6. Vernetzungstagung Schule im Dialog Sachsen

Welche Bildung braucht die Demokratie? Am 6. Februar 2025 kamen rund 70 Menschen aus der sächsischen Bildungslandschaft in Chemnitz zusammen, um diese Frage zu diskutieren und sich über politische Bildung in der Schule auszutauschen. Einmal im Jahr organisiert das der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung (SLpB) die Vernetzungstagung Schule im Dialog Sachsen, um die Akteure aus unterschiedlichen Bereichen zusammenzubringen.

 

Ungewöhnliches Tagungsprogramm

„Bildung. Macht. Demokratie!?“ lautete der Titel des Tages. Der sei bewusst so gewählt und geschrieben, verriet Organisatorin Heike Nothnagel von der SLpB im Rahmen ihrer Begrüßung – man könne ihn als ganzen Satz wie auch als Stichwortsammlung lesen.

Bevor Nothnagel aber zu Wort kam, irritierte erst einmal Moderator Tobias Heinemann mit einem ungewöhnlichen Start ins Programm: Statt offizieller Begrüßung, anschließendem Vortrag und langwieriger Podiumsdiskussion waren die Vertreterinnen und Vertreter aus Schulen, Wissenschaft und von außerschulischen Bildungsanbietern und -trägern aufgefordert, zunächst das Heft selbst in die Hand zu nehmen: Gut 40 Minuten standen für die Vernetzung untereinander im Programm.

Wie jetzt, erst mal einen Kaffee holen und sich jemanden aus dem Raum suchen, den man noch nicht kennt? Der ungewöhnliche Auftakt brauchte einen kurzen Moment, bis er in der Aula des Beruflichen Schulzentrums für Wirtschaft I in Chemnitz ankam. Dann aber ging es richtig los: Fremde Menschen gingen aufeinander zu und kamen ins Gespräch. Schnell bildeten sich kleine Grüppchen, die Geräuschkulisse hob merklich an. Um den Einstieg ins Gespräch zu erleichtern, hatte das Organisationsteam Zitate zum Tagesthema ausgelegt – als mögliche Eisbrecher, sozusagen. Jede und jeder hatte aber auch die Möglichkeit, eigene Zitate in die sich anschließende kurze Auswertung der Auftaktrunde einzubringen. „Sie hatten sie sich bei den Rückmeldungen zur 5. Vernetzungstagung sehr deutlich gewünscht, mehr Raum für Vernetzung zu haben“, erklärte Moderator Heinemann den ungewöhnlichen Tagesanfang, „da haben wir uns gesagt: Das Wichtigste zuerst!“

Teilnehmende bestimmen Inhalte selbst

Es folgte gleich die nächste „Protokollverletzung“, wenn man klassische und altbekannte Ablaufpläne von Veranstaltungen so bezeichnen will. Man könnte es auch deutlich positiver umschreiben: Passend zum Thema hatten die Teilnehmenden zu jeder Zeit die volle Macht (!) über die Inhalte der Tagung. Auf die anfängliche Kennenlernphase folgte eine Fishbowl-Diskussion, in der zunächst vier Bildungs-Expertinnen und Experten über das Veranstaltungsthema diskutierten; im zweiten Schritt standen für die Teilnehmenden zwei freie Stühle in der Diskussionsrunde, um auch Perspektiven aus dem Publikum zuzulassen.

Zunächst aber diskutierten im mittleren Stuhlkreis Prof. Dr. Anja Besand vom Lehrstuhl für Didaktik der Politischen Bildung der TU Dresden, Martin Arndt, Leiter des Referats "Digitalisierung und Medienbildung" des Landesamtes für Schule und Bildung, Max Gröllich, Projektmanager bei Salon 5, der Jugendredaktion von CORRECTIV, und Margret Rasfeld, Bildungsinnovatorin und -aktivistin und Gründerin des Reallabors in Leipzig.

Schule hat das Monopol auf Bildung verloren

Martin Arndt eröffnete die Diskussion mit einer klaren Situationsbeschreibung: „Bildung und Demokratie können dazu beitragen, dass Macht gerecht verteilt und eingesetzt wird“, sagte er. „Wir müssen aber auch akzeptieren: Schule hat die Hoheit über Bildung verloren. Kommunikation und Bildung finden heute in erheblichen Teilen im Digitalen statt."

Prof. Anja Besand erklärte, dass sie durchaus Bedarf und Raum sehen würde für die Thematisierung von „Macht“ im Kontext von Schule: „Demokratie und Bildung – das Paar kennen wir alle schon, das bearbeiten wir alle schon lange, auch in guter Art und Weise ... Das Wort ‚Macht‘ wirkt da im ersten Moment für viele störend.“ Sie berichtete von ihren eigenen Erfahrungen: „Ich bemühe mich schon lange, den angehenden Lehrerinnen und Lehrer zu sagen: Lasst dieses Wort nicht weg! Schule ist ein Ort, der durch Macht strukturiert ist. Wenn wir darüber nicht sprechen, kann das mit der Demokratie auch nicht funktionieren!“

Hierarchien in der Schule

Besand zeigte auf, wie stark hierarchisch Strukturen die Schule von heute prägen, etwa, indem über Noten und Bildungswege entschieden wird. „Wenn wir bei dem Thema 'Macht' zumachen, verspielen eine Chance“, so die Politik-Didaktikerin.

