„Die Wahlforen sollen einen Beitrag zu demokratischen Debattenkultur leisten“

Vor der Landtagswahl am 1. September hat die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung (SLpB) in allen 60 Wahlkreisen in Sachsen ein Wahlforum veranstaltet. In die Kooperation eingebunden waren die Leipziger Volkszeitung, die Sächsische Zeitung sowie die Volkshochschulen in Sachsen. Bei diesem Format stellten sich die Direktkandidatinnen und -kandidaten der aussichtsreichsten Parteien auf dem Podium vor, diskutierten miteinander und mit dem Publikum. Friedemann Brause ist bei der Landeszentrale Referent für Innenpolitik und Zivilgesellschaftliches Engagement, er leitet das Projekt. Im Interview erzählt Brause, welche Neuerungen es beim Konzept gibt, warum auch Sicherheit ein Aspekt bei der Vorbereitung ist, und, wie die Wahlforen in der Praxis gelaufen sind.

 

Herr Brause, 60 Wahlforen liegen hinter Ihnen. Sind Sie zufrieden, wie die Veranstaltungen gelaufen sind?

Ja, ich bin zufrieden und auch erleichtert. Die Wahlforen sind ein Aushängeschild der Landeszentrale. Wir haben die Foren auch schon zur Landtagswahl 2019 und zur Bundestagswahl 2021 veranstaltet, nun wieder zur Landtagswahl. Dieses Angebot ist in Sachsen bekannt. Es hatten auch viele Leute danach gefragt, ob wir das wieder veranstalten. Mit den Besucherzahlen sind wir ebenfalls zufrieden. Fast 7.000 Menschen haben die Wahlforen besucht. Viel mehr wären auch gar nicht möglich gewesen, häufig waren die Säle randvoll. Im Schnitt hatten wir pro Forum um die 120 Besucher. Das bestbesuchte Wahlforum hatten wir mit 240 Gästen in Leipzig.

Was will die Landeszentrale mit diesem Format erreichen?

Wir wollen damit Transparenz über die politischen Positionen der Parteien schaffen. Man konnte bei den Foren insgesamt 371 Kandidatinnen und Kandidaten kennenlernen, die sich hinter den Gesichtern auf den Plakaten verbergen. Wir wollten einen Diskussionsraum schaffen, den es sonst in der Form nicht gibt, also eine Live-Situation, die stark auf den Wahlkreis bezogen ist. Wir sind bewusst in alle 60 Wahlkreise gegangen, damit die Leute auch über die Themen reden können, die ihnen vor Ort unter den Nägeln brennen. So sollten die Wahlforen auch einen Beitrag zur demokratischen Debattenkultur leisten. Und das neben den anderen Angeboten, die es von der Landeszentrale zur Wahl gibt. Wir haben außerdem ein Buch zu Wahlen und Parteien in Sachsen herausgegeben, es gab den Wahl-O-Mat, um nur zwei Angebote zu nennen.

Bei den Veranstaltungen waren Kandidatinnen und Kandidaten von sieben Parteien vertreten. Wie wurde die Auswahl getroffen?

Als staatliche Einrichtung dürfen wir nicht in den freien Parteienwettbewerb eingreifen. Wir sind zur Überparteilichkeit verpflichtet – das gilt ganz besonders in der Wahlkampfzeit. Wenn allerdings 19 Parteien antreten, dürfen wir abstufen, welche Parteien wir auf ein Podium einladen. Da gilt das Prinzip der abgestuften Chancengleichheit. Diese Entscheidung treffen wir anhand von zwei Kriterien. Das erste ist, dass eine Partei im Landtag oder im Bundestag in Fraktions- oder Gruppenstärke vertreten sein muss. Oder, Punkt zwei, es gibt gesicherte Erkenntnisse der Meinungsforschungsinstitute, dass eine Partei eine realistische Wahlchance besitzt.

Kandidaten vom Bündnis Sahra Wagenknecht waren bei den Wahlforen dabei, obwohl die Partei bisher nicht im sächsischen Landtag sitzt. Warum?

Das BSW erfüllt beide Einladungskriterien, weil die Partei mittlerweile auch in Gruppenstärke im Bundestag vertreten ist. Aber vor allem aufgrund der hohen und stabilen Umfragewerte war das BSW einzuladen.

Die AfD wird in Sachsen vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft. Wieso ist die Partei dabei?

