War‘s ein Versprecher? Es klang ganz danach. Als hätte Christian Hartmann eigentlich sagen wollen: „Wir Sachsen haben ganz schön was auf dem Kasten“. Stattdessen kam in stolzem Tonfall aus seinem Munde, was Sachsens CDU-Hoffnung wohl wirklich dachte: „Wir Sachsen haben ganz schön was auf dem Kerbholz!“
Gut, vielleicht hat Hartmann auch nur mit lediglich einem Auge auf das Redemanuskript geschielt. Und mit dem anderen weiterhin auf den Sitz des Innenministers, als dessen Nachfolger der 41-jährige Polizist trotz Promillepanne hinterm Steuer immer noch gehandelt wird. Auch mit einem Kasten auf dem Kerbholz.
Ein irritiert-amüsiertes Raunen war die Antwort auf Dresdens Theaterkahn, wo am Montag erstmals die Debattenreihe „Wir reden uns um Kopf und Kragen“ der Landeszentrale für Politische Bildung stattfand. Statt wie bisher in der Herkuleskeule stellten sich nun an Bord Politiker und Kabarettisten die jährlich wechselnde Gretchenfrage. 2016, in der Atempause nach dem vorläufigen Abklingen von Flüchtlingskrise und Pegida, lautete sie naheliegenderweise „Wie geht Sächsisch?“
Schließlich lag Hartmann so oder so richtig; der Sachse hat ja wirklich beides, was auf dem Kasten und auf dem Kerbholz. Und „So geht Sächsisch“, wie jene die große Fremdenfreundlichkeit Sachsens lobende Werbekampagne des Freistaats hieß, geht nun wirklich gar nicht mehr.
Also wurde unter Leitung von Bildungszentralendirektor Frank Richter ein neuer Slogan gesucht. Mitsucher waren neben Hartmann dessen grüne Landtagskollegin Franziska Schubert, die Ex-Grüne Antje Hermenau, Sachsens „Die Partei“-Parteivorsitzender Steffen Retzlaff, Dresdens Marketingchefin Bettina Bunge und Pantomime Ralf Herzog. Für Zwischenrufe und Analyse sorgten Kabarettist Philipp Schaller, Psychologe Heiko Sill sowie Politologe und „Pegida-Versteher“ Werner Patzelt.
Der schnürte das komplexe Problemfeld noch mal zum fluffigen Satz: Die Sachsen haben es von den Musterknaben der Republik zu deren Schmuddelkindern gebracht. In Arbeitsschritten wie Pegida, Freital, Heidenau, Clausnitz … Wie also lässt sich „Sachsen“ künftig in einem Spruch gleichzeitig wahrheitsgemäß charakterisieren und bewerben? Eine Aufgabe, die viele Werbeagenturen in den Ruin triebe.
Demonstrierst du noch …
Wie man so etwas zumindest theoretisch angehen müsste, erklärte Bettina Bunge passenderweise im liebeswahnroten Kleid: Markenkern definieren – Zielgruppe bestimmen – Alleinstellungsmerkmale herausarbeiten – undsoweiter.
In jedem Fall wurde klar, dass die Marketingexpertin im Notfall mangelnde Inhalte mit einer schönen Verpackung versehen kann: So rotwangig und großäugig strahlte Frau Bunge, so lustig und humorig wählte sie ihren Tonfall, dass der ein oder andere erst nach der Hälfte ihrer sieben Redezeitminuten merkte, wie gänzlich unlustig und sorgsam humorfrei ihre Worte tatsächlich waren und schließlich auch der Slogan: „Sachsen – ab geht die Post und ’ran an den Speck.“
Freilich hat der Landesvorsitzende einer Spaßpartei wie Die Partei (Credo: „Inhalte überwinden!“) da leichteres Spiel. Steffen Retzlaff sah sich anno 2040 als beliebtester Politiker des Freistaats und dessen Landesvater, zudem „in erotischer Spannung“ verbunden mit dem Vorsitzenden des Juniorpartners CDU, Christian Hartmann. Sein Vorschlag für den besten Sachsen-Slogan: „Einfach. Patriotisch.“
Solch eine reine und obendrein wenig werbliche Zustandsbeschreibung würde Franziska Schubert, ganz grün trotz Kupferkopf, nicht unterstützen. Unter agrarpolitisch korrekten Anspielungen auf So-geht-Sächsisch-Milchtüten forderte sie, es möge Schluss sein „mit dem patriotischen Geschwafel und den alten Seilschaften“!
Sachsen brauche eine neue Moderne und den Slogan „Sachsen – wo die Zukunft nicht stehen bleibt!“ Was keck rüberkam, aber jener Missinterpretation Tür und Tor öffnete, dass die Zukunft lieber weiterläuft, um Sachsen schnell hinter sich zu lassen.
Rainer Herzog dagegen plädierte gestenreich für ..........! Werner Patzelt legte dem Pantomimen daraufhin versuchsweise den Slogan „Sachsen – Schweigen ist Gold“ in den stummen Mund. Was angesichts der Beliebtheit der sächsischen Sprache durchaus naheliegend wäre.
Antje Hermenau blieb davon unbeeindruckt und sächselte sich munter durch ihre sieben Redeminuten. Der Einheimische, wie sie ihn sieht, ist von Natur aus kreativ und produktiv. „Blöde wird’s nur, wenn andere dazukommen.“ Ein passender Slogan müsse daher beides haben, „Großartigkeit und Banalität, sonst wäre es nicht Sächsisch“.
Da der Sachse wie das Leben sei, nämlich völlig überinterpretiert, brachte Antje Hermenau den Spruch „Der Sachse ist echt. Unverstanden“ ins Rennen. Für den Psychologen Heiko Sill klang das verdächtig nach Selbstporträt. Hermenau bejahte offenherzig. „Stimmt. Ich bin Sächsisch. Und echt. Und unverstanden.“
Als größte Überraschung des Abends lief dennoch der CDU-Delegierte zu kabarettistischer Hochform auf. Dass er Humor besitzt, hat Christian Hartmann auch abseits der Straße bereits hinlänglich bewiesen. Etwa mit der köstlichen Aussage, seine Partei stelle sich dem Problem des Rechtsextremismus schon seit Jahren.
… oder ditschst du schon?
Nun aber wies er darauf hin, dass die Sachsen erst nach dem 10. Jahrhundert in ihre heutigen Gebiete eingewandert seien und mithin selber Migrationshintergrund hätten. Er empfahl die Kultur des Kaffeesachsentums als super Schnupperbrücke zu Mokkaaffinen muslimischen Ankömmlingen. „Man sollte die einfach zum Schälchen Heeßen einladen“ und den Satz zum Sachsen-Motto erheben: „Demonstrierst du noch, oder ditschst du schon?“
Zuletzt bekam Antje Hermenaus analytischer Slogan „Der Sachse ist echt. Unverstanden“ die meisten Publikumsstimmen. Aber auch Christian Hartmann durfte einen verdienten Trostpreis mit nach Hause nehmen: ein Exemplar der Straßenverkehrsordnung.
Nur – wie geht Sächsisch denn nun? Post, Speck, patriotisch, echt, unverstanden … Na gut, damit kann man arbeiten.
Oliver Reinhard ist Stellvertretender Leiter des Feuilleton der Sächsischen Zeitung.
Der Beitrag erschien am 22. Juni 2016 in der Sächsischen Zeitung.