Web3 und der Traum einer dezentralen Gesellschaft (2/3)
Teil 2 – Der lange Schatten der Blockchain
Eine Währung ohne Banken
Der Aufwand, eine Währung zu betreiben, ist zunächst sehr gering, da nur drei Fragen geklärt werden müssen: Wer sendet wieviel an wen? Sind diese drei Informationen bekannt, kann eine Transaktion verbucht werden. Hinzu kommen in der Praxis noch sogenannte „Metadaten“, also Informationen über Datum, Uhrzeit oder ähnliches. Im klassischen Geldsystem wird dieser Schritt von einer Bank übernommen, einer zentralen Instanz, der beide Teilnehmenden (mehr oder weniger) vertrauen. Die Bank nimmt den Betrag von Person A und schreibt sie Person B gut. Dafür nimmt sie entweder Gebühren oder profitiert auf andere Weise von der Transaktion, zum Beispiel, weil sie das Guthaben beider Personen nicht dauerhaft vorhalten muss und daher langfristig investieren kann. In einer dezentralen Währung gibt es eine solche Vertrauensinstanz aber nicht, weswegen die Informationen, wer wem wieviel überwiesen hat, direkt in die Blöcke geschrieben werden. Wenn Teilnehmende einer Cryptowährung sich gegenseitig Beträge schicken, werden diese also in einer Art Warteschlange gesammelt. Die Transaktion findet erst dann statt, wenn der nächste Block in der Kette frei ist (was im Übrigen zu langen Wartezeiten führen kann). Aber wann wird ein Block frei? Und woher kommen die Blöcke überhaupt?
Um die beschriebene Kette fälschungssicher zu machen, ist es notwendig, dass neue Blöcke nur mit einem hohen Aufwand gefunden werden können. Zu diesem Zweck werden sie mit einer Rechenaufgabe versehen, die schwer zu lösen ist, aber schnell überprüft werden kann. Zum Beispiel soll der Hashwert des nächsten Blocks mit einer bestimmten Anzahl bestimmter Ziffern beginnen („Nonces“). Wie im ersten Artikel beschrieben, lässt sich ein Hashwert sehr schnell überprüfen. Generieren, und damit fälschen, lässt er sich aber nur mit extrem hohem Aufwand. Die Blockchain bleibt also dadurch fälschungssicher, dass alle, die sich an der Sicherheit beteiligen wollen, viel Rechenleistung bereitstellen, um neue Blöcke zu finden, die dann wiederum für die Transaktionen genutzt werden und von allen schnell überprüft werden können. Hoher Rechenaufwand bedeutet allerdings teure Hardware, die schnell verschleißt und dabei viel Strom verbraucht. Damit Menschen einen Anreiz haben, diese Kosten zu tragen, werden sie auch direkt in der Blockchain belohnt: In dem die Blöcke selbst als Einheiten der Währung dienen, die dann wiederum gehandelt werden können. So stellt beispielweise ein Bitcoin genau das dar: Einen Block in der Bitcoin-Blockchain.
Mehr zur Funktionsweise von Banken bei Iconomix (Schweizerische Nationalbank)
Schürfen und Beweisen zu Lasten der Umwelt und zum Nutzen von wenigen
Dieser Vorgang wird entsprechend auch „Mining“ („Schürfen“) genannt, das Konzept der Absicherung durch Mining wird als „Proof of Work“ („Beweisen durch Aufwand“) bezeichnet. Das gravierendste Problem dabei ist der exorbitante Energieverbrauch. Berechnungen der Universität Cambridge zufolge verbrauchte die Bitcoin-Blockchain, eine von mehreren gängigen „Stablecoins“ („stabile Währungen“), im Jahr 2022 etwa 107 Terrawattstunden Strom. Das gesamte Land Argentinien – einschließlich aller Haushalte, industrieller und staatlicher Einrichtungen – verbrauchte im selben Zeitraum etwa gleich viel. Für das Jahr 2023 berechnet Cambridge derzeit ca. 140 Terrawattstunden. Heruntergebrochen auf einen einzelnen Zahlungsvorgang verbraucht Bitcoin für eine Transaktion etwa 520 Kilowattstunden - so viel wie ein durchschnittlicher deutscher Haushalt in zwei Monaten verbraucht. Eine Visatransaktion verbraucht im Vergleich etwa 0,0015 KWh. Wer mit Bitcoin zahlt, verbraucht also pro Transaktion derzeit etwa das Dreihundertfünfzigtausendfache an Strom im Vergleich zu herkömmlichen Zahlungsmitteln.
