„Lebensgeschichten können die Welt erklären.“ Nazanin Zandi im Gespräch

Der diesjährige Friedensnobelpreis ging an die iranische Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi: „für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran und ihren Kampf für die Förderung der Menschenrechte und der Freiheit für alle“, so das Komitee. Vor genau 20 Jahren wurde der Nobelpreis schon einmal einer iranischen Menschenrechtsaktivistin zugesprochen. Seit Jahrzehnten kämpfen Iraner und Iranerinnen gegen das Mullah-Regime. Nachdem die „Sittenwächter“ vor einem Jahr die Kurdin Jina Mahsa Amini töteten, kam es erneut zu massiven Protesten. Viele Menschen flohen, inzwischen bilden Iraner:innen eine der größten Diasporas der Welt. Zu ihnen gehört auch die Künstlerin Nazanin Zandi, die im Iran geboren wurde, viele Jahre in Italien war und nun in Sachsen lebt. In der SLpB-Veranstaltungsreihe „Leben im Iran: zwischen Protest und Unterdrückung“ berichtet sie von ihrer spannenden Familiengeschichte und führt uns auf eine Reise durch die Geschichte des Iran. Das Gespräch mit Nazanin Zandi führte Marla Fiedler.

 

Wir treffen uns in deinem Dresdner Atelier. An was arbeitest du hier und was beschäftigt dich gerade?

Das Atelier habe ich seit 2011. In den ersten Jahren habe ich sehr viel gemalt an der Staffelei. Hier hängen auch die Bilder von früher. Wir waren übrigens immer eine Ateliergemeinschaft. Was sehr schön ist, weil man viele Synergien hat. Wir inspirieren uns gegenseitig und machen auch Projekte zusammen. In den letzten Jahren ist das Atelier immer mehr der Ort geworden, wo ich mich hinsetze, Rechnungen schreibe, Illustrationsaufträge zeichne, Konzepte und Anträge schreibe.

Wie bist du zur Kunst gekommen?

Schon als ich fünf oder sechs Jahre alt war, wollte ich Künstlerin sein - diese Erinnerung habe ich. Es gibt eine riesige Menge von Fotos, auf denen ich male. Um mich herum sind die Menschen am Spielen - und ich bin am Malen. Als ich in Italien lebte, wollte ich gern auf das Kunstgymnasium gehen. Doch meine Mama hat mich überzeugt, lieber auf ein wissenschaftliches Gymnasium zu gehen. Mit 18 wollte ich dann gern Kunst studieren, da war ich in Paris, doch meine Mama meinte: „Das Leben als Künstlerin ist so unsicher! Mach doch etwas Künstlerisches, aber ein bisschen sicherer – Architektur wäre sehr schön.“ Ich habe mich überzeugen lassen. Bis heute weiß ich auch nicht, ob es richtig oder falsch war. Ich habe sieben Jahre Architektur studiert, keinen einzigen Moment mit Begeisterung. Tatsächlich habe ich auch drei Jahre als Architektin gearbeitet, aber mich total gelangweilt. 2010 ist meine Mama an Krebs gestorben. Sie war eine sehr lebendige und charismatische Person, ihr Selbstbewusstsein hat mich immer beeindruckt. Damals habe ich mir gesagt: Jetzt höre ich auf, diese Jobs zu machen! Das Leben ist zu kurz, ich möchte endlich das machen, was mich begeistert!

Wir machen in der Reihe Kontrovers vor Ort gemeinsam eine Veranstaltung über den Iran. Welchen Bezug hast du zum Iran?

Ich bin hundertprozentig Iranerin in dem Sinne, dass meine Mutter und mein Vater aus dem Iran sind. Ich bin auch im Iran geboren, habe dort die erste Schulklasse besucht. Aber nun lebe ich wie viele meiner Landsleute in der Diaspora. Mit einer extremen Sehnsucht. Meine Geschichte ist noch ein bisschen komplizierter, denn ich lebte lange in Italien und nun schon eine ganze Weile in Deutschland. So habe ich Sehnsucht nach mehreren Orten. Allerdings hatte ich als Kind und junge Erwachsene nie großes Interesse am Iran. Es ist erst so richtig aufgeflammt, als ich Kinder bekommen habe. Und mir bewusst wurde, dass mir meine Wurzeln fehlten. Meine Mama half mir damals, wieder Kontakt zu unserer Familie im Iran aufzunehmen, sie war immer eine Vermittlerin. Nach ihrem Tod habe ich mir dann selbst eigene und auch neue Verbindungen in den Iran aufgebaut. Da ich als Künstlerin immer mehr für Frauenrechte einstehe, ist mein politisches Interesse am Iran mittlerweile auch  groß. Es ist mir sehr wichtig, was jetzt gerade in meinem Mutterland passiert!

In der Veranstaltung erzählst du sehr persönlich von deinem Leben und deiner Familiengeschichte. Was ist dir daran wichtig?

Es sind mehrere Punkte. Ich habe gemerkt, dass Geschichte und Weltpolitik nur schwer über Zahlen und Ereignisse greifbar sind. Individuelle Lebensgeschichten können helfen, die Welt verständlich zu machen. Ich war am Anfang sehr skeptisch, ob das mit meiner Geschichte aufgeht. Es gibt viele Menschen, die länger im Iran gelebt haben und daher viel mehr berichten können als ich. Aber mittlerweile finde ich es total toll, wie es aufgeht, dass ich Menschen mit der Geschichte meiner Familie erreichen kann. In Torgau zum Beispiel sprach mich ein älterer Mann nach der Veranstaltung an und sagte zu mir: „Ich fand es toll! Ich habe ganz viele neue Sachen gelernt und sie haben mich berührt“. Jan Theurich moderiert all unsere Veranstaltungen. Er bringt viele geschichtliche Ereignisse und Fakten ein. Wir ergänzen uns super. Und ich lerne von Jan ganz viel! Die Veranstaltungen sind mir sehr wichtig. Denn es ist nicht egal, was im Iran passiert: Es beeinflusst die Welt.

Das ist auch eine Frage, die ich dir stellen wollte: Warum sollen wir uns hier in Deutschland dafür interessieren, was im Iran passiert?

Weil wir zu jedem Land in das wir schauen, Verbindungen haben. Und weil der Iran tatsächlich besonders einflussreich ist. Die Regierung lässt extrem viele Gelder und brutales Wissen in andere Länder fließen. Wir sehen es gerade beim Konflikt in Nahost. Und neben diesen ökonomischen und politischen Verbindungen, gibt es auch emotionale: Sehr viele Menschen aus dem Iran, die in Deutschland leben, können seit 40 Jahren nicht nach Hause!

Was ist dir noch wichtig zu sagen?

Ich hätte vorher nie gedacht, dass es so interessant wird. In der „Reihe Kontrovers vor Ort“ fahren wir an verschiedene Orte in Sachsen. Und diese Reisen und Begegnungen überraschen mich immer wieder: Überall gibt es Leute, die tolle Sachen machen. Natürlich gibt es auch jede Menge seltsame und negative Kräfte in Sachsen, aber das Bild, das ich von den verschiedenen Menschen und Orten bekommen habe, war jedes Mal sehr positiv - und anders als erwartet.

Veranstaltungen mit Nazanin Zandi: 13.11. in Dresden, 20.11. in Hoyerswerda und 27.11. in Schkeuditz