Migranten als Unternehmerinnen und Unternehmer? Bei vielen Deutschen ohne Migrationshintergrund kommen hier sofort Gedanken an Gastronomie, Döner und Gemüseläden auf. Doch seit vielen Jahren werden migrantische Geschäftsleute auch zunehmend in allen anderen Wirtschaftssektoren aktiv – auch in Sachsen. Und das ist wichtig, denn demographische Veränderungen verursachen einen immer größer werdenden Mangel an Fachkräften. Die Zuwanderung aus dem Ausland wurde daher in den vergangenen Jahren als eine Möglichkeit betrachtet, um dem Fach- und Arbeitskräftemangel in Sachsen entgegenzuwirken. Zumeist wurde dabei jedoch das Augenmerk auf Zugewanderte und Geflüchtete als potenzielle Arbeitnehmer gelegt, doch auch als Arbeitgeber spielen Migrantinnen und Migranten inzwischen eine wichtige Rolle.
Zahlen und Fakten
Zum Stichtag 31.12.2021 lebten in Sachsen 215.715 Ausländer, was einem Bevölkerungsanteil von 5,1 Prozent entspricht. Im Bundesvergleich ist dieser Wert relativ niedrig, allerdings gibt es regional große Unterschiede. In Leipzig liegt der Ausländeranteil von 10,2 Prozent und in Dresden bei 8,6 Prozent. In Leipzig hat inzwischen mehr als jedes vierte Kind einen Migrationshintergrund, das heißt, dass mindestens ein Elternteil nach Deutschland eingewandert ist. Sachsenweit ist der Migrantenanteil seit 2010 rapide angestiegen, was vor allem durch die innereuropäische Migration und die Fluchtmigration zu erklären ist.
Im Vergleich zu den meisten Mitgliedsstaaten der EU ist die Selbständigenquote in Deutschland mit 9,6 Prozent relativ gering und die Anzahl der Neugründungen von Deutschen ohne Migrationshintergrund ist seit Jahren stark rückläufig (vgl. ca. 400.000 Neugründungen 2004 mit ca. 100.000 Neugründungen 2019). Im Gegensatz dazu blieb die Anzahl der Neugründungen durch Menschen mit Migrationshintergrund relativ stabil (vgl. 75.000 Neugründungen 2004 mit ca. 82.000 Neugründungen 2019).
In den Herkunftsländern der Migrantinnen und Migranten in Sachsen ist Selbständigkeit deutlich weiter verbreitet als in Deutschland. Syrer bildeten im Freistaat Ende 2019 mit 24.310 Personen die größte Gruppe. In Syrien lag die Selbständigenquote vor dem Krieg bei 29 Prozent und stieg während des Krieges sogar auf 42 Prozent an. Die Selbständigenquote im Herkunftsland der zweitgrößten Gruppe Polen lag 2019 bei 20 Prozent, in Rumänien bei 14 Prozent. Selbständigkeit und Unternehmertum ist somit in fast allen Herkunftsstaaten der Zugewanderten in Sachsen stärker verwurzelt als in Deutschland. Dazu kommt, dass viele von ihnen Schwierigkeiten haben, auf dem sehr zertifikatsorientierten deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, da Nachweise für Abschlüsse und Berufserfahrungen insbesondere bei Geflüchteten oftmals nicht vorliegen. Für viele Menschen, die dieser Gruppe angehören, ist der Weg in die Selbständigkeit eine Möglichkeit, entsprechend ihrer Qualifizierung berufstätig zu werden. Der Anteil der sächsischen Unternehmen die von Menschen mit Migrationshintergrund geführt werden lässt sich statistisch nur schwer abbilden. Zumindest für Leipzig lässt sich feststellen, dass Ende 2019 9,7 Prozent der Unternehmen einen ausländischen Betreiber hatten – eine bemerkenswerte Zahl, wenn man bedenkt, dass noch 2010 der Ausländeranteil in Leipzig bei unter fünf Prozent lag.
