Es ist das Jahr 2014. Während des von nationalistischen Kreisen organisierten Unabhängigkeitsmarsches wurden Journalistinnen und Journalisten von der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) wohlgesonnenen Medien von einer weiß-rote Fahnen schwingenden Menschenmenge für Vertreter der liberalen Medien gehalten. Dazu zählen zum Beispiel die Gazeta Wyborcza, bei der ich arbeite, und der Fernsehsender TVN. Beleidigungen, Flaschen, Steine und sogar Feuerwerkskörper flogen auf sie zu. Der Journalist eines katholischen Blattes bekommt eine Ohrfeige. Der Moderator eines rechten Fernsehsenders – heute ein Star der regierungsfreundlichen öffentlichen Medien – versucht sich mit an die Menge gerichteten lauten Rufen vor den Angriffen zu schützen: "Hier gibt es kein verdammtes TVN. Wir sind Telewizja Republika, Republika! Hört auf!" Ein anderer informiert die Aggressoren: "Wir sind mit euch!"
Medien als "Feinde der Nation"
Aus diesen Ereignissen haben die Rechten keine Lehre gezogen. Und so wird die Liste der in ihrer Arbeit gehinderten oder geschädigten Medienschaffenden immer länger. Das geschieht mit Zustimmung der Regierungspartei oder wird von ihr ermuntert. Man denke nur an die PiS-Politiker, die Vertreterinnen und Vertreter der Oppositionsmedien als "prodeutsch", "Feinde der Nation" oder "ausländische Agenten" bezeichnen. "Medien, die von den Deutschen noch in den neunziger Jahren übernommen worden sind, haben eine sehr große Rolle bei der Demoralisierung gespielt", sagte im Januar dieses Jahres der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński.
Und so wurden 2020 zwei Journalistinnen der "Gazeta Wyborcza" verprügelt, unserem Pressefotografen hat ein Polizist Tränengas aus ein paar Zentimetern Entfernung in die Augen gesprüht und unsere Pressefotografin wurde trotz Vorlage eines Presseausweises von der Polizei festgenommen. Ihr wurde vorgeworfen, gegen die körperliche Unversehrtheit eines Polizeibeamten verstoßen zu haben... durch Auslösen eines Blitzlichts vor seinem Gesicht. Dies sind nur einige Beispiele von Dutzenden.
Die Partei Recht und Gerechtigkeit läutete ihre Amtszeit mit Maßnahmen ein, die in einem demokratischen Rechtsstaat nur Mitleid erregen können: Die von der PiS gehasste "Gazeta Wyborcza" verschwand aus den Regalen der staatlichen PKN Orlen-Tankstellen. Man konnte die Zeitung nur noch "unterm Ladentisch" kaufen, indem man beim Verkäufer gezielt danach fragte. Und dann wurde eine Reihe von Testballons gestartet.
Die polnische Regierung lotete systematisch die Schmerzgrenze der polnischen Bevölkerung und der Europäischen Union aus. Sie griff nach der in Ungarn erprobten Salamitaktik, indem sie Maßnahmen gegen "nichtpolnische Medien" ankündigt und gleichzeitig die Reaktionen in Polen und im Ausland beobachtet. Die mächtigste Waffe in den Händen der Regierung sind jedoch die aus dem Staatshaushalt finanzierten, öffentlich-rechtlichen Medien, die sie im vergangenen Jahr mit zwei Milliarden Zloty zusätzlich förderten und inzwischen vollständig zu einer Propagandamaschine umfunktioniert haben. Seit 2015 wurden die meisten dort arbeitenden Journalistinnen und Journalisten ausgetauscht und jede kritische Bemerkung – selbst von Menschen, die der Regierung gegenüber loyal sind – wird mit dem Verschwinden vom Bildschirm bestraft.
