Sie betrachten vergangene Seuchen und die aktuelle Pandemie eindrucksvoll aus verschiedenen Perspektiven der Wissenschaft. Ihre 180 Seiten sind ein interdisziplinärer Rundumschlag aus den Bereichen Politik, Ethik, Biologie, Medizin, Geschichte und Philosophie. Auf eine biologische Betrachtung folgt im nächsten Kapitel eine soziologische Abhandlung der Rolle von Kultur bei Seuchenverbreitung – eine Herausforderung für Leserinnen und Leser, die kognitiv manchmal anspruchsvoll, aber nicht unlösbar ist.
Die acht Kapitel beruhen auf der Grundannahme, dass Handel, Wandel, Kontakte, Kommunikation das Lebenselixier der globalen Gemeinschaft sind. Anhand dieser skizzieren die Professoren nach einer detaillierten Beschreibung des aktuellen Pandemieverlaufs bis April einen Rückblick auf vergangene Seuchen, die sie in "skandalisierte Krankheiten" und "echte Killer" unterteilen. Immer wieder stellen sie dabei Parallelen zur Gegenwart her: Sie vergleichen etwa die Stigmatisierung von "verdächtigen Giftmischern" in Zeiten der Cholera im 19. Jahrhundert mit der heutigen Denunziation von Skifahrern, Karneval-Begeisterten oder jungen Leuten, die trotz Kontaktsperre Feste feiern. Mit einer chronologischen Aufarbeitung der Seuchengeschichte stellen die beiden Autoren im ersten Teil gekonnt dar, welche Krankheiten und Erreger den Menschen in Europa vor Todesangst zittern ließen und welche Seuchen unterschätzt wurden. Ihr Versuch, die historische Bedeutung von Covid-19 zu analysieren, während der Virus sich noch weiter ausbreitet, kann allerdings nicht komplett gelingen.
Spannend ist vor allem das vierte Kapitel, in dem es um die historische Entwicklung von Gesundheitsversorgung geht. Die Leserschaft erfährt hier, was der gegenwärtig geflügelte Begriff Quarantäne mit der Bibel und venezianischen Händlern im 14. Jahrhundert zu tun hat. Die Frage, wie Gesellschaften mit Seuchenkranken umgehen und welchen Wert das Wohlergehen von Gemeinschaft und Individuum besitzen, beschäftigte die Menschen damals wie heute. Teilweise driften Fangerau und Labisch dabei in eine philosophische Richtung ab, wenn sie innerhalb weniger Seiten Bilder des menschlichen Körpers nach Foucault, verschiedene Definitionen von Gesundheit und den Verlust von Freiheitsrechten thematisieren.
In der zweiten Buchhälfte zeigen sie anhand von ausführlichen historischen Beispielen auf, wie unterschiedlich verschiedene Gesellschaften und Nationen Pandemien bekämpften und bekämpfen. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist, dass derartige Viren und Krankheiten jederzeit wiederkehren können. Im letzten Kapitel geben die Autoren daher konkrete Empfehlungen, was auf globaler Ebene zu tun ist, um künftig besser vorbereitet zu sein. Das ist kein Zufall: Sowohl Heiner Fangerau als auch Alfons Labisch sind Mitglieder der wissenschaftlichen Nationalakademie Leopoldina. Unter anderem ihre Empfehlungen waren und sind die Grundlage für Entscheidungen im Krisenmanagement der Bundesregierung während der Coronpandemie in Deutschland.