Schnell wurde Anfang März klar: Die Europäische Union verfügt nicht über eine einheitliche Strategie zur Pandemiebekämpfung – eine Belastungsprobe für die Beziehungen der innereuropäischen Nachbarn.
Während des Webtalks “Stillstand ist der Tod: Was bedeutet Corona für das Zusammenleben in Europa?” diskutierte Dr. Roland Löffler, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, am 9. Juli mit Expert*innen im und Bürger*innen über die langfristigen Folgen der Pandemie in Europa. Christiane Liermann-Traniello, Generalsekretärin der Villa Vigoni am Comer See, berichtete davon, wie sich mit dem Virus “die italienischen Verhältnisse des geplagten Südens und des wohlhabendens Nordens” umdrehten. Über die genauen Gründe, weshalb gerade der Norden viel mehr als der Süden von der Pandemie betroffen ist, konnte die Leiterin der europäischen Begegnungsstätte jedoch nur mutmaßen: “Die Lombardei ist eine Region, die mit China in sehr engem ökonomischen Kontakt steht und es hat vergleichsweise lange gedauert, hier die Grenzen zu schließen.”
Noch später machte Großbritannien seine Grenzen dicht. Ab 2021 sind Grenzkontrollen zu Europa auch ohne Corona wieder Alltag. Am 1. Juli lief die Frist zur Verlängerung der Übergangsphase für den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs ab. “Die Zusammenarbeit mit der EU hat während der Coronakrise gar keine Rolle gespielt”, erzählte Jan-Jonathan Bock, Programmdirektor des politischen Thinktanks Cumberland Lodge im britischen Windsor. Der Brexit sei kaum Diskussionsthema in den letzten Wochen gewesen. Doch mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft erhoffe sich die britische Regierung nun, dass “ein bisschen Feuer” zum wirtschaftlichen Vorteil der Briten in die Austrittverhandlungen komme. Es herrsche in der britischen Politik oft noch die falsche Vorstellung, die deutsche Regierung sei alleine an einer Lösung zugunsten der Autoindustrie und nicht etwa am Festhalten der europäischen Gemeinschaft interessiert, erklärte Bock.
Kritischer Blick auf Hilfspakete
Mit Argwohn habe die dänische Öffentlichkeit auf den gewählten Weg ihres schwedischen Nachbarn geblickt, sagte Birgit Stöber, Dozentin an der Business School Berlin und ehemalige Leiterin der Presse- und Kommunikationsarbeit in der Königlich Dänischen Botschaft Berlin. Selbst zierte sich die neu gewählte Regierung in Dänemark, Hilfsmittel nach Italien zu schicken. Und auch der deutsch-französische Vorschlag eines milliardenschweres Hilfspakets für notleidende EU-Staaten stieß in Dänemark auf wenig Begeisterung. Die gleiche Reaktion beobachtete Christiane Liermann-Traniello in Italien. Und das, obwohl Italiens Wirtschaft ohne die EU-Milliarden vermutlich kaum wieder auf die Beine käme: “Die politische Klasse Italiens bestimmt eine geradezu schizophrene Haltung: Europa soll uns Geld geben, aber mitreden, wie wir es einzusetzen haben, dürfen sie nicht.”
Fernab von Maßnahmen- und Hilfspaketen bedauern viele dänische Bürgerinnen und Bürger in der Grenzregion zu Deutschland den Ausfall einer historischen Solidaritätsaktion in diesem Jahr, erzählte Birgit Stöber. Aufgrund der Coronakrise müssen die Feierlichkeiten des 100-jährigen Jubiläums der Volksabstimmung über die Verschiebung der dänisch-deutschen Grenze auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Anders als heute einigten sich im Jahr 1920 dänische sowie deutsche Politiker auf ein und dieselbe Maßnahme zur friedlichen Lösung des damals noch aktuellen, territorialen Konfliktes.
Ein Mitschnitt der Diskussion vom 9. Juli ist auf unserem YouTube Kanal verfügbar.
Bis zum 17. Juli veranstaltet die SLpB Online-Bürgerdebatten, in der die Menschen im Freistaat aufgerufen sind, mit Fachleuten über die Folgen der Coronakrise zu diskutieren. Weitere Informationen finden Sie hier.