Die rechtsterroristische Gruppe NSU ist mit Zwickau verbunden. Vorbei ist dieses Thema nicht, im Gegenteil, in der Stadt gibt es dazu seit langem Gesprächsprozesse. Immer wieder wird um diese Fragen gerungen: Wie soll Aufarbeitung und Erinnerungskultur zum NSU aussehen? Das rechtsterroristische Trio hat in Zwickau lange unerkannt gelebt. Am 4. November 2011 wurden Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in Eisenach tot in einem Wohnmobil gefunden. Beate Zschäpe hatte ihre Zwickauer Wohnung angezündet, war auf der Flucht, stellte sich kurz darauf der Polizei und wurde später zu lebenslanger Haft verurteilt. Eine der größten rechtsterroristischen Verbrechensserien der Bundesrepublik wurde bekannt: Das Trio hatte neun Menschen mit Migrationsbiografie und eine Polizistin ermordet. Weitere Mordversuche, mehrere Raubüberfülle und Sprengstoffanschläge gehören zu ihren Taten. Geholfen hat ihnen dabei ein großes Unterstützer-Netzwerk.
Stadtgesellschaft und Erinnerungskultur
Im Herbst 2022 hat in Zwickau eine Diskussionsreihe zum Umgang mit dem Thema NSU begonnen, in Zusammenarbeit der Stadt Zwickau, des Bündnisses für Demokratie und Toleranz und des Soziokulturellen Zentrums „Alter Gasometer“, moderiert wird sie von der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Vier Termine haben bereits stattgefunden, der letzte im März 2023. Vertreter der Stadtgesellschaft, aus der Kommunalpolitik, Vereinen und der Zivilgesellschaft haben diskutiert, mitunter kontrovers. Es wurden Aufgaben und Ziele vereinbart. Mitte November gab es nun ein weiteres Treffen: Wie geht es weiter in der Zwickauer Erinnerungskultur? „Dieser Abend soll nachhaken: Was ist entstanden, was nicht?“, sagt Friedemann Brause, Referent für Innenpolitik und Zivilgesellschaftliches Engagement der Landeszentrale.
In das Zwickauer Pfarrzentrum „manufaktur“ sind knapp 40 Menschen gekommen, etwas weniger als bei vorherigen Treffen. Die meisten sind da, weil sie aktiv an den weiteren Prozessen mitwirken wollen. Die Atmosphäre ist ruhig, größere Differenzen sind nicht zu vernehmen. Es gibt allerhand Nachfragen, auch kritische zu Abläufen und Plänen. Wie bei vorherigen Treffen wurde an mehreren Tischen in Gruppen zu einzelnen Themen diskutiert. Vorher gab es in kurzen Vorträgen aktuelle Informationen von Vereinen, Behörden und anderen Akteuren.
Interimsdokumentationszentrums
Wie geht es voran? Zum Beispiel beim Interimsdokumentationszentrums zum NSU-Komplex, einem der großen Projekte. Khaldun Al Saadi ist dabei als Berater aktiv, in Zusammenarbeit mit mehreren Vereinen und Initiativen. Das Zentrum soll ein Gedenk- und Lernort zum NSU werden, außerdem ein Ankerpunkt für Betroffene rechtsextremer und rassistischer Gewalt, erklärt er. Geplant ist es, das Zentrum an mehreren Standorten in Sachsen zu etablieren. Ein erster Fokus liegt auf Chemnitz, dort soll das Zentrum 2025 eröffnen, dann ist Chemnitz Kulturhauptstadt. Ziel für Ende 2023 war es, die Suche nach Räumen und die Entwicklung des Gesamtkonzept abzuschließen, sagt Al Saadi. Im kommenden Jahr soll es verstärkt um Baumaßnahmen, die Programmentwicklung und Öffentlichkeitsarbeit für das Dokumentationszentrum gehen. Auch Menschen aus Zwickau sollen sich an diesen Prozessen beteiligen, verspricht er. Bei der Diskussion sind auch Sorgen von Zwickauern zu hören: Warum eröffnet das Interimsdokumentationszentrum zuerst in Chemnitz, wollen einige wissen. Heißt das, in Zwickau wird es das nicht geben? Auch das gehöre weiterhin zu den Plänen, wie in einer Machbarkeitsstudie vorgesehen, sagt Stephan Schönfelder, Referatsleiter für Demokratieentwicklung im sächsischen Ministerium für Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung. „Wir sind für ein Konzept mit mehreren Standorten, dazu sollen Chemnitz und auch Zwickau gehören.“
Kurz nach diesem Austausch in Zwickau wird bekannt, dass das Interimsdokumentationszentrum in Chemnitz eine Bundesförderung von acht Millionen Euro erhält, wohl auch mit Aussicht auf einen dauerhaften Standort in der Stadt. Ändern soll das laut Demokratie-Ministerium und der sächsischen Landeszentrale aber nichts an den Plänen für mehrere Standorte, etwa auch in Zwickau.
