Vor unseren Augen verändert das Coronavirus die Welt, unseren Alltag, unser Leben. Die Begleiterscheinungen der Pandemie, Ohnmacht, Tage und Nächte voller Sorgen, Hilfslosigkeit – und auch Wut – sind zu universellen Erfahrungen geworden. Dennoch trifft das Virus keineswegs alle gleich: Vielmehr hat gerade die Pandemie die sozialen und ökonomischen Spaltungslinien vertieft, Privilegien und Ungleichheit in der Gesellschaft hier und international verstärkt und noch sichtbarer gemacht.
Auch die Reaktionen auf die Pandemie offenbaren gesellschaftliche und politische Spaltungen: Während die überwiegende Mehrheit mit Solidarität und Rücksichtnahme auf besonders Gefährdete im Alltag, in der Nachbarschaft, in der Kommune oder in sozialen Netzwerken achtet, hat sich seit Beginn der Pandemie eine lautstarke Minderheit zu einer Protestbewegung entwickelt, die tägliche Regelbrüche, unsolidarisches Verhalten gegenüber Risikogruppen und überbordenden Hass auf den Staat zum Prinzip erklärt hat.
So sehr, wie die Pandemie auf absehbare Zeit unseren Alltag verändern wird, so groß ist die Gefahr, dass die zunehmende Radikalität der Leugnerbewegung und die Normalisierung von Verschwörungsnarrativen, Wissenschaftsfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus die Koordinaten politischen Handelns und gesellschaftlichen Zusammenlebens verschieben werden.
Wir wollen, dass die notwendige Auseinandersetzung den kritischen Mindestabstand wahrt – zu offenen Lügen, Desinformationen und Antisemitismus. Verschwörungserzählungen dürfen nicht länger als lediglich "umstritten" oder "kontrovers" normalisiert werden. Politischer Streit sollte auf zumutbaren "Fakten und Respekt" aufbauen, wie es auch die Publizistin und Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels Carolin Emcke im Februar 2021 angemahnt hat. Christina Zacharias, eine Krankenpflegerin und Gewerkschafterin aus Karlsruhe, hat uns geschrieben: "Corona ist eine beängstigende Realität. Aber der Erkrankung kann man mit Logik beikommen." Sie fragt: "Wie aber erreichen wir Menschen, die die Realität leugnen und sich querstellen, die mit ihrem Verhalten sich und andere gefährden? Diese Frage lässt mich hilflos zurück."
Wir sehen in vielen der Protestierenden tatsächlich Coronaleugnerinnen und -leugner, weil es Menschen sind, die die Gefahren der Pandemie auf gefährliche Weise herunterspielen. "Querdenken" & Co. mag diese Zuschreibung nicht passen. Wir aber halten den Anspruch für vermessen, dort würden Menschen für Freiheitsrechte demonstrieren, bloß weil sie das Grundgesetz unterm Arm tragen. Wir sehen die Netzwerke der organisierten Maskenverweigerer und Impfgegnerinnen als bedrohlich und als eine potenzielle Gefahr für die gesamte Gesellschaft.
Bestrafung und Corona-Diktatur
Spätestens nach dem Neonazimord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) im Juni 2019, dem eine jahrelange extrem rechte Hetzkampagne in den sozialen Medien vorausgegangen war, müssen die Hass- und Drohkampagnen aus der Coronaleugner- und -verharmloserbewegung bitterernst genommen werden. Wenn in Telegram-Gruppen mit 20.000 Beteiligten dazu aufgerufen wird, "für die spätere Aburteilung schwarze Listen" all derer anzulegen, die für "den ganzen Coronablödsinn verantwortlich" seien, oder mit Bezug auf den SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach unter dem Bild einer Maschinenpistole davon fantasiert wird, "Kann man diesen Menschen nicht entsorgen?", werden potenzielle Ziele für Attentate und Angriffe markiert. Denn die Themen der Bewegung und ihrer öffentlichen und nichtöffentlichen Kanäle haben sich innerhalb weniger Monate verändert: Längst dominieren Tag-X-Szenarien vom gewaltsamen Umsturz und der "Bestrafung" der Verantwortlichen für eine vermeintliche "Coronadiktatur" oder den herbeifantasierten "Impfzwang" aus Politik, Wissenschaft und Medien. In einem diffusen "Wir" gegen "Die da oben" und der Vorstellung, dass die Pandemie von "oben" gesteuert würde, finden sich auch diejenigen ein, die von sich selbst behaupten, nicht rechts zu sein: Der Schulterschluss von Esoterikerinnen aus dem grün-bürgerlichen Milieu mit Reichsbürgern und militanten Neonazis gelingt über das Feindbild "Regierung" oder "Staat" und im Kern antisemitische Verschwörungsnarrative.