Margret Rasfeld, selbst früher als Schulleiterin aktiv, verwies darauf, dass diese Macht die Kinder häufig schwäche. „Schule ist viel zu oft ein Ort der Beschämung, der Schwächung ... Wir entlassen junge Menschen mit Erfüllergeist und Fehlerangst ins Leben – das ist nicht gut, wenn es darum geht, später als demokratische Bürgerinnen und Bürger die Macht durch Wahlen zu verteilen." Sie las eine Reihe von Zitaten von Einser-Schülerinnen und Schülern vor, die den großen Druck im Leistungssystem beschreiben, und betonte: "Da müssen wir ran! Mit diesem Schmerz müssen wir uns verbinden. Das müssen wir verändern!"

Geht Schule ohne Macht?

Max Gröllich verwies darauf, dass Macht auch ein Instrument sein könne, Demokratie zu verwirklichen. Er stellte die Frage in den Raum, ob Schule ohne Hierarchie und Macht überhaupt vorstellbar sei.

Im Laufe der Diskussion kamen weitere Teilnehmende aus ganz unterschiedlichen Institutionen dazu. Diskutiert wurden der grundsätzliche Veränderungswille der Lehrerschaft (gibt es!) und die Möglichkeit, über das Tool Lernsax anonym Schülersprecher-Wahlen unter Beteiligung aller Schülerinnen und Schüler durchzuführen (funktioniert!). Thema war auch, ob Demokratie-Bildung ein eigenes Fach sein sollte (Besand: ja!) und dass die Bedürfnisse der Zielgruppen – zuerst Schülerinnen und Schüler, aber auch Eltern und Lehrerinnen und Lehrer – von allen mehr berücksichtigt werden dürfen.

Von Hummeln und Schmetterlinge

Auch nach der Mittagspause setzten die Organisatoren auf ein – besonders im schulischen Kontext – noch recht ungewohntes Format: OpenSpace. Das ist eine partizipative Konferenzmethode, in dem die Teilnehmer die Inhalte selbst einbringen und die Sessions dann auch ohne Anleitung durchführen. Acht Tische standen bereit, um in zwei Durchläufen konkrete Fragestellungen zu besprechen, die sich aus dem Vormittagsprogramm ergeben hatten. Insgesamt 15 Themenvorschläge förderte die große Gruppe zu Tage, die in der Folge und ohne lange Vorbereitung mit dem „Schwarm der Fragenden und Wissenden“ besprochen wurden.

Das Besondere an der Methode Open Space: Man darf selbst und immer wieder neu entscheiden, ob man sich die ganze Zeit in einer Runde aktiv einbringt, ob man lieber als Hummel von Blüte zu Blüte (also Tisch zu Tisch) fliegt und so zur Streuung und Weiterbereitung von Informationen sorgt. Oder ob man die Rolle des Schmetterlings wählt und abseits der Thementische sich für ganz neue Gespräche niederlässt.

Helfen Handyverbote?

Wie man die Zielgruppe Jugendliche besser einbinden könnte, ob Handyverbote helfen, welche Rolle Emotionen bei Desinformationen spielen und was Lehrerinnen und Lehrer in Fortbildungen benötigen, waren da beispielsweise Thema. Zwischen zwei und 15 Teilnehmenden fanden sich an den Tischen zusammen, diese Fragen zu diskutieren. Die Ergebnisse der Runden wurden schriftlich von den Teilnehmenden dokumentiert – nachzulesen sind sie online in der Tagungsdokumentation, das die weitere Vernetzung im Rahmen des Tages unterstützte.

Vergeblich erinnerte Moderator Heinemann nach einer Stunde daran, dass jetzt eine Pause angezeigt sei: Zu vertieft waren die Teilnehmenden in die Diskussionen und den Austausch. Erst als er mit einer kleinen Glocke energisch die zweite Runde einläutete, wechselten die Besetzungen und Themen der Tische.

Mehr Macht abgeben!

Zufriedene, aber auch erschöpfte Gesichter versammelten sich schließlich zur abschließenden Runde am späten Nachmittag. Von: „Ich fand die Möglichkeit der persönlichen Vernetzung super und habe einige Kontakte mitgenommen“, über: „Ich denke immer noch über Demokratie, Macht und Schule nach – ich glaube, wir haben noch einen weiten Weg vor uns“, bis: „Ich werde nächste Woche Gespräche führen mit einigen Leuten an meiner Schule“, reichte das Feedback.

Ein Satz, im Laufe des Tages formuliert, hallte dabei besonders nach: „Um Menschen zu stärken, muss man nicht vorne stehen. Sondern besser hinter ihnen“, brachte eine Lehrerin ein. „Wir sollten alle etwas von unserer Macht abgeben und damit den Schülerinnen und Schülern den Rücken stärken“, so ihre Empfehlung.

Tagungsdokumentation