#wtf?! Was hat es mit den sogenannten Reichsbürgern auf sich? Ist die Bundesrepublik eine GmbH? Wir sind alle nur Personal? Gibt es eine geheime Weltregierung? Und werden wir durch Chemtrails vergiftet? Mirko Drotschmann geht für euch populären Verschwörungstheorien auf den Grund.
Thomas Grüter ist Arzt und Buchautor und beschäftigt sich seit Jahren mit Verschwörungstheorien, unter anderem auch auf seinem Blog. Er fragte sich: Warum glauben Menschen felsenfest an die absurdesten Dinge?
Was ist eine Verschwörungstheorie?
Thomas Grüter: Die Überzeugung, man sei Opfer dunkler Machenschaften. Die Kollegen reden hinter meinem Rücken ,schlecht über mich, die Schiedsrichter benachteiligen systematisch meinen Fußballverein, oder eine Geheimgesellschaft begeht große Verbrechen, um die Weltherrschaft zu übernehmen.
Wie viele Menschen glauben an Verschwörungstheorien?
Thomas Grüter: Erstaunlich viele. Wenn ich lange genug frage, glaubt die Mehrzahl der Menschen an große oder kleine Verschwörungen.
Gibt es eine Zutatenliste für eine erfolgreiche Verschwörungstheorie?
Thomas Grüter: Fast alle Verschwörungstheorien haben einige Gemeinsamkeiten: Eine Verschwörung richtet sich gegen mich oder meine Gruppe. Dann gibt es die Bösen, die sich heimlich absprechen, um mir oder meinen Leuten zu schaden. Ihr übles Wirken erklärt dumme Zufälle oder Rückschläge, wie sie jedem Menschen immer wieder zustoßen. Tatsächlich aber steht ein verborgener Plan der Feinde dahinter, eine Verschwörung eben.
Man hat das Gefühl, dass es mehr Verschwörungstheorien und Anhänger als früher gibt …
Thomas Grüter: Früher spannen sechs Leute im Hinterzimmer ihre Theorien zusammen, und niemand hat es erfahren. Heute schreiben sie auf Facebook, und immer wieder geht eine besonders bizarre Idee viral, weil Millionen von Menschen das lustig – oder schlimmer – überzeugend finden. Man sieht heute mehr Theorien, aber darum glauben nicht mehr Menschen daran.
Warum glauben Menschen an die irrsten Dinge?
Thomas Grüter: Wenn irgendwas schiefgeht, glauben Menschen lieber an Sabotage, als eigene Dummheit zuzugeben. So ein Verdacht ist leicht zu wecken, denn Menschen sind von Natur aus misstrauisch gegen andere Gruppen. Das müssen keine Ausländer sein. Hört einfach zu, wie Fußballfans verschiedener Clubs übereinander reden – als wären die jeweils anderen grünhäutige Monster.
Aber gerade zum Thema Ausländer hört man heute wieder Verschwörungstheorien.
Thomas Grüter: Richtig. Seit dem Jahr 2015 sind sehr viele Menschen aus anderen Kulturkreisen nach Deutschland gekommen. Fast jeder von uns ist in seinem unmittelbaren Lebensumfeld plötzlich mit Fremden konfrontiert. Gerade dort, wo auch bisher wenig Ausländer waren, etwa auf dem Land, sorgt das für Unfrieden und Misstrauen. Im Falle der Flüchtlingskrise kam außerdem schnell der Eindruck auf, dass Politiker die Fremden besser behandeln als die eigenen Wähler. Über die enorme Arbeit, den vielen Neuankömmlingen wenigstens ein Dach über dem Kopf zu verschaffen, haben viele Politiker versäumt, ihren Wählern zu erklären, was sie tun und warum das auch im Interesse der Wähler ist. In manchen Städten hat geholfen, persönliche Schicksale der Geflüchteten in der Lokalzeitung zu erzählen. Dadurch entwickelten die Menschen Mitgefühl und betrachten die Flüchtlinge nicht länger als eine graue Masse von Fremden.
Was machen Verschwörungstheorien mit unserem Zusammenleben?