Rund um den Jahreswechsel 2020/2021, aus der Zeit des zweiten Lockdowns stammen folgende Momentaufnahmen: Am 23. Dezember 2020 demonstrieren in Stuttgart Hunderte "Querdenker" gegen eine angeblich drohende "Zwangsimpfung" und eine "Coronadiktatur". In Anlehnung an einen Slogan der Klimaaktivistinnen von Fridays for Future skandierten die Demonstrierenden: "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns das Fest versaut." Am 5. Januar 2021 meldete das Robert-Koch-Institut, dass die Zahl der Menschen, die an Covid-19 gestorben waren, innerhalb eines Tages um 944 auf insgesamt 35.518 Tote seit Januar 2020 angestiegen waren. Die Zahl der offiziell bestätigten Infektionen kletterte um 11.897 auf 1.787.410, und in manchen Landkreisen in Sachsen, Thüringen und Bayern lag der Inzidenzwert zwischen 300 und knapp 500. Auf den am Rande ihrer Kapazitäten arbeitenden Intensivstationen der Krankenhäuser kämpften an diesem Tag über 5.800 Menschen um ihr Leben. Kurzum: In Deutschland starben in den Wintermonaten 2020/2021 so viele Menschen an und mit Covid-19 wie nie zuvor.
Am 5. Januar 2021 berichtet der Journalist Robert Andreasch, dass im Mobilisierungskanal zu einer Coronaleugner-Demonstration in Nürnberg zu Aktionen am Wohnort von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) aufgerufen werde. Gleich zweimal sei daraufhin dessen private Anschrift veröffentlicht worden. Unter anderem hieß es: "Dieses A**** – heute zum Geburtstag hätten wir ihm die Hölle heiß machen sollen." Und: "Isser denn morng daham? Dann auf!!!" Am 6. Januar 2021 wird auf dem offiziellen Kanal der "Querdenken"-Bewegung Leipzig zu einem "Trumpmarsch" zum Leipziger US-Konsulat für denselben Nachmittag aufgerufen. Verantwortlich zeichnet ein "Donald-Trump-Fan-Club Leipzig". Die "Querdenker" fordern: "Lasst alles stehen und liegen. (...) Wir sind auf dem Weg." Am Abend desselben Tages findet der gewaltsame Angriff von Trump-Anhängern auf das Kapitol in Washington D.C. statt, um die formale Bestätigung des Ergebnisses der US-Präsidentschaftswahl zu verhindern – vier Monate, nachdem Teilnehmer der Leugnerproteste in Berlin die Treppe des Reichstagsgebäudes gestürmt hatten. Am Sturm auf das Kapitol waren auch zahlreiche Anhänger des Verschwörungskults von QAnon beteiligt. Die Anhängerinnen und Anhänger von QAnon haben sich längst auch in Deutschland breitgemacht, bei den Protesten gegen die Coronamaßnahmen sind ihre Plakate weithin sichtbar. Am 10. Januar 2021 "besucht" eine Gruppe von etwa 30 Personen Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) an seinem Privatgrundstück im Zittauer Gebirge. Die Gruppe hat sich über einen der zahlreichen Telegram-Kanäle der Leugnerbewegung verabredet und gezielt um Informationen zur Anwesenheit des Ministerpräsidenten an seinem Zweitwohnsitz nachgefragt. Sie fangen ihn beim Schneeschippen ab und erzwingen einen "Dialog". Einer der Demonstranten trägt ein Schild, auf dem er die Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie als "Völkermord" bezeichnet. An die Adresse von Kretschmer gerichtet heißt es: "Wer Völkermord betreibt, hat das eigene Lebensrecht verwirkt! Rücktritt und Verhaftung sofort!" Nach etwa 20 Minuten bricht der CDU-Politiker die Unterhaltung ab, als eine Frau demonstrativ ein Halstuch in den Farben der Reichskriegsflagge über das Gesicht gezogen hat.
