Gelebtes Europa

Städte- und Kommunalpartnerschaften entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa mit dem Ziel der Versöhnung und des gegenseitigen Kennenlernens. Vor allem letzteres hat bis heute nicht an Aktualität eingebüßt und ist in einem geeinten Europa wichtiger denn je.

Insgesamt gibt es heute rund 20.000 solcher Partnerschaften in Europa. Jüngere Umfragen belegen, dass viele Partnerschaften aktiv sind und vielfältige Begegnungen und Projekte stattfinden – klassische Formate wie der Schulaustausch, Vereinsbegegnungen oder Bürgerreisen ebenso wie projektbasierte Ansätze. Neuerdings finden – pandemiebedingt – Begegnungen und Projekte auch immer öfter im virtuellen Raum statt – e-Turniere, virtuelle Kochkurse oder digitale Konferenzen. In einer Studie des Deutsch-Französischen Instituts und der Bertelsmann Stiftung unter den deutsch-französischen Städte- und Kommunalpartnerschaften, der größten und ältesten Gruppe, gaben knapp drei Viertel der über 1.300 teilnehmenden Städte und Kommunen (72 Prozent) an, dass die deutsch-französische Partnerschaft in der Verwaltung einen hohen Stellenwert genießt. 76 Prozent bewerteten die Beziehungen zum Partner als "sehr gut". Rund zwei Drittel dieser Partnerschaften haben sich auch über lange Zeiträume – zum Teil mehrere Jahrzehnte – stabil oder positiv entwickelt. Das sind schon beachtliche Zahlen.

Dass Städte- und Kommunalpartnerschaften auch heute wichtig sind, trotz zahlreicher Austauschprogramme und Reisemöglichkeiten, liegt vor allem an der Breite sowie der Qualität der Begegnungen, die in diesem Rahmen stattfinden. Über Vereine, Schulen oder andere Hobby- und Berufsgruppen kommen Menschen mit Bürgern aus anderen europäischen Ländern in Kontakt, die sich sonst nicht treffen würden. Viele von ihnen würden sich für einen Individualaustausch wie Erasmus oder Erasmus+ nicht bewerben. Im Rahmen dieser Begegnungen lernt man Menschen aus dem Partnerland und ihre Lebensrealität ganz unverfälscht kennen, anders als bei touristischen Reisen. Wenn es ähnliche Interessen oder berufliche Erfahrungen gibt, erleichtert dies das gegenseitige Kennenlernen. Sprachkenntnisse sind dabei tatsächlich zweitranging – irgendwie, das ist die Erfahrung, klappt die Kommunikation schon. Besonders intensiv ist der Austausch, wenn man in einer Gastfamilie untergebracht ist, aber sich auf diese Form des Kontaktes einzulassen, dazu ist nicht jeder bereit.

Sichtbarkeit und aktives Werben

Viele Partnerschaften sind funktionierende Infrastrukturen. Trotzdem gibt es Herausforderungen: Finanzierungslücken hier, Vakanzen im Partnerschaftsverein oder fehlender Nachwuchs da, ein Bürgermeisterwechsel, wodurch der Kontakt zum Partner zum Erliegen kommt, und nicht zuletzt natürlich die Pandemie. Mehr als 80 Prozent der Teilnehmenden an der bereits genannten Studie wünschen sich mehr aktive Bürger. Nur eine Minderheit (rund 15 Prozent) findet, dass das bürgerschaftliche Engagement ausreichend ist.

Weil Städte- und Kommunalpartnerschaften einen wichtigen Beitrag zu einem gelebten Europa leisten, gab es in den letzten Jahren Bemühungen, diese zu stärken. In Baden-Württemberg wurde seitens der Landesregierung die Entwicklung und Durchführung eines Fortbildungsangebot gefördert, das Verantwortungsträger und -trägerinnen aus den Kommunalverwaltungen und Ehrenamtliche bei ihrer Arbeit unterstützt. In Nordrhein-Westfalen gibt es einen Europapreis, der vorbildliches Engagement auszeichnet. Vom Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) wurde unlängst eine durch den Deutsch-Französischen Bürgerfonds finanzierte, moderierte Plattform vorgestellt, auf denen Städte und Kommunen ihre Aktivitäten vorstellen, von den Projekten anderer erfahren und sich in einem geschützten Forum zu verschiedenen Themen austauschen können (jumelage.eu). All diese Ansätze sind wichtig, weil sie die Aktiven in ihrer Arbeit stärken und die Sichtbarkeit der Partnerschaften erhöhen.

Zukunftsfähig sind Partnerschaften, wenn Sie vor Ort gut verankert sind – in der Kommunalverwaltung, aber auch in der Bürgergesellschaft - und über Vereine und andere Einrichtungen möglichst vielen Bürgern offen stehen. Sichtbarkeit und ein aktives Werben für die Partnerschaft sind in diesem Zusammenhang wichtig. In dem Maße, wie sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen verändern (Freizeitaktivitäten, Familienroutinen, Formen des Ehrenamts …), müssen auch die Partnerschaften über neue Wege nachdenken, nicht nach einem einfachen Patentrezept, sondern unter genauer Berücksichtigung der jeweiligen Rahmenbedingungen vor Ort und beim Partner. Dann werden die Partnerschaften auch in Zukunft ein zentraler Baustein eines bürgernahen Europas sein.

Dr. Eileen Keller ist seit September 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutsch-Französischen Institut (dfi). In ihrer bisherigen Forschung hat sie sich intensiv mit neueren Entwicklungen im deutschen und französischen Finanzsystem befasst. Am dfi ist sie Ansprechpartnerin für Wirtschaftspolitik in Deutschland, Frankreich und auf europäischer Ebene. Bei der Veranstaltung "Städtepartnerschaften in Sachsen - Überholte Idee oder Außenpolitik der Kommunen?" am 13. März 2021 ist Dr. Eileen Keller eine der Gastsprecherinnen.