Mit 22 Jahren wurde Irena K. in der polnischen Stadt Radom von der Gestapo verhaftet und ins Gefängnis gesperrt. Nicht, weil sie ein Delikt oder ein Verbrechen begangen hatte. Die junge Frau wurde verhaftet, weil sie jüdisch war. Sie teilte damit das Schicksal von Millionen Menschen, die während des nationalsozialistischen Terrors ihrer Freiheit, ihrer Würde und meist auch ihres Lebens beraubt wurden. Diejenigen, die Konzentrationslager und Zwangsarbeit, Folter und Hunger überlebten, kämpften oft ihr ganzes Leben mit den körperlichen und seelischen Folgen dieser Zeit.
Vermutlich war Radom die Heimatstadt von Irena K. Radom liegt etwa 100 Kilometer südlich der Hauptstadt Warschau. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren beinahe ein Drittel der Einwohnerinnen und Einwohner Juden. Die jüdische Gemeinde Radoms war ab Mitte des 19. Jahrhunderts gewachsen, die 1844 erbaute Synagoge war der Mittelpunkt ihres religiösen und kulturellen Lebens.
Im September 1939 besetzten die deutschen Truppen die Stadt. Ab 1940 wurden Tausende Juden aus Radom in Arbeitslager verschleppt, viele von ihnen wurden ermordet. Im April 1941 ließ die deutsche Verwaltung zwei Ghettos errichten: Die dortigen Lebensbedingungen waren katastrophal. Zudem führte die SS wiederholt „Aktionen“ durch, bei denen zahlreiche Juden erschossen oder in Lager deportiert wurden. Im August 1942 wurden beide Ghettos mit äußerster Brutalität aufgelöst. Diese und weitere Informationen zur Geschichte der Juden in Radom finden Sie hier.
Irena K. wurde 1943 von den Deutschen in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Sie überlebte die sogenannten Selektionen und wurde ein Jahr später zur Zwangsarbeit nach Chemnitz gebracht. Davon berichtete sie nach dem Krieg als Zeugin vor der Kommission zur Untersuchung von NS-Verbrechen in Kielce: „Im Oktober 1944 verlegte man mich ins Durchgangslager Leitmeritz und von dort ins Lager Chemnitz bei der Munitionsfabrik ‚Astra‘. Mit unserem Transport kamen in dem Lager 500 weibliche Häftlinge an.“
Sie beschrieb, unter welchen Bedingungen die Frauen dort leben und arbeiten mussten: Untergebracht waren sie im fünften Stock des Fabrikgebäudes und arbeiteten in den Etagen darunter. Verlassen durften sie das Gebäude nicht – über Monate. Sie schliefen in dreistöckigen Betten auf Strohsäcken, ohne Bettwäsche. „Zum Essen bekamen wir pro Tag eine Schnitte Brot, ein kleines Würfelchen Margarine oder eine ebenso große Portion Marmelade. Morgens erhielten wir ½ Liter heißes Getränk, Tee genannt, nicht gesüßt, mittags ½ Liter Kohlrübensuppe und abends ½ Liter nicht gesüßten schwarzen Kaffee.“
Trotz dieser dauerhaften Unterernährung mussten die Frauen hart arbeiten: „Die Fabrikarbeit erfolgte in zwei Schichten zu je zwölf Stunden“, berichtete Irena K. Die Tagesschicht dauerte von 6 Uhr früh bis 18 Uhr, die Nachtschicht von 18 bis 6 Uhr. „Wir wurden bei der Produktion von Munition beschäftigt und kamen dabei auch mit Chemikalien in Berührung, die oft Vergiftungen verursachten. Die Arbeiten beaufsichtigten deutsche Meister in Zivil.“
Über die Arbeitsbedingungen bei den Chemnitzer Astra-Werken sagten Ende der 1960er Jahre bei Kommissionen zur Untersuchung von NS-Verbrechen mehrere der Frauen aus, die am 15. Oktober 1944 mit dem Transport aus Auschwitz nach Chemnitz gekommen waren. Unter ihnen waren hauptsächlich polnische Frauen, außerdem russische, tschechische, jugoslawische und Roma-Frauen.
Viele derjenigen, die überlebt hatten, waren im letzten Kriegsjahr von Chemnitz aus in das Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert worden. Dort wurden sie am 15. April 1945 von britischen Truppen befreit, knapp drei Monate nach der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee am 27. Januar 1945.
In Sachsen gab es während des Krieges mehr als 2.000 so genannter Ausländerlager und 62 KZ-Außenlager. Etwa 4.200 Menschen starben in den sächsischen Konzentrationslagern an Überlastung, Krankheiten und Hunger – oder sie wurden in Massakern ermordet. Von den Kriegsgefangenen starben etwa 11.000 Menschen im Zusammenhang mit ihrem Zwangsarbeitseinsatz in Sachsen. Und bei brutalen Evakuierungsmärschen und Transporten zum Kriegsende kamen zusätzlich Tausende von Menschen zu Tode.
Mehr dazu können Sie in dem Buch „NS-Zwangsarbeit und Kriegswirtschaft 1939-1945“ von Klaus-Dieter Müller und Dietmar Wendler lesen. Es wird herausgegeben von der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung und wird innerhalb Sachsens kostenlos verschickt. Bestellen können Sie es hier.