Am 11. Januar 2021 kritisiert die frühere DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld, die von 1990 bis 2005 zunächst für Bündnis 90/Die Grünen und später für die CDU als Abgeordnete im Bundestag war, die von den Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Bodo Ramelow (Linke) geplanten Verschärfungen der Coronamaßnahmen in Bayern und Thüringen in ihrem Blog. Sie schreibt: "Wer sich je gefragt hat, wie Totalitarismus entstehen kann, der muss nur genau hinsehen, was sich vor unseren Augen abspielt." Das ganze Land habe mittlerweile Hausarrest, dessen Ende nicht abzusehen sei. "Diese Maßnahme ist, mit Ausnahme von Nordkorea, beispiellos." Die Gleichsetzung von parlamentarischen Demokratien mit kommunistischen Staaten, allen voran die DDR, um jede egoistische Maskenverweigerung zum "Widerstand" gegen ein totalitäres Regime zu adeln, ist eine beliebte Figur von Rechtsaußen.
Antisemitismus pur
Am 14. und 15. Januar 2021 versammeln sich in der Bar Scotch und Sofa in Berlin-Prenzlauer Berg an zwei Abenden in Folge mehrere Dutzend Coronaverharmloserinnen und -verharmloser zu einer Parteigründung unter dem Motto "Team Freiheit". Der Tagesspiegel-Journalist Sebastian Leber berichtet über den ersten Abend: "Anwesend waren auch ein szenebekannter Ufo-Forscher sowie eine Aktivistin, die unter Coronaleugner:innen als Rechtsanwältin Viviane Fischer, in der Berliner Öffentlichkeit jedoch als Hutmacherin Rike Feurstein bekannt ist." Die Initiatoren und Initiatorinnen wie Viviane Fischer hatten im Juli 2020 einen sogenannten "Corona-Ausschuss" mit dem selbsterklärten Ziel einer "Beweisaufnahme zur Coronakrise" gegründet und behaupten unter anderem, eine Überlastung des Gesundheitssystems sei "nicht auch nur annähernd eingetreten". Die Polizei löste beide Versammlungen auf. Sie ermittelte gegen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter anderem wegen Verstoßes gegen die Infektionsschutzverordnung und gegen das Versammlungsgesetz.
Am 16. Januar 2021 beginnt in Wien eine Serie neuer Massendemonstrationen von Coronaleugnerinnen und -leugnern. Dort heizt unter anderem der bayerische AfD-Bundestagsabgeordnete Hansjörg Müller die Szene an: mit einer Mischung aus extrem rechten Weltuntergangsfantasien, Hetze gegen eine vermeintliche "Krake aus 10.000 Entscheidern weltweit, die dunkle Seite der Macht" und einer Aufforderung zur "Vernetzung von Parlament und Straße". An dem Protest gegen die Schutzmaßnahmen der österreichischen Regierung beteiligen sich insgesamt mehr als 10.000 Menschen. Unter den Demonstranten befinden sich auch der zurückgetretene Ex-Vizekanzler und frühere FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache sowie bekannte Aktivisten aus der österreichischen und deutschen Neonaziszene. Am Rande werden Journalisten gezielt angegriffen und bedroht. Am 17. Januar 2021 wird bekannt, dass das Nobel-Rondell im Göttinger Stadtfriedhof erneut geschändet wurde. Die Gedenktafeln für die acht auf dem Friedhof bestatteten Nobelpreisträger wie etwa dem Physiker Max Planck werden beschmiert und die Aufschrift "Alles Lüge – Q" angebracht – ein expliziter Hinweis auf die rechte Verschwörungsbewegung QAnon. Der Historiker Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, schreibt dazu auf Twitter: "Eine militante Wissenschaftsfeindlichkeit, die fast immer auch antisemitisch aufgeladen ist, ist der rote Faden, der sich von der Holocaustleugnung über die Leugnung des Klimawandels bis zu den Coronaleugner*innen zieht. Und #QAnon ist #Antisemitismus pur."
