Fachlich setzt der Judaist Peter Schäfer, von 2014 bis 2019 Leiter des Jüdischen Museums in Berlin, dabei viel voraus. Lesende sollten zumindest die Grundzüge der drei monotheistischen Weltreligionen, Judentum, Christentum und Islam, kennen, um ihm folgen zu können auf eine der schlimmsten Zeitreisen. Sie beginnt in der griechisch-römischen Antike, beleuchtet die finsteren Facetten des Mittelalters, die frühe Neuzeit, beide Weltkriege bis hin zur Gegenwart. Dabei gibt Schäfer auf gerade einmal 300 Seiten einen komplexen Überblick und legt Zusammenhänge und Entwicklungen über Jahrhunderte hinweg offen.
Jahrtausende alter Hass
Die Ursprünge des Antisemitismus verortet er im hellenistischen Ägypten: "Antisemitismus beginnt in dem Augenblick, in dem die Juden als eine ethnische Gruppe mit eigenen religiösen und kulturellen Gewohnheiten, Ansprüchen, Gebräuchen wahrgenommen werden", schreibt er. Anschließend beschreibt er die ersten Gerüchte über Juden als Menschenhasser und Menschenfresser, erste Propaganda-Kampagnen letztendlich, die sich gegen einen den Götterpantheon der Ägypter, der Römer, der Griechen in Frage stellenden Monotheismus richteten. Der vor mehr als zwei Jahrtausenden gesäte Hass trägt noch heute Früchte, denn ausrotten ließen sich die einmal gewachsenen und tradierten Vorurteile nie.
In mehreren Kapiteln befasst sich Peter Schäfer damit, wie das Christentum mit seinem Neuen Testament eine Grundlage für den christlichen Antijudaismus legte und wie durch die Umdeutung des Alten Testaments eine Abgrenzung zum Judentum erreicht werden sollte. Er beschreibt den großen Kirchen-Reformator Martin Luther als ebenso großen Antisemiten und handelt chronologisch das Bild der Juden im Islam, im Mittelalter, in der Frühen Neuzeit und im Zeitalter der Aufklärung ab. Im Zuge dieser Entwicklung variierten zwar die ideologischen Motive für Antisemitismus, die Vorurteile und Verfolgung blieben jedoch beständig und entwickelten sich weiter.
Dabei beschreibt Peter Schäfer nicht nur die ideologischen Ursachen für Antisemitismus, sondern auch dessen praktische Auswirkungen auf das Leben der jüdischen Bevölkerung und deren rechtliche Stellung in der Gesellschaft der jeweiligen Zeit: als bettelarme Randfiguren der Gesellschaft, als geduldete Finanziers fürstlicher Kriege, als angesehene Mitglied einer neuen Bürgerschaft, als Stigmatisierte.
Keine plötzliche Erscheinung
Lesende gewinnen einen Überblick über Ursprünge und Zusammenhänge. Schon das erste Pogrom im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung wirkt wie ein Vorbote dessen, was ein entfesselter Antisemitismus anrichten kann. Sei es in der Antike, im Mittelalter oder im Zeitalter der Aufklärung – die "Kurze Geschichte des Antisemitismus" macht deutlich, dass Katastrophen wie die Schoah keine plötzliche Erscheinung waren, sondern dass die Grundsteine dafür über Jahrhunderte hinweg gelegt wurden. Genau so wenig bedeutet die Schoah das Ende einer Entwicklung. Das Buch ist die Momentaufnahme einer Entwicklung, die noch immer stattfindet, teils offen, teils versteckt.
Peter Schäfer fordert darum mehr Engagement seitens des Staates, seitens der Institutionen, seitens der Bürgerinnen und Bürger. Sonst erzählt sein Buch, das mehr als 2.000 Jahre Verfolgung und Ausgrenzung beschreibt, tatsächlich nur eine kurze Geschichte des Antisemitismus.