Cyberspace zwischen Utopie und Dystopie
Soziale Medien gehören noch nicht besonders lange zu unserem Leben. 2004 hat Mark Zuckerberg Facebook gegründet, es wuchs schnell zu einem der größten Netzwerke der Welt. Es ist längst nicht das einzige, es gibt auch Twitter, Telegram und Tik Tok, nur einige der mittlerweile zahlreichen sozialen Medien, die von Millionen Menschen genutzt werden. Einst begann das Leben im Internet als Utopie, von digitaler Freiheit war die Rede, doch bald tauchten auch fundamentale Probleme auf, Hate Speech und Desinformationen, die sich im Cyberspace verbreiten.
Unter dem Motto „Gefahr für die Demokratie? Die EU und die sozialen Medien“ wurde am 15. November im Dresdner Stadtmuseum diskutiert. Es war der letzte Teil einer Gesprächsreihe zum 30-jährigen Jubiläum des Maastrichter Vertrags. In den vergangenen Monaten wurden zu verschiedenen Themen der Europäische Union diskutiert, von Klima- bis Finanzpolitik. Die Reihe ist eine Kooperation der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, der Konrad-Adenauer-Stiftung Sachsen, dem Zentrum für Internationale Studien und dem Institut für Internationales Recht der TU Dresden. Zum Abschluss war nun der digitale Raum im Fokus, dafür waren zwei Referenten geladen: Katharina Kaesling, Juniorprofessorin für Bürgerliches Recht, Geistiges Eigentum sowie Rechtsfragen der Künstlichen Intelligenz an der Technischen Universität Dresden, und Joschua Helmer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Demokratieforschung Göttingen.
Soziale Medien als Spiegel der Gesellschaft
Joschua Helmer, der unter anderem zu den Zusammenhängen von Digitalisierung und Demokratie forscht, begann sein Referat mit einer These: „Soziale Netzwerke sind nicht hauptsächlich verantwortlich für die Krisen der aktuellen Demokratien. Beides hängt miteinander zusammen, aber es ist eine Co-Entwicklung, kein Ursache-Wirkung-Verhältnis.“ Demokratien werden nicht zerstört von sozialen Medien, sie wirken eher wie ein Brennglas, um Prozesse schärfer wahrzunehmen, beobachtet Helmer. Er höre oft diesen Eindruck: Soziale Medien schaffen Filterblasen, jeder liest nur noch das, was er möchte, alle reden aneinander vorbei. Tatsache sei jedoch, dass es auch in der Realität schon länger eine „Differenzierung von Lebensentwürfen in Gesellschaften“ gebe, sagt der Wissenschaftler. „Das sind Prozesse, die den sozialen Zusammenhalt unter Druck setzen.“ Eine andere Wahrnehmung sei, dass es heute eine stärkere Politisierung gibt. Liegt das auch an sozialen Medien? Helmer zweifelt daran. Politisch aufwühlend seien Gesellschaften schon früher gewesen, die vergleichsweise ruhigen Nuller-Jahre seien historisch betrachtet in Deutschland eher eine Ausnahmephase gewesen.
Joschua Helmer legt eine differenzierte Analyse vor. Er bringt – neben der Problembetrachtung – auch viele Pro-Argumente in Bezug auf soziale Medien. Es gebe Studien, die belegen, dass Menschen, die häufig soziale Medien nutzen, eher vielfältige Inhalte rezipieren. „Es zeigt sich bei Untersuchungen, dass sie mehr von der Welt mitbekommen, eine größere Bandbreite, ein dissonantes Bild mit vielen Inhalten und Widersprüchen.“ Netzwerke stünden auch für eine Emanzipation, Menschen könnten abseits von klassischen Massenmedien eine Stimme bekommen, sich vernetzen. Aber es gibt auch negative Begleiterscheinungen: Menschen können Ziel von Bedrohungen werden, in sozialen Medien treffe das besonders häufig Frauen und marginalisierte Menschen.
