Im Rückblick erscheint der vierstündige Online-Fachtag "Engagement mit Zukunft!" der Landeszentrale für Politische Bildung zweigeteilt. Der zweite, praktische Teil am späteren Nachmittag dieses 2. Juni 2021 ging dabei nur teilweise auf jene Analysen und allgemeinen Trendbeschreibungen ein, die eingangs vorgestellt wurden. Die wiederum zeigten, dass die Corona-Krise seit Jahren ablesbare Trends im bürgerschaftlichen und ehrenamtlichen Engagement nur verstärkt hat.
Trend zu mehr Spontaneität
"Die Coronakrise forciert den latenten Strukturwandel", stellte Birthe Tahmaz vom Berliner zivilgesellschaftlichen Beratungsinstitut ZiviZ eingangs ihr "Engagement-Barometer" vor. Auf dem Höhepunkt der dritten Infektionswelle hatte ZiviZ im März dieses Jahres 2.700 Organisationen befragt. Die Studie sei dennoch nicht repräsentativ, betont die Mitautorin. Auf diesen Strukturwandel wies schon eine Vergleichsbefragung 2017 hin. Nur noch 14 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, es sei einfach, Bürger für ein dauerhaftes Engagement zu finden. Die Hälfte immerhin bejahte, dies sei aber für kurzfristige Aufgabenbindungen möglich. Aktuelle Vergleichsangaben fehlen. Aber im März dieses Jahres hielten es nur noch 31 Prozent für zutreffend, dass sich viele für Betroffene der Krise helfend engagieren.
Jede fünfte Organisation beklagt Austritte und einen Mitgliederschwund wegen der Corona-Belastungen. Besonders betroffen ist der Sport. Nach Siedlungsstrukturen aufgeschlüsselt, glauben leider in ländlichen Räumen deutlich weniger Befragte als in Städten oder Großstädten, dass ihr Engagement während der noch geltenden Corona-Beschränkungen gut fortsetzbar sei. Nur zwischen 18 und 24 Prozent bejahen dies, am wenigsten in Kultur und Sport, zu 43 Prozent immerhin im Sozial- und Gesundheitsbereich. In ähnlicher geringer Größenordnung bewegt sich die Zuversicht, eine Fortsetzung in gewohnter Weise werde nach Überwindung der Pandemie eintreten.
Sonst aber zeichnet sich für die Studienautorin wieder vorsichtiger Optimismus ab. Unumkehrbar aber scheint der schon auf der SLpB-Partnerkonferenz 2019 benannte Trend zu spontanem, aktionsorientiertem Engagement. "Dauerhafte wandern mehr zu den Spontanen ab", bringt es Birthe Tahmaz auf den Punkt. Wenn die gleiche Aufgabenlast nun auf weniger Schultern liegt, bestehe erhöhter Beratungs- und Unterstützungsbedarf, folgert sie.
Sachsenstudie: Aufgeschlossen, aber ausbaufähig
Im Tenor ähnlich, aber konkreter auf Sachsen bezogen fiel der zweite Impulsvortrag aus. Der Soziologe Holger Backhaus-Maul von der Universität Halle-Wittenberg hatte ebenfalls eine qualitative Studie vorzuweisen, basierend auf Interviews mit Führungspersonen. Sie wurde von der Landeszentrale gefördert. Abbilden sollte sie möglichst die gesamte Breite von Kultur und Sport über die Freiwilligen Feuerwehren bis zum Heimatschutz. Lokale Fallstudien aus den Städten Leipzig, Bautzen und Reichenbach flossen ein.
In Sachsen hält sich auffallend hartnäckig der traditionelle Begriff des Ehrenamtes, aber gemeint sind auch hier die schon beschriebenen modernen Formen. "Eine Mischung aus Eigennutz und Gemeinwohl", pointiert Dr. Backhaus-Maul. Denn der Nachweis sozialen Engagements kann bei einer Bewerbung nie schaden. Und junge Leute sind Kinder des Zeitgeistes und wollen beachtet werden, wollen "keine Arbeit im Hinterzimmer, wo es keiner sieht". Gleichwohl ist weiterhin Idealismus im Spiel. Es schafft offenbar ein gutes Gefühl, eine "gesellschaftliche Leistung" zu erbringen, etwas zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beizutragen und damit gegen eine "Zersetzung der Gesellschaft" zu wirken.
