“Je mehr Social Media, desto mehr Fake News“ - Wie man vor Wahlen verlässliche Informationen findet

Prof. Dr. Lutz M. Hagen ist Kommunikationswissenschaftler und forscht an der TU Dresden zur Qualität von Medieninhalten, Medienwandel und der Veränderung von politischer Kommunikation. Das Gespräch knüpft an seinen Vortrag vom 02. Mai in der Kulturfabrik Hoyerswerda an. Die Veranstaltung wurde von der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung mitorganisiert und trug den Titel: „Wahlkampf im Zeitalter sozialer Medien – Medien, Demokratie und Fake News“. Das Interview wurde am 27.05.2024 von Kirsten Limbecker geführt.

Wahlkampf findet zunehmend in sozialen Medien und auf digitalen Plattformen statt. Wie verändern sich damit die Inhalte, die von Kandidatinnen und Kandidaten öffentlich kommuniziert werden?

Die Kandidatinnen und Kandidaten haben diese Inhalte jetzt selbst unter Kontrolle. Man kann Publikum direkt erreichen. Das heißt Inhalte lassen sich auf bestimmte Zielgruppen zuschneiden bis hin zu sogar widersprüchlichen Botschaften. Inhalte erreichen die Menschen sehr viel häufiger ohne Filterung durch Journalisten und vielleicht auch nicht immer so, dass Wahlwerbung als solche erkannt wird. Man denkt vielleicht, man hat es mit einer journalistischen Plattform zu tun, in Wirklichkeit steht möglicherweise eine Kandidatin oder eine Partei dahinter.

Wenn Parteien nicht mehr über die Presse oder den Rundfunk gehen müssen: Was bedeutet das in Zeiten von Wahlkampf für die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten?

Das hat eigentlich einen paradoxen Effekt: Journalismus wird zugleich unwichtiger und wichtiger. Früher hat man Massenkommunikation oft mit diesem Türwärter-Modell beschrieben: Da gibt es Leute aus der Politik oder Zivilgesellschaft, die wollen etwas mitteilen und der Journalist, die Journalistin entscheidet darüber, ob das in die Öffentlichkeit kommt. Heutzutage kann das aber jeder selbst mit geringstem Aufwand. Also werden journalistische Redaktionen zum Teil ausgeschaltet.

Auf der anderen Seite: Wenn ich große Reichweite erzielen will, gerade bei Leuten, die nicht in meinen Netzwerken und Echokammern zu Hause sind, dann brauche ich trotzdem die traditionellen Medien. Das andere ist, dass natürlich die Netze mit Informationen überschwemmt werden, die nicht immer qualitativ hochwertig oder im Fall von Wahlkampfkommunikation sogar klar einseitig sind. Dadurch werden Journalist*innen wieder wichtiger, sozusagen als Lotsen durch diesen Informationsdschungel.

Erwarten sie, dass die diesjährigen Wahlkämpfe in Sachsen stärker mit Desinformation, Hass, Schmutzkampagen und anderen unlauteren Mitteln geführt oder befeuert werden?

Fake News gibt es solange es öffentliche Information gibt, aber sie werden durch die sozialen Netzwerke enorm befeuert. Zwar wissen wir – zum Beispiel aus Studien zur letzten Bundestagswahl –, dass zumindest die offiziellen Kanäle der Kandidat*innen und Parteien in Deutschland praktisch keine gezielten Fake News verbreiten. Aber man muss befürchten, dass Andere, etwa Sympathisanten aus unterschiedlichen Motiven Falschinformation gezielt einsetzen. Nicht nur, weil sie politische Meinung machen wollen, sondern auch, weil sie Geld durch Klicks verdienen wollen oder weil sie einfach Spaß daran haben zu ärgern. Ganz grundsätzlich: Je mehr Social Media da eine Rolle spielt, desto mehr Fake News werden verbreitet.

Wenn sich Menschen im Vorfeld einer Wahl zunehmend in den sozialen Medien informieren statt bei journalistisch arbeitenden Medien: Welche Auswirkung hat das auf deren Meinungsbildung?

Menschen neigen dazu, eher das wahrzunehmen und glauben zu wollen, was in die vorhandenen Meinungen und ins Weltbild passt. In Medienumgebungen, wo man ganz viele Auswahlmöglichkeiten hat, führt das dazu, dass sich diese Neigung sehr viel stärker auswirkt. Also auf gut deutsch: im eigenen Saft schmort man in den sozialen Medien viel leichter.

Wir sind auf Journalismus angewiesen. Die Medien sind eine Prothese, um Grenzen unserer Wahrnehmungsfähigkeit zu überwinden. Wir können nicht ständig selbst sehen, was in Berlin passiert oder in Dresden. Wer könnte schon regelmäßig im Stadtrat sitzen oder mit den relevanten Akteuren oder der Verwaltung sprechen. Dazu sind eben die Medien da.

