Was erregte die Dresdner Gemüter, aber auch die überregionale Presse und Kollegen anderer Landeszentralen? Die sächsische hat sich seit Dezember einen gewissen Ruf als Vermittler und Ermöglicher des Gesprächs mit Bürgern erworben, bei denen sich Unbehagen und Entfremdung von den demokratischen Institutionen eingestellt hat. Deshalb wohl hatte sich die Pegida-Vereinsspitze schon in der Woche vor dem 19. Januar mit der Bitte um Unterstützung eines Sinneswandels gegenüber den Medien an Frank Richter gewandt. „Helfen Sie uns! Wie macht man das mit der Presse?“ berichtete er von einer Anfrage. Akut wurde diese, nachdem der Dresdner Polizeipräsident Dieter Kroll für Montag 19. Januar alle Montagsdemonstrationen in Dresden wegen islamistischer Terrordrohungen untersagen wollte. Pegida und das Bündnis „Dresden für alle“ wurde konsultiert.
Pegida suchte am Sonntag einen Raum für ihre erste Pressekonferenz am Montagvormittag. Formal sollte es um eine Erläuterung der Absagegründe für dem am gleichen Tag geplanten „Abendspaziergang“ gehen. Das angefragte Deutsche Rote Kreuz, Hotels und Kirchen sagten ab. Also entschloss sich Direktor Richter nach Rücksprache mit dem Kuratoriumsvorsitzenden Lars Rohwer, CDU-Abgeordneter im Sächsischen Landtag, das Haus der Landeszentrale im Dresdner Norden zur Verfügung zu stellen. Nach seinen Worten war er dabei von der Sorge bewegt, dass auch wirklich alle Pegida-Anhänger informiert würden und somit eine kritische Situation bei eventuell doch Anreisenden vermieden würde. Richter betonte damals wie auch bei der Diskussion am Donnerstag, dass es sich nicht um eine Veranstaltung der Landeszentrale handele.
Tatsächlich spielte bei der Montag 11 Uhr stattfindenden Pressekonferenz das Demonstrationsverbot nur am Rande eine Rolle. Lutz Bachmann und Kathrin Oertel nutzten im überfüllten Veranstaltungssaal vielmehr den ersten direkten Medienkontakt, ihre Positionen und die Sechs-Punkte-Agenda zu erläutern. Auch die Journalisten, von denen die meisten nicht zu Wort kamen, fragten in der eng begrenzten Zeit vor allem nach Motiven und Forderungen von Pegida.
Kritik erwünscht
Die zweistündige Diskussion am 22. Januar, die sich durch direkte Gespräche im Saal praktisch noch um eine Stunde verlängerte, spiegelte die bereits über die Medien ausgetragenen Kontroversen wider (<media 1358>zur Sammlung aller Argumente</media>). Sie fand in der bewährten Form eines Fishbowls statt, bei der jedermann für eine begrenzte Zeit im Zentrum der Diskussionsarena Platz nehmen kann.
Nach seiner Einführung sah sich Direktor Frank Richter sogleich mit massiver Kritik konfrontiert. Wolfgang Nicht, Vizepräsident der Deutsch-Polnischen Gesellschaft, konnte angesichts der angeblich guten Kontakte der Pegida-Spitze in die Wirtschaft nicht verstehen, dass sich kein anderer Raum für eine Pressekonferenz fand. Wie hätte sich der Direktor wohl verhalten, wenn Parteien, Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbände angefragt hätten? Mit der scheinbaren Opferrolle von Pegida sei ein falsches Bild entstanden.
Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen legte nach. Flüchtlinge würden sehr wohl wahrnehmen, wer Pegida Räume zur Verfügung stellt. In der seiner Meinung nach derzeit rassistischen Stimmung in Dresden sei das ein „absolut falsches Signal“. Nattke bemängelte außerdem, dass das Asylproblem in den Richtlinien der Landeszentrale „unterbelichtet“ sei. Sie sollte auch denen eine Stimme geben, die als Flüchtlinge oder als Dresdner Bürger Angst vor der Pegida-Bewegung haben. Seine Kollegin Grit Hanneforth stimmte ein und mahnte, dass der große Rahmen für alle die UN-Charta der Menschenrechte sei. Stefan Schönfelder, Geschäftsführer der Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen, wiederholte seine bereits in einer Pressemitteilung geäußerte Kritik. Die Pressekonferenz habe eine „verschärfende Wirkung“ dadurch erhalten, dass das Orga-Team hier eine Einladung zu „Legida“ am Mittwoch nach Leipzig aussprechen konnte. Es habe sich nicht um eine der anerkennenswerten Dialogveranstaltungen der Landeszentrale gehandelt, sondern um einseitige Verlautbarungen ohne Kontextualisierung.
Bühne statt Entzauberung
Dieses Argument kehrte im Verlauf des Nachmittags noch mehrfach wieder. Von Monologen sprach Eric Hattke, Student und Sprecher des Bündnisses „Dresden für alle“. Journalisten hätten doch Gelegenheit bekommen, Pegida zu entzaubern, hielt dem der in der Wendezeit 1989 und beim Aufbau des Freistaates sehr aktive Walter Siegemund entgegen. Es habe sich nicht um eine Propagandaveranstaltung von Pegida gehandelt. Teilnehmer der Pressekonferenz hatten allerdings den Eindruck, Bachmann und Oertel versuchten sich genau in diesem Sinn zu präsentieren. „Oertel redet hier nicht wie auf der Straße“, gab auch Lehrerin Maria Degkwitz vom St.Afra-Gymnasium Meißen zu bedenken, die zunächst nicht glauben wollte, dass Pegida tatsächlich einen Auftritt in der Landeszentrale hatte.
