Hass und Desinformation im Superwahljahr 2024 (1/2)
Informationsstörung in den sozialen Medien
Eine gute Woche nach den sächsischen Landtagswahlen ging die Veranstaltung der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung der Frage nach, welche Bedeutung gezielte Falschinformationen und Hasspostings in den sozialen Medien in den Wahlkämpfen hatten – und wie diese sich auf die Wahlergebnisse auswirkten. Diskutiert wurde auch, wer die tragenden Akteure hinter den demokratiefeindlichen Strategien waren und sind und was mit Blick auf kommende Wahlen getan werden kann.
Der Soziologe Dr. Johannes Kiess vom Leipziger Else-Frenkel-Brunswik-Institut (EFBI) berichtete als erstes über rechtsextremistische und verschwörungsideologische Telegram-Kanäle in Sachsen. Alle Daten, die für die Analysen genutzt wurden, stammten laut Kiess aus öffentlich zugänglichen Kanälen.
Rechtsextreme Mobilisierung auf Telegram
Worüber in den Kanälen kommuniziert wurde, ließ sich mittels trainierter Algorithmen messen. Wie in früheren Analysen stellte das EFBI auch für dieses Jahr fest, dass sich die Themen an dem orientieren, was in der medialen Öffentlichkeit breit diskutiert wird. Eine Ausnahme bilde das Thema Corona, welches auf Telegram noch immer bedeutsamer sei als in anderen Medien.
Kiess betonte, dass man zwar mit Hilfe von KI-Tools die Themen der Unterhaltungen ermitteln könne, wie jedoch über diese gesprochen werde, das lasse sich auf diesem Wege nicht herausfinden und sei noch immer „Handarbeit“. Desinformation und antisemitische Erzählungen waren laut Kiess in den Posts ein übliches Mittel und hass- und angstschürende Beiträge an der Tagesordnung.
Welche Strategien nutzen die Freien Sachsen?
Besonders präsent in der sächsischen Telegram-Szene sei die rechtsextremistische Kleinstpartei der Freien Sachsen. Auch wenn die Zahl der aktiven Besuche ihres Kanals zurückgehe, hätten die Freien Sachsen noch immer hohe Reichweiten erreicht. Im Fokus der Aktivitäten habe in diesem Jahr vor allem die Mobilisierung gestanden: zu Demonstrationen und auch zu den Wahlen. Damit, so Johannes Kiess, waren die Freien Sachsen auch erfolgreich. Dies habe sich beispielsweise bei der Bauern-Demonstration am 8. Januar in Dresden gezeigt, welche, so Kiess, „die größte neonationalsozialistische Demonstration seit dem Zweiten Weltkrieg“ war.
Aus seinen Beobachtungen der Telegram-Kanäle schlussfolgerte Kiess, dass die Freien Sachsen mit ihren 2,2 % bei der Landtagswahl der AfD den Wahlsieg gekostet haben könnten. Allgemein plädierte er dafür, dass derartiges Social-Media-Monitoring zentraler organisiert und personell besser ausgestattet werden müsse. Zugleich mahnte er aber auch, dass die Erforschung nicht bei dem Monitoring stehen bleiben dürfe, wichtig sei es, die Ergebnisse mit dem Wissen aus anderen Beobachtungen und Studien zu bewerten und zu kontextualisieren.
Was genau definieren wir als Desinformation?
Der zweite Beitrag kam von Una Titz, Medienwissenschaftlerin im Projekt Faktenstark und Referentin der Amadeu-Antonio-Stiftung. Seit mehreren Jahren analysiert sie Inhalte in sozialen Medien. Sie kritisierte ein zu enges Verständnis von Desinformation. Üblicherweise sei damit eine falsche oder irreführende Information gemeint, die absichtlich verbreitet werde, um einen konkreten Schaden zuzufügen.
Denn Falschinformation würde auch „aus dem Bauch heraus“ verbreitet oder sei das Ergebnis menschlicher Fehlurteile. Der Schaden sei zudem eher indirekter Art, wenn das Ziel von Desinformateuren ist, das Realitätsgefüge einer Gesellschaft anzugreifen. Außerdem arbeite jede Plattform mit einem anderen Begriff der Desinformation und verwandte Phänomene würden dabei oft ausgeklammert.
