Er kam in einem weißen Saunamantel, mit einem Vorschuss von 1000 Westmark und einem Beutel voller Filme zum ersten Treffen. Harald Hauswald muss noch heute schallend lachen, wenn er seine erste Begegnung mit Thomas Hoepker im Ostberliner Palasthotel in den 1980er Jahren schildert. Hauswald arbeitete damals als Telegrammzusteller im Prenzlauer Berg und weil er auf seinen Touren die DDR so fotografierte wie sie war, hatte Hauswald meist die Stasi im Nacken. Hoepker, seinerzeit Art-Director beim Magazin Stern, suchte Fotografen im Osten und man fand gemeinsame, nicht ganz legale Wege der Zusammenarbeit. Damals schien die Welt für die politische Reportage-Fotografie noch in Ordnung. Hoepker: „Geld spielte keine Rolle“ und in den Magazinen war Platz für lange Reportagestrecken.
Einfach gute Bilder
Im Oktober 2018, unzählige Begegnungen, Fotoreportagen und Bildbände später, sitzen beide auf der Bühne im Dresdner Kulturpalast. Zusammen mit Jordis Antonia Schlösser und Christine Kruchen, Hoepkers Frau und Studio-Managerin, sprechen sie „Über die Macht der Bilder“. Hoepker, Hauswald und Schlösser kennen die Macht der Bilder, als erfahrene Reportagenfotografen haben sie selbst wirkungsstarke Bilder geschaffen und den Betrachtern ein Bild von anderen Orten der Welt vermittelt.
Als erster Ost-Fotograf eröffnete Hauswald den Lesern von Stern und Geo einen authentischen Blick auf das Leben in der DDR. Später wurde er Mitbegründer der Fotografen-Agentur Ostkreuz. Hier ist auch Schlösser unter Vertrag. Ihre preisgekrönten Reportagen erschienen in Geo, Stern, National Geographic und Spiegel. Aber die bekanntesten Bilder des Trios stammen von Hoepker, einem Urgestein der Reportage-Fotografie, Vollmitglied bei Magnum-Photos, der wichtigsten Foto-Agentur weltweit und für Jahre deren Präsident. Michael Junge, Moderator des Abends, nennt Hoepkers Bilder Ikonen der Fotografie, der Fotograf nennt sie gute Bilder.
Gute Bilder offenbaren sich manchmal erst später. So sein bekanntestes und umstrittenstes Bild vom 11. September 2001. Die Nachricht der Terroranschläge erreicht Hoepker in seiner Wahlheimat New York. Er schnappte sich die Kamera, sah am Ufer des Hudson River eine Gruppe von Leuten sitzen, im Hintergrund brannten die Twintowers. Hoepker hielt einfach drauf. Beim Sichten am Abend verschwand das Bild in der 2.-Wahl-Kiste, es schien ihm angesichts der Ereignisse zu banal. Erst vier Jahre später entdeckte es ein Kurator bei einer Ausstellungsvorbereitung. Es gab viele eindringliche Bilder von 9/11, aber Hoepkers Bild beschrieb den Kontrast des Tages wie kein anderes: An einem wunderschönen Tag kam das Grauen in die Stadt und es begann eine neue globale Zeitrechnung.
Die Welt verändern
Mit vier Jahren Verspätung ging das Bild um die Welt. Prompt beschwerte sich eine der Fotografierten, Hoepker hätte sie nicht um Zustimmung gebeten. „Ich frage nie“, meint Hoepker kategorisch, das würde das Bild kaputt machen. Rechtliche Bedenken schiebt er beiseite, das echte, unverstellte Bild geht vor. Hauswald und Schlösser pflichten bei. Reportage-Fotografie muss authentisch sein, sie soll die Welt zeigen, wie sie ist. Sie will das Bewusstsein der Betrachter wecken und so die Welt verändern.
