Auf der Suche nach der Wahrheit - Rückblick auf eine Veranstaltung mit Investigativjournalist Arndt Ginzel
„Was bedeutet es in Kriegs- und Krisengebieten journalistische Arbeit zu leisten?“
Diese Frage, welche als eine der Leitfragen des Abends gehandelt wurde, bekam während der Vorführung der ZDF-Dokumentation „Die Straße des Todes. Kriegsverbrechen in der Ukraine“ (verfügbar in der ZDF-Mediathek) eine bedrückende Komponente.
Alles begann mit einem Drohnenvideo, welches Arndt Ginzel wenige Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine zugespielt wurde. Das Video zeigt ukrainische Zivilistinnen und Zivilisten auf der Flucht. Auf der Schytomyr-Autobahn bei Kiew, die in diesen Tagen zu einer Frontlinie wird, gerät ein Auto unter russischen Beschuss, wodurch die Reifen platzen. Der Fahrer steigt aus und ruft den russischen Soldaten zu, dass Kinder in dem Auto sitzen und sie nicht schießen sollen. Wenige Augenblicke später ist der Mann nicht mehr am Leben, er wurde von russischen Soldaten erschossen.
Bei der Suche nach dem Ursprung des Videos entstand vor Ort ein Bericht für die Nachrichten im ZDF. Nach dessen Ausstrahlung meldeten sich Überlebende, Augenzeugen und Augenzeuginnen. Es folgen Gespräche mit Überlebenden und Angehörigen der Opfer und Recherchen vor Ort. Zurückgelassene Formulare der russischen Armee am mutmaßlichen Tatort lieferten immer mehr Material, aus dem letztendlich die Dokumentation entstand. Sie gibt tiefe Einblicke in die Schicksale der betroffenen Personen, sammelt Hinweise auf mutmaßliche Täter und klärt über frühe russische Kriegsverbrechen in der Ukraine auf.
„Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit“
Zu der Antwort auf die Frage, was es beutetet in Kriegsgebieten journalistische Arbeit zu leisten, gehört ganz klar auch die Frage, wie man Informationen überprüfen kann. Arndt Ginzel selbst folgt dem Anspruch „so viel wie möglich an Belegen transparent zu machen“. Die Recherche in Kriegs- und Krisengebieten ist dabei nicht einfach. „Weil man gerade bei so einem Krieg immer wieder deutlich machen muss, was ist belegbar und was ist nicht belegbar.“ Um der Wahrheit so nah wie möglich zu kommen, ist Einsatz gefordert. Besondere Bedeutung haben dabei Transparenz, Belege und Berichte von (Augen-)Zeugen und (Augen-)Zeuginnen. Informationen müssen sorgfältig recherchiert und verifiziert werden. „Das ist eine mühsame Angelegenheit, aber es ist möglich.“, berichtet er. Auch Daniel Lehmann bestätigt dies, indem er darauf verweist, dass für Journalisten und Journalistinnen aus Deutschland auch bei Recherchen und Einsätzen im Ausland der Pressekodex gilt. Er ist der zweite Gesprächspartner des Abends. Er unterrichtet Medienkompetenz, -ethik und -geschichte an der CODE University und der HMKW Berlin sowie Social Media an der Humboldt-Universität.
Berichte wie die von Arndt Ginzel verdeutlichen, wie schwierig und herausfordernd es ist, sich der Wahrheit in Kriegsgebieten anzunähern. Es ist sehr selten der Fall, dass Ereignisse wirklich belegbar sind, erzählt Arndt Ginzel. Im Fall der russischen Kriegsverbrechen auf der Schytomyr Straße, kommt dem Recherche-Team zugute, dass es der ukrainischen Armee Ende März 2022 gelungen war, die russischen Truppen von der Straße zu vertreiben. Dadurch war es möglich an den ehemaligen russischen Stellungen nach Spuren zu suchen. Das Bekanntwerden weiterer Opfer und die, in den ehemaligen russischen Stellungen, gefundenen Spuren, ermöglichten dem Team weitere Schlüsse auf die mutmaßlichen russischen Täter.
Begegnungen mit den Menschen vor Ort
Zu den wohl eindrücklichsten Berichten aus Kriegsgebieten gehören, neben den Bildern der Zerstörung die Berichte von Augenzeugen und Augenzeuginnen, von betroffenen Personen, deren Leben sich mitten in diesem Krieg abspielt. Dafür muss man Personen finden, welche bereit sind ihre Geschichte zu teilen. Auf die Frage, wie das gelingt, gibt Arndt Ginzel die Einschätzung, dass die Menschen in dieser Region eine andere Beziehung zu Journalisten und Journalistinnen haben und „nicht solche Berührungsängste“. Wir lernen auch aus der Dokumentation, dass es den Menschen wichtig ist, ihre Erlebnisse zu teilen, damit die Wahrheit ans Licht kommt.
Es geht nicht spurlos an einem vorbei
Die Dokumentation geht den Zuschauern und Zuschauerinnen nahe. Wie muss es erst sein, wenn man vor Ort ist, die Bilder aufnimmt und die Situation aus erster Hand miterlebt? Es kann jederzeit sein, dass etwas passiert. Einem selbst, jemandem aus dem Team, den Menschen vor Ort. Auch Arndt Ginzel hat solche Erfahrungen schon gemacht. Er wurde mehrfach festgenommen, auch als er 2015 aus den von russischen Separatisten besetzten Gebieten im Osten der Ukraine berichtete. Bei Recherchen in Syrien, wurde Arndt Ginzels Kameramann, von Söldnern entführt, er selbst konnte knapp entkommen. Die Situation ging gut aus, der Kameramann konnte befreit werden. Trotz solcher Risiken übt Arndt Ginzel seinen Beruf weiter aus.
Zurück in Deutschland wirken die Umstände seiner Recherchen im Ausland noch nach. „Das Rund-um-die-Uhr-angespannt-sein fällt erst mal ab, wenn man wieder hier ist.“, berichtet er. Angespanntheit, gefährliche Situationen, wenig Schlaf. Und zurück in Deutschland, „Man merkt, wie leise die Nacht sein kann.“, erzählt er.
Trotz der fordernden Umstände ist ihm die Freude an seinem Beruf anzumerken. „Das befriedigt mich auch einfach. Dinge herauszufinden und zu verstehen.“ Bleibt zu hoffen und ihm zu wünschen, dass die Freude an seinem Beruf weiterhin anhält und er stets unbeschadet wieder zurückkommt, von der Suche nach der Wahrheit.
Hinweis: Am 16. November (Steinhaus Bautzen) und 17. November 2023 (Kulturfabrik Hoyerswerda) werden wir voraussichtlich erneut mit Arndt Ginzel über seine Arbeit sprechen. Wir informieren rechtzeitig über die Termine in unserem Veranstaltungskalender.
Mehr über das Freiwillige solziale Jahr Politik in der SLpB erfahren Sie übrigens hier.