Nachrichtenticker als Witz
Um zu verstehen, in welche Richtung sich der polnische öffentlich-rechtliche Rundfunk (TVP) entwickelt hat, genügt es, sich die Studie des Press-Service Monitoring anzusehen. Demnach waren während der Präsidentschaftskampagne 2020 rund 97 Prozent der Aussagen über den amtierenden, eng mit PiS verbundenen Präsidenten Andrzej Duda positiv. 87 Prozent der Aussagen über seinen Gegenkandidaten Rafał Trzaskowski, einem Politiker der oppositionellen Bürgerplattform (PO), dagegen negativ.
Als zu Beginn der Coronavirus-Pandemie die Arbeitslosenquote in Polen leicht anstieg, so leicht, dass dies unter solch schwierigen Umständen eher ein Grund für die Regierung sein sollte, stolz zu sein, präsentierte das öffentlich-rechtliche Fernsehen ein Diagramm, aus dem sich eine fallende Arbeitslosenquote herleiten ließ. Wie war das möglich? Das Diagramm wurde spiegelverkehrt präsentiert.
Selbst TVP- Nachrichtenticker werden inzwischen lebhaft als Meme im Internet geteilt und von Nutzerinnen und Nutzern nachrecherchiert, ob es sich hierbei nicht zufällig um einen Fake handelt. Denn viele von ihnen klingen eher wie ein satirischer Beitrag von "The Onion" oder "Der Postillon".
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen handelt reaktiv. Der Hauptnachrichtenservice der TVP "Wiadomości" wirkt wie eine Reaktion auf die Berichterstattung der oppositionellen Medien vom Vortag. Wenn jene dramatische Zahlen zu Corona-Neuinfektionen und Coronatoten in Polen zeigen, kontert die TVP mit Material, das Coronavirus stelle für die EU eine Überforderung dar. Am erbärmlichen Zustand des polnischen Gesundheitswesens sei außerdem die seit sechs Jahren nicht mehr regierende Opposition schuld. Allein im April erschienen im Nachrichtenticker der TVP Schlagzeilen wie: "Die Opposition spielt mit Gesundheit und Leben der Polen", "Die Abgeordneten der Opposition inspirieren Raufbolde", "Die Opposition hat die Maschine des Hasses angetrieben", "Die Opposition hat eine medizinische Krise ausgelöst" oder "Die Opposition will Impfstoffe an Deutschland verschenken".
Nach TVP machte PiS sich auch den Fernsehsender Polsat gefügig. Angesichts "weicher" Druckmittel, wie die Aussicht auf potenzielle finanzielle Probleme, stimmte dessen Eigentümer, der Milliardär Zygmunt Solorz, der Kursmilderung gegenüber der Regierungspartei zu. Heute ist Polsat äußerst höflich gegenüber PiS.
Obwohl die "Gazeta Wyborcza" die größte meinungsbildende Tageszeitung in Polen ist, abonnieren Behörden auf Empfehlung von PiS-Politikern die Zeitung nicht mehr. Ebenso platziert die Regierung keine bezahlten Anzeigen mehr in regierungskritischen Medien – zig Millionen Zlotys fließen stattdessen zu weniger populären, aber rechten Zeitungen und Zeitschriften. Derzeit verschwinden rund 70 Prozent aller Gelder, die staatliche Unternehmen für Werbung ausgeben, in den Taschen von fünf Pressetiteln, von denen vier regierungsfreundlich eingestellt sind.
Austausch der Chefredakteure
Im November 2020 kaufte das staatseigene Unternehmen PKN Orlen – ein polnischer Mineralölkonzern – das Pressevertriebsunternehmen Ruch. Und im Februar darauf stellte PiS ihr Projekt „Werbesteuer“ vor. Laut Beschreibung sollte das Projekt die Giganten treffen: Google oder Facebook. In der Praxis ist es so konstruiert, dass die Technologieunternehmen kaum etwas spüren würden von einer Werbesteuer. Schmerzhafter darunter leiden würden dagegen oppositionelle Medien.