Radikalisierung als zentrales Problem
Als größte Gefahr im Internet sieht Joschua Helmer den Einfluss von Extremen. „Die wichtigste Krise der Demokratie ist die Radikalisierung im politischen Wettbewerb, besonders von rechtsextremen Akteuren, weil diese ihre Anhängerschaft oft mit sich ziehen“, sagt er. Ein fundamentales Problem, für das Helmer noch keine Lösungen sieht. Allgemein im Umgang mit sozialen Medien rät er unter anderem zu einem kritischen Umgang, das heißt: auch mal das Handy weglegen, sich nicht ständig mit Aufreger-Themen beschäftigen.
In Bezug auf soziale Medien hat sich in den letzten Jahren eine Debatte um Regulierungen entwickelt. Dabei ist auch die Justiz gefragt, über den aktuellen Stand, Möglichkeiten und Probleme referiert Katharina Kaesling. Sie skizziert noch einmal die kurze Geschichte des Cyberspace. Es begann mit der Utopie eines freien, nicht den Gesetzmäßigkeiten von Gesellschaften unterliegenden Internets. „Mittlerweile hat sich gerade vor dem Hintergrund von Hate Speech und Fake News eine Utopie zur Dystopie entwickelt“, sagt die Juristin. „Die Gefahren sind in den Mittelpunkt der Debatten gerückt.“ Das Internet wird nicht mehr als von staatlicher Regulierung unantastbarer Bereich angesehen. „Heute geht es nicht mehr um die Frage, ob man reguliert, sondern wie man es tut.“
Wie schwierig sich das allerdings nach wie vor gestaltet, wird im Vortrag von Kaesling deutlich. Beleidigungen könnte heute zwar nicht nur offline, sondern auch online als Strafbestand gewertet werden. Nur stelle sich unter anderem die Frage, ob man das in jedem Fall durchsetzen könne, „denn online finden wir eine relativ hohe Anonymität von Nutzern vor“. Im Laufe der Jahre habe etliche soziale Medien Verhaltenskodexe für Nutzer entwickelt. Es gibt also Regeln und Mechanismen, Verstöße anzuzeigen und zu ahnden, allerdings läuft dies meist innerhalb der Netzwerke ab, der Einfluss von außen ist nach wie vor begrenzt. Besonders transparent würden solche Verfahren nicht ablaufen. In sozialen Medien gebe es zum Beispiel „Tendenzen zu Overblocking, also Löschungen von Inhalten, die nicht rechtswidrig sind“, sagt Katharina Kaesling.
Grenzen nationaler Gesetzgebung
Die Gesetze versuchen mit der stetig fortschreitenden Digitalisierung mitzuhalten, doch einfach ist das nicht. Es gibt inzwischen nationale Gesetze, etwa das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Deutschland, gut gemeint, aber, wenn man die global agierenden Netzwerke betrachtet, schwierig. Man sollte versuchen, einheitliche Regeln zu schaffen, sagt Kaesling. Grundsätzlich als Fortschritt sieht sie den kürzlich in der EU beschlossenen Digital Services Act, ein umfassendes Regelwerk. Aber auch das habe noch Unschärfen in Formulierungen, die geklärt werden müssen.
Anschließend gibt es noch eine kurze Diskussionsrunde. Ein Mann aus dem Publikum erzählt von Bekannten, die klassische Medien abbestellt hätten, stattdessen immer mehr soziale Medien konsumieren. „Seitdem kriege ich von ihnen immer mehr Zeug zugeschickt, wo es mir grauselig wird. Da stimmen Sachen nicht, werden aus dem Zusammenhang gerissen“, erzählt er besorgt. „Die Leute haben sich radikalisiert über das Internet.“ Patentrezepte hat keiner im Raum. „Ich denke, da liegt eher eine Bedürfnislage vor, dass einige Menschen solche Inhalte konsumieren und glauben wollen“, sagt Joschua Helmer. „Da ist es, glaube ich, nicht der erste Weg mit Medien-Kompetenztrainings heranzugehen, sondern die Bedürfnislage dieser Menschen in den Blick zu nehmen. Aber auch das ist schwierig.“ Der Umgang mit den noch jungen sozialen Medien bleibt also kompliziert, das ist ein Fazit dieses Abends.