Viele Pioniere des Internets sind mit Träumen von Freiheit gestartet. Sie haben gehofft, dass das Netz zum unendlichen Raum der Möglichkeiten werden würde, im positiven Sinn. Roland Löffler, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung (SLpB), war bei solchen Visionen von Anfang an ein wenig skeptisch. Das konstatiert er in seiner Begrüßung zur diesjährigen Partnerkonferenz der SLpB, die am 15. November im Dresdner Hygienemuseum unter dem Motto „Digitale Bildung und der Faktor Mensch. Herausforderungen für die politische Bildung“ stattgefunden hat. Es war die Auftaktveranstaltung der bundesweiten Aktionstage „Netzpolitik und Demokratie“. „Es scheint mir, dass wir noch einen hohen Berg besteigen müssen“, sagt Löffler. „Anscheinend befinden wir uns gerade irgendwo zwischen gut ausgebauten Trampelpfaden und gefährlichen Brocken und Felsen, die wir Hate Speech oder Verschwörungstheorien nennen. Das alles beschäftigt uns in der politischen Bildung sehr.“
Digitale Bildung. Ein Zwischenstand
Das Thema Digitalisierung ist während der Corona-Pandemie aktueller denn je. Es gibt Errungenschaften wie E-Learning und virtuelle Formate, die Teilhabe ermöglichen. Aber im virtuellen Raum tun sich auch Problemfelder auf, es gibt Fake News und Hass im Netz. Die Konferenz soll einen Zwischenstand abbilden: Wo steht Deutschland, wo steht Sachsen? Er hoffe, dass das Treffen „ein Beitrag zur kritischen und reflektierten Medienbildung sein kann“, sagt Roland Löffler.
Zum Zeitpunkt der Konferenz steigt die Zahl der Corona-Infektionen in Sachsen dramatisch. Die Veranstaltung findet mit 2G-Regeln und begrenzter Teilnehmerzahl statt. Es gibt unter anderem Workshops und einen Markt der Möglichkeiten mit Partnerorganisationen der Landeszentrale. Außerdem Impulsvorträge und eine Diskussion am Vormittag, die digital gestreamt werden, dafür sind zwei prominente Redner eingeladen.
Wissen entsteht erst durch Zusammenhänge
Julian Nida-Rümelin, Philosoph und ehemaliger Kulturstaatsminister, beschäftigt sich auf der Bühne im Hygienemuseum mit dem Thema in philosophischen Zusammenhängen. Er analysiert, was „Digitaler Humanismus“ bedeutet. Grundlagen der humanistischen Praxis seien schon von Vordenkern der Antike wie Platon und Aristoteles behandelt worden. Sie haben Werte wie „Wahrheit“ und „Wohlbegründetheit von Wissen“ diskutiert. Diese Gedanken aus der Antike seien heute mehr denn je gültig - in Zeiten von überbordendem digitalem Content, in man sich verlieren kann. „Wissen entsteht erst durch die Einordnung von Daten in einen wohlbegründeten Zusammenhang“, erklärt Nida-Rümelin. Es sei wichtig, „Orientierungswissen“ zu schaffen. Das könnten nur Menschen leisten, keine Maschinen, denn: „Wir gestalten, nur Menschen haben Verantwortung.“
Den zweiten Impulsvortag hält Marina Weisband, Psychologin, früher Politikerin der Piratenpartei. Sie ist digital zugeschaltet und erklärt zu Beginn, dass diese Möglichkeit auch für sie Teilhabe bedeutet, denn sie ist chronisch krank. Vor zehn Jahre habe sie zu „den großen Optimisten des Internets“ gehört. „Ich dachte, Partizipation könnte so einfach wie nie sein.“ Aber dann sah sie, neben vielem Positivem, auch immer mehr Probleme: „Das Internet vernetzt auch schreckliche Menschen miteinander“, sagt sie. Der Einfluss der neuen Rechten sei gewachsen, Desinformationen hätten sich verbreitet, es sei viel schwieriger geworden, mit faktenbasierter Wahrheit durchzudringen.
Selbstwirksamkeit analog und digital
Weisband konzentriert sich, neben der Analyse, auf Verbesserungsvorschläge. Auf der einen Seite gebe es einen „gefühlten Kontrollverlust“, im analogen wie im digitalen Raum. Dem entgegensetzen könne man Erfahrungen von „Selbstwirksamkeit“. „Ich habe zwei Orte identifiziert, an denen das gut geht: die Kommune und die Schule“, sagt Weisband. Sie ist viel an Schulen unterwegs, unter anderem mit dem Projekt „Aula“, dabei gehe es um solche Prozesse. Wie kann man lernen, Kompromisse zu finden und Projekte umzusetzen? Erfolgserlebnisse seien oft schon kleine Dinge, zum Beispiel ein neuer Fahrradständer an einer Schule, den man gemeinsam durchgesetzt habe. Um solche gelungenen Erfahrungen zu schaffen, brauche es einen Wandel, auch beim Personal an Schulen, „von Autoritäten zu Gestaltern“.
Anschließend diskutierten Julian Nida-Rümelin und Marina Weisband miteinander. In vielem sind sie sich einig, in der Debatte geht es vor allem um Anstöße für die Praxis. Aus dem Publikum kommt die Frage: Wie gelingt es, dass Lehrer sich selbstwirksam erleben, bei all den Vorgaben, die sie für ihre Arbeit bekommen? „Natürlich können wir nichts beibringen als PädagogInnen, was wir selbst nicht erleben“, antwortet Marina Weisband. „Deshalb braucht es mehr Gestaltungsfreiräume, das ist auch eine Frage von Ressourcen.“ Mehr Zeit und Personal sei nötig. Es wird auch diskutiert, ob es neue Formen der Wissensvermittlung und andere Schulfächer braucht. „Ich bin für weniger als mehr Fächer“, sagt Nida-Rümelin. „Es wäre sinnvoller die Inhalte der verschiedenen Fächer an Projekten aufzuhängen.“
Wir gestalten Entwicklung
Abschließend ist von beiden ein Blick in die Glaskugel gefragt: Wie sieht digitale Bildung in 20 Jahren aus? Werden Menschen noch analog zusammenkommen oder spielt sich alles am Bildschirm ab? Kopfschütteln bei Julian Nida-Rümelin, eine Voraussage will er nicht wagen. Denn vieles, was früher für die digitale Welt prognostiziert wurde, sei dann doch ganz anders gekommen. „Wir gestalten Entwicklung.“ Marina Weisband hofft, dass mehr über „die richtigen Werkzeuge“ aufgeklärt wird, um Teilhabe und Vernetzung konstruktiv zu ermöglichen. Sie glaubt, trotz allem digitalem Fortschritt, an Live-Begegnungen. „Wenn wir die Möglichkeit haben, werden wir uns immer von Angesicht zu Angesicht treffen.“
Weitere Informationen und Video-Mitschnitte der Partnerkonferenz 2021