Sowohl von Kritikern als auch Befürwortern der Pressekonferenz-Entscheidung wurde in diesem Zusammenhang der 1976 gefasste so genannte Beutelsbacher Konsens zur Politischen Bildung bemüht. Ein Lehramtsstudent für das Fach Gemeinschaftskunde erinnerte daran, dass Kontroversität zu diesen Grundsätzen zählt. Man hätte also im Gegenzug auch der Gegenseite Gelegenheit zu einem Pressestatement geben müssen. Andererseits wurde auch das Überwältigungsverbot erwähnt, das verlange, ohne Indoktrination alle Seiten zu hören, um sich eine eigene Meinung bilden zu können.
Die Argumente der Skeptiker gegenüber dem Pegida-Auftritt waren damit noch nicht erschöpft. Unwidersprochen blieb beispielsweise der Verweis einer weiteren Lehramtsstudentin auf die ausgesprochen gute Vernetzung von Organisatoren und Mitläufern. „Pegida ist ein digitales Phänomen“, sagte sie und erinnerte an 150 000 „Likes“. Man hat sich bislang sehr erfolgreich über das Internet verabredet, einer Bekanntgabe über die Presse hätte es nicht bedurft. Und wenn Pegida neuerdings mit der Presse reden wolle, hätte diese Absicht nicht von der Landeszentrale abgehangen. Andreas Jahnel, Pressesprecher der Bündnisgrünen im Sächsischen Landtag, warf dem Haus unter anderem eine unprofessionelle Führung der Pressekonferenz vor, in der die beiden Pegida-Spitzen mangels Moderator nach eigenem Ermessen Frager auswählen konnten.
Frieden wahren, Dialog führen
Die Verteidiger der Entscheidung von Frank Richter würdigten vor allem, dass er als erster bekannter Mann frustrierte Bürger und Pegida-Sympathisanten aus der Isolation holen konnte und eine Kommunikation in Gang brachte. In dieses Verdienst ordneten sie auch die Entscheidung für eine Pressekonferenz im Haus ein. Zahlenmäßig hielten sich diese Befürworter in etwa die Waage mit den Gegnern, argumentierten aber insgesamt weniger scharf.
Man solle die wenigen Diskussionsmöglichkeiten nicht abwürgen, hieß es. Die politische Bildungszentrale habe andere Aufgaben als die Polizei, nämlich die, Menschen zusammenzubringen, argumentierte ein Bürger aus Dresden-Pieschen. Das Bild, das die Presse von den Pegida-Demonstranten zeichne, sei zu einseitig. „Keiner fragt, wie es uns geht. Wir werden beschimpft und unsere Kinder unter Druck gesetzt“, meinte eine Frau. „Mit diesem Mann kann man reden“, wandte sie sich dankbar an Frank Richter. „Richter wollte Frieden wahren“, verteidigte ihn auch der Polizeiseelsorger Christian Mendt. In diesem Sinne wurde auch Genugtuung über den tatsächlich friedlichen Verlauf des Montagabends geäußert.
Bei Fürsprechern spielte die politische oder formale Bewertung der strittigen Pressekonferenz eine untergeordnete Rolle. Einzelne hielten sie für überbewertet. Man spürte, dass Pegida-Sympathisanten die Gelegenheit nutzen wollten, um Verständnis für ihre allgemeinen Sorgen zu werben und das Bild von sich geradezurücken. „Es gibt kein falsches Bild von Pegida, denn die Bewegung ist zu vielstimmig“, wandte hier der Historiker Patrick Marschner ein, der unter anderem für die Landeszentrale arbeitet. Auch bedenklich Bekenntnisse hatten ihren Platz. Ein Mann äußerte Zweifel an der repräsentativen Demokratie und verglich diese Wochen mit dem Herbst 1989.
Einmalig und äußerst problematisch
Mehrfach streiften Äußerungen am zentralen Tisch des Fishbowls generelle Probleme der politischen Jugendbildung, so beispielsweise den fehlenden Gemeinschaftskundeunterricht an Berufsschulen. Auch Mitarbeiter der Landeszentrale meldeten sich zu Wort. Während Sabine Kirst eher „Bauchschmerzen“ mit der Pressekonferenz bekannte, verteidigte Angelika Barbe die vorurteilsfreie Kommunikation im Haus.
Auf diesen Minimalkonsens und Frank Richters Verdienste um das freie Gespräch konnten sich am Ende alle verständigen. Trotz der Kritik erhielt der Direktor für den „verdammt guten Job“ – so Kuratoriumsmitglied Bernd Mönch – langen Beifall. Richter selbst wirkte nachdenklich. Er sprach von einer „äußerst problematischen Entscheidung“, zu der er stehe, die er aber so nicht wiederholen würde. Auch Begriffe wie „Einzelfall“ und „Dilemma“ fielen. Der nur einen Tag später erfolgte Rücktritt Lutz Bachmanns vom Pegida-Vereinsvorsitz hat offenbar auch eine Überprüfung der Positionen ausgelöst. „Die Differenzierung zwischen Orga-Team und den tausenden Menschen auf der Straße stagniert“, stellte der Direktor fest.
Michael Bartsch ist Freier Journalist und schreibt u.a. für DNN, TAZ und Neues Deutschland
<media 1358 - - "TEXT, 2015-01-22 Kritik erwuenscht Argumente, 2015-01-22_Kritik_erwuenscht__Argumente.pdf, 45 KB">Sammlung aller Argumente der Diskussion</media>
Sonderseite zum Thema: Wir müssen reden!