Desinformation als Herausforderung für die Demokratien der Gegenwart

Was ist Desinformation, wieso bedroht sie unsere Demokratie und was kann man dagegen tun? Mit diesen Fragen beschäftigten sich Expertinnen und Experten beim Fachtag Desinformation am 14. November 2023 in der SLpB.

 

Desinformation stellt eine grundlegende Bedrohung für unsere Demokratie dar. Parallel zu den Auseinandersetzungen mit analogen Waffen findet beispielsweise im Ukrainekrieg ein Informationskrieg statt, mit dem Ziel, die öffentliche Meinung im In- und Ausland zugunsten von Russland zu manipulieren. Informationsmanipulationen fanden ebenso statt, um Wahlen und Abstimmungen zu beeinflussen, beispielsweise das Brexit-Votum oder das Ergebnis der amerikanischen Kongresswahlen. Und schließlich finden gezielte Desinformationskampagnen auch inmitten unseres eigenen demokratischen Systems statt, um dieses zu diskreditieren und grundlegende Werte in Frage zu stellen.

Je unübersichtlicher und komplexer die Probleme werden, mit denen sich die Gesellschaft auseinander setzen muss, umso stärker sind wir auf verlässliche Informationen angewiesen. Zugleich bekommen diejenigen, die vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Fragen zu haben scheinen, immer mehr Zulauf. Alles dies sind gute Gründe, um sich einmal im Rahmen eines Fachtages über das Wesen und die Wirkung von Desinformation auszutauschen.

Von der Zeitungsente zur Computational Propaganda 

Unter dieser Überschrift beschäftigte sich Professorin Ulrike Klinger von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder in ihrer einleitenden Keynote mit der Frage, was Desinformation eigentlich ist und worin die Bedrohung für die Demokratie besteht. Bei Desinformation handelt es sich im Unterschied zu einfachen Falschinformationen, die irrtumlich verbreitet werden, um aktuelle Informationen, die in bewusster Absicht verbreitet werden, meist um die Adressaten zu täuschen. Der zentrale Unterschied zwischen Falschinformation und Desinformation besteht also nicht in der Frage ob die Information wahr oder unwahr ist, sondern in der Intention, mit der die Information verbreitet wurde.

Das Phänomen der Verbreitung falscher Informationen gibt es schon sehr lange, allerdings tragen eine Reihe von Faktoren dazu bei, dass die Auswirkungen heutzutage gravierender sind als früher: Das veränderte Mediennutzungsverhalten vieler, vor allem junger Menschen, ist einer dieser Faktoren, ebenso wie die Wirkmechanismen von Social Media Plattformen. Auch der "Faktor Mensch" spielt eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Desinformation, neigen Menschen doch stets dazu, die Informationen, die ihrer eigenen Weltsicht entsprechen, bevorzugt zu teilen - zum großen Teil ohne sie vorher gelesen zu haben. Außerdem sind die meisten Menschen der Ansicht, dass sie selbst "immun" gegen falsche Informationen seien, alle anderen aber Probleme damit hätten. All dies trägt dazu bei, dass sich Desinformation rasch und oftmals ungehindert ausbreiten kann und zudem eine oftmals nur kleine Gruppe von Menschen eine große "Desinformationswelle" erzeugen kann. Desinformation weckt Zweifel, verbreitet Angst und schürt Wut. Dies kann bereits bestehende Spaltungstendenzen in einer Gesellschaft verstärken und zu Misstrauen gegenüber institutionellen Akteuren wie Staat und Regierung führen. Ressentiments gegenüber Minderheiten werden verstärkt und Vorurteile bestätigt.

Anhand eines konkreten Beispiels wurde dann aufgezeigt, wie Desinformation als Geschäftsmodell funktioniert, indem von einer organisierte Lügenindustrie Wahlergebnisse beeinflusst werden. Dazu stellte der SPIEGEL-Journalist Marcel Rosenbach seine investigative Recherche vor, die im Rahmen des internationalen Projekts #StoryKillers entstanden ist. Das Rechercheteam ist dabei einer israelischen Firma auf die Spur gekommen, die von sich behauptet hat, in der Lage zu sein, Wahlen auf der ganzen Welt zu beeinflussen. Die Reporter gaben sich als potenzielle Kunden aus, die sich von "Team Jorge" die Leistungsfähigkeit von deren Tools demonstrieren ließen. 

Es handelt sich bei Desinformation um ein globales Phänomen, das Demokratien auf der ganzen Welt bedroht. Aufgrund der Tatsache, dass wir in einer digital vernetzten Welt leben, ist es offensichtlich, dass sich auch der Kampf gegen Desinformation nicht nur auf nationaler Ebene abspielen kann.