Dieser Stromverbrauch wird langfristig auch nicht sinken, da die allermeisten Proof-Of-Work-Blockchains einberechnet haben, dass Prozessoren (und Grafikkarten, auf denen sich Mining oft noch mehr lohnt) über die Dauer leistungsfähiger werden. So ist im Quellcode der Cryptowährungen angelegt, dass die Nonces, also die zu lösenden Rechenaufgaben, über die Dauer immer schwieriger werden. Der Stromverbrauch lässt sich also bei diesen Währungen per Design nicht senken, hinzu kommt die Umweltbelastung durch die Fertigung von Hardware wie Prozessoren und Grafikkarten, welche sowohl seltene Erden als auch hohe Mengen an Wasser verbraucht und zudem die Preise für Halbleiter- und Chipproduktion insgesamt nach oben treibt, die inzwischen in vielen Lebensbereichen verbaut werden.
Anhänger:innen von Cryptowährungen werden nun einwenden, dass das Proof-Of-Work-Konzept nicht alternativlos ist und dass sich mit „Proof of Stake“ („Beweis durch Einsatz“) eine bessere Alternative durchzusetzen beginnt. Doch auch diese Alternative hinterlässt einige Fragezeichen. Das Proof-Of-Stake-Verfahren setzt nicht auf Rechenaufgaben und Mining, sondern auf „Validatoren“. Diese zunächst zufällig ausgewählten Rechner garantieren die Richtigkeit eines Blocks (und damit auch einer Transaktion), indem sie einen Anteil der Währung als Kaution einreichen. Ist der damit hergestellte Block richtig, bekommt der Validator eine kleine Belohnung in Anlehnung an die Kaution – im klassischen Finanzsystem würde man hier von einer Rendite sprechen. Erweist sich der Block als falsch, wird die Kaution als Strafe einbehalten und ein anderer Validator wird beauftragt.
Hier konkurrieren keine verschiedenen Systeme, indem sie Rechenaufgaben ohne externen Wert lösen, was die Umweltbelastung von Proof-Of-Stake-Währungen massiv senkt. Dabei rückt jedoch ein anderes Problem in den Vordergrund: Über die Blockchain bestimmen hier diejenigen, die bereits am meisten haben. Um die höchste Fälschungssicherheit herzustellen, werden jene Validatoren eher ausgewählt, welche eine höhere Kaution bieten. Einerseits vermehrt sich hier bestehendes (Crypto-)Kapital von selbst – diejenigen, welche den höchsten Anteil besitzen, vermehren diesen deutlich schneller. Andererseits bietet dieses Verfahren eine Angriffsfläche für eine sogenannte „51%-Attacke“. Da Konsens in der Blockchain mit absoluter Mehrheit gefunden wird, könnten sich die wohlhabendsten Validatoren zusammentun, um mit einer Mehrheit die weitere Entwicklung der Kette zu bestimmen bzw. zu fälschen. Dieses Problem existiert zwar auch bei Proof-Of-Work, wenn sich 51% der Hashpower zusammentun, da diese aber als physische Rechner auf der Welt verteilt sind, ist eine entsprechende Attacke weniger leicht zu organisieren und würde in der Durchführung in der Regel auch länger dauern.
Mit einem letzten zentralen Problem hat Proof-Of-Stake darüber hinaus zu kämpfen: Durch die historische Entwicklung des Cryptomarktes ruhen sämtliche Hoffnungen, Enttäuschungen und Spekulationen nach wie vor auf dem Platzhirsch Bitcoin. Fällt sein Wert, verlieren auch die anderen Währungen, steigt der Bitcoin im Ansehen, gewinnen auch andere Coins dazu. Bitcoin wird aber qua Definition und Programmierung immer eine Proof-of-Work-Währung bleiben – mit den oben genannten Konsequenzen für Stromverbrauch und Umwelt. Insofern sind alle Cryptowährungen – zumindest in dieser traditionellen Marktordnung – gekoppelt an diese Form des Energieverbrauchs. Das lässt sich den anderen Coins natürlich schlecht technologisch vorwerfen – es stellt dennoch heute eine Realität dar, deren Wandel derzeit nicht in Sicht ist.