Die Anzahl der ausländischen Unternehmen steigt nicht nur deutlich an, sondern auch Branchenstruktur ist im Begriff sich zu diversifizieren. Entgegen einem weit verbreitetem Klischee, sind von einhundert migrantengeführten Unternehmen in Deutschland nur jeweils 14 in den Bereich Handel oder Gastgewerbe zu finden. Über ein Viertel der migrantengeführten Unternehmen bieten sogenannte wissensintensive Dienstleistungen an, wozu unter anderem Unternehmensberatungen, Versicherungen, Steuerberatungen oder Gesundheitsdienste zählen. Das Unternehmen Biontech, welches in der EU als Erstes die Zulassung für einem SARS-CoV-2-Impfstoff erhielt und von einem Ehepaar mit türkischen Wurzeln geführt wird, war ein plakatives Beispiel für das Potenzial migrantischer Gründungen für die Wirtschaft in Deutschland und Sachsen.
Überwindung von Hürden
Obgleich viele Migrantinnen und Migranten den Weg in die Selbständigkeit gefunden haben, stehen viele Zugewanderte, die gern ihr eigenes Unternehmen gründen möchten, natürlich auch vor einigen Herausforderungen: Sprachliche Hürden, bürokratische Verfahren, fehlendes Grundkapital und mangelnde Systemkenntnisse bedeuten für viele motivierte Unternehmer, dass der angestrebte Weg in die Selbständigkeit deutlich beschwerlicher ist als für Deutsche ohne Migrationshintergrund.
Aus diesem Grund ist es sehr wichtig, dass Unterstützungsstrukturen geschaffen werden, um ausländischen Geschäftsleuten die entsprechenden Kenntnisse zu vermitteln. Zwei wichtige Anlaufpunkte sind dabei das IQ Netzwerk Sachsen sowie die KAUSA-Servicestellen in Leipzig und Dresden. In den Fachinformationszentren Zuwanderung in Leipzig, Dresden und Chemnitz des IQ Netzwerks erhalten Unternehmerinnen und Unternehmer zunächst einige erste Informationen zum Weg in den Selbständigkeit sowie wichtige Kontaktdaten zu lokalen Initiativen um sich auf die Unternehmensgründung vorzubereiten. Im Qualifizierungsprojekt des IQ Netzwerks von ARBEIT UND LEBEN Sachsen e.V. besteht die Möglichkeit, an einen Crash-Kurs zum Thema Selbständigkeit teilzunhemen, in welchem unter anderem verschiedene Unternehmensformen und die Grundvoraussetzungen für die Selbständigkeit erklärt werden.
Die KAUSA-Servicestellen in Leipzig und Dresden konzentrieren sich auf die Thematik duale Ausbildung. Obgleich immer mehr Migrantinnen und Migranten ein Unternehmen gründen, ist der Ausbildungsanteil bei diesen Unternehmen im Vergleich zum Bundesdurchschnitt immer noch gering. Die hängt auch damit zusammen, dass das duale Ausbildungssystem nur teilweise mit den meisten ausländischen Ausbildungssystemen vergleichbar ist. Die KAUSA-Servicestellen leisten Aufklärungsarbeit und unterstützen migrantengeführte Unternehmen dabei, selbst Ausbildungsbetrieb zu werden, um somit einen noch größeren Beitrag zur Fachkräftesicherung in Sachsen zu leisten.
Wertschätzung und gesellschaftlicher Zusammenhalt
Die sogenannte Migrantenökonomie spielt eine immer größere Rolle für die deutsche und sächsische Wirtschaft und trägt in erheblichem Maße zur Fachkräftegewinnung und -sicherung bei. Um ausländische Gründerinnen und Gründer in Sachsen zu halten, ist es notwendig, sie bei der Unternehmensgründung zu unterstützen, zum Beispiel bei der Überwindung sprachlicher oder bürokratischer Barrieren oder bei der gegebenenfalls notwendigen beruflichen Neuorientierung. Weiterhin sollten die enormen Leistungen von Migrantinnen und Migranten zum wirtschaftlichen Erfolg größere Wertschätzung erfahren, was einen wichtigen Beitrag zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts darstellen kann.
Dr. Harald Köpping Athanasopoulos leitet bei ARBEIT UND LEBEN Sachsen e.V. den Fachbereich Migration/Integration. Er befasst sich dort intensiv mit der Integration Zugewanderter in Arbeit und Ausbildung. Sein Forschungsinteresse gilt der europäischen Migrationspolitik und er veröffentlichte 2020 sein Buch "EU Migration Management and the Social Purpose of European Integration".
Diskutieren Sie mit uns online bei unserer Veranstaltung "Döner war gestern! Der Wirtschaftsfaktor Migrantenökonomie" am Mittwoch, dem 14. April 2021, von 16:00–17:30 Uhr.