Die Staaten der EU haben dies bereits vor längerer Zeit erkannt und begonnen, das Problem auch auf EU-Ebene zu regeln. Im Input der Juristin Tahireh Panahi ging es daher um die Frage „DSA und Co. – Ausweg aus der Desinformationskrise?“. Mit dem DSA (Digital Services Act) versuchte die EU, den Flickenteppich mitgliedstaatlicher Regulierungen abzuschaffen. Die Regelung ist mit vielen Vorschusslorbeeren gestartet, sollte sie doch ein sicheres, berechenbares und vertrauenswürdiges Online-Umfeld schaffen und Desinformation entgegenwirken. Problematisch ist allerdings, dass es auch im DSA keine rechtlich verbindliche Definition von Desinformation gibt. Der DSA sieht vor allem repressive und reaktive Maßnahmen gegen Desinformation vor. Darüber hinaus sind auch konstruktive Ansätze vorhanden, da im DSA versucht wird, europäische Werte auf die Technikgestaltung anzuwenden, indem entsprechende rechtliche Anforderungen formuliert werden. Hier wäre, so die Referentin, eine Weiterentwicklung des DSA in Richtung auf mehr vorbeugende Maßnahmen gegen die Verbreitung von Desinformation ("Prebunking") wünschenswert.
Mehr Information über die Inhalte des DSA außerhalb der Bezahlschranken ist notwendig, um Nutzer*innen über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären, eine korrekte und fundierte Grundlage für einen kritischen Diskurs über Vorschriften des Digital Services Acts zu schaffen

Der letzte Impuls von Lea Frühwirth von CeMAS verfolgt einen sehr ganzheitlichen Ansatz zum Umgang mit Desinformation. Ausgangspunkt ihrer Darstellung war die Feststellung, dass Desinformation oft aus einer bestimmten Perspektive betrachtet wird, was jedoch der Komplexität des Themas nicht gerecht wird. Insgesamt identifiziert sie fünf Perspektiven auf Desinformation: Aus der Informationsperspektive wird Desinformation als ein Problem der mangelhaften Information über Sachverhalte betrachtet. Dementsprechend kann die Vermittlung von Medienbildung für Abhilfe sorgen. Die zweite Perspektive ist die der Sicherheit. Hier steht die Gefährdung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Stabilität im Mittelpunkt. Wird Desinformation als Sicherheitsproblem verstanden, so können repressive Maßnahmen wie Strafverfolgung und Sanktionen für Abhilfe sorgen. Die dritte Perspektive betrachtet Desinformation als Technologieproblem, ausgelöst durch algorithmengesteuerte Plattformen und befeuert durch den Einsatz von KI. Aus dieser Sicht liegt die Lösung in der Regulierung von Plattformen. Seltener wird Desinformation als sozialwissenschaftliches Thema verstanden. Nach diesem Verständnis helfen fundierte Kenntnisse über die gesellschaftlichen Ursachen bei der Bekämpfung von Desinformation. Die fünfte Perspektive versteht Desinformation als eine langfristige Belatung für die Demokratie. Diese kann nur dadurch bekämpft werden, dass die Demokratie resilient gemacht wird durch die Förderung von Vertrauen in die demokratischen Institutionen und die Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen und der Entscheidungsfindung. 
Abschließend kommt die Referentin zu dem Schluss, dass es das eine "Allheilmittel" im Umgang mit diesem Phänomen nicht geben kann. Um Desinformation eindämmen zu können, muss sie in ihrer Komplexität gesehen und bekämpft werden.

In der abschließenden Podiumsdiskussion blickten die Referierenden gemeinsam mit den Tagungsteilnehmenden auf die eigene Rolle als Akteurinnen und Akteure aus den Bereichen politische Bildung, Medienbildung, Wissenschaft, Journalismus und auch Schule und fragten sich, wie die eigene Rolle im Kampf gegen Desinformation aussehen könnte. 
Während der Tagung hatte im Foyer die "Gerüchteküche" der JoDDID bereit gestanden, eine Art "interaktives Möbel" der politischen Bildung, an der sich die Teilnehmenden ein Getränk mixen konnten. Zur Auswahl standen die im letzten Vortrag dargestellten fünf möglichen "Medikamente" gegen Desinformation, hier repräsentiert durch fünf farbige Flüssigkeiten. Blickte man auf den "Wasserstand" der Getränke, so zeigte sich, dass aus Sicht der Teilnehmenden die Stärkung der resilienten Demokratie sowie die Förderung von Medienkompetenz die vielversprechendsten Mittel gegen Desinformation darstellten. Dieser Befund bildete den Ausgangspunkt der Abschlussrunde. 

Diskutiert wurde unter anderem die Frage, ob die Schulen, die ihnen zugedachte Aufgabe der Vermittlung von Medienkompetenz auch tatsächlich erfüllen können und was getan werden müsste, um sie dazu zu befähigen. Hervorgehoben wurde in diesem Zusammenhang das Vorbild der skandinavischen Staaten in Sachen "Prebunking" von Desinformation bereits bei Kindern. Auch stellten die Diskutierenden fest, dass nicht nur junge sondern vor allem auch die älteren Menschen in den Fokus der Maßnahmen der Medienbildung gerückt werden müssten. Bei dieser Zielgruppe stellt die Auswahl der geeigneten Vermittlungsmethode eine besondere Herausforderung dar. Viel zur Verbesserung der Medienkompetenz kann auch der Journalismus leisten, wobei besonders die Initiative "Journalismus macht Schule" hervorzuheben ist. Auch die oft als "Desinformations-Schleuder" verschrieenen KI-Tools können nicht nur negativ wirken, sondern sind auch in der Lage, bei der automatisierten Filterung von Desinformation einen nützlichen Beitrag zu leisten.

Die Diskutierenden waren sich einig, dass man das Phänomen Desinformation auch in Zukunft im Blick behalten müsse, da es in der Lage sei, großen Schaden an unserem Gemeinwesen und unserer freiheitlichen Demokratie anzurichten. Es wurde die Feststellung aus dem letzten Input geteilt, dass Desinformation kein reines Krisenphänomen sei sondern einen chronischen Stressfaktor für die liberale Demokratie darstellt.