Mit Politik habe sie lange nichts zu tun haben, wollen, sagt Sabine Michel. "Dass 'Hinten scheißt die Ente' ein politischer Film sein soll, hätte ich damals nie zugegeben", sagt sie. Mit dem Kurzfilm gewann die Filmemacherin 2002 den Publikumspreis des Filmfestes Dresden. Heute sieht sie die politische Relevanz des da von ihr aufs Korn genommenen Ost-West-Dilemmas deutlicher.
Sabine Michel bildet sie gemeinsam mit SLpB-Direktor Dr. Roland Löffler und der Filmemacherin Elise Landschek die Auswahljury für den erstmals im Rahmen des 33. Filmfestes Dresden verliehenen und mit 3.000 Euro dotierten Preis "voll politisch" der SLpB. Ihre Aufgabe: Aus einer Shortlist aus Beiträgen des nationalen und internationalen Wettbewerbs und des regionalen Fokus den Film zu prämieren, der sich kreativ, kontrovers und kritisch mit seinem Sujet auseinandersetzt, dabei den Perspektivwechsel wagt und eine neue Sicht auf ein politisches Thema ermöglicht. Am Donnerstag, dem 15. Juli, sichtete die Jury gemeinsam mit ihrem Publikum im großen Saal der Landeszentrale.
Apell an Zivilcourage
Im Anschluss diskutierte Sabine Michel auf dem Podium zum Thema "Politik im Kurzfilm". Denn inzwischen dreht sie explizit politische Filme, zuletzt "Montags in Dresden". Der kontrovers diskutierte Dokumentarfilm begleitet unkommentiert drei Menschen, die sich bei den montäglichen Pegida-Demonstrationen in Dresden engagieren. Neben Michel auf dem Podium saßen Sven Pötting, Kurator des Filmfestes Dresden und Initiator des diesjährigen Themenschwerpunktes "Aktivismus", und Ferdinand Ehrhard, gebürtiger Dresdner und vielversprechender Nachwuchs in der Filmlandschaft. Sein Kurzfilm "Obervogelgesang" findet sich ebenfalls wieder auf besagter Shortlist.
Im Rahmen der Preisverleihung erhält "Obervogelgesang" später eine lobende Erwähnung, weil er ein hoch aktuelles Thema aufgreife, nämlich die Präsenz rechtsextremer Parolen und Gruppen im öffentlichen Raum sowie die mediale Wahrnehmung Sachsens. "Er vermittelt eine eindringliche Botschaft im gut komponierten Zusammenspiel seiner filmischen Mittel. Er appelliert an Zivilcourage, stellt sich aber nicht belehrend über seine Protagonistin, sondern zeigt Dilemmata politischen Engagements auf", begründet die Jury ihre Entscheidung.
Der Anfang-20-Jährige hat einen Animationsfilm produziert, der sehr feinfühlig die Ambivalenz seiner Hauptfigur einfängt: "Eins, zwei, Nazi. Eins, zwei Nazi", zählt diese beispielsweise immer panischer im Zug nach Obervogelgesang ihre Mitpassagiere ab. Die rechte Gesinnung steht niemandem ins Gesicht geschrieben. Was also tun? Zuerst habe er einen antifaschistischen Film machen wollen, erzählt Ehrhardt auf dem Podium. Aktivistisch, aufrüttelnd habe er sein wollen. Das habe nicht funktioniert, ohne sich über die Menschen zu erheben, um die es letztendlich geht, die er erreichen möchte. Die Arbeit am Film war auch ein persönlicher Prozess der Politisierung. Trotzdem wollten er und seine Kollegen etwas bewegen: "Wir wollten aufrufen und deutlich machen, dass es ok ist, wenn du es mal nicht schaffst, wenn du einmal nicht hinschaust und wenn du auch mal verkackst." Er attestiert sich selbst einen "radikalen Humanismus". Der Wille zählt, die Haltung.
Flut an Corona-Filmen
Politik und Privat sind einfach voneinander nicht zu trennen. Durch die passende Linse betrachtet ist alles politisch, stellt entsprechend der Moderator des Abends, Oliver Reinhard, stellvertretender Feuilletonchef der Sächsischen Zeitung, fest. Und auch Film und Politik seien eng miteinander verwoben. Selbst die augenscheinlich existentialistische Nabelschau habe immer auch eine gesellschaftspolitische Relevanz. Er beobachte eine Zunahme explizit politischer Filme in den vergangenen Jahren – angeregt und angetrieben durch aktuelle und sich häufende Krisen. Dem pflichtet Sven Pötting, Kurator des Filmfestes, bei. Kurzfilme nähmen aktuelle Entwicklungen schneller auf und verarbeiten sie kreativ. Er erwarte für das kommende Filmfest eine Flut an Corona-Filmen, die meisten davon wahrscheinlich weniger inspiriert. Auch die Zahl der Beiträge, die sich mit Geschlechtergerechtigkeit oder Rassismus auseinandersetzen habe zugenommen. Die Klimakrise beschäftigt Filmschaffende zusehends.
Der Filmpreis "voll politisch" geht in diesem Jahr darum auch an "Mex and the animals" der kanadischen Filmemacherin Elisa Gleize. Ihre Animation bildet eine Dystopie ab, in der der Mensch ein Second Life lebt – das echte Leben im Digitalen. "Im Kontrast zu einer Welt ohne Tiere, ohne Freude, ohne Sinn, erlebt er hier sauberes Wasser, Wale oder Wölfe. Scharfkantig und mechanisch bewegen sich künstliche Wesen im Pixelwald", beschreibt die Jury ihren Eindruck. Der Film beschreibe eine vom Menschen geschaffene Leere. "Sein nur auf den ersten Blick unpolitischer Ansatz erleichtert den Zugang zu den hochpolitischen und immer drängenderen Themen Klimaschutz und Artensterben. Er bewegt und lässt hoffen, dass es noch nicht zu spät ist", begründet sie ihre Entscheidung.
Zur Preisverleihung am Sonnabend, dem 17. Juli, konnte die Filmemacherin selbst nicht anwesend sein. Stattdessen sendet die junge Frau eine kurze Videobotschaft. Sie bedankt sich und entschuldigt sich für das körnige Bild der Aufnahme. Das Geld, sagt sie, helfe ihr, ähnliche Projekte weiterzuführen.