wollte und wohin der sich bewegt und ob der die Wege verlassen hat, die zu seinem Ziel führen sollten. Da gibt es wirklich ganz tragische Geschichten. Und es war in der Tat so, dass die viel schärfer und stärker agiert haben noch als der Staatssicherheitsdienst der DDR. Also das sind ganz schlimme Dinge passiert. Wir kennen Obduktionsberichte und so weiter. Also, damit war nicht zu spaßen.
Was ich aber auch sehr wichtig fand, das war, dass sie jetzt mal die Sehnsucht der Personen geschildert und in Worte gefasst haben. Also die sehnsüchtigen Blicke an der Ostsee-Fähre und das Postkarten sammeln. Das haben, glaube ich, viele Menschen gemacht. Postkarten aus aller Welt, wenn es sein konnte. Wenn es Westkontakte gab, umso besser.
Aber auch die Postkarten aus der Sowjetunion mit Briefpartnern, die man da hatte. Oder woher auch immer. Oder auch die Inlandspostkarten, das war ja ordentlich. Und manche sammeln natürlich auch heute noch die Postkarten, aber oft aus anderen Gründen. Weil da Kollegen und so weiter geschrieben haben und weil das so schön bunt aussieht und so vielfältig ist. Aber damals war es so die Wehmut der Seele auch. Damit hat sich auch ein Lebensgefühl ausgedrückt. Eins, dass man selber hatte und eins, dass man gerne gehabt hätte.
Ich würde gern mal auf eine Sicht kommen, die Sie auch schon so im Nebensatz mitgesagt haben. Die Mutter von Gueffroy, die hat Ihnen nahegelegt, wenn Sie unterwegs sind, dann in Israel oder sonst wo, dann denken Sie doch mal an meinen Sohn. Der da auch gerne hingefahren wäre und der gar nicht glauben konnte, dass diese Umstände mal so sein würden, wie sie heute sind, reisemäßig. Wenn Sie so viel unterwegs sind, Herr Martin, denken Sie da manchmal an die Enge der DDR zurück? Empfinden Sie die Weite, die Sie heute haben, auf besondere Weise? Ist das für Sie auch heute noch, nach so vielen Jahren nach dem Mauerfall, ein Geschenk? Oder ist das inzwischen schon Normalität?
Marko Martin
Nein, ich muss sagen, es ist - natürlich jetzt nicht im jeden Augenblick, aber in prägenden Momenten - immer noch ein einziges Aufatmen. Es ist eine große Dankbarkeit. Und ich erinnere mich dann immer an dieses Gedicht von Rainer Kunze, was er geschrieben hat auf dem Mönchsberg in Salzburg, kurz nach seiner Ankunft im Westen. Ich zitiere jetzt mal das nur aus der Erinnerung. Es heißt:
Wiederzukehren hierher kann ja jetzt nur noch verhindert werden durch Krankheit, Armut, Tod.
Und dann gibt es eine Leerzeile, und dann steht
… und nie mehr der Lüge den Ring küssen müssen.
Das heißt, er wusste natürlich, dass Reisen auch davon abhängig ist, wie man gesundheitlich konditioniert ist. Und dass die entsetzliche Tragik, unsere Endlichkeit, auch nicht durch schöne Reisen irgendwie relativiert werden kann. Aber das sind die Schicksalsschläge des Lebens. Es ist nicht aufgrund der Anmaßung irgendeines Parteisekretärs, oder irgendeines Stasimannes, oder einer Ideologie. Und diese Erfahrung, dass wir mit existenzieller Tragik auch beim Reisen oder nicht Reisen konfrontiert sind, ist eine wichtige Erfahrung. Aber es ist noch eine andere Dimension, als wenn man von irgendwelchen herrschsüchtigen Männern, Männlein daran gehindert wird, die Erfahrungen zu machen.
Und aus diesem Grund glaube ich, dass auch Urlaub, Reisen, mit dem wir hier die erste Staffel jetzt abschließen, durchaus auch eine Dimension hat. Nachzudenken über unser Schicksal als Mensch und vielleicht auch wertzuschätzen. Oder uns herausgefordert zu sehen, dass wir Menschen in unserer Zeit, die uns zugemessen ist, nicht noch versuchen, uns zusätzlich klein zu machen, zu kujonieren, zu verbieten und dies und das zu tun, um uns in unserer Komplexität zu reduzieren. Und vielleicht ist das ja auch eine Idee für den kommenden Urlaub auch darüber mal nachzudenken. Ich glaube, das sind keine dunklen Gedanken. Ich glaube, sie weisen ins Helle.
Eva Maria Zehrer
Wir verabschieden uns jetzt in großer Dankbarkeit angesichts dessen, was wir heute haben können. Was nicht allen zu jeder Zeit möglich ist, aber aus anderen Gründen. Aber was wir im Grundsatz haben dürfen. Nach den Zeiten, die wir auch erlebt haben.
Ich danke am Ende dieser ersten Staffel meiner Kollegin Larissa Baidinger. Ich danke dem Kollegen vom Studio und ich danke besonders Ihnen, Herrn Martin, dass Sie in dieser Treue hier immer nach Dresden gekommen sind und diese Gespräche mit uns gemacht haben.
Ich freue mich auf mehr. Und mehr soll es und wird es geben. Wir alle hoffen, liebe Hörerinnen und Hörer, dass Sie uns auch künftig gewogen bleiben und auch künftig diese Serien anhören. Vielen Dank und auf Wiederhören.
Marko Martin
Ich bedanke mich auch und mein Dank gilt auch allen Beteiligten. Ehrlich gesagt, es ist es immer ein großes Vergnügen hier in Dresden zu sein und durch ihre Fragen zu Erinnerungen provoziert zu werden. Dankeschön.