Arbeitszeitverkürzung, Verstaatlichung, eine Wende der Exportpolitik: Was jahrelang als Träumerei verworfen wurde, steht plötzlich im Zentrum der politischen Diskussion. Bei der Debatte „Weiter wie gehabt? Globale Abhängigkeiten und Lieferwege“ diskutierten am 23. Juni der Sozialwissenschaftler Raj Kollmorgen von der Hochschule Zittau-Görlitz und der Dresdener Wirtschaftswissenschaftler und ifo-Leiter Joachim Ragnitz und am 26. Juni der Leipziger Ökonom Gunther Schnabl mit dem Publikum über die Auswirkungen der Coronakrise auf unser Wirtschaftsmodell.
In Teilen eine Bereinigungskrise
Bei der Frage, ob man aus der Coronakrise, aus Krisen überhaupt lernen könne, sind sich Kollmorgen und Ragnitz einig: Ja, es brauche auch krisenhafte Zuspitzungen, um festzustellen, dass man etwas ändern muss und eine bestimmte Wirtschaftspraxis so nicht weitergehe. Andererseits warnt Sozialwissenschaftler Kollmorgen vor zu viel Hoffnung in das Sprichwort „Not macht erfinderisch“: In Notsituationen verfügten Menschen auch über weniger materielle, infrastrukturelle und soziale Kapazitäten als sonst. Die brauche man jedoch, um Neues nicht nur zu probieren, sondern nachhaltig neue Pfade zu entwickeln und an ihnen festzuhalten. „Das kann man nicht machen, wenn man am Strohhalm lutscht und an den Fingernägeln kaut, sondern da braucht man freie Ressourcen“, so Kollmorgen.
Wirtschaftswissenschaftler Ragnitz tut sich schwer damit, in die Krisenrhetorik einzusteigen. „Das was wir hier haben ist eine wirtschaftliche Abschwächung, ist eine Rezession, das ist alles schlimm genug“, sagt er. „Aber ich würde nicht sagen, das sei jetzt hier die dramatische Krise, die dazu führt, dass die Welt völlig neu erfunden werden muss.“ Einig sind sich beide Experten in ihrem Optimismus: Joachim Ragnitz geht davon aus, dass die deutsche Wirtschaft bis Mitte, spätestens Ende nächsten Jahres das Vorkrisenniveau erreicht haben wird. „Es wird Unternehmen geben, die Pleite gehen, das wird sich kaum verhindern lassen“, sagt er, aber: „Es ist in Teilen eine Bereinigungskrise, weil Strukturen kaputt gehen werden die sowieso nicht mehr lebensfähig wären.“
Die Jungen zahlen die Zeche
Raj Kollmorgen hingegen erinnert bei allem Grundoptimismus daran, dass nicht klar ist, was die bisher beschlossenen Maßnahmen an nachhaltigen Wachstumsimpulsen bringen werden. So sei nicht zu erwarten, dass etwa afrikanische Länder stärker von Wachstumspaketen profitieren würden. Und auch umweltpolitisch sei noch nicht entschieden, wie es während und nach der Krise weitergeht.
Mit welchen Instrumenten die Krise nun auch innerstaatlich angegangen werden soll, darüber herrscht Uneinigkeit in den Wissenschaften. Der Leipziger Ökonom Gunther Schnabl kritisiert am 26. Juni die vorübergehende Absenkung der Mehrwertsteuer als zu bürokratisch und nicht wirksam genug. Für sinnvoller halte er eine dauerhafte Absenkung der Mehrwertsteuer um ein Prozent. Zudem treffe die Krise wohl am härtesten die junge Generation, die die Maßnahmenpakete von heute später bezahlen müsse. „Die Jungen zahlen die Zeche durch schlechtere Jobchancen, aber auch durch die Rückzahlung der Schulden“, so Schnabl, der an der Universität Leipzig Wirtschaftswissenschaften lehrt. „Wenn wir davon ausgehen dass die Schulden von heute durch Steuern von morgen zurückgezahlt werden müssen, dann ist das eine immense Bürde, die den jungen Menschen angelastet wird, weil es heißt, dass sie in der Zukunft wesentlich höhere Steuern zahlen.“ Zudem verlängerten sich nun ihre Ausbildungszeiten. Auch erwartet er für die Zukunft sinkende Löhne.
Doch immerhin stimmt nicht jede pessimistische Zukunftsprognose: Vier Tage nach der Diskussion einigte sich die Mindestlohnkommission auf eine stufenweise Anhebung des Mindeslohns.
Ein Mitschnitt der Diskussion vom 23. Juni ist auf unserem YouTube Kanal verfügbar.
Bis zum 17. Juli veranstaltet die SLpB Online-Bürgerdebatten, in der die Menschen im Freistaat aufgerufen sind, mit Fachleuten über die Folgen der Coronakrise zu diskutieren. Weitere Informationen finden Sie hier.