Unfrieden im Weihnachtsland
Der prächtige Säulensaal des Bürgergartens im erzgebirgischen Stollberg kontrastierte auf den ersten Blick mit dem Ernst dieses Fachtages. Ausrichter waren die Diakonie Erzgebirge, das Kompetenzzentrum für Gemeinwesenarbeit und Engagement e. V., die AG Kirche für Demokratie und Menschenrechte und die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung. Die Wiederherstellung des Traditionshauses ist Bürgerengagement ebenso zu danken wie städtischen Investitionen. Künstler ersten Ranges treten hier auf.
Um Kultur im weiteren Sinn ging es auch bei der Fachtagung, unter anderem um eine Volkskultur, die sich leider als saugfähig gegenüber rechten und völkischen Gesinnungen erweist. Krisenzeiten würden insbesondere von Akteuren der rechten Szene genutzt, um bei der Bevölkerung anzudocken, stimmte Friedemann Brause zur Begrüßung ein. Bezug nehmend auf aktuelle politische Krisen und Herausforderungen schürten sie Misstrauen gegen den Staat und Hass gegen Minderheiten. Brause, Fachreferent für Innenpolitik und Zivilgesellschaft der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, moderierte den Nachmittag gemeinsam mit Julia Loßnitzer von der Diakonie Erzgebirge.
Der griffige Titel des Fachtags „Rechts vorbei oder mittendrin?“ dockte wiederum in positiver Weise an die Erfahrungen der etwa 65 Interessenten aus der Region an. Der Untertitel „Über Reichsbürger, rechte Strukturen und Perspektiven FÜR das Gemeinwohl“ knüpfte an zwei vorausgegangene Onlinekonferenzen zur „Rechten Landnahme“ an. Es ging um den Erwerb von Grundstücken und attraktiven Gebäuden, den Aufbau lokaler Enklaven völkisch-nationalistisch-esoterischer Einstellungen. Haben doch auch im erzgebirgischen Eibenstock Reichsbürger im Gefolge des selbstgekrönten „Königs von Deutschland“ Peter Fitzek im Vorjahr das Wolfsgrüner Schlösschen erworben. Solche Objekte werden von Fitzek demagogisch als „Gemeinwohldörfer“ getarnt.
Besorgte Situationsbeschreibung aus den Kommunen
Mit kompetenten Input-Referenten und dem an neun Gruppentischen möglichen engen persönlichen Austausch ging diese Tagung über ihre Online-Vorgänger hinaus.
Ein kurzes Doppelinterview zur Einstimmung bestätigte die knappen Eingangsthesen von SLpB-Referent Brause. Der Pfarrer und stellvertretende Superintendent Thomas Lißke ist in der Gegend um den Spiegelwald tätig, also zwischen Grünhain, Bernsbach und Beierfeld. Er konnte zwar auf seine Grünhainer Gespräche und auf die von einem breiten Bündnis verfasste Extremismuserklärung in Schwarzenberg verweisen. Er als Pfarrer könne in seiner Kirche noch Vergebung und Nächstenliebe predigen, aber auch deutliche Positionen beziehen. Seine Lagebeschreibung aber fiel wenig optimistisch aus. „Rechte Strukturen können leicht im Untergrund wabern, weil die Probleme draußen übermächtig geworden sind“, konstatierte Lißke. Grünhain mit seiner Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge sei ein Aufmarschgebiet der rechtsextremen Kleinpartei „Freie Sachsen“ geworden, ohne dass dem mutig entgegengetreten werde.
Silke Franzl, Bürgermeisterin im durch sein Besucherbergwerk bekannten Ehrenfriedersdorf, konnte dem nichts Hoffnungsvolleres entgegensetzen. „Wenn wir nicht aufpassen, wird es immer mehr“, diagnostiziert sie. Die Mitte breche teilweise weg, auch Unternehmen und Handwerker gerieten immer mehr in den Dunstkreis von Reichsbürgern und ähnlich autoritären Kreisen. Rechtsextremismus sei kein Bürgerthema, vielmehr herrsche „angesichts der weltpolitischen Rahmenbedingungen“ Angst vor.
Beispielhaft las sie einen erschreckenden und abschreckenden Brief an Bürgermeister, Gemeinderäte, „an alle Mitteldeutschen auf Ex-DDR-Gebiet“ und in Kopie auch an die russische Regierung vor. Die „Hochverräter“ in den kommunalen Ämtern werden mit dem Verlust ihrer persönlichen und familiären Unversehrtheit bedroht. 30.000 Gemeinderäte zu „verlieren“ wäre kein Verlust, wenn dadurch zehn Millionen Bürger wieder in den Genuss von Recht und Ordnung kommen, heißt es sinngemäß in dem Pamphlet.
Kompetente Input-Referate
Es spricht für die bodenständigen Teilnehmenden des Fachtags, dass wohl eingedenk des gemeinsamen Engagements für Humanismus, Menschenwürde und Demokratie nicht ansatzweise Ressentiments gegenüber auswärtigen Fachleuten laut wurden. Deren längere Input-Vorträge hatten es in sich und fußten auf soliden Recherchen.