Wir standen in einem Spannungsfeld und haben uns im Kollegium intensiv Gedanken gemacht. Eine Aufgabe der politischen Bildung ist es einerseits, über rechtsextreme Entwicklungen aufzuklären und vor ihnen zu warnen. Andererseits ist die in Sachsen vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte AfD eine Realität und die größte Oppositionspartei. Die Auseinandersetzung mit dieser Partei und ihren Themen sollte daher Bestandteil eines Wahlforums sein, teilweise hat die AfD sich dieser Diskussion auch durch Nicht-Erscheinen entzogen. Als Behörde dürfen wir einzelne Parteien nicht ausgrenzen und als Bildungseinrichtung haben wir die Verpflichtung, die Besucher unserer Veranstaltung über die Einstufung der AfD als rechtsextremistisch zu informieren.

Welche Neuerungen gab es beim Konzept der Wahlforen?

Wir wollten mehr Dynamik und vor allem die Publikumsbeteiligung stärken. Wir haben noch stärker darauf geachtet, dass es regelmäßige Phasen gibt, in denen sich das Publikum zu Wort melden kann. Dass das Gespräch nicht nur auf dem Podium stattfindet, sondern wir auch mit den Besuchern in Interaktion kommen. Wir hatten wieder ein Publikumsmikrofon, wo man sich zu Wort melden konnte. Da nicht alle Menschen gern am Mikro sprechen, konnten Fragen auch schriftlich gestellt werden. Und wir hatten Abstimmungskarten im Publikum, damit konnten alle im Saal zu bestimmten Thesen mit Ja, Nein oder Enthaltung abstimmen. So konnten wir immer mal ein Stimmungsbild dazwischenschalten. Das kam besonders gut an, viele Kartensätze wurden als Souvenir mitgenommen.

Auf dem Podium hatten wir Blitzfragerunden eingeführt, bei denen sich die Kandidierenden innerhalb von 30 Sekunden positionieren sollen. Also es gab verschiedene Methoden, den Abend möglichst abwechslungsreich zu gestalten. Das Moderationskonzept haben wir diesmal noch intensiver vorbereitet. Neben den Themen Dynamik, Sicherheit und Umgang mit extremistischen Äußerungen, ist ja das Wichtigste bei den Wahlforen, in einer recht kurzen Zeit von zwei Stunden möglichst viele Themen zu behandeln, dabei aber auch in die Tiefe zu gehen und das Publikum einzubinden.

Wie gehen Sie damit um, wenn Kandidaten Fake-News oder Hetze verbreiten?

Solche Veranstaltungen stehen und fallen mit der Qualität der Moderation. Wir haben die Moderatorinnen und Moderatoren angehalten, deutlich Stellung zu beziehen, wenn ihnen eine Aussage fragwürdig vorkommt, also dazu auch Rückfragen zu stellen. Dazu hat sich gezeigt, dass sich auch andere Kandidaten auf dem Podium korrigierend zu Wort meldeten. Und wir erlebten außerdem ein Publikum, das sich meldete, wenn es glaubte, dass auf der Bühne etwas Falsches behauptet wurde. Eigentlich wollten wir auch Fakten-Checker neben der Bühne dabeihaben, das hatte sich bei unseren Wahlforen zur Europawahl bewährt. Aber bei 60 Veranstaltungen konnten wir das personell nicht stemmen.

Es gibt auch ein aufwendiges Sicherheitskonzept. Warum ist das nötig?

Leider ist es nötig. Das Thema Sicherheit hat in der politischen Bildung einen ganz anderen Stellenwert als noch vor wenigen Jahren. Für die Wahlforen hatten wir ein 24-seitiges Sicherheitskonzept erarbeitet – ein Novum auch für uns. Zur Organisation von Wahlforen gehört inzwischen auch, einen Diskussionsrahmen zu schaffen, bei dem sich die Kandidaten, unser Personal und natürlich vor allem die Gäste sicher fühlen.

Wir nehmen das gesellschaftliche Klima als sehr aufgeheizt wahr und in einigen Regionen mussten wir auch befürchten, dass es zu Protesten oder Störungen während der Veranstaltungen kommt. Wir haben inzwischen einen deutlich höheren Aufwand, was die Sicherheit betrifft. So haben wir bei jedem Wahlforum mehrere Security-Mitarbeiter dabei. Der Austausch mit der Polizei im Vorfeld zur Gefährdungslage gehört nun auch zur Routine. Die Polizei war dann meist mit Kräften vor Ort. Bis auf wenige Zwischenfälle verliefen die Wahlforen aber insgesamt friedlich.

Die rechtsextremen Freien Sachsen haben regelmäßig für Aktionen vor den Veranstaltungsorten mobilisiert. Wie sind Sie damit umgegangen?

