Die Versuche sind nicht neu, völkisch-nationalistische Siedlungsinseln besonders in Ländlichen Räumen zu schaffen. Ein Beispiel bietet der 700 Jahre alte Gasthof in Serkowitz, einem Dörfchen zwischen Radebeul und Dresden. Er geriet jüngst ins Gespräch, weil das dort seit einem Jahrzehnt ansässige skurrile Lügenmuseum mit der Investoren-Ausschreibung des Gasthofes sein Domizil verlieren könnte. 2007 aber hatte ihn die Stadt Radebeul bei einer Zwangsversteigerung für wenig Geld erworben. Sie wollte damit nicht nur den Gasthof retten, sondern ihn auch vor Begehrlichkeiten aus der rechten Szene bewahren. Seit Mitte der 1990-er Jahre schwappte eine erste Welle des Immobilienerwerbs und angestrebter Siedlungskerne gen Ostdeutschland. Bevorzugt in Gegenden günstiger Preise wegen mangelhafter Infrastruktur.
„Die rechte Landnahme schreitet in Sachsen immer weiter voran“, bestätigte Annalena Schmidt eine neuerlich wahrnehmbare Tendenz. Nicht allein als grüne Stadträtin hatte sie sich in Bautzen mit rechten Ideologen und dem ihnen gegenüber anfälligen bürgerlichen Milieu auseinandergesetzt und dafür heftige Attacken einstecken müssen. Nun hat sie als Sprecherin der AG Kirche für Demokratie und Menschenrechte an der Vorbereitung der dreiteiligen Landnahme-Reihe der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung mitgewirkt. Als Kennerin der Szene berichtete sie gleich zum Auftakt am 3. Mai, dass der als „König von Deutschland“ bekannte Hochstapler, Reichsbürger und Volksbetrüger Peter Fitzek nach seiner „Gemeinwohlkassen“-Filiale in Dresden auch zwei Gemeinwohldörfer in Sachsen plant.
Schützend und erleichternd: Die Online-Diskussionsform
Solche konkreten Projekte werden am 11. Mai, dem zweiten Abend der Reihe behandelt. Am 19. Mai sollen sich dann Akteure sowohl aus Gegenbewegungen als auch Kommunalvertreter äußern, kündigte Moderator Friedemann Brause von der Landeszentrale an. Obschon Präsenzveranstaltungen inzwischen wieder möglich wären, wählten die Veranstalter das Online-Format. Einerseits ermöglicht es Interessenten aus ganz Deutschland die Teilnahme, andererseits gewährt es ihnen angesichts der rechten Bedrohung einen gewissen Schutz. Denn sie müssen sich nicht outen, und die Diskussion nach den beiden Eröffnungsvorträgen wurde bewusst nicht dokumentiert. Etwa 70 Gäste beteiligten sich.
Das Auftreten der Siedler folge nicht folkloristischen Klischees, führte Brause die beiden Referentinnen des ersten Abends ein. Deren Erscheinungsbild sei vielmehr anknüpfungsfähig bis alternativ und nicht eindeutig zuzuordnen. Sie arbeiteten als Handwerker oder Landwirte, pflegten die Familie, die Dorfgemeinschaft und das Brauchtum, lebten vegetarisch, umweltbewusst und nachhaltig. Dahinter aber verberge sich ihr völkisches Weltbild, das von nordischer Rassenüberlegenheit, Blut- und Boden-Ideologien und einem angeblichen Überlebenskampf des deutschen Volkes geprägt ist.
Andrea Röpke: Graswurzel-Strategie
Einen ersten Einblick gab die bekannte und mit vielen Preisen bedachte Politologin und Journalistin Andrea Röpke. 2019 veröffentlichte sie gemeinsam mit Andreas Speit das Buch „Völkische Landnahme“. Viel zu wenig tauche davon in Verfassungsschutzberichten auf, kritisierte sie eingangs.
Denn dahinter stecke die Strategie der auf die NPD zurückgehenden „Nationalen Graswurzelarbeit“ bei rechten Parteien und Bewegungen. Gemeint ist der Versuch, Akzeptanz und damit Macht durch Verankerung in den Regionen zu gewinnen. So sollen Ressentiments überwunden und Hemmschwellen in der Gesellschaft gesenkt werden.