Die Bedingungen für dieses Engagement in Sachsen wirken aber nicht nur stimulierend. Wohl sei die Landesregierung "kommunikativ aufgeschlossen", aber ein Konzept vermisst Holger Backhaus-Maul ebenso wie eine umfassende gesellschaftliche Diskussion. Das überall anzutreffende Engagement bleibe fragmentiert und unkoordiniert. Ob die Ehrenamtsagentur des Freistaates die Lücken schließen könne, bezweifelte der Referent.
Dieser Skepsis stimmte Anja Poller von der Bürgerstiftung Chemnitz zwar zu, milderte ansonsten aber einige Eindrücke wie etwa die Angst vor dem Mitgliederschwund. Größere Unsicherheiten herrschten bei der künftigen finanziellen Förderung und nach wie vor auch bei den Rechten und Pflichten der Organisierten. Die Stadt Chemnitz habe sich aber kulant gezeigt. Auf die Digitalisierung hätten sich die Vereine schnell eingestellt.
Auch Friedemann Beyer als Vertreter des sächsischen Sozialministeriums verbreitete Optimismus hinsichtlich einer Rückkehr vieler Engagierter. Der Rückgang sei "nicht so dramatisch" gewesen. Für den vorläufigen Rückzug, für die Verunsicherungen und die psychischen Belastungen infolge der Pandemie bekundete er Verständnis. Wenig verstehen kann er allerdings Klagen über einen angeblich schwierigen Zugang zur Politik. "Jeder kann, und es werden nicht nur Große gefördert", argumentierte Beyer. Über die Kritik von Holger Backhaus-Maul an einem fehlenden Konzept kam es zu einer kleinen Kontroverse. "Die Zeit der Masterpläne über alles ist vorbei", entgegnete Friedemann Beyer. Der Soziologe beharrte zumindest darauf, dass alle miteinander reden und nicht "die abgeschottete deutsche Schrebergartenkultur" pflegen sollten.
Erfreuliches aus den Regionen
In den anschließenden beiden Arbeitsblöcken in Diskussionsgruppen spielten erstaunlicherweise die großen Individualisierungstrends im gesellschaftlichen Engagement kaum eine Rolle. Auch Kritik am Freistaat wurde selten laut. Zu hören waren überwiegend ermutigende und berührende Beispiele aus den Regionen, Arbeitstipps und Finanzierungshinweise. Aus Sebnitz etwa, wo sich auf dem Höhepunkt des Flüchtlingszustroms 2016 eine Gruppe für Verständigung bildete. Nach einem erfolgreichen Förderantrag bei der Robert-Bosch-Stiftung strebt sie aktuell eine "Solidarische Bar für Engagierte" an. Räume stellt die Stadt zur Verfügung. Hier könnte man auch den ersten Versuch einer Reihe aus dem Jahr 2019 fortsetzen, "Sebnitz spricht" als offenes Angebot für alle Menschen in der Region. Ebenso soll eine Lücke geschlossen werden, die nach dem Empfinden der Engagierten die Stadt hinterlässt, nämlich mehr Kunst in die Stadt zu bringen.
Dirk Postler, persönlicher Referent des Oberbürgermeisters, berichtete aus Reichenbach im Vogtland von der unkomplizierten Möglichkeit auch für Unorganisierte, Förderanträge bis zu 35.000 Euro zu stellen. Ideen sollten in der Stadt eine "Ermöglichungskultur" vorfinden und sich nicht an bürokratischen Hürden totlaufen.
Matthias Daberstiel vom Deutschen Fundraising-Verband gab interessante Tipps, wie Mittel bei Unternehmen einzuwerben sind. Die suchten "händeringend Nachwuchs", und mit solchen Kontakten ließe sich zugleich das Anliegen verfolgen, "dass Jugendliche etwas Sinnvolles zu tun haben". Um diese Nachfolgegeneration und ihre veränderten Engagementgewohnheiten ging es auch im Workshop zu Weiterbildung und Beratung. Die Überalterung der Vereine wurde dort angesprochen, einer der wenigen Rückgriffe auf die eingangs vorgestellten Studien. Man solle auf Jüngere zugehen, sie ansprechen und direkt fragen, ob sie nicht Verantwortung übernehmen wollten, lautete eine Empfehlung.