Der spektakulärste Angriff auf den Pluralismus in den polnischen Medien fand jedoch Anfang dieses Jahres statt, als der staatseigene PKN Orlen seine Kollektion erweiterte und von der deutschen Verlagsgruppe Passau die Gesellschaft Polska Press erwarb. So erlangte der Konzern die Kontrolle über 20 regionale Tageszeitungen, 120 Wochenzeitungen und 500 Internetportale, die insgesamt bis zu 17,5 Millionen Leser und Leserinnen erreichen. Die Großzügigkeit der Regierenden war so groß, dass sie für Polska Press über 200 Millionen Zloty bezahlt haben, obwohl der Wert des Unternehmens auf gerade einmal 130 Millionen Zloty geschätzt wird. Der Austausch der Chefredakteure der übernommenen Tageszeitungen startete in der vergangenen Woche.
Vor diesem Hintergrund scheint die Tatsache, dass sich staatliche Institutionen nicht mehr verpflichtet fühlen, Fragen oppositioneller Journalisten zu beantworten, oder sogar für sie ungünstige Informationen zu verheimlichen, zweitrangig zu sein.
Die Absichten der Machthaber werden durch soziale Gleichgültigkeit begünstigt. Es scheint unwahrscheinlich, dass weitere Angriffe auf oppositionelle Medien – oder vielmehr deren Vernichtung – auf heftige Reaktionen innerhalb der Gesellschaft stößt oder zu Protesten führt. In der Studie zur Wertschätzung für verschiedene Berufe rangieren Medienschaffende im unteren Bereich: Nur die Hälfte der Befragten respektiert sie. Ein sehr deutliches Beispiel war unter anderem die Reaktion der Gesellschaft auf die Pläne zur Einführung einer "Werbesteuer": Leserinnen und Leser, selbst aus dem Lager der Regierungsgegner, begrüßten sie und sahen sie als Strafe für die schlechte Qualität der von den Medien präsentierten Informationen.
Der einzige Grund, weswegen die PiS die Medien nicht heftiger attackiert, scheint die Mitgliedschaft Polens in der Europäischen Union zu sein. In diesem Spiel geht es nämlich um EU-Gelder, die – insbesondere während der Pandemie – die Machthabenden dringend nötig haben, um an der Macht zu bleiben. Dazu muss PiS vorsichtig handeln, denn die Polen, auch diejenigen, die PiS wählen, sind Euroenthusiasten. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2019 stimmen 87 Prozent der Polen für den Verbleib in der Europäischen Union. Konflikte mit der Union wirken sich negativ auf die Umfragen zur Zufriedenheit der Bürger mit der Regierung aus.
Damit ist Polen ist noch weit von Ungarn entfernt. Journalistinnen und Journalisten, die nicht vorhaben, auf die regierende Partei Loblieder anzustimmen, finden immer noch Platz für ihre Veröffentlichungen. Allerdings schrumpft dieser Raum, da die Regierung bereits Milliarden von Zlotys in ihre Propaganda investierte. Und so wird die finanzielle Lage der Oppositionsmedien immer schlechter. Sie kämpfen ums Überleben. Ohne die Mitgliedschaft Polens in der Europäischen Union gäbe es in Polen möglicherweise keine oppositionellen Medien mehr. Ihre ganze Hoffnung setzen sie also auf die EU.
(übersetzt aus dem Polnischen)
Adriana Rozwadowska arbeitet seit 2015 als Journalistin für die Gazeta Wyborcza, der größten Tageszeitung Polens. Im Wirtschaftsressort schreibt sie vor allem über den Arbeitsmarkt und Soziales, manchmal über Politik. Im Rahmen der Veranstaltung "Warum Journalismus (über-)lebenswichtig ist ...und Informationen ein öffentliches Gut sind" am 3. Mai 2021 diskutierte sie unter anderem mit Prof. Dr. Karola Wille, Vorsitzende des deutschen Nationalkomitees des Internationalen Presse Institutes (IPI) und Oliver Schenk, Staatsminister für Bundesangelegenheiten und Medien und Chef der Sächsischen Staatskanzlei, über die Bedeutung und Entwicklung der Pressefreiheit in Deutschland, Polen und Europa.