Wiedervereinigung nur eine Option
Die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten erscheint im Nachhinein oft als logische Folge der Friedlichen Revolution, beide dieser historischen Entwicklungen werden nicht selten im selben Atemzug genannt. Zum Zeitpunkt der Ablösung des SED-Regimes durch Bürgerrechtsbewegungen stellte sich diese Situation jedoch sehr viel offener da, ein einseitiger Beitritt der ehemaligen DDR zum Gebiet der BRD galt lange als eine eher unbeliebte Lösung. Bei den Demonstrationen im Oktober 1989 forderten die Teilnehmenden zunächst die Reformierung des Staats.
Erst die Maueröffnung am 9. November führte zu einem Paradigmenwechsel. Auf den fortgesetzten Massenkundgebungen wurde die Forderung nach Wiedervereinigung zentraler Bestandteil. Nunmehr forderten die Demonstranten "Wir sind ein Volk". Auf diese Weise stand plötzlich die Wiedervereinigung auf der politischen Tagesordnung sowohl in Ost- und Westdeutschland als auch im internationalen Kontext. Ende November 1989 entstand eine Kluft zwischen der DDR-Bevölkerung, die die Deutsche Einheit präferierte, und Intellektuellen bzw. Mitgliedern der Bürgerrechtsbewegung, die mehrheitlich die Reform der DDR forderten.
Bundeskanzler der BRD, Helmut Kohl, bekräftigte am 28. November in einem Zehn-Punkte-Programm den Willen der Bundesrepublik zur "Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas". Die Wiedervereinigung sollte über mehrere Stufen erfolgen, die Entscheidung sollte bei der ostdeutschen Bevölkerung liegen. Spätestens nach den ersten freien Volkskammerwahlen im März 1990 und dem dortigen schlechten Abschneiden der Bürgerrechtsbewegungen, welche eine unabhängige, aber reformierte DDR forderten, galt ein gesamtdeutscher Staat als einzige Option.
Konföderation beider deutscher Staaten?
Außenpolitisch war vor allem die Rolle Moskaus von großer Bedeutung. Noch immer waren eine große Anzahl von Kernwaffen und rund 500.000 sowjetische Soldaten in der DDR stationiert. Die Sowjetunion beharrte öffentlich darauf, den Status quo beizubehalten, intern führte man jedoch bereits Verhandlungen mit der Bundesrepublik. Als Ziel favorisierte man eine Konföderation beider deutscher Staaten, die nach fünf bis zehn Jahren zur Vereinigung führen sollte. Nicht nur die Sowjetunion, sondern auch die Siegermächte Großbritannien und Frankreich standen einer Wiedervereinigung skeptisch gegenüber, was vor allem durch die Angst begründet war, ein wiedervereinigtes Deutschland würde die Europäische Gemeinschaft übermäßig dominieren. Allein die USA sicherte Bundeskanzler Kohl in Person ihres Präsidenten George Bush Senior völlige Rückendeckung bei der Vereinigung zu.
Ab Januar 1990 setzte auch in Moskau ein Umdenken ein. Man erkannte, dass die Wiedervereinigung unvermeidbar war. Der Kreml versuchte, durch die Idee einer Sechser-Konferenz ihren Einfluss aufrechtzuerhalten, in denen die vier Siegermächte des 2. Weltkriegs sowie die beiden deutschen Staaten zusammenkommen sollten. Am 10. Februar 1990 gab die Sowjetunion Kohl und Außerminister Genscher ihr Einverständnis zur Wiedervereinigung. Im Gegenzug wurde der wirtschaftlich angeschlagenen Sowjetunion in großem Umfang Wirtschaftshilfe zugesagt.