Andrea Röpke stand bei ihrer Einführung noch unter dem frischen Eindruck einer Maidemonstration in Zwickau, die etwas mit der Initiative „Zusammenrücken in Mitteldeutschland“ zu tun hatte. Diese suggeriere ein Wir-Gefühl in Sachsen, das Mühen um vernachlässigte ländliche Regionen, allerdings exklusiv in homogener weißer Gesellschaft. Man versuche, über Elternvertretungen in Schulen und Kindergärten oder in mittelständischen Vereinen Fuß zu fassen.
Recherchen zu den oft geschickt getarnten Zielen sind kaum durch Interviews oder Aussagen aus erster Hand zu erhalten. Schriftliche Quellen sprechen dafür eine eindeutige Sprache wie das Buch des ehemaligen NPD-Vorsitzenden in Sachsen-Anhalt Steffen Hupka „Neue Wege“. Die Referentin zitierte aus dem Artikel „Das Wehrdorf“:
„Die Einheit einer nationalen Wehr und Siedlungsgemeinschaft muss sich in folgenden Bereichen zeigen:
- In einer unerschütterlichen nationalsozialistischen Weltanschauung
- Unbedingte Opferbereitschaft bis zum Tod
- Rassische Zugehörigkeit zu den germanischen Völkern und genetische Gesundheit, radikaler Abschied von dem, was uns krankmacht, Aufbau einer eigenen, selbstbestimmten, guten und gesunden kleinen Welt“
Das Konzept ist noch aus Hetendorf in der Lüneburger Heide bekannt, wo sich bis 1998 das größte rechtsextreme Schulungszentrum in der Bundesrepublik befand. Es geht um Stabilisierung, um innere Härte im Kampf gegen „die da draußen“.
Jüngeren Datums ist das Konzept „Kulturraum Land“, hinter dem die „Ein Prozent“-Bewegung steht. „Fernab von Anonymität und Multikultur-Realität in vielen deutschen Großstädten lässt sich auf dem Land unter Gleichen wirtschaften und leben“, heißt es darin. Neu daran ist, dass Siedlungswillige nicht mehr unbedingt eigenes Geld mitbringen müssen, sondern Investoren gesucht werden. In der Lausitz sind Tendenzen zum Immobilienerwerb durch reiche Geldgeber bereits zu beobachten, denen Rechtsextreme nachfolgen. Präventiv oder durch Proteste seien diese Käufe kaum zu verhindern, muss Andrea Röpke feststellen. Es bräuche mehr Aufklärung.
Siedlungsschwerpunkt Sachsen
Sachsen steht nach ihren Erkenntnissen im Zentrum des rechten Immobilienerwerbs. Ein Beispiel bietet der Verein „Landleben19 e.V.“ für „praktische Kultur-, Heimat- und Jugendarbeit“. In Dörnthal im Erzgebirge hat ein gewisser Dadon aus der Liedertafel-Bewegung einen Hof gefunden, wo er „Redestabrunden“ und Arbeitseinsätze zum Mitmachen anbietet.
Für zwei Theateraufführungen auf der angemieteten Waldbühne Bischofswerda probte die völkische Szene 2018 eine „klassische“ Inszenierung von Schillers Drama „Wilhelm Tell“. 800 Zuschauer sollen sie gesehen haben. Der Jugendbund „Sturmvogel“, der auf die verbotene Wiking-Jugend zurückgeht, feierte 2017 auf dem Gelände einer Familie aus dem Spektrum der Freien Nationalisten Chemnitz in Lunzenau/Cossen bei Chemnitz sein dreißigjähriges Bestehen. Zwei Jahre später traf sich der Jugendbund in Spechtshausen bei Tharandt auf dem Grundstück eines AfD-Stadtrates.
„In unseren Festen ist trotz der Überfremdung die Weltanschauung des nordischen Menschen erhalten geblieben. Die Brauchtumspflege ist das Bollwerk der Umerziehung“, zitiert Andrea Röpke die für Brauchtumspflege in der NPD zuständige Edda Schmidt vom „Ring nationaler Frauen“. Der soll auch in Dresden ein Haus besitzen.
Höckes Remigrationsprojekt
Es handele sich bei der Bildung lokaler Inseln von „Volksgemeinschaften“ aber nicht um abgeschlossene sektenähnliche Strukturen, betonte die Referentin. „Widerständig leben“, könne vielmehr als verbindendes Motto gelten. Grundzüge gehen auf die 2009 verbotene „Heimattreue Deutsche Jugend“ und deren Zeitschrift „Funkenflug“ zurück. „Um die Reinheit des Blutes zu gewähren, muss sich jeder als Teil der Artgemeinschaft fühlen und sich seiner Abstammung bewusst sein“, hieß es dort. Völkisches Brauchtum habe den Zweck, eine schlummernde Kultur zum Leben zu erwecken, „um dieses kranke System zu beseitigen“.
