Görlitz, Leipzig und Dresden als Zentren des Aufstandes
Wirtschaftlich und gesellschaftlich befand sich die DDR Anfang der 1950er in einer Krise. Der „Aufbau des Sozialismus“ sollte durch Zwangskollektivierungen, Unterdrückung privater Unternehmen sowie einer industriellen Ausrichtung auf die Schwerindustrie erreicht werden. Versorgungsschwierigkeiten der Bevölkerung waren unter anderem die Folge. Dem Arbeitsmarkt mangelte es an Fachkräften und durch die Bildung der Kasernierten Volkspolizei wurden diesem zusätzlich wertvollen Kräfte entzogen. Dies alles waren Gründe dafür, dass viele Menschen in die Bundesrepublik flohen. Allein im Jahr 1952 flüchteten über 184.000 Bürger der DDR in den Westen.
Mit dem Tod Josef Stalins wuchsen in der Bevölkerung Hoffnungen auf Reformen. Eine Reihe von Neuregelungen, die das Zentralkomitee der SED im Mai 1953 beschloss, sollte der wirtschaftlichen Fehlentwicklung entgegensteuern. Unter anderem wurde eine Erhöhung der Arbeitsnorm von 10% empfohlen. In weiten Teilen der Bevölkerung stießen die Vorschläge des Zentralkomitees auf Ablehnung.
01. Juli 1952 |
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12. Juli 1952 |
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05. März 1953 |
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09. April 1953 |
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13./14. Mai 1953 |
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11. Juni 1953 |
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15./16. Juni 1953 |
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17. Juni 1953 |
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21. Juni 1953 |
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- Besonders die Belegschaften des SAG-Betrieb Sachsenwerk, der Schiffswerft Übigau und der VVB Ausrüstung von Bergbau und Schwerindustrie sind Triebkräfte der Demonstrationen.
- Ein Zug von etwa 60.000 Demonstranten zieht unter dem Aufruf Wilhelm Grothaus ins Stadtzentrum, wo die wichtigsten Stellen von KVP und sowjetischem Militär besetzt sind. Die Atmosphäre ist meist friedlich, bis 21:00 Uhr sind die meisten Ansammlungen aufgelöst worden.
- Am nächsten Tag setzten einige Betriebe ihren Streik fort, einige beginnen erst jetzt damit, am Abend versammeln sich mehrere hundert Menschen am Postplatz, als diese sich nicht vertreiben lassen wollen, schießen sowjetische Soldaten
- Erste Streiks in Leipziger Vorortbetrieben in der Nacht vom 16. auf den 17. Juni.
- Am Vormittag ziehen erste Demonstrationszüge ins Stadtzentrum. Immer mehr Arbeiter unterstützen die Demonstrationszüge, auch Arbeiter des VEB Ifa-Getriebewerk Liebertwolkwitz und fast die ganze Belegschaft des VEB Nagema Schkeuditz beteiligen sich und ziehen nach Leipzig.
- Bis 10:00 Uhr treten nahezu alle Leipziger Baustellen in den Ausstand.
- Gegen 12:00 Uhr versammeln sich in Leipzig etwa 100.000 Menschen.
- 15:27 Uhr wird die Staatsanwaltschaft in der Beethovenstraße gestürmt – Warnschüsse werden abgegeben und die Demonstranten zurückgedrängt. Im Untersuchungsgefängnis in der Beethovenstraße eröffnet die Wachpolizei das Feuer auf eine Gruppe von Demonstranten, die versucht, Gefangene zu befreien.
- Gegen 16:00 Uhr fahren sowjetische Panzer vor der teilweise zerstörten und besetzten FDJ-Zentrale auf.
- Ab 19:00 Uhr gilt der Ausnahmezustand.
- Bis 22:00 Uhr herrscht in der Stadt weitgehend Ruhe.
- 10:00 Uhr: Der erste Streik im Lokomotiv- und Waggonbau Görlitz bricht los, Streikende ziehen zu anderen Betrieben und in die Innenstadt.
- In kürzester Zeit sind die wichtigsten Punkte der Stadt in aufständischer Hand.
- Für wenige Stunden ist Görlitz eine freie Stadt.
- Zwischen 11:30 Uhr und 13:00 Uhr findet am Leninplatz eine Kundgebung statt, zehntausende Görlitzer nehmen daran teil.
- Die SED-Kreisleitung wird gestürmt, der 1.Kreissekretär wird als „Schutzschild“ benutzt.
- Bei der Erstürmung der MfS-Dienststelle kommt es zu Schusswechseln, da die sowjetische Kommandantur, zwei Häuser weiter, nicht eingreift, glaubt man, dass die russischen Kräfte neutral bleiben.
- 416 Menschen werden aus den Gefängnissen befreit.
- Ein zwanzigköpfiges Stadtkomitee wird gegründet, um provisorisch die Geschäfte der Stadt zu übernehmen.
- Eine Bürgerwehr verhindert Plünderungen und Vandalismus.
- 14:30 Uhr räumen sowjetische Soldaten die MfS-Dienststelle
- Ab 15:00 Uhr verhängt der sowjetische Stadtkommandant den Ausnahmezustand.
- 16:00 Uhr rücken kasernierte Volkspolizisten in Görlitz ein.
- 18:00 Uhr kommen sowjetische Kampfverbände an.
- Bis 20:20 Uhr sind die belagerten Gebäude geräumt und Demonstrationsgruppen auseinandergetrieben.
