In Resonanz: gemeinsames Demokratie-Wochenende im Leipziger Gewandhaus
„Denken Sie, es gibt heute in der Gesellschaft mehr Dissonanz als früher?“, fragt Roland Löffler, Direktor der Landeszentrale (SLpB). Als Moderator lässt er das Publikum abstimmen. Grün oder rot – ja oder nein? Das Publikum bejaht: Konflikte und gesellschaftliche Spannungen sind allgegenwärtig, viele spüren sie immer stärker. Auch auf die zweite Frage Roland Löfflers: „Braucht Gesellschaft Dissonanz?“ hält die große Mehrheit die grüne Seite des Programmheftes hoch. Auch, wenn Konflikte eine Herausforderung sind: Nur durch sie kommen wir weiter.
Schon das Interesse an der ersten Diskussionsrunde „Dissonanz: Herausforderung der Demokratie“ am 9. September war groß. Alle Stühle im Foyer des Gewandhauses waren besetzt, im Laufe des Nachmittags kamen immer Menschen hinzu, nahmen oben auf der Galerie oder auf den Treppenstufen Platz. Mehr als 250 Personen hörten schließlich zu, einige von ihnen diskutierten mit.
„Dissonanz ist Grundlage moderner Gesellschaften“
Die Debatte begann auf dem Podium, hier sprachen drei Gäste mit dem Moderator über die Dissonanz. Der Gewandhaus-Solohornist und Vorsitzende des Orchestervorstands, Bernhard Krug, näherte sich dem Thema von der musikalischen Seite: „Dissonanz hört sich erstmal schief an und will musikalisch aufgelöst werden“, erklärte er den klassischen Umgang mit Dissonanz. Das sei aber nicht die einzige Möglichkeit – im Jazz beispielsweise bliebe Dissonanz in Form einer Blue Note ganz bewusst Bestandteil eines Akkords. Konsonanz, also ein Gleichklang, sei das Gegenteil davon.
Julian Nida-Rümelin, Professor für Philosophie und politische Theorie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, beschrieb die gesellschaftlichen Grundzüge von Dissonanz. „Unsere moderne Gesellschaft hat ihre Wurzeln in fundamentaler Dissonanz“, sagte er. Das sei auch das Fundament von Demokratie: Sich auf bestimmte Regeln des Zusammenlebens und der Entscheidungsfindung zu einigen und dann Konflikte und Verschiedenartigkeit auszuhalten. Im Idealfall führe das dazu, dass Dissonanz im demokratischen Diskurs offen ausgetragen werde.
„Misstrauen gegenüber den Medien sorgt für Konflikte“
Canan Topçu, Autorin und Journalistin, übertrug den Dissonanz-Begriff auf dem Podium in die Medienwelt: Aus ihrer Sicht sorgt mangelnde Medienkompetenz für viel Dissonanz. Journalismus habe sich unter anderem durch soziale Medien verändert, Falschnachrichten bekämen immer mehr Aufmerksamkeit. Dadurch wachse das Misstrauen in die Medien, es entstünden mehr und mehr Konflikte, so Topçu.
Zum Ende des ersten Panels suchten die Teilnehmenden der Diskussion nach konstruktiven Lösungen. Journalistin Topçu rückte in den Mittelpunkt, dass Dissonanz manchmal überwunden werden könne, wenn die Einzelnen ihren Individualismus im Sinne der Gemeinschaft zurückstellten. Hornist Krug zeigte mit einem Beispiel aus dem Orchester-Alltag noch einen weiteren Weg auf: Wenn Dirigent und Musiker nicht einig darüber seien, wie etwas musikalisch zu spielen und zu interpretieren sei, bringe es wenig, sich unterzuordnen. Statt widerwillig den Aufforderungen des anderen zu folgen, gelte es, sich den Ansatz der anderen Seite zu eigen machen: um den Dissens zu überwinden und ein tolles musikalisches Ergebnis zu erreichen. Aus dem Publikum kam der Beitrag: Dissonanz könne auch positiv und beispielsweise als Innovationsmotor betrachtet werden.
