An Dresdens Stadträndern brannten am Abend dieses 30.April die Hexenfeuer. Einige Kneipen luden zur Walpurgisnacht ein. Ausgerechnet an diesem vielleicht heidnischsten Tag des Jahres sah auch die Frauenkirche einen Gottesdienst, dessen Gestaltung zumindest von tradierten protestantischen Formen abwich. Der tiefe Ernst der Ansprachen kollidierte zuweilen mit dem Sound des Wehrbereichsmusikkorps III der Bundeswehr. Bei Elgars erstem "Pomp and Circumstances"-Marsch beispielsweise fühlte man sich eher an die jährliche Last Night of the Proms in der Royal Albert Hall erinnert.
Umstritten war dieser "Musikalische Gottesdienst" allerdings weniger wegen solcher Geschmacksfragen. Das sächsische Innenministerium, die Stiftung Frauenkirche und Oberst Michael Knop als Kommandeur des Landeskommandos Sachsen hatten sich auf diese Form des Dankes an die Bundeswehr für ihren Einsatz beim Junihochwasser 2013 verständigt. Dagegen protestierte Anfang April eine Initiative, die im Internet mehr als 600 zum Teil namhafte Unterzeichner fand. Sie rieben sich vor allem daran, dass Innenministerium und Bundeswehr als Veranstalter eines Gottesdienstes auftreten. Außerdem dürfe der kirchliche Raum nicht zur Werbung und Imagepflege für das Militär benutzt werden, hieß es. Einträge auf der Homepage der Frauenkirche sprachen sogar von einer "bizarren Verhöhnung der Kriegsopfer aller Zeiten" oder von einer "unseligen Allianz" zwischen Kirche und Militär.
Macht. Religion. Politik.
Es blieb nicht bei dieser medialen Kontroverse. Die Stiftung Frauenkirche lud im Anschluss an den Gottesdienst zu einer öffentlichen Diskussion in die Unterkirche ein. Frank Richter, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung, war um die Moderation gebeten worden. Eine nahe liegende Bitte nicht allein wegen der Person. Denn das Jahresthema "Macht. Religion. Politik" der Landeszentrale greift genau diese Fragen des Verhältnisses von Kirche und Staat, von geistlicher Verkündigung und weltlicher Macht auf. Unausgesprochen schwang auch bei dieser von etwa 80 Interessenten besuchten Diskussion die uralte Grundfrage mit, ob die Liebesbotschaft des Evangeliums und das kalkulierte Töten einer Armee einander nicht antagonistisch gegenüberstehen. In manchem Kopf mögen die Bilder von Waffen segnenden Priestern aufgetaucht sein, das "Gott mit uns", das Wehrmachtssoldaten im Zweiten Weltkrieg auf ihren Koppelschlössern trugen. Auch Tucholskys "Soldaten sind Mörder" drängt sich auf. Im Gottesdienst waren die Seligpreisungen aus dem Matthäusevangelium verlesen worden. Jesus lobt in seiner berühmten Bergpredigt die Sanftmütigen und die Friedfertigen. Passt dazu ein Militärgottesdienst?
Das Verhältnis wird zu wenig diskutiert
Dompfarrer Matthias Gürtler aus Greifswald, einer der Erstunterzeichner des Einspruchs gegen den Gottesdienst, beschrieb denn auch seinen inneren Zwiespalt bei dieser Lesung, als er nach seinen Empfindungen während des Gottesdienstes gefragt wurde. Was er vernommen habe, sei ein "Frieden in schweren Schuhen". Die Bergpredigt sei nun einmal das "Programm" der Kirche. Oberst Knop bedankte sich hingegen für einen "bewegenden Gottesdienst" und bekam Beifall. Auch Innenminister Markus Ulbig, CDU-Mitglied und katholischer Christ, erlebte einen "besonderen, wunderbaren Gottesdienst" zur Ehre Gottes und im Dank an die Soldaten.
Was nach diesen subjektiven Eindrücken folgte, ließe sich grob unter die Überschrift "Pragmatiker versus Idealisten" fassen. Oberst Knop verteidigte Auslandseinsätze der Bundeswehr, die er im Kongo und im Kosovo miterlebt hat. Selbstverständlich müsse es Ziel sein, vom Sprechen der Waffen wegzukommen. "Aber das Schweigen der Waffen ist nicht nur durch Diplomatie zu erreichen", bekräftigte er. Randsituationen seien manchmal nur mit Gewalt zu begegnen. Inwieweit er das verantworten könne, müsse jeder selber entscheiden. "Für mich gehört das Christsein zum Soldatsein", sagte der Oberst und erntete Zustimmung im Auditorium.
