Das sagt Professor Berthold Vogel, Direktor des Soziologischen Forschungsinstituts an der Universität Göttingen. Die Frage, die am 17. Juni die Online-Debatte der Landeszentrale für politische Bildung bestimmte, ist also bisher nicht leicht zu beantworten: „Gesellschaftlicher Zusammenhalt: Stehen wir nach der Corona-Krise vor neuen Wohlstandskonflikten?“ Vogel ist hin und her gerissen. Er habe bisher auch Positives beobachtet, etwa das Funktionieren von Institutionen.
Verteilungskonflikte ausgeleuchtet
„Gesundheitsämter, Arbeitsagenturen zum Beispiel, da werden auch mal Fehler gemacht, aber es ist auch viel sehr schnell gelungen“, sagt er. „Außerdem haben wir gemerkt, dass wir viele Politiker haben, die sich besonnen für das Gemeinwesen engagieren.“ Die Krise leuchtet aber auch Wohlstands- und Verteilungskonflikte aus. „Wir nehmen den Hinterhof unserer Gesellschaft zu selten in den Blick“, sagt Berthold Vogel. In der Krise wurde vieles sichtbarer. „Die Anzug- und Kostümfraktion ist relativ schnell im Homeoffice verschwunden, während in vielen Fabriken, in Supermärkten, bei Paketdiensten und in anderen Bereichen weitergearbeitet wurde.“ Dafür gab es Anerkennung aus der Gesellschaft. „Wir müssen jetzt aber aufpassen, dass es nicht beim Klatschen bleibt, sondern dauerhaft zu besseren Arbeitsbedingungen kommt – nicht nur in Krisensituationen.“
Ob sich das wirklich erfüllt? Vogel ist skeptisch. „Ich glaube, dass die Gesellschaft relativ schnell die Sehnsucht hat, wieder zu ihrer alten Normalität zurückzukehren.“ Die Konjunkturpakete, die gerade von der Bundesregierung geschnürt werden – hilfreich, aber in etlichen Punkten zu konsumorientiert, findet der Soziologe. Stattdessen müsse man neben ökonomischen Fragen auch andere Zukunftsdebatten im Blick behalten, etwa Klima und Ökologie. Außerdem müsse man über die Perspektiven der Jugend diskutieren, die sich durch Corona-Krise verschlechtert haben.
Theorie oder Hypothese?
Ein anderes Phänomen, das den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden kann, sind Verschwörungsmythen. Sie haben eine lange Tradition, es gibt viele Beispiele in der Geschichte, manche sind eher harmlose Narrative. Doch in Krisen, auch jetzt während der Pandemie, zeigt sich, dass der Glaube an derartige Erzählungen Konjunktur hat. Außerdem werden die gefährlichen Aspekte deutlicher. Darüber diskutierten bei einem Webinar am 18. Juni Felix Schilk und Benjamin Winkler, die sich schon lange mit diesem Thema beschäftigen. Was ist eigentlich der richtige Begriff dafür? Zwar sei das Wort „Verschwörungstheorie“ am geläufigsten, sagt Benjamin Winkler von der Amadeu Antonio Stiftung. Bei Theorien habe man jedoch Beweise, lege seine Quellen offen, setzte sich einem kritischen Diskurs aus. „Viele, die Derartiges verbreiten, bleiben das allerdings schuldig.“
Winkler verwendet lieber das Wort „Verschwörungshypothese“. Felix Schilk vom Institut für Soziologie der TU Dresden fügt das Wort „Verschwörungsideologie“ hinzu. „Diese sind dann besonders gefährlich, wenn böse Mächte konstruieren werden, die man bekämpfen muss.“ Auf sogenannten Hygienedemos protestierten zuletzt teils Tausende Menschen gegen Corona-Auflagen, etliche davon glaubten, befeuert von alternativen Medien, an Verschwörungen. Zum Beispiel, dass gerade Bill Gates das Weltgeschehen steuere. Gefährlich sei, finden beide Wissenschaftler, wenn Verschwörungsglaube zur Welterklärung wird. „Das geht weg von jedem Begriff von Wissenschaftlichkeit, sondern wird zum Wahn“, sagt Winkler. Außerdem sind viele Verschwörungsideologien geprägt von Antisemitismus und Rechtsextremismus.
Wie sehr dieses Thema gerade bewegt, zeigt sich auch in der regen Debatte. Eine von vielen Zuschauerfragen lautet: „Meine Nachbarn sind überzeugt, dass Corona geplant war. Sind sie Verschwörungstheoretiker?“ Einfach sei die Antwort nicht, sagt Schilk. Die Überzeugung von einem Plan deute zwar auf Ansätze in diese Richtung, es gäbe jedoch viele Vorstufen und Graubereiche. Ein Weg: Miteinander ins Gespräch kommen, angebliche Pläne und Mächte hinterfragen. Diskussionen mit Menschen, die sich tief in den Verschwörungsglauben hineinbegeben haben, seien allerdings schwierig. Aussichtsreicher sei Prävention, zum Beispiel Bildungsarbeit zur kritischen Mediennutzung.