Wenn wir nun zunehmend auf journalistische Medien verzichten und stattdessen nur mit anderen Primärakteuren kommunizieren von unsicherer Qualität, dann ist das riskant. Schon allein für die Güte der eigenen Information, aber auch gesamtgesellschaftlich, weil dadurch Polarisierung begünstigt wird. Wenn sich alle immer stärker in Richtung der Pole bewegen, denen sie am nächsten sind, dann wird das in der Gesellschaft dazu führen, dass man sich weniger gut versteht. Welche schlimmen Folgen das haben kann, sehen wir momentan vor allem schon in den USA.

Sehen sie auch Vorteile darin, dass sich politische Kommunikation und Wahlkämpfe zunehmend in den digitalen Raum verlagern?

Das Zeitalter der gedruckten Tageszeitung geht zu Ende. Das Austrägersystem, die Papierkosten: Das lohnt sich alles nicht mehr. Und insofern haben wir es mit einer unvermeidlichen Entwicklung zu tun. Ob das auch positive Aspekte hat? Ja natürlich! Deshalb nutzen wir es ja, weil es für uns alle auch Vorteile bringt:

Es ist schneller, wir können stärker auswählen. Durch diese hohe Beschleunigung genügt das Internet unserem Anspruch, immer schneller informiert zu werden. Aber auf der anderen Seite führt das dann zu einer höheren Fehleranfälligkeit und steht auch zu anderen journalistischen Qualitätskriterien wie vielleicht Relevanz und Vielfalt im Widerspruch.

Eine weitere positive Auswirkung: Gerade in Deutschland beobachten wir in Wahlkampfzeiten immer noch, dass es einen sehr starken Regierungsbonus gibt. Regierende werden dadurch, dass sie gerade in aktuellen politischen Entscheidungs- und Umsetzungsprozessen was zu sagen haben, stärker beachtet. Da ist es natürlich für Parteien und Kandidaten aus der Opposition, eine positive Sache, dass man diese Hürde zum Teil umgehen kann.

Wenn sich Wählerinnen und Wähler über kandidierende Parteien und Personen informieren wollen, wie können sie nützliche und verlässliche Informationen finden und als solche auch erkennen?

Zunächst einmal sollte man tatsächlich Quellen nutzen, die vertrauenswürdig sind und dazu zählen natürlich vor allen Dingen redaktionelle Quellen, also Qualitätsjournalismus. Die sind natürlich nie in dem Sinne objektiv, dass jede Zeitung, jeder Sender immer alles absolut ausgewogen darstellen kann. Da passieren Fehler, da gib es gerade auf der überregionalen Ebene politische Ausrichtungen – also die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist eher rechtskonservativ, die Süddeutsche Zeitung mittig bis leicht linksliberal und so weiter.

Also diese spezifische Brechung muss man schon immer auch mitdenken, weil sie sich nie ganz vermeiden lässt. Man muss daher immer auch gegenüber sich selbst kritisch sein und gegenüber allen Quellen. Vor allen Dingen sollte man sich nicht leichtfertig bei stark emotionalisierenden und offensichtlich parteiischen Quellen informieren. Man sollte auch Zeit und Energie aufwenden und eben schauen, wie es um die Qualität von Quellen steht und was für einen das Richtige ist.            

Haben Sie noch weitere Tipps für Wählerinnen und Wähler und für eine selbstbestimmte Wahlentscheidung?

Es gibt bei verschiedenen Wahlen solche Systeme wie beispielsweise den WahlOMat oder ähnliche Angebote von Institutionen, die zur Neutralität verpflichtet sind, und auch von Medien, die diesen Anspruch erheben. Solche Systeme werten dann die Parteiprogramme aus und versuchen, diese in Beziehung zu setzen zu dem was man selbst politisch bevorzugt: Also was ist mir zum Beispiel wichtiger: Dass alle am wirtschaftlichen Wohlstand teilhaben oder dass jeder wirtschaftlich möglichst frei selber bestimmen kann? Je nachdem finde ich mich bei der einen oder bei der anderen Partei, und im aktuellen Wahlprogramm besser aufgehoben. Und bevor man sich jetzt hinsetzt und alle Wahlprogramme durchliest, dann benutzt man eben den Wahl-O-Mat.


Prof. Dr. Hagen wird erneut am 15.08.2024 von 18:00–20:00 Uhr in Weißwasser im SKZ Telux zum Thema "Medien, Demokratie und Fake News. Wahlkampf im Zeitalter digitaler Medien" unser Gast sein.