"König Fußball" hat in den letzten Monaten eindrücklich seine Macht im Herrschaftsgebiet Deutschland unter Beweis gestellt. Nur wenige Tage nach der Absage der Leipziger Buchmesse Anfang März saßen rund 42.000 Fußballfans im Stadion von RB Leipzig, um das Champions-League-Duell gegen die Tottenham Hotspurs zu sehen. Und als am 16. Mai der Ball in der Bundesliga wieder rollte, blieben die Türen von Schulen und Kitas vier weitere Wochen geschlossen.
Zwei Monate lang mussten Fußballverrückte in Deutschland auf ihren Lieblingssport verzichten. Leere Zuschauerränge und eine schaurig-stille Stimmung im TV sind seitdem Normalität. Ginge es nach der aktiven Fanszene, hätte der deutsche Profifußball den Spielbetrieb noch länger aussetzen müssen, berichtete Sarah Köhler vom Fanprojekt Leipzig. "Der Fußball soll keine Sonderrolle in der Gesellschaft einnehmen", lautete der gemeinsame Tenor der Fangruppierungen. Doch Klubs und DFL (Deutsche Fußball Liga GmbH) pochten auf einen schnellen Wiederbeginn. "Jetzt wurde endlich allen klar: Der Fußball ist ein Produkt und wenn das Produkt nicht verkauft werden kann, wird es eng", kommentierte Fußballjournalist Ronny Blaschke. Die "Finanzierungsarchitektur" des Profifußballs sei "auf Kante genäht", trotz Summen in Milliardenhöhe, die mit Fernsehgeldern, Sponsorenverträgen und Werbeeinnahmen verdient werden. Teilnehmende Bürgerinnen und Bürger stimmten den Experten zu, dass der kulturelle Wert von Fußball schon länger außen vor sei. "Es herrscht eine Form von emotionaler Distanz bei den Fans, die an Corona sehr deutlich wird und schon länger schwelt: Eine Entfremdung von den Vereinen, die mittlerweile von vorne bis hinten durchkommerzialisiert sind", erklärte Köhler.
Revolution von unten
Die Antwort von Jan-Henrik Gruszecki, Sprecher der Initiative "Unser Fußball", auf die Frage, was Fans dagegen tun können, lautete lachend: "Revolution". Die sähe wie folgt aus: Eine gerechte Umverteilung der TV-Gelder an kleinere Klubs, Vereinsstrukturen mit mehr Mitspracherecht für Fans, eine Gehaltsobergrenze für Profifußballer und verpflichtendes gesellschaftliches Engagement der Klubs. Die klare Mehrheit der Debattierenden am 7. Juli teilte diese Forderungen in einer Umfrage: 71 Prozent erwarten eine grundlegende Reform von innen heraus unter mehr Einbezug der Fanszene. Journalist Frank Willmann zeigte sich jedoch skeptisch, dass solche Veränderungen von den Profiteuren aktueller Machtverhältnisse angestoßen werden.
Mit ganz anderen Problemen hatten Amateurvereine und Klubs aus niedrigeren Spielklassen in den letzten Wochen zu kämpfen. Menschen, deren Sozialleben in Vereinsstrukturen stattfinden, mussten auf Training und persönliche Kontakte verzichten. Nele Kristina Hüpper, Sportjournalistin und Host des Podcasts "FRÜF - Frauen reden über Fußball", appellierte an die Teilnehmenden, öfter mal dem benachbarten Amateurverein einen Besuch abzustatten. "Die Fußballzivilgesellschaft funktioniert auch ohne die DFL und Korruptionsaffären im DFB. Der Sport Fußball als Medium erreicht unglaublich viele Menschen", unterstrich Ronny Blaschke.
An einen revolutionären Umsturz des Milliardengeschäfts Profifußball glaubte dennoch keiner der geladenen Gäste. Zwar blieben die Stadien während der Coronakrise leer, Einschaltquoten und Interesse aber konstant hoch. Die Abkehr vom Herzensverein ist für die meisten Fans keine Option. "Das Volk will es so. Sie wollen den Sport und unterhalten werden", resümierte Blaschke. Solange der auf Gewinnmaximierung ausgerichtete Profifußball unangefochtener König der Fanherzen bleibt, wird es vorerst wohl keine Revolution geben.
Ein Mitschnitt der Diskussion vom 7. Juli ist auf unserem YouTube Kanal verfügbar.
Bis zum 17. Juli veranstaltet die SLpB Online-Bürgerdebatten, in der die Menschen im Freistaat aufgerufen sind, mit Fachleuten über die Folgen der Coronakrise zu diskutieren. Weitere Informationen finden Sie hier.