Wie hätte sich der politische Diskurs um den Vietnam-Krieg ohne das Foto von Kim Phuc entwickelt? Sie ist das napalmbrennende Mädchen auf dem berühmten Bild des Fotografen Nick Ut/Huynh Cong. Kim Phuc wurde zum Sinnbild eines schrecklichen Krieges. Eine Prüfung des Rechtes am eigenen Bild wirkt in solch einer Situation vollkommen kleinlich. Bemerkenswert ist der lockere Umgang mit den rechtlichen Rahmenbedingungen trotzdem, ist doch eine Hauptaufgabe von Fotografen-Agenturen wie Magnum und Ostkreuz auch die restriktive Wahrung der Fotografenrechte. Im Internet-Zeitalter eine Mammut-Aufgabe und ohne Agenturen ist Reportage-Fotografie kaum noch zu bewerkstelligen. Die Agenturen sichern die Vermarktung, finanzieren Projekte und Reisen vor und geben juristischen Schutz. Freelancer haben kaum noch eine Chance.
Selfies, Bilderflut und Demokratisierung
Die Digitalisierung hat die Fotografie verändert. Bilder müssen auf den ersten Blick funktionieren. Tief- und Hintergründigkeiten lassen sich auf 5-Zoll-Bildschirmen von Handys nicht vermitteln. Die Botschaft muss schreien und so gibt es bei Instagram kaum Bilder ohne Filter und Retusche. Bei Magnum ist schon der Beschnitt des Bildes untersagt.
Auch wenn Hoepker, Schlösser und Hauswald mit analogen Bildern groß geworden sind, fotografieren sie inzwischen alle digital und schätzen die neuen Möglichkeiten. Sie loben unisono, dass die Digitalisierung auch eine Demokratisierung der Fotografie bewirkt habe. 99 Prozent aller Westeuropäer und Nordamerikaner haben einen Fotoapparat, ganz gleich ob Spiegelreflex oder Handy. Hauswald: „Jeder kann eine Foto-Ikone schaffen. Aber es wird immer schwerer, dass sich einzelne Bilder gegen die Bilderflut durchsetzen.“ Einigkeit besteht auch bei einer anderen Novität: Selfies brauche kein Mensch - vollkommen unnötig, zumindest aus Sicht der Reportage-Fotografie.
Werbung statt Reportage
Eine zweite dramatische Veränderung brachte der Wandel des Zeitschriftenmarktes. Die goldenen Zeiten sind längst vorbei. Noch vor 15 Jahren hatte die Geo fünf bis sechs Fotoreportagen im Heft, heute ist es nur noch eine. Ähnlich beim Stern, auf den Doppelseiten ist heute Werbung statt Reportage. Auch die Budgets schmelzen. Hoepker berichtet von seinem ersten Job, eine Amerika-Reportage für Kristall - das Magazin ging 1966 Pleite. Der Chefredakteur fragte, wie lange Hoepker nach Amerika gehen wolle? Ein oder zwei Monate? Man war unterwegs, bis das Ergebnis stimmte. Heute muss eine Woche genügen. Antonia Schlösser reicht dies nicht, sie versucht, über Stipendien eine paar Zusatztage zu finanzieren. Zwei Wochen für eine Reportage zum Thema “Liebe in arabischen Ländern“, reichen aber trotzdem nur, um an der Oberfläche zu kratzen.
Dauernd neue Bilder
Wie weiter mit der politischen Reportage-Fotografie? Hauswald ist pessimistisch, in Zeiten allgegenwärtiger Kamerapräsenz fehle es zunehmend an Zeit, Budget und Publikationsmöglichkeiten. Hoepker und Schlösser halten dagegen. Zwar haben sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschärft, aber es gäbe immer noch viele Menschen, die eine Stimme bräuchten und Fotografen könnten sie ihnen geben. Zudem sei das Interesse an Fotografie groß und durch die Digitalisierung gewachsen. Hoepker: „Die Möglichkeiten sind fantastisch. Die Fotografie lebt, es werden dauernd Bilder neu geboren.“
"Voll der Osten. Leben in der DDR" Die SLpB gibt eine Fotoausstellung von Harald Hauswald mit Texten von Stefan Wolle für Schulen und Begegnungsorte ab. Diese wurde herausgegeben von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und Ostkreuz.