Thomas Grüter: Verschwörungstheorien zeigen – und vertiefen – die Bruchlinien in einer Gesellschaft. Ein Beispiel: Donald Trump behauptet nach wie vor, seine Gegner hätten die Präsidentenwahl massiv und systematisch zu seinen Ungunsten verfälscht. Die Mehrzahl seiner Anhänger glaubt ihm – obwohl es keinerlei Belege dafür gibt. Sie würden deshalb sogar die nächste Präsidentenwahl auf unbestimmte Zeit verschieben wollen – und damit die Demokratie aushebeln. Das zeigt, wie tief die Gräben zwischen den Parteien in den USA sind.
Reichsbürger sind felsenfest davon überzeugt, dass Deutschland kein souveräner Staat, sondern eine Firma ist. Wir haben uns mit dem Staatsrechtler Arno Scherzberg von der Universität Erfurt die Behauptungen der Reichsbürger genauer angesehen.
Behauptung Nummer 1: Die Bundesrepublik Deutschland sei kein Staat, sondern eine GmbH. Der Beweis: Es gibt eine Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH.
Ziemlicher Humbug, denn: Die Bundesrepublik ist ein Staat, und kein Unternehmen. Das steht klipp und klar in Artikel 20, Absatz 1 des Grundgesetzes: Die Bundesrepublik ist mitgliedschaftlich verfasst und daher organisationsrechtlich eine sogenannte Körperschaft des öffentlichen Rechts. Schauen wir noch einmal auf diese „Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH“. Das ist – richtig – eine Firma: und zwar eine, die dem Staat gehört. Das ist ganz normal. Denn natürlich darf die Bundesrepublik auch Unternehmen gründen und betreiben. Solche staatlichen Unternehmen gibt es überall. Jeder kennt zum Beispiel die Deutsche Bahn. Die städtischen Energieversorger sind ebenfalls meist öffentliche Unternehmen.
Behauptung Nummer 2: Wir seien alle nur Angestellte – deswegen heißt es „Personal“-Ausweis.
Sehr schräge Argumentation. Auch die DDR hatte einen Personalausweis. War sie auch eine GmbH? Und wer Angestellter ist, müsste auch Geld verdienen – wir zahlen nur welches, nämlich Steuern.
Behauptung Nummer 3: Deutschland befinde sich immer noch im Kriegszustand mit den vier Siegermächten und sei immer noch besetzt.
Mit den Siegermächten stehen wir sicher nicht mehr im Kriegszustand, denn diese haben ja dem Zwei-plus-Vier-Vertrag zugestimmt, der die deutsche Wiedervereinigung möglich machte. Dort heißt es unter anderem in der Präambel: „IN DEM BEWUSSTSEIN, daß ihre Völker seit 1945 miteinander in Frieden leben …“ und in Artikel 7: „Die Französische Republik, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und die Vereinigten Staaten von Amerika beenden hiermit ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes.“ Damit ist das Besatzungsstatut aufgehoben und die Bundesrepublik vollständig souverän.
Behauptung Nummer 4: Das Grundgesetz sei keine Verfassung.
Was denn sonst? Es nennt sich nicht Verfassung, weil es als Provisorium gedacht war, aber es hat alle Funktionen einer Verfassung: die Regelung der Grundsätze der Staatlichkeit, der Ausübung der Staatsgewalt und des Staat-Bürger-Verhältnisses. Auch die angeblich fehlende Volksabstimmung über das Grundgesetz ändert nichts an der Gültigkeit des Grundgesetzes – schließlich wurde es von den Parlamenten der Länder und damit den gewählten Vertretern des Volkes verabschiedet.
Behauptung Nummer 5: Wenn ich meine Staatsbürgerschaft einwandfrei beweisen möchte, brauche ich angeblich einen sogenannten gelben Schein.
Diesen „gelben Schein“ gibt es wirklich: Nach § 30 Staatsangehörigkeitsgesetz wird die deutsche Staatsangehörigkeit auf Antrag von der Staatsangehörigkeitsbehörde festgestellt. Sie stellt dann einen Staatsangehörigkeitsausweis aus – den „gelben Schein“. Aber: Eine stinknormale Geburtsurkunde erfüllt denselben Zweck.