Ausstellung zum NSU in Zwickau
Ein anderes Ziel ist die Ausstellung zum NSU in Zwickau. Sie soll voraussichtlich am 1. September 2024 eröffnen und neun Wochen laufen, stattfinden soll sie in den Zwickauer Priesterhäusern, erklärt Michael Löffler, Leiter des Zwickauer Kulturamts. „Wir wollen bei der Ausstellung Fakten und Hintergründe nennen“, sagt er. Eingebunden sind Experten aus der Politikwissenschaft. Es soll zudem eine Sammlung von Berichterstattung zum NSU gezeigt werden. Und es sollen Interviews in der Stadt geführt werden, um Diskussionen von Zwickauern abzubilden. Denkbar sei, dass die Ausstellung nach Zwickau in andere Städte weiterwandern könnte. In der Diskussion geht es auch um die Präsentation. „Man sollte mit modernen Medien arbeiten, damit auch jüngere Menschen erreicht werden“, sagt eine Frau. Michael Löffler verspricht, das zu berücksichtigen. „Die Umsetzung ist noch offen. Natürlich wäre es nicht gut, nur etwas an die Wand zu hängen.“
Ausschuss zur Erinnerungskultur im Stadtrat
Auch auf der kommunalpolitischen Ebene in Zwickau gibt es Neuigkeiten. Im Stadtrat hat sich ein einstweiliger Ausschuss zur Erinnerungskultur gebildet, Vorsitzender ist Gerd Drechsler, Mitglied der Fraktion aus CDU und FDP. Das werde kontrovers besprochen, es sei „vermintes Gelände“, sagt Drechsler. „In der Stadtratsdebatte haben wir ein Meinungsspektrum von, so ein Ausschuss sei überflüssig wie ein Kropf, bis zu, wer nicht erinnern könne, sei nicht fähig seine Zukunft zu gestalten.“ Der Ausschuss wolle ein Papier erarbeiten, „als Orientierungshilfe für das Erinnern in unserer Stadt“. Man wolle den NSU aufarbeiten, es solle aber auch um andere Themen gehen. Man habe zum Beispiel bereits die Landesbeauftragte für die SED-Diktatur zu Gast gehabt, erklärt Drechsler.
Ein weiteres Thema ist die Frage: Wie kann der Dialog zwischen Stadtrat, Verwaltung und Zivilgesellschaft gelingen? An diesem Tisch gibt es einen eher losen Gedankenaustausch. „Es müssen Formate entwickelt werden, mit denen man junge Leute erreicht“, wünscht sich eine Frau. Es gäbe engagierte Akteure, diese zu erreichen sei nicht das Problem, sagt ein Mann. „Bei öffentlichen Aktionen und Terminen sind aber mitunter nur wenige Menschen da, und man fragt sich: Warum?“
Auch die Zwickauer Bürgermeister Constance Arndt, parteilos, diskutiert an diesem Abend erneut mit. Sie zieht ein positives Fazit. „Die Tatsache, dass wir im Gespräch sind, ist für mich sehr wichtig“, sagt Arndt. „Es sind viele Menschen dabei, die sich dafür viel Zeit nehmen, und das ist sehr wertvoll.“