Währung oder Investition? „HODL“ statt Zahlungsmittel
Eine weitere Realität ist die derzeitige problematische Lage von Cryptowährungen und NFTs als Zahlungsmittel. Eine Währung schafft Vertrauen vor allem dann, wenn sie eine möglichst hohe Preisstabilität an den Tag legt, wenn der innere Wert der Währungseinheiten also möglichst langsam steigt oder sinkt. Dies widerspricht aber der derzeitigen Funktion von Cryptowährungen als spekulative Investition. Wer heute wüsste, dass ein Euro morgen schon das doppelte Wert sein könnte, der wird diesen Euro eher sparen als ausgeben. Eine weitere Verbreitung von Cryptowährungen führt dann paradoxerweise dazu, dass diese von immer mehr Leuten gehalten wird, die sich eine zukünftige hohe Rendite erhoffen, statt dass sie als Zahlungsmittel verwendet wird. In den vergangenen Monaten befand sich Crypto darüber hinaus in einem „Bärenmarkt“ – die Werte von Coins verfielen. Auch hier lautete die Antwort der Community allerdings „nicht ausgeben, sondern halten“ (nach einem gängigen Meme auch „HODL“ genannt), damit der Wert nicht weiter fällt.
Inzwischen scheint der freie Fall zunächst abgewendet und die Graphen zeigen wieder nach oben, aber egal ob Wertsteigerung oder Wertverlust – spürbare Schwankungen sind für eine Währung ein grundsätzliches Problem. Das lässt sich auch daran erkennen, dass die größten Cryptowährungen derzeit nahezu ausschließlich für illegale Aktivitäten wie beispielsweise Geldwäsche, Lösegeldsummen, Finanztransaktionen zur Umgehung von internationalen Regularien oder auch für den Kauf von Drogen verwendet werden. Das ist natürlich kein technologisches, sondern ein ökonomisches Phänomen. Dasselbe gilt auch für die vielen Betrugsmaschen und Insolvenzen von Cryptobörsen, die jedoch hier nicht weiter thematisiert werden sollen, da sich diese Blogartikelreihe vor allem mit der Architektur, also der Idee und dem Potenzial von Web3 auseinandersetzen will.
Unabhängig von diesen Problemen sowie der Frage des Energieverbrauchs ergibt sich also für beide Konsensfindungsverfahren (Proof-Of-Work wie auch Proof-Of-Stake) ein Problem, welches in der Architektur der Blockchain selbst angelegt ist: Was als Versuch gestartet war, Währung zu dezentralisieren und damit auch zu demokratisieren, endet wieder in einer Situation, in der eine Minderheit bedeutend mehr Einfluss ausübt als die Mehrheit der Teilnehmenden. Ob dies nun darin begründet ist, dass diese Minderheit besonders früh und besonders hoch mit Investitionen eingestiegen ist, oder ob besonders viel „FIAT“-Währung investiert wurden – der eigentliche Anspruch einer Technologie, die Vertrauen zwischen Menschen ohne übergelagerte Instanzen organisiert, wird verfehlt. Dieses Problem liegt weder an der Situation von Märkten noch an der Qualität von Programmierung, sondern rührt vor allem an den Kern des menschlichen Zusammenlebens, welches ohne Vertrauen nicht zu organisieren ist.
Die Neuerfindung des Bankensystems
Denn die Verfehlung dieses Ziels zeigt sich nicht nur an der Problematik einer 51%-Attacke, sondern auch an der prominenten Stellung von Cryptobörsen, welche für einen niedrigschwelligen Zugang die Cryptowährung der Kund:innen verwalten, damit wirtschaften und bei Transaktionen für eine schnellere und preiswertere Überweisung auch auf sogenannte „Off-Chain-Technologien“ („außerhalb der Kette“) mit futuristischen Namen wie „Lightning Network“ zurückgreifen. Hierbei schreibt die Börse das Geld einfach zwischen den Nutzer:innen gut, ohne einen Transaktionsplatz in der Blockchain reservieren zu müssen. Wer die letzten Blogartikel aufmerksam verfolgt hat, dem:der wird die Ironie an dieser Stelle nicht entgehen:
Was als „Revolution des Geldes“ begonnen hat, endet in der Neuerfindung von Banken. Banken, die auch hier als Vertrauensinstanzen zur Verwaltung und dem Austausch von Geld dienen, die auch hier die hinterlegte Währung nutzen, um zu investieren und Rendite zu erzielen. Während der Platzhirsch Bitcoin also explizit eine Antwort darauf sein wollte, dass in der weltweiten Finanzkrise der Jahre 2008 und folgende das Vertrauen der Menschen in das klassische Bankensystem stark beschädigt wurde, brachte er sein eigenes Bankensystem hervor, welches keineswegs seriöser ausgestaltet ist: Nachdem im Verlauf des Jahres 2022 zahlreiche der zentralisierten Cryptobörsen mit sehr hohem Anteil an der gesamten Verteilung der Währungen pleitegingen oder sich vor Gericht als strafbare Betrugsmaschen herausstellten, rufen nicht wenige in der Cryptocommunity nun nach staatlichen Regulierungen – also danach, dass politische Institutionen das Ruder übernehmen und so das bröckelnde Vertrauen wiederherstellen.