Lorenz Haase ist Oberstaatsanwalt in Dresden. Im Interview erklärt er, wodurch Reichsbürger in der Verwaltung auffallen.
Wie zahlreich sind Reichsbürger in Sachsen?
Lorenz Haase: Seit April 2017 hat die Staatsanwaltschaft Dresden eine spezielle Stelle, die Verfahren von Reichsbürgern sammelt und bearbeitet. Dadurch haben wir mittlerweile einen besseren Überblick. Und wir können jetzt sagen, dass die Zahl recht überschaubar ist: Auf mehrere zehntausend Fälle insgesamt bei der Staatsanwaltschaft Dresden zählen wir nur einige Dutzend Reichsbürger.
Was ist die Logik der Reichbürger?
Lorenz Haase: Sie glauben, die Bundesrepublik Deutschland gibt es nicht, und dass der Staat eine Firma sei. Auffallend ist aber, dass sie nicht immer konsequent handeln: Zwar lehnen sie das Rechtssystem ab, aber wenn sie eine Anzeige gegen ein Amt stellen wollen, machen sie das gerne. Wir hatten mal einen Fall eines Reichsbürgers, der alle seine Ausweise abgegeben hatte – bis auf seinen Führerschein. Seine Begründung: „Den brauche ich doch zum Fahren!“
Woran erkennt man, dass es sich um einen Reichsbürger handelt?
Lorenz Haase: Das wird schnell deutlich. Sie nutzen meist große Siegel, die wie von einer offiziellen Behörde aussehen. Beim genaueren Blick erkennt man die erfundenen Titel und Amtsbezeichnungen, und oft auch die typische Frakturschrift, die heute kaum jemand mehr verwendet. Auch die Schreibweise von Daten und Namen sieht dort immer etwas anders aus, etwa „der dreißigste Tag des elften Monats“. Ein weiterer Klassiker: Behörden werden als Unternehmen betitelt, also zum Beispiel als „Firma Staatsanwaltschaft Dresden“.
Was sind denn die Anliegen von Reichsbürgern?
Lorenz Haase: Wir unterscheiden in zwei Sorten. Die erste möchte per Schreiben Amtshandlungen erschweren – also Handlungen der öffentlichen Verwaltung in Frage zu stellen. Es wird die Rechtmäßigkeit von Geld- oder Ersatzfreiheitsstrafen, Rundfunk- oder kommunalen Gebühren in Frage gestellt. Diese Schreiben sind teilweise so kompliziert, dass man erst mal verstehen muss: Was wollen sie verhindern? Das ist lästig, aber noch keine Straftat.
Und die zweite Sorte?
Lorenz Haase: Die zweite Sorte wehrt sich aktiv gegen die Vollstreckung solcher Strafen oder zivilrechtlicher Urteile. Sie bedrohen und behindern die Beamten. Beispielsweise schüchtern sie die Sachbearbeiter mit der Forderung von absurd hohen Geldbeträgen ein, die in den USA eingezahlt werden sollen oder in Form von zum Beispiel Silber gezahlt werden sollen. Das kann eine versuchte Nötigung sein und betrifft Gerichtsvollzieher, Sachbearbeiter, Finanzbeamte und auch Polizisten.
In manchen Fällen werden Reichsbürger dann auch mal handgreiflich.
Auch hier in Sachsen?
Lorenz Haase: Erst vor einigen Jahren gab es den Fall des sogenannten Deutschen Polizei-Hilfswerks in Meißen. Das war eine Gruppe, die einen Gerichtsvollzieher überfallen und festgehalten hat. Die Ermittlungen wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ wurde eingestellt. Die Einzelverfahren endeten mit noch nicht rechtskräftigten Verurteilungen.
Wie gefährlich sind Reichsbürger dann letztendlich?
Lorenz Haase: Die gute Nachricht ist: Im vergangenen Jahr gab es im Bereich Dresden keine Gewalttaten oder Körperverletzungen – maximal Fälle von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Ein Teil der Reichsbürger lehnt den Staat komplett ab und möchte einen eigenen Staat gründen.