Ob die an Paul Celan Interessierten, die sich für diesen Abend bei der Gesellschaft für christlich-Jüdische Zusammenarbeit angemeldet hatten für einen der zugelassenen 71 Plätze, auf so einen grandiosen, langen Literatur-Konzertabend gefasst waren? Ich jedenfalls war völlig überrascht - und tief beeindruckt. Und dankbar für die am Schluss gegebenen Informationen.
Das Mivos-Quartett aus New York gehört zu den renommiertesten modernen Streicherensembles der USA. Die Kompositionen für Streichquartett und Trompete von Bojan Vuletic aus dem Jahre 2011 beziehen sich unmittelbar auf Gedichte aus "Atemwende", stehen also im Programm gleichberechtigt neben den Texten. (Das Internet gibt unter www.bojanvuletic.com Auskunft über diesen ungewöhnlichen Komponisten. "Atemwende", 2013 produziert in New York, gibt es als CD.) Mit dieser Produktion gastiert das Ensemble in diesem Herbst anlässlich von Paul Celans 100. Geburtstag in mehreren deutschen Städten; zusammengestellt und (u.a. für den WDR) inszeniert wurde sie von Uta Reitz und Uwe Schareck, die Texte wunderbar gelesen von Britta Shulamit Jakobi und Hanno Dinger.
Traum von vielen gemeinsamen Tagen
Es geht um die Liebesbeziehung zwischen Paul Celan und Ingeborg Bachmann. Die Musik machte aufs Intensivste hör- und spürbar, welchen Spannungen diese Liebe ausgesetzt war. Gelesen wurde aus den oft herzzerreißenden Briefen, die unter dem Titel "Herzzeit" 2008 bei Suhrkamp erschienen sind, als die Familie sie endlich zur Veröffentlichung freigab; und auch die acht ausgewählten Gedichte Celans gehören in diesen Liebesdialog. Was für eine "Dichterliebe" hätte das sein können, denkt man an vielen Stellen, wenn Briefe mit "Meine liebe Ingeborg" oder "Lieber, lieber Paul" begannen. Warum um Himmels willen fährt sie nicht endlich zu ihrem "Liebsten" nach Paris, so ein schönes, kluges Paar in der Stadt der Liebe? Warum wird nichts aus dem Traum von "vielen gemeinsamen Tagen" im Herbst 1950?
Die Texte machen es immer wieder klar: Zwischen den beiden steht der "Meister aus Deutschland" aus Celans "Todesfuge". Das Gedicht selbst wurde nur in den rahmenden Texten des Autors Daniel Anderson "GEGENAUSCHWITZ" (Paul Celan's Todesfuge 2014)" thematisiert, bildete aber eine Art Sub-Text für den Abend - wie eben für Celans Leben mit Ingeborg Bachmann. Die Täter-Tochter Ingeborg, der Opfer-Sohn Paul: Das werden beide nicht los, so sehr sie auch füreinander bestimmt zu sein scheinen. So muss es für Paul Celan kaum erträglich sein, wenn seine "liebe Ingeborg" sich nicht aus dem Nazi-belasteten Wien lösen kann und dort erste Erfolge genießt, auch in für Celan politisch eher zweifelhaften Kreisen - mit einem geliebten Vater, der bereits 1932 in die NSDAP eintrat. Und wie entsetzlich muss es für sie gewesen sein, als er 1952 bei der Gruppe 47, deren Star sie ist und zu deren Tagung sie ihn mit allen Mitteln hat einladen lassen, so grausam missverstanden und verspottet wird und sie nichts für ihn tun kann! Bei solchen dramatischen Verletzungen müsste jede Paartherapie versagen.
Irreparable Wunden
Und so zerreißt die Musik nach (leider so seltenen) wunderschönen, warm und melodisch klingenden Stellen immer wieder alles in einem schrillen, dissonanten Stakkato, experimentiert auf den Streichinstrumenten und mit bizarren Vorsätzen für die verschiedenen Trompeten und zwingt uns akustisch und emotional, mit den Liebenden auszuhalten, was sie trennt und doch immer wieder auf das Intimste aneinander bindet. Wir werden Zeuge, wie sie noch einmal, in "Köln, am Hof", zueinander finden, wo die Möglichkeit eines kleinen Happy End aufscheint - und wie dann alle Gräben wieder aufbrechen nach der unseligen Rezension im Berliner Tagesspiegel vom 11.10.1959, deren Verfasser für Celan ein "Grabschänder" ist und für Ingeborg Bachmann nur ein Wichtigtuer, vielleicht (nur vielleicht!) ein Antisemit. Was von ihr als Beschwichtigung gemeint ist, schlägt irreparable Wunden. Und doch: Im letzten der vorgetragenen Briefe schreibt Celan an die "liebe Ingeborg" zu seinem neuen Gedichtband, 15 Jahre nachdem er sich in sie "herrlich verliebt" hat 1948 in Wien, er sei "das Dokument einer Krise", und fährt fort: "- aber was wäre Dichtung, wenn sie nicht auch das wäre, und zwar radikal?" - Dieser Abend hat es uns miterleben lassen.