In den vergangenen Monaten hat vor allem ein Thema Europa beschäftigt: Das Referendum über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union, das sogenannte Brexit-Referendum. Am 23. Juni war es dann soweit; 46 Millionen Bürgerinnen und Bürger konnten ihre Stimme beim Referendum abgeben. Das Ergebnis: 51.9% der an der Wahlurne angetretenen Menschen in UK stimmten gegen den Verbleib in der Europäischen Union, 48.1% für den Verbleib. Einen Tag später, am 24. Juni, zog der britische Premierminister David Cameron die Konsequenzen aus dem Ergebnis und kündigte seinen Rücktritt im September an. Europa steht nun vor einer historischen Aufgabe, das Vereinigte Königreich vor einer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krise.
Doch wie kam es dazu? Wieso wollen die Briten aus der Europäischen Union austreten und was bedeutet der Austritt? Um Antworten auf diese Fragen bemühte sich Sebastian Trept, wissenschaftlicher Mitarbeiter der TU Dresden am Lehrstuhl für politische Systeme und Systemvergleich, am 22. Juni, also einen Tag vor dem Referendum, in der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung.
Die Sonderrolle Großbritanniens
Die große mentale Bedeutung des Referendums findet seinen Ursprung vor allem in einem Punkt: „In der manifestierten Euroskepsis“, so Trept. Der europäische Integrationsprozess sei eher rational-ökonomisches Kalkül gewesen und kein Akt der Identität. „Winston Churchill brachte den Gedanken auf den Punkt: Großbritannien ist Freund und Förderer von Europa, gehört aber nicht dazu.“ Das Vereinigte Königreich war immer eine Seenation ohne festem Territorium auf dem europäischen Kontinent. Dies unterstütze auch die mentale Trennung von einem einzelnen Kontinent und „förderte die Öffnung zur gesamten Welt“. Wunderlich sei diese Einstellung vor allem hinsichtlich der vielen Sonderrechte, die Großbritannien im Laufe der Zeit gewinnen konnte. „Kein Staat genießt so viele Sonderrechte innerhalb der EU wie Großbritannien“. So müssen die Briten dank des Britenrabatts einen verhältnismäßig geringen Teil an die EU zahlen, als es der eigentlichen Wirtschaftskraft entspricht. Des Weiteren konnte UK, wie im Maastrich-Vertrag von 1992 festgehalten, den „Pound Sterling“ als Währung beibehalten. Diese Punkte seien nur einige von mehreren Sonderrechten, welche Großbritannien im Laufe der Zeit zugesprochen wurden. Doch wie kam es zum Referendum? Grund sei vor allem der innenpolitische Druck gewesen, mit dem sich Cameron mit seiner Konservativen Partei konfrontiert sah. Politischer Gegenwind sei in erster Linie von der UK Independence Party (UKIP) gekommen, welche ein Referendum über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union forderte. Cameron, der diese Forderung zunächst abgelehnt habe, stimmte 2013 dann einer solchen Abstimmung zu.
Ungewöhnlicher Wahlkampf
„Was dann passierte war alles andere als der typisch britische Wahlkampf. Die Positionen der führenden Parteien wurden höchst radikal vertreten, nur selten waren politische Debatten in England so persönlich wie in den vergangenen Monaten.“
Der Wahlkampf war vor allem von drei Themen bestimmt: Erstens die zu starke Regulierung der Wirtschaft. Die EU würde die Wirtschaft im Vereinigten Königreich blockieren, doch, so Trept, „im Grunde, das zeigen diverse Statistiken, ist die Wirtschaft offener als die der USA.“ In jüngster Zeit habe es Gründungen von über 580.000 Unternehmen gegeben. Zweitens die zu hohen Beitragszahlen an die EU. Sebastian Trept bestätigte, dass Großbritannien große Summen an die Europäische Union überweist, doch dank des Britenrabatts sei diese Summe deutlich geringer als propagiert, stelle nur rund einen Prozent des Gesamthaushaltes dar. Drittens das Problem der Einwanderung. Das Vereinigte Königreich sei tatsächlich ein Einwanderungsland, das mit Problemen zu kämpfen hat. So habe die Zuwanderung insbesondere aus europäischen Ländern stark zugenommen. Auch nutzen viele dieser Einwanderer das Angebot der Sozialleistungen aus, doch, so Trept ganz deutlich, habe die Einwanderung bisher keine Auswirkungen auf die Arbeitslosenquote gehabt.
Steht Großbrittannien der Selbstmord bevor?
„Wenn Großbritannien wirklich aus der EU austritt, dann ist das politischer und wirtschaftlicher Selbstmord.“ Die ökonomischen Folgen wären unkalkulierbar, würden sich dramatisch auf die Wirtschaft auswirken. Die Investitionen würden sinken, die Arbeitslosenquote steigen und somit auch die Steuereinnahmen sinken. „Auf politischer Ebene gesehen bedeutet ein Austritt vor allem Isolation. Abkommen mit den europäischen Ländern werden dann nur noch sehr schwer umsetzbar sein.“
Während Sebastian Trept auf dem Podest der Veranstaltung zum Brexit stand, wagte er die Prognose, dass Großbritannien nicht aus der EU austreten würde. Dass sich dies als falsch herausstellen sollte, zeigte sich wenige Stunden später. „Doch“, so der Wissenschaftler, „falls England sich entscheidet auszutreten, dann ist es eine unumkehrbare Entscheidung. Alles andere wäre ein Verrat an den britischen Wähler.“ Und dieser hat sich entschieden, nämlich gegen die EU.