Dieses Ziel verfolgt auch Björn Höcke, AfD-Landesvorsitzender in Thüringen. Er fordert ein großangelegtes Remigrationsprojekt, bei dem man nicht um eine „Politik der wohltemperierten Grausamkeit“ herumkommen werde. Die Formulierung geht übrigens auf den Philosophen Peter Sloterdijk 2015 zurück. „Auch wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und islamisierung zu widersetzen“, heißt es in Höckes Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“, so würden-„am Ende immer noch genug Angehörige unseres Volkes vorhanden sein, mit denen wir ein neues Kapitel unserer Geschichte aufschlagen können.“
Anna Weers zur Anastasia-Bewegung
Im zweiten Vortrag befasste sich Anna Weers von der Amadeu Antonio-Stiftung mit der „Anastasia“-Bewegung rechter Siedler. Sie kann als „größte sektiererische Bewegung Russlands“ gelten, wo ab 1996 eine Buchreihe „Die klingenden Zedern Russlands“ erschien, ab 1999 in deutscher Übersetzung. Auf dem mystisch anmutenden Buchcover sieht man das leichtberockte Mädchen Anastasia vor einem Sonnensymbol. Der Ich-Erzähler bricht von Nowosibirsk aus in die Taiga zu ihr auf und erfährt von der Prophetin die Lösung aller Weltprobleme. Schuld tragen in dieser antisemitischen Verschwörungserzählung einmal mehr die Juden, die Regierung, Wirtschaft und Presse kontrollierten. Ihr Verfolgung in der Geschichte sei nur konsequent. „Da das schon mehr als ein Jahrtausend geschieht, kann man den Schluss ziehen, dass das jüdische Volk vor den Menschen Schuld hat… Sie versuchen, alle zu betrügen“, heißt es im Band 6 der Anastasia-Geschichten „Die Silberschnur“, erschienen im Güllesheim-Verlag.
Der Ausweg besteht angeblich in der Lösung vom System und im Aufbau autarker Siedlungen. Ein Hektar Familienlandbesitz zur Selbstversorgung soll zugewiesen werden. Der dort herrschende Geist ist antimodernistisch, demokratiefeindlich, frauenfeindlich, mystisch-esoterisch aufgeladen und von Blut- und Boden-Vorstellungen geprägt. Siedlungsprojekte oder Aufrufe zu deren Gründung gibt es im Allgäu, in Brandenburg, in Sachsen, speziell im Erzgebirge, und Sachsen-Anhalt und neuerdings auch in Österreich. Ab 2014 ist eine stärkere Vernetzung zu beobachten, zunächst auf Festivals, dann eher digital besonders auf Telegram-Kanälen.
In Sachsen bestehen Verbindungen zu Querdenkern oder den rechtsextremen „Freien Sachsen“, zu Verschwörungstheoretikern oder QAnon-Anhängern. Vorträge, Veranstaltungen und Lesekreise sind aus Bautzen, Dresden und Chemnitz bekannt. In Görlitz soll es ebenso wie in Brandenburg den Versuch einer Schulgründung gegeben haben.
Anna Weers verwies schließlich noch auf die 2020 erschienene Broschüre „Land unter?“ der Stiftung und die darin enthaltenen Ratschläge für den Umgang mit rechten Siedlern. „Augen auf!“, kann als generelle Aufforderung gelten, gerichtet an die Zivilgesellschaft und insbesondere an Kommunalverwaltungen. Absichten von Käufern und Investoren müssten rechtzeitig erkannt und mit Verbündeten Strategien gegen deren Erfolg entwickelt werden. Bildungseinrichtungen, aber auch Umweltverbände seien besonders durch Unterwanderung gefährdet. Satzungen und Leitbilder können einer präventiven Abwehr dienen.
Michael Bartsch arbeitet als Freier Journalist/Autor u.a. für MDR und TAZ.
Weitere Termine der Veranstaltungsreihe "Rechte Landnahme":
- 11.05.2022, 19:30–21:00 Uhr: Völkische Siedler, rechte Szenetreffs und Verlage – wie ist die Lage in Sachsen? und
- 19.05.2022, 19:30–21:00 Uhr: Gemeinsam engagiert vor Ort – was tun gegen rechte Landnahme?