Streng genommen ein Widerspruch zu dem, was in einer der beiden Vorstellungsrunden des Landesangebots kam. "Wir implantieren nichts, es muss von unten kommen", erklärte für das Sozialministerium Christian Avenarius. Besonders für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wichtig sei das im Vorjahr angelaufene und mit 25 Millionen Euro ausgestattete Programm "Soziale Orte". Man achte auf eine möglichst gleichmäßige Verteilung dieser Orte auf den Freistaat, fügte Avenarius hinzu.
Dieses Programm korrespondiert mit dem vom Justiz-, Demokratie- und Gleichstellungsministerium geplanten Förderprogramm "Orte der Demokratie". Es geht um Begegnungsmöglichkeiten vor Ort, um konkrete Entscheidungen kontrovers, aber nachbarschaftlich zu diskutieren. Solche "Erlebnisorte der Demokratie" sieht bereits der 2019 von CDU, Grünen und SPD geschlossene Koalitionsvertrag vor.
Martin Schmidt stellte schließlich die erst im März 2021 gegründete Ehrenamtsagentur Sachsen vor, ein kleines Büro mit drei Mitarbeitenden in der Dresdner Neustadt. Im Schwung des Beginnens klang manches vielleicht zu idealisiert. Aber ein wichtiger Punkt ist zweifellos die Stärkung der Anerkennungskultur, beispielsweise durch eine Ehrenamtskarte oder Pässe.
Wie viel Staat braucht die Zivilgesellschaft?
Die konzentrierte Abschlussdiskussion bestritten zwei erfahrene Fachleute des zivilgesellschaftlichen Engagements: Annette Strauß als Vizepräsidentin des DRK-Landesverbandes Sachsen und Sebastian Vogel, nunmehr Abteilungsleiter im Sozialministerium. Ernsthaft besorgt, gar alarmiert zeigten sich beide nicht. Mit Genugtuung konnte Sebastian Vogel vielmehr feststellen, dass der erst zwei Wochen zuvor verabschiedete Landeshaushalt zumindest keine Kürzungen vorsieht, speziell beim Ehrenamts-Förderprogramm "Wir für Sachsen". Bei der Umsetzung des Koalitionsvertrages liege man im Zeitplan. Allerdings musste er darauf verweisen, dass alle diese Programme überzeichnet seien und deshalb um der Gerechtigkeit willen eine gewisse Bürokratie erforderten, so sehr man auch im Ministerium eine "Kultur des Ermöglichens" wünsche.
Auf solche Hürden im Antragsverfahren insbesondere für kleinere Initiativen hatte zuvor Annette Strauß hingewiesen. Auch sie konnte die eingangs geschilderten Trends beim Nachwuchs nur teilweise bestätigen. Beim "Team Sachsen", einem Zusammenschluss mehrerer Hilfsorganisationen in der Corona-Krise, seien Jugendliche vielmehr gern dabei gewesen, und sei es nur aus Erleichterung darüber, "dass sie sich wieder treffen dürfen". "Aber wo sind die alle hin?", fragte Annette Strauß allerdings auch.
Den bis zu 60 zugeschalteten Teilnehmenden der Online-Tagung waren am Schluss Aspekte wie "Weiterbildung" und "gegenseitige Ermutigung" besonders wichtig. Stehen blieb zum Finale eine zuvor nicht aufgeworfene prinzipielle Frage, die Thema einer nächsten Ehrenamtstagung sein könnte: "Ohne Ehrenamt keine Zivilgesellschaft!" hatte die DRK-Vizepräsidentin noch unbestritten postuliert. Aber wie selbstbewusst kann eine Zivilgesellschaft handeln, wenn sie selbstverständlich auf Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen und zumindest partiell auch auf staatliche Förderung angewiesen ist? Die Praxis dürfte diesen Scheinwiderspruch auflösen. Zivilgesellschaftliches Engagement ist eine eigenständige Komponente des Zusammenlebens, unverzichtbare Ergänzung und zugleich Korrektiv gegenüber einem keineswegs allmächtigen Staat.