- Bereits Ende Mai werden in Karl-Marx-Stadt einige Betriebe bestreikt.
- Am 17. Juni flammen Streiks im VEB Vereinigte Gießereien, VEB Textima, Büromaschinenwerk, im VEB Schleifmaschinenbau und anderen auf, Flugblätter werden in der Stadt verteilt.
- Die SED-Bezirksleitung ist auf Unruhen und Streiks vorbeireitet und kann durch Sicherungsmaßnahmen eine Eskalation verhindern.
- Wismut-Kumpel beteiligen sich an Streiks bis zum 21. Juni.
- Bei einem Zusammenstoß am Bahnhof, wobei 200 Kumpel demonstrieren und auf kasernierte Volkspolizisten und sowjetische Soldaten treffen, werden am 21. Juni 36 Kumpel verhaftet.
- Zwei Kundgebungen mit 600 – 800 Teilnehmern werden von der Roten Armee aufgelöst
- In mehreren Betrieben kommt es zu Streiks, jedoch beteiligen sich die SED-Parteimitglieder nicht daran, es wird jedoch brutal, seitens von sowjetischen Offizieren und sogar SED-Funktionären mit Erschießungen gedroht.
Eingeständnis "begangener Fehler der Regierung und staatlicher Verwaltungsorgane"
Auf sowjetischen Druck hin mussten zum 11. Juni 1953 zentrale Maßnahmen zurückgenommen werden. Dieser als „Neuer Kurs“ bezeichnete programmatische Wandel sorgte in der Bevölkerung kaum für Entspannung. Die Partei gestand in Beschlüssen des Ministerrates „begangene Fehler der Regierung und der staatlichen Verwaltungsorgane“ ein. Dieses Zugeständnis kam weiten Teilen der Bevölkerung einer Bankrotterklärung gleich. Da die Normerhöhung jedoch nicht zurückgenommen wurde, wuchs der Unmut insbesondere bei der Arbeiterschaft und so kam es bereits am 16. Juni zu ersten Arbeitsniederlegungen in Berlin und Leipziger Vororten.
Während in Sachsen Görlitz, Niesky, Leipzig und Dresden die Zentren des Aufstandes bildeten, blieb es in Chemnitz und Bautzen relativ ruhig. In ca. 700 Orten der DDR gab es Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen. Anfangs blieben die Demonstrationen meist friedlich, im Laufe des Tages wurden vielerorts öffentliche Gebäude besetzt. In einigen Städten Sachsens wurden Gefängnisse gestürmt und zumeist politische Häftlinge befreit, vereinzelt kam es zu Angriffen auf DDR-Funktionäre. In Görlitz konstituierte sich ein zwanzigköpfiges Stadtkomitee, welches provisorisch die Geschäfte der Stadt übernehmen wollte. Parallel wurde eine Bürgerwehr gegründet, um Plünderungen und Vandalismus vorzubeugen. In Zwickau demonstrierten 200 Kumpel der Wismut, von denen anschließend 36 verhaftet wurden. In Dresden und Leipzig protestierten Tausende und zogen die Straßen auf und ab, immer mehr Betriebe traten in den Ausstand.
Auflösung der Demonstrationen mit massiver Gewalt
Mit Hilfe von sowjetischen Verbänden und teils unter Verwendung massiver Gewalt gelang es der Staatsmacht bis zum Abend, die meisten Demonstrationen aufzulösen. Einige Betriebe in Sachsen traten erst am 18. Juni in den Ausstand. Andere, wie die Stahlwerke in Riesa oder Betriebe in Freiberg und Dresden, streikten noch einige Tage weiter.
Durch die Vorkommnisse vom 17. Juni stieg die Verfolgung Oppositioneller auch in Sachsen stark an. Die Haftanstalten in Bautzen, Waldheim und Zwickau füllten sich mit politisch Inhaftierten. Seit der Gründung der DDR bis zum Bau der Berliner Mauer im Jahr 1961 flohen über 2,5 Millionen Menschen in die Bundesrepublik Deutschland.
Bedeutung des Aufstandes
Die Ereignisse rund um den 17. Juni stellten einen Schock für das Weltbild der SED-Herrschaft dar. Besonders gefährlich für die Legitimation der DDR waren diese Arbeitskämpfe daher, da sie sich nicht primär für politische Freiheitsrechte einsetzten, sondern exakt den Kampf führten, der nach staatlicher Ideologie bereits erfolgreich hätte abgeschlossen sein müssen. Im begrifflichen Repertoire des Marxismus-Leninismus kann sich der Arbeitskampf nur gegen kapitalistische Staaten richten, da nur private Unternehmer als Ausbeuter in Erscheinung treten können, nie aber der sozialistische Staat. Indem die Arbeiterinnen und Arbeiter der DDR diese ideologischen Annahmen mit ihren Aufständen ad absurdum führten, zeigten sie eine klaffende Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit der sozialistischen Staatsdoktrin auf, welche die Existenzberechtigung des realsozialistischen Staates in Frage stellte. Die Sicherheitsdienste der DDR werteten die Ereignisse im Sommer 1953 intern als gefährliche Niederlage, was zu einem massiven Ausbau der Repressionsinfrastruktur führte. Zensurmaßnahmen und Überwachungsapparat wurden ausgebaut, vor allem die Ressourcen des MfS wurden drastisch erhöht. In den staatlichen Einrichtungen bestimmte der Argwohn gegen die eigene Bevölkerung das alltägliche Leben.