Pfarrer Gürtler vertrat demgegenüber konsequent pazifistische Positionen, in denen sich offensichtlich auch ein Teil der Gäste in der Unterkirche wiederfand. "Wir brauchen eine Phantasie des Friedens, um nicht bei der Logik von Gewalt und Gegengewalt stehen zu bleiben", forderte er. Für ihn bleibt es fremd und unvorstellbar, dass nicht die Kirche allein Veranstalter von Gottesdiensten sein sollte. Das Verhältnis von Militär und Kirche werde allgemein zu wenig diskutiert, meinte der Pfarrer. Gürtler wies zugleich auf das krasse Missverhältnis zwischen Ausgaben für zivile Friedensdienste und für das Militär hin, die nur 0,78 Prozent der 32 Milliarden Euro Kosten für Bundeswehreinsätze ausmachten.
Biographien prägen Argumente
Innenminister Ulbig benutzte Erinnerungen an seinen Wehrdienst bei der NVA, zwischen Armee und Armee zu unterscheiden. Mit der "Volksarmee", die 1989 den Einsatz gegen das eigene Volk vorbereitete, sei ein solcher Gottesdienst nicht denkbar, mit einer Bundeswehr auf der Basis des Grundgesetzes hingegen eine Selbstverständlichkeit. Im publikumsoffenen Teil führten solche Vergleiche insbesondere bei Einbeziehung der Reichswehr zu Kontroversen. Ein DDR-Wehrdienstverweiger wurde auch aus dem Publikum attackiert, als er behauptete, er habe die gleichen Argumente wie von Oberst Knop auch schon bei seiner Musterung in der DDR gehört. Man erinnere sich: Das Gedicht "Bewaffneter Friede" von Wilhelm Busch gehörte zum Schulstoff.
Frauenkirchenpfarrer Sebastian Feydt wies in versöhnender Absicht darauf hin, wie stark Argumente durch Biografien geprägt seien, dass aber in der Gegenwart andere Gegebenheiten herrschten. Ungewollt auch ein Verweis auf die zu gleicher Zeit in Mainz und in Dresden stattfindenden Erinnerungen an 25 Jahre Ökumenische Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Mit ihren hehren Zielen mutet sie heute schon wie ein Anachronismus an.
Bewaffneter Friede
Der Versuch, die Armee eines demokratischen Rechtsstaates als etwas grundsätzlich Anderes als die Militärapparate der Geschichte hinzustellen, ließ unaufgelöste Widersprüche im Raum zurück. Schon allein deshalb, weil Oberst Knop zwar Gewaltanwendung unter bestimmten Bedingungen und damit sein Handwerk rechtfertigte, als Bundeswehrkommandierender aber selber nicht glaubt, dass man mit Einsatz von Waffen Frieden schaffen kann. "Der Zustand von Nichtkrieg ist schon ein Erfolg", die Gestaltung des Friedens die Sache anderer, meinte er.
Bleibt also das Kriegshandwerk zu allen Zeiten Kriegshandwerk und ist in der Nachfolge Jesu generell abzulehnen? Hat deshalb eine Uniform in der Kirche nichts zu suchen? Wechselt bestenfalls die moralische Qualität der Einsatzziele? Auf solche grundsätzlichen friedensethischen Fragen wollte sich Moderator Frank Richter in einer Stunde Diskussionszeit bewusst nicht erschöpfend einlassen. Ein ansonsten kritischer ehemaliger Bausoldat der DDR stellte auch klar, dass der christliche Staatsbürger in Uniform selbstverständlich in der Kirche willkommen sei. Nur nicht als Veranstalter eines Gottesdienstes. Gottesdienste für Soldaten oder Polizisten hat es früher in der Frauenkirche schon gegeben.
Stoff für einen nachdenklichen Nachhauseweg lieferte eine Stimme aus dem Publikum, die scheinbar paradox eine wachsende Kriegsgefahr durch die Leichtfertigkeit einer Generation sah, die weder Krieg noch Wehrpflicht kennt. Über die Kontroversen hinweg wurde deutlich, dass alle die Frauenkirche als einen besonders sensiblen Ort empfinden. Die Zerstörungs- und die triumphale Wiederaufbaugeschichte spielen hinein. Sie sei auch kein neutraler Ort, betonte der ehemalige Oberlandeskirchenrat Christoph Münchow. Der Versöhnungsgedanke schließe Situationen nicht aus, wo man "Nein" sagen müsse, äußerte er vielsagend. Einen versöhnenden Moderatoren-Kunstgriff wählte zum Schluss auch Frank Richter. Ob die Podiumsteilnehmer den "Premium-Argumenten" der Kontrahenten etwas Anregendes entnommen hätten? Ja, räumte Minister Ulbig ein. In Zukunft sei der Eindruck vermeidbar, hier habe das Innenministerium und damit der Staat zum Gottesdienst eingeladen.
Der Autor Michael Bartsch ist freier Journalist.