Der Krieg in der Ukraine erschüttert viele Menschen. Nicht nur Erwachsende, auch Kinder und Jugendliche haben Sorgen und Ängste. Wie soll man damit an Schulen umgehen? Wie dieses Thema aufgreifen und diskutieren? Die Gestaltung von Gesprächssituationen, die Einordnung von Fakten und Quellen, der Umgang mit Emotionen, all das sind besondere Herausforderungen für das Personal an Schulen. Um einen ersten Austausch zur akuten Krisensituation, die der Krieg ausgelöst hat, zu schaffen, hat die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung am 3. März zu einer digitalen Debatte unter dem Titel „In der Schule über den Krieg reden“ geladen. Es ist eine kurzfristig anberaumte Sonderveranstaltung im Rahmen des Dialogforums „Was.Schule.bewegt“, in Zusammenarbeit mit der Schulstiftung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung.
Angst dominiert
Das Interesse an der Veranstaltung ist groß. Etwa 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind bei der der Zoom-Konferenz dabei, ein großer Teil ist aus Sachsen zugeschaltet, aber es gibt auch allerhand Beteiligung aus anderen Bundesländern. Viele Lehrerinnen und Lehrer sind darunter, außerdem Fachkräfte aus anderen pädagogischen Bereichen, alle suchen Rat und Unterstützung. „Es ist uns sehr wichtig gewesen, sehr schnell auf das Thema zu reagieren und ein Angebot zu schaffen“, sagt Heike Nothnagel, Moderatorin und Referentin der Landeszentrale. Zu Beginn sollen die Teilnehmer Fragen beantworten, auch diese: Welche Gefühle verbinden Sie mit Krieg? Es sind viele Worte, die bei den Antworten auftauchen, am häufigsten dieses: Angst.
In der Runde sind auch fünf Expertinnen und Experten zugeschaltet, die zunächst kurze Impulse geben. Als klar wurde, dass Russland in die Ukraine einmarschiert, habe sie gedacht, dass man sofort Gesprächsangebote schaffen müsse, sagt Professorin Anja Besand, Erziehungswissenschaftlerin mit Schwerpunkt Didaktik der politischen Bildung an der TU Dresden. Bei anderen Krisenlagen, den Angriffen am 11. September 2001 in der USA zum Beispiel, hatte sie das Gefühl, das dauere zu lang. „Man musste sich erst für Fragen wappnen, die einem womöglich in einer Bildungssituation begegnen“, sagt Besand. „Aber wir brauchen nicht unbedingt einen Wissensvorsprung, wir müssen sofort zur Verfügung stehen.“
Altersgemäß Propaganda und Fake News einordnen
Politische Bildung sei auch im Kontext von Schulen wichtig, sagt Professor Stefan Garsztecki, Politikwissenschaftler, spezialisiert auf Kultur- und Länderstudien Ostmitteleuropas an der TU Chemnitz. Man müsse auch an Schulen informieren, Propaganda und Fake News einordnen, gemäß der Altersstufe der Schüler. Johanna Fabel ist Studienleiterin Religionspädagogik am Theologisch-Pädagogischen Institut Moritzburg, ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist Seelsorge bei Kindern und Jugendlichen. Die würde sie zunächst fragen: Was beschäftigt euch? Beim Thema Krieg, ströme ein „unglaubliches Durcheinander an Bildern“ auf Kinder ein. Man könne dabei helfen, einzuordnen, Emotionen zu kanalisieren. Das Ziel sei vor allem zuzuhören, nicht unbedingt alles zu wissen. „Es gibt nicht immer Antworten“, sagt sie, „aber sich gemeinsam auf die Suche begeben, das ist gut.“
„Frieden beginnt vor allem in uns selbst.“
Genia Loose, Systemische Beraterin, geht darauf ein, dass die seelische Belastung vieler Menschen, auch der Jüngeren, bereits durch andere Probleme groß sei, durch die Corona-Pandemie, die Klimakrise. Nun ist auch noch ein Krieg ausgebrochen. „Unsere psychische und emotionale Stabilitätstoleranz ist strapaziert“, sagt sie. Man sollte sich in der aktuellen Lage bei seriösen Quellen informieren, aber mit der Frage im Hinterkopf: Wie viel Medienkonsum tut mir gut? Und wie geht es im eigenen Leben weiter? Darf man jetzt noch Momente des Glücks genießen, wenn woanders Menschen leiden? „Frieden beginnt vor allem in uns selbst. Das mag pathetisch klingen, aber wir können viel in uns selbst tun“, sagt Loose. „In unseren Beziehungen entsteht die kleinstmögliche Zelle von Friedensarbeit.“ An Schulen ansprechbar zu sein für all diese Problemlagen, das sei gerade jetzt wichtig, sagt Michaela Bausch, Koordinatorin für politische Bildung am Landesamt für Schule und Bildung Sachsen. „Betrachten Sie uns als Verbündete im Schulamt“, appelliert sie an die Pädagogen.
