In zwei Debatten diskutierten Fachleute aus den beiden Bereichen mit Bürgerinnen und Bürgern im Rahmen der Veranstaltungsreihe “Aus der Krise lernen? Offene Gesellschaft in der (Post-)Corona-Phase”: Am ersten Abend über die Folgen von menschenleeren Sitzreihen in Kirchen und im zweiten Teil über die Zukunft von Kunst und Kultur nach der Pandemie.
Spagat zwischen Fürsorge und Verantwortung
Mögliche Versäumnisse und Angebote der Kirche in Sachsen während der Coronakrise standen am 15. Juni im Mittelpunkt. Christoph Seele, Oberkirchenrat sowie Beauftragter der Evangelischen Landeskirchen beim Freistaat Sachsen, bezeichnete die letzten Monate als "absolutes Neuland" und "Lernfeld im 24-Stunden-Rhythmus". Gemeinden und Pfarrer standen vor noch nie da gewesenen Aufgaben: Digitale Gottesdienste sowie Hausbesuche, Seelsorge und Sterbebegleitungen mit strengen Hygienevorschriften forderten einen ständigen Spagat zwischen geistlicher Fürsorge und gesundheitlicher Verantwortung. Dennoch beobachtete Seele einen Moment des Innehaltens: "Selbstbezogenheit und Einsamkeit bringen Menschen in ganz anderer Form an Glaubensfragen heran." Das machte sich auch in der Online-Debatte bemerkbar: Engagierte Teilnehmende fragten kritisch nach und brachten neue Perspektiven ein. Eine Bürgerin beispielsweise berichtete, dass sie die Kirche erst durch Online-Angebote wieder für sich entdeckte. Eine dauerhaft digitales Kirchenangebot im aktuellen Umfang schlossen die Geistlichen aber aus. "Persönliche Begegnungen sind nicht mit Skype oder Zoom zu ersetzen und kosten finanzielle sowie personelle Ressourcen", sagte Thomas Arnold, Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen.
Zum gleichen Schluss kamen Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, und Anne Pallas, Geschäftsführerin des Landesverbands Soziokultur Sachsen e. V., während Teil zwei der Debatte am 19. Juni. Im Fokus stand dabei, wie es mit Kunst und Kultur nach fast drei Monaten mit geschlossenen Türen weiter geht. "Die Grenzen des Digitalen sind in dieser Krise so deutlich geworden wie noch nie", sagte Ackermann. Die beiden Expertinnen betonten, dass digitale Formate kein adäquater Ersatz von hautnah erlebbarer Kunst und Kultur seien.
Die Angst vor dem "Kürzungshammer"
Vor allem freie Kulturschaffende leiden finanziell unter abgesagten Veranstaltungen. Pallas nannte es einen nun sichtbaren "Systemfehler", dass private Personen und freie Träger oft ganze Kultureinrichtungen verantworten müssten. Die staatlichen Hilfsmittel würden zwar kurzfristig helfen, aber nicht die Existenz vieler soziokultureller Zentren in Sachsen langfristig sichern. Gerade im ländlichen Raum hätten sich diese in der Krise als Orte der Solidarität hervorgetan: "Viele Häuser haben sich als Multiplikatoren der Maßnahmen verstanden", verglich Pallas die Hilfsbereitschaft mit der Flüchtlingshilfe und dem Elbehochwasser. Umso größer sei die Angst vor dem "Kürzungshammer", der bereits nach der Wirtschaftskrise 2009 einschlug. Das Verschwinden von Theatern, Clubs oder Museen, die Menschen zusammenbringen und bürgerschaftliches Engagement fördern, wäre fatal für unsere Demokratie, waren sich Pallas und Ackermann einig.
Sowohl Kirchenvertreter als auch die Expertinnen aus Kunst und Kultur bemühten sich, positive Lehren aus den Krisenwochen zu ziehen. Ackermann nannte Albert Camus und die Pest exemplarisch für Künstler, die während Pandemien erst aufblühten. Sie hofft gleichzeitig, dass die gesellschaftliche Solidarität anhält, um neue Kooperationen zwischen den Künsten und Häusern anzustoßen. Auch Theologe Arnold sprach von einem geeigneten Moment, um "den Solidaritätsgedanken, den wir in den letzten Wochen im kleinen Kreis so intensiv erlebt haben, auf unseren Kontinent zu übertragen".
Ein Mitschnitt der Diskussion vom 19. Juni ist auf unserem YouTube-Kanal zu finden.
Bis zum 17. Juli veranstaltet die SLpB Online-Bürgerdebatten, in der die Menschen im Freistaat aufgerufen sind, mit Fachleuten über die Folgen der Coronakrise zu diskutieren. Weitere Informationen finden Sie hier.