Am 18. Januar 2021 berichtet die Sächsische Zeitung, dass der Vorsitzende des Kreiselternrates Bautzen, Marcus Fuchs, sein Amt lediglich ruhen lassen muss und von den anderen Elternvertretern nicht zum Rücktritt gezwungen wird. Fuchs, Organisator und Redner bei "Querdenken-351"-Protesten in Dresden, hatte auf seiner Facebook-Seite "Corona-Faschismus" und eine "Panik-Pandemie" behauptet und falsche Informationen über die Todesursache einer 13-Jährigen verbreitet, die im September 2020 in einem Schulbus zusammengebrochen und in einem Karlsruher Krankenhaus gestorben war. Unter anderem die Berliner AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann hatte ein Foto eines Kindes mit der Behauptung "Erstes Todesopfer durch Maske?" auf Facebook gepostet. Die Staatsanwaltschaft Landau gab angesichts der rasanten Verbreitung der Behauptung, der Tod der Schülerin stehe in Verbindung mit dem Tragen eines Mund-Nasen- Schutzes, schließlich eine rechtsmedizinische Untersuchung in Auftrag, die den Vorwurf als haltlos entkräftete. Dennoch hatte der Bautzener Elternvertreter in einem offenen Brief an die sächsische Staatsregierung im Herbst 2020 ein Maskenverbot für Schülerinnen und Schüler gefordert.
Diese Aufzählung ist bei weitem nicht vollständig. Die Wut der "besorgten Bürger" ist auch ein Jahr nach Beginn der Coronakrise nicht abgeebbt, im Gegenteil. Verschwörungsideologien grassieren, Zweifel an den Corona-Todeszahlen werden in rechten Blogs und anderswo gesät. Ein Virus 2.0 frisst sich in unsere Gesellschaft und breitet sich immer weiter aus – obwohl die Inzidenzwerte täglich transparent und für alle nachvollziehbar veröffentlicht werden, obwohl Angehörige von Verstorbenen und Menschen, die unter den Nebenwirkungen einer Coronaerkrankung, die längst als Long-Covid-Symptome Medizinerinnen und Patienten gleichermaßen beunruhigen, ihre leidvollen Erfahrungen in den sozialen Netzwerken teilen, und obwohl ein Blick über den Tellerand klug machen müsste. Der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz sagt angesichts der Faktenresistenz der Leugnerbewegung: "Wer nach dem Motto 'Die Erde ist eine Scheibe' über Corona spricht, will berechtigte Fragen zur Pandemie in grundsätzliches Misstrauen gegen unsere Demokratie ummünzen. Kein Wunder, dass die 'Querdenker*innen' inzwischen wie Marionetten an den Drähten der Rechtsextremisten hängen."