Ansprechbarkeit Signalisieren
Danach werden Gruppen gebildet, für einen Austausch im kleineren Kreis. In einer dieser Gruppen fragt sich ein Grundschullehrer: Soll er den Krieg selbst thematisieren oder abwarten, ob die Schüler ihn darauf ansprechen? Eine klare Antwort gibt es in der Runde nicht, aber Einigkeit, behutsam mit dem Thema umzugehen. Manche wollen lieber Reaktionen der Schüler abwarten, andere den Krieg vor ihren Klassen thematisieren, um Ansprechbarkeit zu signalisieren. „Mein Impuls wäre, erst mal zu fragen, was die Kinder wissen. Und zu fragen, welche Ängste sie haben“, sagt eine Lehrerin.
Um diesen Punkt geht es auch noch einmal in der großen Runde, als die Zuschauer mit den Experten diskutieren. Genia Loose rät, vorsichtig mit dem Thema umzugehen, darauf zu achten, ob Kinder über den Krieg sprechen wollen oder nicht. „Man kann vielleicht über eine anonyme Umfrage herausfinden, wer sich mit was beteiligen möchte“, sagt sie. „Und darauf achten, wo persönliche Grenzen sind.“ Das sieht Johanna Fabel ähnlich. Schüler wüssten auch selbst, wann sie etwas sagen wollen und, wann nicht. Man sollte niemanden zum Reden zwingen. „Besser schauen, was gibt es für Ideen. Und wenn es erst mal keine gibt, dann ist das auch okay.“
Symbolische Handlungen können helfen
Eine Lehrerin will wissen, wie man den Krieg mit Schülern „auf der Sinnebene“ verarbeiten kann. Es komme darauf an, wie alt die Kinder sind, sagt Johanna Fabel. Mit älteren Schülern könne man sich der Sinnfrage über Textarbeit, Informationen zu Hintergründen des Kriegs nähern, mit jüngeren Kindern eher über Geschichten. „Und symbolische Handlungen können etwas Starkes sein, dafür muss man nicht religiös sein. Man kann zum Beispiel eine Kerze anzünden oder Bilder malen.“
Eine andere Zuschauerin sagt, sie sei oft mit typischen kindlichen Fragen konfrontiert: Was ist Krieg? Wer ist gut? Wer ist böse? Wie soll man darauf reagieren? Anja Besand rät, solchen Fragen aufrichtig zu begegnen. Sie erinnert sich an ihre eigene Kindheit, in Zeiten des Kalten Kriegs. Sie hatte damals Angst vor einer atomaren Bedrohung. „Ich hatte einen roten Knopf vor Augen und Panik, dass jemand aus Versehen draufkommt, versehentlich durch Stolpern zum Beispiel“, sagt sie. „Es hätte mir damals geholfen, wenn man es mir richtig erklärt hätte.“ Besand empfiehlt, „aufrichtig zu versuchen, Fragen zu beantworten, zu kontextualisieren, Informationen zu vervollständigen“.
Den Krieg thematisieren - wie kann man dabei die eigene Haltung und die professionelle Haltung als Lehrkraft voneinander trennen? Auch das ist eine Frage, die etliche Lehrer in der Runde beschäftigt. „Man darf natürlich auch eine Position beziehen, aber man muss es klar machen“, sagt Politikwissenschaftler Stefan Garsztecki. „So wie man es auch von seriösen Medien kennt. Man muss Kommentar und Bericht trennen.“
Ein erster Austausch und Anregungen
Es bleiben noch viele offene Fragen. Wie sollte es anders sein bei einem plötzlichen Kriegsausbruch, der viele schockiert. Niemand weiß, wie die Lage sich entwickelt. Als Zusatz zur Debatte ist eine Sammlung mit vielen Materialien entstanden, die über ein Tool mit Kollegen und Kolleginnen geteilt werden können – von Dossiers über den Ukraine-Krieg bis zur „Sendung mit der Maus“, in der die aktuelle Lage kindgerecht erklärt wird. Die Resonanz am Ende der Konferenz ist durchweg positiv. Viele bedanken sich für diesen ersten Austausch und die Anregungen für die Arbeit an Schulen.