Im Zweifel das Gespräch suchen

Sie vernichten ihre Ausweise und ernennen sich zum Kaiser ihres eigenen Reichs. Sie erkennen die Existenz der Bundesrepublik und deren Rechtssystem nicht an und gängeln Behörden und Verwaltungen.

Die Gruppierungen von Reichsbürgern in Deutschland sind nicht sonderlich groß, doch sie sorgen zunehmend für Unruhe. Die Szene wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Der Dresdner Politikwissenschaftler Sebastian Trept verfolgt die Entwicklungen seit einigen Jahren, er kennt Ideologie, Methoden und Protagonisten. Am 9. März berichtete er davon bei seinem Vortrag „Isoliert im Reich – Reichsbürger in Sachsen“ im Rahmen der Reihe „Kontrovers vor Ort“ der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung und der sächsischen Volkshochschulen. Das Interesse war groß: Etwa 140 Zuschauerinnen und Zuschauer hatten sich bei der digitalen Veranstaltung zugeschaltet. Über die Hälfte gab bei einer Umfrage an, bisher noch nicht selbst Kontakt mit Reichsbürgern gehabt zu haben. Gut ein Viertel sagte, im beruflichen Kontext schon auf Reichsbürger getroffen zu sein.

Reichlich bizarr aber harmlos

Die Bewegung wird in ganz Deutschland auf etwa 19.000 Personen geschätzt, in Sachsen auf reichlich 1.000 Menschen. Diese Anzahl sei „keine direkte Gefahr für den Staat“, sagte Sebastian Trept. Vor etwa 15 Jahren wurden Reichsbürger noch als „Splittergruppe in der Gesellschaft“ gesehen, reichlich bizarr, aber eher harmlos. Das hat sich ab 2016 verändert, seit es die ersten gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Reichsbürgern und Polizeibeamten gab. Hinzu kommt: Die Narrative der Szene werden wirkmächtiger. „Mich erschreckt, wie beinah normal es mittlerweile geworden ist, dass in Diskursen bestimmte Reichsbürger-Argumente einsickern“, sagte Trept. Ist Deutschland ein souveräner Staat? Haben wir einen Friedensvertrag? – das sind beliebte Themen, mit denen Verschwörungsmythen gestreut werden. Die Szene sei lose strukturiert. Es gäbe verschiedene Gruppierungen, in Sachsen drei größere, etwa „Staatenlos.info“.

Die Untersuchungen der Anhängerschaft sind nicht einfach, Studien vage, weil viele sich ungern befragen lassen. Doch ein ungefähres Bild zeigt: In der Szene sind etwas mehr Männer als Frauen verankert, viele Selbstständige, die meisten von ihnen Nichtwähler. Es gäbe ein hohes Misstrauen gegenüber politischen Institutionen, Medien und Wissenschaft. „Reichsbürger sind nicht per se rechtsextrem, aber die Ideologie hat rechtsextreme Züge“, sagte Trept.

Die Corona-Pandemie hat zusätzlich Dynamik in die Szene gebracht, auch bei Querdenker-Demonstrationen fallen Reichsbürger auf. Obwohl es bereits gewalttätige Straftaten von Reichsbürgern gab, meist gegenüber Sicherheitsbehörden, die sich zum Beispiel einschalten, wenn juristische Urteile nicht anerkannt werden, seien die meisten registrierten Taten eher „psychologischer Natur“. „Da geht es um Nötigungen, Druck auf Behörden, verbale Gewalt.“ Eine übliche Masche vieler Reichsbürger: Verwaltungen werden unter Druck gesetzt, mit Schreiben geflutet, weil Reichsbürger Beschlüsse und Gebühren nicht akzeptieren.

Mit Schreiben geflutet

Das Publikum beteiligte sich rege und wertschätzend an der Diskussion im Chat. Dort debattierten Nutzerinnen und Nutzer parallel zum eigentlichen Vortrag über Phänomene, gaben sich Tipps, empfahlen weiterführende Literatur. Fragen aus dem Chat flossen ein ins Gespräch mit dem Wissenschaftler. Ist Attila Hildmann, der eine große Anhängerschaft in sozialen Medien hat, ein Reichsbürger? Das will ein Zuschauer wissen. „Für mich erfüllt er alle Kriterien, die ich bei Reichsbürgern anlege. Hildmann stellt zum Beispiel die Verfassung und das Gewaltmonopol des Staats in Frage“, sagt Trept.

Ein anderer Zuschauer fragt: „Wie soll man mit solchen Personen umgehen, die die Spielregeln nicht einhalten? Sollte man sie ignorieren?“ Der Wissenschaftler sagt, dass er „im Zweifelsfall eher das Gespräch sucht, um zu zeigen, was das für Menschen sind und, wie sie vorgehen.“ Allerdings: Gespräche seien kompliziert. „Reichsbürger reißen Informationen aus dem Zusammenhang und interpretieren sie für ihre Zwecke. Es sei schwierig, gegen solche Argumente vorzugehen, denn immer wieder kommt etwas Neues obendrauf. Dieses Spiel können Reichsbürger stundenlang treiben.“ Daher sei es wichtig, sagt Trept, Personal in Behörden über den Umgang mit Reichsbürgern aufzuklären und zu schulen.

Am Dienstag, dem 13. April, findet der nächste Vortrag "Isoliert im Reich - Reichsbürger in Sachsen" statt.