Die Freien Sachsen waren als rechtsextreme Kleinstpartei nicht eingeladen zu den Wahlforen, weil sie die Kriterien nicht erfüllen. Als Reaktion hatte die Partei zu Protesten vor den Wahlforen mobilisiert. Auch wenn die Polizei den freien Zugang garantierte, beeinträchtigen solche Störaktionen. Bei den Wahlforen selbst kam es nur zu einer Störung. In Riesa setzte sich ein Kandidat der Freien Sachen einfach auf das Podium und wollte es auch nicht verlassen. Er wurde dann vom Sicherheitspersonal aus dem Saal geführt. Ziel solcher rechtsextremen Aktionen ist es auch, Räume zu besetzen und die freie Debatte zu behindern. Auch wenn bei mehreren Wahlforen prominente Freie Sachsen im Publikum waren, gab es keine weiteren Störaktionen. Konkrete Debatten-Beiträge gab es allerdings von ihnen auch nicht.

Es ist für uns Veranstalter zunehmend herausfordernd, weil wir eine sichere und offene Atmosphäre schaffen wollen. Es bleibt zu diskutieren, wie man die Veranstaltungen so gestalten kann, dass sich alle frei fühlen, um an der Debatte teilzunehmen. Trotz Sicherheitskonzept bekamen wir von manchen Leuten das Feedback, dass sie sich beeinträchtig gefühlt haben, weil bei den Wahlforen Anhänger der Freien Sachsen und andere Extremisten mit im Publikum waren. Atmosphärisch ist das nachvollziehbar und für eine offene Debatte ein Problem, aber die Wahlforen sind öffentliche Veranstaltungen, bei denen wir Menschen nicht ausschließen können, sofern sie nicht konkret stören, aggressiv sind oder verfassungsfeindliche Gegenstände mitbringen. Daher bleibt es ein Dilemma. 

Als Partner bei den Veranstaltungen waren die Regionalzeitungen Leipziger Volkszeitung und Sächsische Zeitung, außerdem die Volkshochschulen beteiligt. Wie lief die Zusammenarbeit?

Die beiden großen Zeitungen sind langjährige Partner der Wahlforen. Das war immer eine gute Zusammenarbeit. Außerdem stellten die LVZ und die SZ Journalisten aus ihren Redaktionen als Moderatoren zur Verfügung, auch das ist für uns eine große Hilfe, da diese Kollegen eine hohe Sachkenntnis zu den lokalen Debatten beisteuern. Die Volkshochschulen waren ebenfalls beteiligt, etwa durch die Bereitstellung von Räumen, personelle Unterstützung und die Öffentlichkeitsarbeit vor Ort.

Welche personellen und finanziellen Ressourcen sind nötig, um die Wahlforen zu veranstalten?

Die Wahlforen sind ein echtes Großprojekt. Sie binden schon im Vorfeld viele Kolleginnen und Kollegen und nehmen einen großen Teil des Veranstaltungs- und Werbebudgets der Landeszentrale in diesem Jahr ein. Bei der Umsetzung wirken Mitarbeitende aus allen Bereichen des Hauses mit. Alle haben mitgezogen – die Wahlforen sind ein Projekt des ganzen Hauses.

Besonders an den Abenden hatten wir einen hohen personellen Aufwand. Pro Wahlforum waren zwei Mitarbeitende aus der Landeszentrale dabei, zwei Moderatorinnen oder Moderatoren, zwei studentische Hilfskräfte. Hinzu kamen Sicherheitskräfte, die Polizei, die Technik. Man kann pro Wahlforum mit zehn bis zwölf Leuten rechnen, die im Einsatz sind. An manchen Abenden hatten wir drei Wahlforen parallel, also über 30 Leute. Noch nicht mitgerechnet sind diejenigen, die sich um die Bereitstellung von Material und Büchern kümmern, mit der Presse sprechen und auch mal die Autos auftanken.

Welche besonderen Erlebnisse sind Ihnen aufgefallen?

Ich bin über das Feedback froh. Viele Leute bedanken sich, dass wir die Wahlforen veranstalten. Viele freuen sich, dass wir zu ihnen in die Wahlkreise kommen. Wir waren zu Gast in soziokulturellen Zentren, in Kinos, in Kirchgemeinden, in Volkshochschulen, also die Räume waren sehr breit gefächert. Mir bleibt vor allem Hoyerswerda in Erinnerung. Da hat das Wahlforum mitten in einer Einkaufspassage stattgefunden. Es waren etwa 170 Leute da, auch Passanten sind stehengeblieben, haben zugehört und Fragen gestellt. Da kommt politische Bildung aus den geschlossenen Räumen heraus, das finde ich spannend.