Die Inflationsrate erreicht immer neue Rekorde. Aktuell liegt sie in Europa bei über neun Prozent. Das heißt, für das gleiche Geld können wir uns immer weniger kaufen. Oder wie würden Sie Inflation erklären, Herr Damm?
Das ist richtig definiert, eine Inflation ist eine fortschreitende Geldentwertung. Das Wort „Inflation“ kommt vom lateinischen „inflare“, das bedeutet: aufblähen, anschwellen. Die Erhöhung des Preisniveaus führt zu Verminderung der Kaufkraft. Und das spüren wir alle. Andere Wirtschaftsthemen, etwa Arbeitslosigkeit, betreffen nur einen Teil der Gesellschaft. Inflation betrifft alle, Kommunen, Unternehmen, einzelne Personen, Arme und Reiche.
Welche Faktoren schrauben die Inflation gerade nach oben?
Der Bereich Energie hat einen großen Einfluss. Der Anstieg der Energiepreise, der sich auch in unseren Rechnungen beispielsweise fürs Tanken, für Öl und Gas widerspiegelt. Diese Preise werden vor dem anstehenden Winter weiter steigen. Ein anderer Faktor, der die Inflation antreibt, sind Schwierigkeiten bei Lieferketten. Da spielt auch das Thema Corona hinein, an chinesischen Häfen gibt es großen Warenstaus durch Lockdowns. Warenlieferungen, die uns sonst versorgen, funktionieren nicht mehr. Auch das treibt die Preise nach oben. Diese Steigerungen werden in allen möglichen Bereichen an Kunden weitergegeben, vieles wird also teurer.
Wann hat es zuletzt solch hohe Inflationsraten gegeben?
Wir haben zum Beispiel Anfang der 70er-Jahre Inflationsschübe erlebt. Auslöser war der israelisch-arabische Jom-Kippur-Krieg, der Staaten und Energiemärkte in Krisen stürzte. Auch damals wurde die Inflation angetrieben durch die Verteuerung von Energie. Es gab einen Ölpreisschock. Die Inflationsrate lag damals bei etwa sieben Prozent. Auch in den 80er-Jahren gab es leichte Inflationswellen. Nun erleben wir allerdings neue Höhen. Steigerungen wie jetzt haben wir seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen. Die europäische Inflationsrate hat die neun Prozent inzwischen übersprungen. Bis zu fünf Prozent Inflationsrate spricht man von einer leichten Inflation, zwischen fünf und 20 Prozent geht es um eine beschleunigende Inflation, da sind wir im Moment drin. Danach geht es weiter mit der galoppierenden Inflation und ab 50 Prozent handelt es sich um eine Hyperinflation.
Muss man befürchten, dass es wieder zu solchen Entwicklungen kommt oder ist das völlig übertrieben?
Die Hyperinflation hat sich in Deutschland zwischen 1914 und 1929 entwickelt. Ein berühmtes Beispiel ist das Frühstücksei. Das kostete zu Beginn des Ersten Weltkriegs sechs Pfennig, der Preis stieg im Laufe der 1920er-Jahre schließlich auf 900 Milliarden Reichsmark. Das kann sich heute kein Mensch mehr vorstellen. Solche Szenarien kann man nicht mit der aktuellen Situation vergleichen, dazu wird es nicht kommen. Da sollten wir uns vor Panik hüten.
Lohnt es sich in der aktuellen Lage überhaupt noch Geld auf dem Konto zu sparen?
Ich will kein Anlageseminar machen, das ist Sache von Banken und Sparkassen. Aber wir werden in meinen Veranstaltungen zumindest einen Blick auf Anlageformen werfen und schauen, wie sie sich in der aktuellen Lage verhalten, etwa Immobilien, Aktien, Rentenwerte oder Rohstoffe wie Gold.
Kann eine Inflation auch nützlich sein und, falls Ja, für wen?
Eine Inflation kann all jenen nützen, die einen festen Betrag schulden, der nicht angepasst werden kann. Schuldner können auch Staaten sein. Sie gehören in diesen Kreisläufen, zumindest was diesen Aspekt angeht, zu Gewinnern, weil ihre Schuldenwerte in der Inflationsphase geringer werden. In großen Inflationsphasen könnten sich Staaten gewissermaßen entschulden. Aber Inflationsprozesse schaden natürlich vielen anderen Bereichen. Und sie gehen zulasten der kleinen Leute, die nicht viel Geld zum Leben haben, erst recht nicht zum Sparen.
Wird die Inflation immer weiter steigen oder ist ein Ende absehbar?
Die Inflation könnte zunächst weiter angetrieben werden durch eine Lohn-Preis-Spirale. In der europäischen Volkswirtschaft könnten die steigenden Preise auch die Löhne hochtreiben, daraus würde ein tückischer Inflationskreislauf entstehen. Derzeit kann ich das noch nicht erkennen. Den höchsten Inflationspunkt haben wir aber sicher noch nicht gesehen. Wir werden im Herbst weitere Unsicherheiten erleben, besonders in den Energiebereichen. Die Inflationsrate wird möglicherweise auch noch über zehn klettern, also zweistellig werden. Aber ich denke im nächsten Jahr wird sich diese Lage beruhigen. Ich glaube nicht, dass wir eine Dauerinflation bekommen werden. Natürlich wird vieles davon abhängen, wie es mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine weitergeht, wie sich die Fragen der Energiebeschaffung entwickeln. Werden die Preise weiter klettern oder wieder sinken? Wenn sich das Ganze normalisiert, werden wir auch wieder einen beruhigten Marktmechanismus, sinkende Preise und einen neuen Aufschwung erleben. Bei diesen Prozessen spielt auch ein psychologisches Moment hinein. Die Inflation wird dann aufhören, wenn wir eine neue, wie auch immer geartete Normalität haben.
Friedbert Damm war 30 Jahre Direktor einer deutschen Großbank, zuletzt in Dresden. Er ist Experte für Themen wie Negativzinsen, Inflation und die Zukunft des Geldes. Im Rahmen der Reihe „Kontrovers für Ort“, einer Kooperation der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung mit dem Sächsischen Volkshochschulverband und dem Landesverband Soziokultur Sachsen, referiert Damm zum Thema: „Trauma Inflation – oder: Wie bringen wir unser Geld in Sicherheit?“ am 27.09. in Torgau, 04.10. in Chemnitz und 20.10. in Hoyerswerda. Mehr Informationen zu dieser Veranstaltung und weiter Termine im November finden Sie hier.