Rasissmusrituale haben Konjunktur
Nachdem die Nachrichtenagentur dpa am 31. Dezember 2019 meldete: "Mysteriöse Lungenkrankheit in Zentralchina ausgebrochen", erfuhr antiasiatischer Rassismus, der sich in tödlichen rechtsterroristischen Anschlägen gegen vietnamesische Boat People in den 1980er Jahren und in den Wende- und Baseballschlägerjahren in Pogromen gegen ehemalige Vertragsarbeiter der DDR gezeigt hat, innerhalb kürzester Zeit eine schreckliche Aktualisierung: Viele Menschen mit asiatischen Wurzeln wurden zu Sündenböcken für die Ausbreitung des Virus in Europa erklärt und erlebten damit, wie die Leipziger Journalistin Nhi Le mehr Rassismus und Gewalt als je zuvor. Kurze Zeit darauf nahm der Coronarassismus auch Geflüchtete ins Visier, die als potenzielle Verbreiter der Seuche verdächtigt wurden: seien es jene in den Flüchtlingsheimen in der thüringischen Provinz oder jene, die in den Elendslagern auf den griechischen Inseln auf eine Evakuierung hoffen. Mit rassistischen Zuschreibungen gegen Muslime von Berlin-Neukölln bis Offenbach und antiziganistischen Ressentiments gegen Sinti und Roma in vielen mittel- und osteuropäischen Ländern ebenso wie in Deutschland und Österreich wurden Minderheiten gezielt stigmatisiert und zur Gefahr für eine Mehrheitsgesellschaft erklärt. Markus N. Beeko, Generalsekretär der deutschen Sektion von Amnesty International, sagt: "In der Coronakrise haben die über Jahrhunderte bei Seuchen gepflegten Rassismusrituale nun wieder Konjunktur."
Dass die vermeintlich Schuldigen für Infektionskrankheiten und Pandemien in bestimmten Bevölkerungsgruppen gesucht werden, hat eine lange, mörderische Kontinuität. Eine besonders bedrohliche Facette ist der mit der Pandemie einhergehende offene Antisemitismus. Im November 2020 sagte Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, er sehe Judenhass als zentrales Bindeglied der Coronaproteste. Klein empörte sich darüber, dass sich vermeintliche Opfer von Coronamaßnahmen der Regierung mit Anne Frank oder Sophie Scholl vergleichen. Mit solchen Verharmlosungen des Nationalsozialismus würden die tatsächlichen Opfer verhöhnt, erklärte Klein. Wie sehr die Zuspitzung von Antisemitismus und Rassismus unter der Pandemie den Alltag vieler Menschen beeinflusst, zeigt sich längst auch in der Polizeilichen Kriminalstatistik. Neun Menschen mit migrantischen Wurzeln ermordete ein Anhänger von Verschwörungsnarrativen in Hanau am 19. Februar 2020 zu Beginn der ersten Welle der Pandemie aus mörderischem Rassismus; mehr als 23.000 rechte Straftaten registrierte das Bundeskriminalamt (BKA) in einer vorläufigen Bilanz auf Anfrage der Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) für das Jahr 2020, darunter waren auch täglich sechs antisemitische Straftaten – so viele wie zuletzt zur Jahrtausendwende. Längst warnen unabhängige Expertinnen ebenso wie das BKA davor, dass die Zunahme von Verschwörungsnarrativen und damit einhergehenden emotionalisierten Feindbildern die Bereitschaft erhöhen kann, dass Gewalt gegen Vertreterinnen des verhassten "Systems" oder Angehörige gesellschaftlicher Minderheiten verübt wird.
Fehlender Mindestabstand prägt auch internationale Protestbewegungen. Doch nur eine internationale Perspektive und Solidarität mit den Staaten des globalen Südens machen eine erfolgreiche Pandemiebekämpfung möglich. Vor dem Hintergrund der fatalen Wirkung von Impfnationalismus und der Verweigerung der Patentfreigabe für die Impfstoffe ist eine kritische Auseinandersetzung mit der staatlichen Gesundheitspolitik und den Gesundheitsmaßnahmen dringend notwendig. Auch in im Wortsinn verrückten Zeiten sind Kritik und Protest mit Mindestabstand zu Ideologien der extremen Rechten selbstverständlich und für jede Demokratie notwendig – ebenso wie Solidarität und Menschenrechte für alle.
Der Text ist eine gekürzte Version des Beitrages "Virus 2.0 Wie die Pandemie den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedroht" aus dem Buch "Fehlender Mindestabstand" von Matthias Meisner und Heike Kleffner.
Am Donnerstag, dem 27. Mai, um 18 Uhr, diskutieren Matthias Meisner und Roland Löffler, Direktor der SLpB, mit weiteren Gästen im Rahmen der Reihe "Leipzig liest..." über die Gefahren der Pandemie-Verharmlosung.