Die Stadt Freital kann sich sehen lassen. Jedenfalls muss sie sich nicht verstecken. Am Rande der Dresdner Residenz liegt der schöne Flecken Erde, auf dem sich ein Industriestandort entwickelt und in schwierigen Zeiten behauptet hat. Er ist geprägt von selbstbewussten Menschen. In Freital leben Zeitgenossen, die noch mit ihren Händen arbeiten können. Hart, wenn es sein muss. Es sind Menschen, die sich etwas aufgebaut haben. Wer durch die Stadt geht, sieht viele ordentliche Häuser. Manche sind sehr schmuck. Die Natur spielt Freital in die Hände. Auch sie ist schön. Die Berge strotzen vor Grün. An warmen Sommerabenden versorgen sie die Bewohner mit frischer und kühler Luft. Es reift sogar Wein in Freital, kein schlechter Tropfen.
Flüchtlinge machen keinen Bogen um Freital
Freitaler und offenbar auch Auswärtige gehen gegen Flüchtlinge auf die Straße.
Nein, es könnte alles nicht nur schön sein. Es ist schön. Die Stadt ist schön, obwohl viele es nicht glauben und obwohl sich seit mehr als einer Woche Abend für Abend widerliche und hasserfüllte Szenen abspielen. Vor der Unterkunft für Asylsuchende „Am langen Rain“ versammeln sich die Gegner. Wahrscheinlich sind es nicht alles Freitaler. Hunderte sollen es sein. Sie protestieren gegen Menschen, die nach Freital kommen. Manche brüllen. Manche werfen Flaschen. Manche scheinen alkoholisiert. Befürworter des Asyls wurden angepöbelt und angegriffen. Warum geschieht das? Weil manche meinen, Freital liegt nicht in Sachsen und Sachsen nicht in Deutschland und Deutschland nicht in Europa und Europa nicht auf diesem Planeten? Weil einige in Freital meinen, sie könnten sich abschotten? Weil sie meinen, sie müssten ihr Glück verteidigen gegen andere, die es ihnen nehmen wollen? Die aktuellen, durch Kriege, durch zerfallende Staaten und Millionen Flüchtlinge entstehenden Probleme sind unbezweifelbar groß. Sie machen keinen Bogen um Freital.
Einwohner fordern Information ein
Während der Proteste gab es auch Ausschreitungen und Festnahmen.
Sozialwissenschaftler haben sich mit der jüngsten Geschichte und der Gesellschaft der Stadt beschäftigt. Die wichtige deutsche sozialdemokratische Hochburg in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sei abgeschnitten worden von den eigenen Wurzeln. Politische Heimatlosigkeit und weltanschauliche Leere prägten das soziale Lebensgefühl. Die benachbarte Großstadt entfalte eine Sogwirkung, die nicht viel übrig lasse an kultureller Widerstandskraft. Man kann es auch praktischer sehen: Seit vielen Wochen demonstrieren die Anhänger der Initiative "Nein zum Heim" und fordern eine Bürgerversammlung.
Ich meine, sie haben einen Anspruch darauf. Sie wollen, dass sich die politisch Verantwortlichen stellen. Diese halten sich für meinen Geschmack allzu sehr und vornehm zurück. Warum nur? Die selbstbewussten Bürger Freitals und deren demokratisch gewählten Vertreter sind genauso in der Lage, einen Konflikt offen, öffentlich und fair miteinander auszutragen, wie die selbstbewussten Bürger anderer sächsischer Städte dazu in der Lage sind. Die schweigende Mehrheit sollte sich melden und einbezogen werden. Die selbstbewussten Bürger Freitals können die Herausforderungen des Asyls ebenso annehmen und menschenfeindlicher Hetze ebenso kräftig entgegentreten, wie das die Bürger anderer sächsischer Städte können.
Bürgerversammlung am Montag
Am 6. Juli soll es in Freital eine Bürgerversammlung geben. Die Landeszentrale für politische Bildung wurde vom Oberbürgermeister gebeten, diese zu moderieren. Da ich selbst in einer kleinen Mietwohnung in Freital lebe, gestatte ich mir, es auch persönlich zu sagen: Es ist höchste Zeit, dass die entstandenen Konflikte in einer großen städtischen Öffentlichkeit diskutiert werden. Es entspricht meiner Erfahrung aus anderen Kommunen, dass es mit ein oder zwei Gesprächsrunden nicht getan ist. Diese gab es ja bereits, auch in Freital. Das Asylrecht, die praktische Umsetzung, die damit verbundenen Probleme und Chancen und die ganz offensichtlich aufgekommenen Fragen und Ängste sind so zahlreich und vielschichtig, dass Information und Diskussion viel Zeit beanspruchen. Wenn sich die Politiker und die Stadtgesellschaft diese Zeit nehmen, könnten auch die Chancen erkannt werden, die in dem entstandenen Konflikt liegen, so, wie sie in jedem Konflikt liegen. Und es könnte wieder schön sein.