Titz forderte dazu auf, populistische Strategien, die darauf abzielen, Begriffe zu besetzen und Debatten zu verschieben und oft mit Halbwahrheiten, Feindbildern oder Übertreibungen zu arbeiten, mit Desinformationen zusammenzudenken. Zudem plädiert sie für eine stärkere Bindung des Verständnisses von Desinformation an den Wahrheitsgehalt einer Aussage im Sinne von evidenzbasierten, bewiesenen Tatsachen.
Desinformation und damit verwandte Formen seien daher vielmehr als Informationsstörung und als politische Technologie zu verstehen, die das Ziel verfolgt, gesellschaftliche Realitätsfindung zu stören oder in eine politisch passende Richtung zu verschieben.
Falsche Geschichte: Messerangriff in Bautzen
Titz zeigte einige Beispiele von Desinformation, welche in Sachsen 2024 kursierten. Es gab spezifisch sächsische Desinformation, wie die erfundene Geschichte eines Messerangriffs in Bautzen, den angeblichen Wahlbetrug in Weinböhla oder auch die falsche Auslegung sächsischer Kriminalstatistik durch einen erzgebirgischen AfD-Politiker. Doch sie betonte, viel häufiger würde es Falschinformationen geben, die von anderswoher kommend weiterverbreitet würden - oder nicht landesspezifische Themen betreffen.
Außerdem würde Una Titz beobachten, dass seit der Übernahme von Twitter durch Elon Musk Rechtsextreme weltweit über die Plattform X wieder nach Sichtbarkeit auch in den großen Plattformen greifen würden. Weltweit könne man beobachten, dass die Antidemokraten aus den Nischen von weniger und nicht moderierten Foren wieder hervorkommen, in die sie sich nach einer stärkeren Moderation der großen sozialen Medien verzogen hätten.
Weltweit zirkulieren die gleichen Zerrbilder
Sina Laubenstein, Politikwissenschaftlerin und Programmdirektorin am Institute for Strategic Dialogue (ISD), zeigte in ihrem Beitrag auf, dass die gleichen Inhalte und Erzählungen, die in Sachsen zirkulieren, auch in anderen demokratischen Ländern über die sozialen Medien verbreitet werden.
Das ISD beobachtet weltweit antidemokratische, extremistische und antisemitische Aktivitäten in den sozialen Medien. In mehreren Studien wurden Wahlen in verschiedenen Ländern beobachtet, von den deutschen Bundestagswahlen, über Parlamentswahlen in Südafrika bis zu Kommunalwahlen in Irland.
Nach den Beobachtungen des ISD sind es zum einen die gleichen Erzählungen, die im Internet weltweit rund um Wahlen verbreitet werden. Beispielsweise werden regelmäßig dieselben Mythen über einen angeblichen Wahlbetrug verbreitet.
So wird Hass online geschürt
Zum anderen würden sich auch die Strategien und die angegriffenen Gruppen gleichen: So werde versucht, insbesondere religiöse Minderheiten, Frauen, Personen mit Migrationshintergrund oder Menschen aus der LGBTQ+-Community aus dem Debattenraum zu verdrängen. Durch Verächtlichmachung, Falschinformationen, Hasskommentare und auch Drohungen werden Menschen, die diesen Gruppen als zugehörig gesehen werden, angegriffen oder gegenüber der Öffentlichkeit in ein schlechtes Licht gerückt.
Zugleich werden freie Presse, Zivilgesellschaft und demokratische Institutionen diskreditiert. Das Vertrauen in demokratische Prozesse und Akteure solle damit geschwächt und Misstrauen und Streit gesät werden.
Die Ähnlichkeit dieser Strategien weltweit erklärte Laubenstein damit, dass es nichtstaatliche wie auch staatliche Akteure gibt, die Demokratien gezielt angreifen. Diese agierten global und ähnelten sich in dem Ziel, Demokratien zu schwächen. Dabei dürfe man nicht nur an den russischen Kreml, China oder Iran denken. Auch der Islamische Staat habe ein Interesse an der Zerstörung demokratischer Gesellschaften.
Im ersten Teil der Veranstaltung stellten die drei Referenten die Ergebnisse ihrer Social-Media-Monitorings vor. Hier geht's zum zweiten Teil, der Podiumsdiskussion.