Musikalisch ist der Resonanz-Begriff etabliert. Musik erzeugt Schallwellen. Diese bringen nicht nur die Luft zum Schwingen, sondern auch sogenannte Resonanzkörper. Dieses Mitschwingen oder den Widerhall bezeichnet mal als Resonanz. Je stärker die Resonanz ist, desto voller und lauter tönt ein Klang. Gesellschaftlich mag der Zusammenhang auf den ersten Blick nicht so klar erscheinen.
Resonanz als Form der Weltbeziehung
Der Soziologe Hartmut Rosa prägte in seinem 2016 erschienenen Werk „Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung“ den Begriff neu. Er vertritt die These, dass Resonanz eine Lösung und ein Gegenkonzept zur gesellschaftlich zunehmenden Beschleunigung und Entfremdung sein könne. Statt auf Ressourcen oder Glücksmomente zu schauen, um Lebensqualität zu messen, mache es mehr Sinn die Beziehungen zur Welt und zu anderen zu betrachten.
Hartmut Rosa war einer der drei Gäste des zweiten Panels am Samstagnachmittag „Resonanz: Schlüssel zu Musik und Gesellschaft“. Hier ging es darum, wie Resonanz in verschiedenen Disziplinen wahrgenommen wird. Die Wiener Kultur- und Musikwissenschaftlerin Marie Louise Herzfeld-Schild startete mit einer Einführung: Sie berichtete, dass Resonanz im Gesundheitsbereich historisch von der Musik auf die Seele übertragen wurde. „Der menschliche Körper wurde als Resonanzkörper gesehen. Die Vorstellung war, dass Nerven im Köper gespannt sind, wie Saiten auf einem Instrument“, erklärte sie. Das Konzept der Resonanz sei so vom Akustischen über das Medizinische schließlich auf das Emotionale übertragen worden.
Was verbindet Musik und Gesellschaft?
Der Soziologe Rosa knüpfte daran an, indem er erklärte weshalb Resonanz nicht nur für den Einzelnen, sondern die gesamte Gesellschaft wichtig sei. „In einer Gesellschaft, die sich ständig dynamisch verändert, hilft es sich nicht, auf sich selbst zu zentrieren“, so Rosa, „sondern mit anderen in Resonanz zu treten“. Eine weitere Perspektive brachte Sebastian Feydt ein, Superintendent des evangelisch-lutherischen Kirchenbezirks Leipzig. Nicht nur lasse sich der Resonanzbegriff auch religiös interpretieren, vielmehr habe Kirche ganz konkret etwas zum Thema gesellschaftliche Resonanz beizutragen, befand Feydt. Gerade in Ostdeutschland, wo viele Kirchengebäude nicht mehr zwangsläufig für Gottesdiente gebraucht würden, könne Kirche sich öffnen und Räume beispielsweise für Diskussionen verschiedener gesellschaftlicher Akteure bereit stellen. Die Aufgabe der Kirche sei dabei: „zuhören und Verantwortung übernehmen und so zivilgesellschaftliches Engagement stärken, indem sie dafür selbst Resonanzräume schafft“.
Die Diskutierenden waren sich einig: Resonanz bedeute nicht, einfach andere Meinungen zu übernehmen und in Gleichklang zu verfallen. Sie bedeutet aber eben auch nicht, sich konfrontativ gegen andere Ansichten zu stellen. Rosa sagte: „Resonanz liegt zwischen Konsonanz und Dissonanz. Sie ist der Moment, um die Brücke zu schlagen“. In seinem Statement sind viele Aussagen beider Gesprächsrunden gut zusammengefasst – und es trifft auch den Kern des Vorhabens des Gewandhauses: nämlich die Möglichkeit, durch Musik Hindernisse zu überwinden und Menschen zusammen zu bringen.