Am Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Universität Leipzig, befasst mit Demokratieforschung in Sachsen, erschien 2022 eine „Situationsanalyse rechter und antidemokratischer Strukturen im Erzgebirgskreis“. Die 36-seitige A4-Broschüre lag wie andere Materialien auch an Informationstischen aus und wurde rege nachgefragt. Extrem rechte Parteien, rechte Heimatvereine, neonazistische Treffpunkte, Immobilien und Erlebniswelten, Demonstrationen und Gewaltausbrüche: die 36 Seiten starke A4-Broschüre bietet auf nahezu jede Frage eine Antwort. Anna-Louise Lang und Johannes Grunert stellten die Studie in gedrängter Form vor.
Ihr Fazit dieser Faktensammlung deckt sich mit den Erfahrungen von Pfarrer Lißke und Bürgermeisterin Franzl. Auch Anna-Louise Lang sprach von „etablierten Strukturen“. Ihr bürgerliches Erscheinungsbild im vorpolitischen Feld biete „eine gute Grundlage, um die Stimmung in der Bevölkerung zu verändern“. Über die Brücken Tradition, Werte, Heimat lasse sich Resonanz erzielen, erscheine man als Teil der Gemeinschaft. Eine wichtige Rolle dabei spielen meist gut getarnte rechte Heimatvereine wie „Haamitleit“ in Lößnitz, also „Heimatleute“. Wen interessiert schon, dass Teile des Vereins auch zum 2016 im Erzgebirge gegründeten Ableger der Identitären Bewegung zählen? Die NPD, heute „Heimat!“, tarnt sich ebenfalls bei Wahlen gern hinter scheinbar unabhängigen Wählervereinigungen.
Andererseits üben die 2021 in einer Schwarzenberger Kneipe gegründeten „Freien Sachsen“ wiederum Druck auf die AfD aus, ergänzte Johannes Grunert. Wie sie sich überhaupt als Sammlungsbewegung und weniger als Partei verstehen. 150.000 Follower auf Telegram geben zu denken. Auch Grunert bestätigte, dass sie „die extreme Blase verlassen haben und Angebote für alle Lebens- und Freizeitbereiche unterbreiten“.
Das Mobile Beratungsteam Mitte-Süd/Chemnitz des Kulturbüros Sachsen verstärkte die Einschätzungen noch. Über Differenzen hinweg seien sich rechte Gruppen im Ziel einig, mit Bürgerprotesten einen „Volksaufstand aller heimatliebenden Deutschen“ zu stimulieren. Rassismus erscheine immer normaler. Die beiden Fachleute lenkten zugleich den Blick auf mögliche Gegenstrategien der Zivilgesellschaft, zum Beispiel durch Zusammenarbeit mit Justiz und Ordnungsbehörden. Das sollte auch Thema in den Gesprächsgruppen werden.
Engagiert und kundig steuerte der Sekten- und Weltanschauungsbeauftragte der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Harald Lamprecht einen Exkurs über Peter Fitzek und sein „Königreich Deutschland“ bei. Durch den Schlosskauf bei Eibenstock nun auch ein Erzgebirgsthema. Auch Lamprecht brachte eine Broschüre „Peters phantastische Visionen“ aus der Reihe „Confessio“ des Evangelischen Bundes Sachsen mit. Bizarre, ja beinahe kabarettistische Züge trägt das Gebaren des sich messianisch gerierenden Fitzek, lockte er nicht mit gefährlichen Ködern, etwa fragwürdigen Schenkungen und Finanzgeschäften in seiner „Gemeinwohlkasse“. Lamprecht nannte die drei Grundmuster Abwertung der Demokratie, Vernetzung der Demokratiefeinde und Verschwörungsmythen.
Austausch zum Alltag an kleinen Gesprächstischen
An den maximal mit acht Teilnehmenden besetzten Gruppentischen wurde dann über Analysen hinaus nach praktischen Handlungsmöglichkeiten gesucht. Regierungs- und Kommunalvertreter, Institutionen, Initiativen und Vereine diskutierten aber auch darüber, ob man über jedes Stöckchen springen müsse, mit dem Völkisch-Heimattümelnde provozierten. „Provokante Posts werden manchmal überbewertet“, hieß es beispielsweise aus Kreisen der Diakonie. Andererseits sollten Institutionen auch laut „Stopp“ sagen, wenn durch Grundwerte gegebene Grenzen überschritten werden.
Wer in solchen Fragen Beratung sucht, konnte in Stollberg neue Angebote entdecken. Neben dem Gesamtkonzept gegen Rechtsextremismus des Freistaates ist inzwischen bei der Landesdirektion, also der Mittelbehörde, ein „Expertennetzwerk Rechtsextremismus“ erreichbar. Vernetzung kann überhaupt als ein Gegengift wirken, und das „Netz ERZ“ der Diakonie fungierte in Stollberg als Gastgeber.
Als unzureichend erprobt wurde an den Tischen die naheliegende Strategie empfunden, Menschen dort abzuholen, wo sie sich nun einmal gefühlt befinden, bei Frust und Unzufriedenheit also. „Das machen, was die Rechten machen“, lautete ein Rezeptvorschlag. Der Wert solcher Fachtage besteht aber auch darin, sich sozusagen untereinander abzuholen. „Es tut gut, ähnlich Gesinnte zu treffen“, freuten sich viele.